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Einzelne moralische Probleme
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Inhalt:
Doppelmoral oder moralische Heuchelei
Hat man Pflichten gegen sich selbst?
Wann darf man Lügen?
Ist man zur Hilfeleistung moralisch 
verpflichtet?
Wann ist man zur Hilfeleistung 
moralisch verpflichtet?
Wie kann man die Pflicht zur 
Hilfeleistung begründen?
Zur moralischen Begründung der 
Entwicklungshilfe
Hinten anstellen!  oder:  Abfertigung nach der Länge der Wartezeit
Ist man moralisch verpflichtet zu 
arbeiten?
Sterbehilfe und Hilfe zur Selbsttötung
Darf ein Mensch sich selber zu 
Grunde richten?
Textanfang
 
Doppelmoral oder moralische Heuchelei 
Man vertritt nach außen nicht diejenigen moralischen Normen, nach denen 
man sich tatsächlich richtet. Das heißt z. B., ein Mann hält in der Erziehung 
und in der Öffentlichkeit die eheliche Treue hoch, während er gleichzeitig ohne 
Gewissensbisse eine Geliebte hat oder zu Prostituierten geht. Oder jemand 
vertritt das Prinzip der vorehelichen Keuschheit, nimmt aber für sich 
unausgesprochen das Recht in Anspruch, "seine sexuellen Erfahrungen zu machen".  
Offiziell ist jeder gegen Schwarzarbeit, aber heimlich hat jeder seine schwarz 
arbeitende Putzfrau, seine schwarz arbeitenden Handwerker. 
Diese doppelte Moral ist problematisch für die moralische Erziehung, denn 
irgendwann bemerken die Heranwachsenden, dass die propagierte Moral nicht 
wirklich gilt, und damit gerät die Glaubwürdigkeit der gesamten anerzogenen 
moralischen Ordnung ins Wanken, die Autorität der Erzieher wird brüchig.
***
Offiziell geltende Normen, die nicht durchgesetzt werden 
und an die sich nur die wenigsten halten, sind problematisch: die Normtreuen "sind die Dummen", denn sie verzichten, während die andern "sich keinen Zwang 
antun". Ein solcher Zustand kann nicht allgemein akzeptabel sein. 
Besonders problematisch sind solche offiziell geltenden, aber weithin 
gebrochenen Normen, wenn dadurch die Gesetzestreuen im sozialen Wettbewerb 
Nachteile haben und dadurch also noch für ihre Gesetzestreue bestraft werden. 
Wenn z. B. viele Baufirmen Schwarzarbeiter beschäftigen, so sind diejenigen 
Firmen, die das nicht tun, wirtschaftlich nicht mehr konkurrenzfähig und ihnen 
droht der Konkurs. 
Ein anderes Beispiel. Wenn bei Prüfungen die Benutzung von Hilfsmitteln wie "Spickzetteln"   oder das Sprechen mit dem Nachbarn verboten ist, dies jedoch kaum 
kontrolliert wird, so sind die "Ehrlichen die Dummen".
***
***
Hat man Pflichten gegen sich selbst?
Wenn ja, dann wäre Moral nicht nur eine Angelegenheit, die aus dem sozialen 
Konflikt entsteht. Traditionell gibt es diese Pflichten aus der Vorstellung 
heraus: Gott hat mich geschaffen und mir Talente und Fähigkeiten gegeben, damit 
ich diese entwickle und nutze und nicht dem Herrgott den "Tag stehle"   (als "Tagedieb"  ). Doch das wäre wieder ein äußerer Konflikt, diesmal mit Gott.
Allerdings könnten die Pflichten gegen sich selbst letztlich doch sozialer Natur 
sein: ich werde ja von meinen Angehörigen gebraucht, von meinem Partner, von 
meinen Kindern etc., und wenn ich ich mir selber schade, mich zerstöre 
(Selbsttötung), so schade ich damit ja auch den Angehörigen, denen ich als 
Kranker zur Last falle (etwa der Gesamtheit der Versicherten, wenn ich nicht auf 
meine Gesundheit achte), oder denen ich nach der Selbsttötung ganz fehle.
***
Zu der Kontroverse, ob Moral immer bezogen ist auf das 
Verhältnis zu anderen, oder ob es eine Moral auch im Verhältnis eines 
Individuums zu sich selbst gibt. Der Gläubige hat sich ja immer und sogar in 
erster Linie vor Gott zu verantworten und nicht nur vor den Mitmenschen. Die 
Frage ist, ob sich auch ohne das religiöse Weltbild Pflichten gegen sich selbst 
begründen lassen. Oder ist das alles "meine Sache", die "niemanden etwas angeht"   
und "in die sich gefälligst niemand einzumischen hat"  ? 
Was ist, wenn hinter diesem individualistischem Schutzwall ein Mensch steht, der 
sich wegen seines selbstzerstörerischen Verhaltens selber verachtet und sich in 
klaren Stunden selbst die schwersten Vorwürfe macht? 
Fast jeder Mensch hat Vater und Mutter, denen das Wohlergehen ihres Kindes "am 
Herzen liegt". Oder wie Tom Petty singt: "Some Mum is crying, 
some Dad is sad, when a kid goes bad". Insofern ist die Robinsonade nur 
eine gedankliche Konstruktion. 
Und in dem Maße, wie ein Gemeinwesen für ihre Glieder eine 
Schicksalsgemeinschaft ist, wo Krisen und Niederlagen alle betreffen, gibt es 
auch ein allgemeines Interesse an der Entwicklung der individuellen Fähigkeiten, 
die indirekt auch den andern zugute kommt.
***
Wann darf man Lügen?
Man soll nicht lügen. Warum nicht?  Willst Du belogen werden? 
Nein? Na also. Andere wollen auch nicht belogen werden. Also ist die Norm "Man 
soll nicht lügen"   allgemein anerkennbar. So einfach ist ethische Argumentation, 
Begründung von Moral, … oder?.
Ist es wirklich so einfach? Es gibt doch Verhaltensweisen, die alle nicht wollen 
und die trotzdem nicht verboten sind. Nehmen wir zum Beispiel das Erzeugen von 
Motorenlärm. (Fast) keiner hört gerne Motorenlärm. Also müsste die folgende Norm 
allgemein anerkennbar sein: "Erzeuge keinen Motorenlärm (wenn andere das hören 
können)!"   Trotzdem ist z. B. das Autofahren nicht verboten. Weshalb? Weil man 
vom Autofahren Vorteile hat, weil man schnell und bequem an entfernte Ziele 
gelangt. Und da alle dies wollen, bleibt das Autofahren erlaubt, auch wenn es 
mit Motorenlärm verbunden ist. Es findet also eine 
Abwägung der Interessen 
statt: Auf die Frage: "Würdest du auf das Autofahren verzichten, wenn es dafür 
keinen Autolärm mehr gibt?"    würden wohl die meisten mit "Nein"   antworten. 
Und wie ist das mit dem Lügen? Soll man immer die Wahrheit sagen? Betrachten wir 
einmal genauer, um was es beim Lügen geht. "Lügen"   bedeutet "bewusst die Unwahrheit sagen". Man sagt die "Unwahrheit", wenn 
es nicht so ist, wie man sagt. Der Lügner kennt also die Wahrheit und sagt 
trotzdem etwas anderes. Aber der Witzbold sagt auch die Unwahrheit ("  war nur ein 
kleiner Scherz"  ) und wenn man nach altem Brauch jemanden "in den April schickt", 
dann mit Aussagen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Und es gibt auch die 
Kunst der Ironie, die für denjenigen, der genau hinhört, als solche kenntlich 
ist. Man sagt z. B.: "Ich finde den Vortrag wahnsinnig interessant"   und drückt 
damit auf elegante Weise aus, wie sehr er einen gelangweilt hat. Dies ist mit "lügen"   nicht gemeint. 
Es muss zum bewussten Aussprechen der Unwahrheit offenbar noch der 
Versuch hinzukommen, andere über die Wirklichkeit zu 
täuschen, in Ihnen einen Irrtum zu erzeugen. Der Versuch reicht hier aus, 
denn auch der ist ein Lügner, dem die Lüge nicht geglaubt wird.
***
Ist man zur Hilfeleistung moralisch 
verpflichtet?
Altruismus kann man definieren als eine ethische 
Konzeption, bei der das Wohlergehen des anderen vorrangig ist gegenüber dem  
eigenen Wohlergehen  (oder zumindest gleichrangig mit diesem). Wenn jemand 
es also freiwillig zu seiner Aufgabe macht, Notleidenden zu helfen, so handelt 
er altruistisch. 
Dabei ist es gleichgültig, welche Motive er sonst noch dabei hat. Er mag  
anderen helfen, weil er ein guter Mensch sein will, weil er dem lieben Gott 
gefallen will oder weil er seinem inhaltsleeren Leben einen Sinn geben will. 
Unterstellung zweifelhafter Motive, die den Betreffenden herabsetzt und 
entmutigt, ist hier wohl fehl am Platz.
Etwas anderes ist es, wenn die Aufopferung für andere zur Pflicht  
gemacht wird. In diesem Zusammenhang ist mir die These in den Sinn gekommen, 
dass ethisches Verhalten auf Gegenseitigkeit gegründet sein muss. Das heißt, ich 
bin nicht zur Hilfe verpflichtet gegenüber jemandem, von dem ich selber in 
Notlagen keine Hilfe erwarten kann: "Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr 
gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht."   Ich würde auf den ersten Blick 
sagen: Da ist was Wahres dran ... aber stimmt das wirklich?
Wenn man fragt, ob eine Norm "richtig"   
ist, so sollte das Kriterium hierfür nach meiner Auffassung sein, ob diese Norm 
für alle akzeptabel ist, genauer gesprochen: ob die tatsächliche 
allgemeine Befolgung dieser Norm für alle akzeptabel ist. 
Wenn ich die allgemeinen Befolgung der Norm voraussetze, ist damit zugleich die 
Gegenseitigkeit der Hilfspflicht gewährleistet, abgesehen von  Fällen, wo 
jemand keine Hilfe leisten kann oder niemals Hilfe braucht. Es stellt sich aber 
die Folgefrage: Was ist dann, wenn diese Norm von einigen 
Individuen nicht befolgt wird? Wenn diese im Notfall keine Hilfe leisten, 
obwohl sie es könnten, aber  gleichzeitig selber die Hilfe anderer in 
Anspruch nehmen? Bin ich in dieser Situation weiterhin verpflichtet, die "eigentlich"   richtige Norm zu befolgen? 
Andere betätigen sich als "Trittbrettfahrer"   und ziehen den Nutzen aus der Norm, 
ohne sich an den Kosten zu beteiligen, während ich brav meine Pflicht tue und im 
Notfall im Stich gelassen werde. Eine solche Situation schafft "böses Blut"   und 
ist für die "Moral"   einer Gemeinschaft kritisch. Und das wohl zu Recht, denn ein 
solcher Zustand ist sicherlich nicht mehr allgemein konsensfähig. Er gleicht der "parteiischen"   Norm, die Ausnahmeregeln für bestimmte Personen enthält. 
Ist es eine zulässige moralische Entschuldigung zu sagen: "Aber die andern 
machen es ja genauso!"  ? 
***
Wann ist man zur Hilfeleistung moralisch 
verpflichtet?  
Zu fragen ist, ob es sich um eine
Pflicht handelt oder ob eine solche Hilfeleistung eine moralisch 
lobenswerte und vorbildliche Handlung darstellt, die aber dennoch freiwillig 
bleibt. Beides muss unterschieden werden. Der aufopferungsvolle Einsatz von 
Mutter Theresa für die Ärmsten mag lobenswert sein, doch wenn man ein solches 
Handeln zur Pflicht machen wollte, so wäre das sicherlich eine moralische 
Überforderung der meisten Menschen und kontraproduktiv. 
Über den folgenden Satz: "Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu 
seiner Erhaltung nötig ist, und wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel 
besitzt und zu verhungern droht, dann ist es moralisch vorbildlich, wenn der 
Wohlhabende dem Armen die notwendigen Mittel zum Überleben schenkt"   ließe sich 
meiner Ansicht nach ein allgemeiner Konsens herstellen. 
Wenn ein Individuum freiwillig für andere mehr gibt, 
als man von ihm verlangen kann, so ist ein Konsens leicht möglich: Der Gebende 
ist einverstanden und die Empfangenden werden auch nichts dagegen haben. 
Allerdings hätten wir dann nur eine moralische Bewertung aber keine Norm.
Das Problem deutet sich schon in der Formulierung "Verpflichtung zu schenken"   
an. Genau genommen ist dies ein Widerspruch, wenn "Schenken"   als "freiwilliges 
Übereignen von Gütern an andere"    definiert ist, denn wozu ich verpflichtet bin, 
soll ich tun, ob ich es nun will oder nicht.
Eine Frage, die sich anschließt, lautet: "Ist es dann moralisch schlecht, 
nicht zu spenden?"   Ließe sich darüber ein allgemeiner Konsens herstellen?
Die Pflicht zur Hilfeleistung steht im Konflikt mit 
dem Eigentumsrecht: Warum soll jemand 
verpflichtet sein, von seinem ehrlich und womöglich durch harte Arbeit 
Erworbenen an andere abzugeben?
Im innerstaatlichen Bereich gibt es allerdings eine derartige rechtlich 
normierte Pflicht: einmal gibt es die Pflicht, Steuern zu zahlen, mit denen der 
Staat z. B. die Sozialhilfe an Individuen ohne Einkommen und Vermögen bezahlt. 
Und es gibt den Paragraphen im Strafgesetzbuch, der "unterlassene Hilfeleistung"   
unter Strafe stellt – übrigens eines der wenigen Gebote im Strafrecht.
***
Wie kann man die Pflicht zur 
Hilfeleistung begründen? 
Du schreibst: "Die einzige, für mich plausible Begründung ist die der 
Gegenseitigkeit. Die Hilfspflicht  impliziert 
ja auch die Pflicht, dass einem selbst geholfen wird, was sicher fast jeder 
irgendwie wünschen kann."   Damit bin ich grundsätzlich einverstanden. Eine 
entsprechende Norm könnte etwa lauten: "Wenn jemand bemerkt, dass ein anderer 
sich in Not befindet, so soll er diesem helfen. (Es sei denn, die Not ist selbst 
verschuldet oder … oder …)".  
Diese Norm ist "unparteiisch"   und ohne Bezug auf die Identität der Beteiligten 
formuliert. Damit erfüllt sie eine notwendige Bedingung für die 
Konsensfähigkeit. Nicht nur ich bin zur 
Hilfeleistung verpflichtet, sondern es sind auch alle andern 
mir  gegenüber zur Hilfeleistung in Not verpflichtet. Eine solche 
Verpflichtung zur Hilfeleistung erscheint mir eher allgemein konsensfähig als z. 
B. die alternative Norm "Wenn sich ein Mensch in Not befindet, so ist man nicht 
zur Hilfe  verpflichtet, sondern jeder muss selber sehen, wie er aus dieser 
Not wieder herauskommt."   Als "Notlage"   werden schwerwiegende Beeinträchtigungen 
und Gefährdungen einer Person  bezeichnet. Dagegen wiegen die  
Nachteile, die der helfenden Person zugemutet werden (z. B. dauert die 
Hilfeleistung längere Zeit, der Helfer muss sein sonstiges Tun unterbrechen, er 
macht sich seine Kleidung schmutzig ..) weniger schwer. (Deshalb ist auch 
niemand verpflichtet, die Not eines andern in einer Weise zu beheben, die ihn 
selber in Not bringen würde.) Wer aber damit rechnen muss, dass er selber auch 
in schwere Notlagen geraten kann, aus der andere ihn mit geringem Aufwand 
befreien können – und das muss wohl jeder - der wird eine Verpflichtung zur 
Hilfe in Notlagen bejahen. Eine Gesellschaft, in der Hilfe in Not geleistet 
wird, ist für ihn besser als eine Gesellschaft, in der dies nicht getan wird. 
Wenn ich Dich richtig verstehe, so geht der Einzelne bei 
der Frage, ob er eine bestimmte moralische Norm akzeptieren soll, von seinem 
Eigeninteresse aus, er fragt sich: Ist es für mich besser, wenn die Norm 
x (Hilfspflicht) von allen befolgt wird als wenn die Norm y (keine Hilfspflicht) 
von allen befolgt wird? Durch das Kriterium des Eigeninteresses kommst Du zu der   
Beschränkung der Hilfspflicht auf diejenigen, von denen man selber auch 
Hilfeleistungen erwarten kann. Du schreibst: "Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr 
gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht."   Hier möchte ich ein Fragezeichen 
machen. 
Nehmen wir z. B. einen Todkranken, der mir eine letzte Hilfeleistung mit 
Sicherheit  nicht mehr erwidern kann. Verliert er sein Recht auf Hilfe? Was 
ist mit von Geburt an Schwerstbehinderten, die ihr Leben lang auf Hilfe 
angewiesen sind, ohne jemals selber helfen zu  können? Obwohl ich 
gefühlsmäßig sagen würde, dass es hier auf  Gegenseitigkeit  nicht 
ankommt, bleibt doch die Frage, was die  Begründung dafür ist, auch diese 
Menschen mit einzubeziehen.  Hier tun sich noch einige Probleme auf und es 
sind noch einige harte Nüsse zu knacken. Du stellst z. B. die Frage: 
Was ist, wenn jemand so stark ist, dass er selber keine 
Hilfe nötig  hat? Auch dann würde sich unter dem Gesichtspunkt des  
Eigeninteresses keine allgemeine Zustimmung zu einer Hilfspflicht ergeben.
Nicht jede Hilfeleistung gegenüber Notleidenden ist 
vorbildlich. Es kann auch Verschwendung sein, jemandem, der wiederholt 
sein Geld verjubelt und dann Not leidet, immer wieder mit Geldzuwendungen zu 
helfen. Insofern gilt das positive Werturteil bezüglich der Hilfeleistung für 
Notleidende nicht bedingungslos. 
Du formulierst als eine notwendige Bedingung für die  Verpflichtung zur 
Hilfeleistung, dass der Notleidende "sich nicht aktiv an der Vergrößerung der 
Ursache seiner Not beteiligt". Man könnte Deinen Gedanken vielleicht allgemeiner 
formulieren in dem Satz. "Man soll einem Notleidenden helfen, es sei denn, seine 
Notlage ist selbst verschuldet und er ist diesbezüglich uneinsichtig."   Im 
Übrigen sehe ich für eine unbedingte Pflicht zur 
Hilfeleistung keine Konsensfähigkeit. Dann wäre man  womöglich dazu 
verpflichtet, einen Mörder aus der Not jahrelanger Gefängnishaft zu befreien. 
Eine bedingungslose Pflicht zur Hilfeleistung ist meines Erachtens deshalb nicht allgemein konsensfähig, weil dadurch die Motivation beeinträchtigt wird, sich anzustrengen und die unvermeidlichen Mühen auf sich zu nehmen, eine nützliche Leistung oder ein wertvolles Gut zu schaffen: Wenn ich weiß, dass es egal ist, ob ich arbeite oder mich vor den Fernseher setze, ob ich sparsam bin oder die besten Dinge verprasse, wenn ich weiß, dass ich die positiven oder negativen Folgen meines Handelns nicht selber tragen muss, dann schwindet meine Motivation, den mühevolleren Weg zu wählen. Und eine allgemeine "Drückebergerei" und Verschwendung führt zu Ergebnissen, die sicher nicht allgemein konsensfähig sind.
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Zur moralischen Begründung der 
Entwicklungshilfe
Es ist wohl unstrittig, dass das rapide Anwachsen der Weltbevölkerung 
nicht ungebremst weitergehen sollte, weil das Raumschiff Erde nur begrenzt 
Lebensmittel bereitstellen kann. 
Es gibt dabei einmal das Problem des Verbrauchs nicht erneuerbarer Güter wie z. 
B. Erdöl. Gefährlicher noch ist jedoch die Zerstörung derjenigen 
Lebensbedingungen, die das Raumschiff Erde erst bewohnbar machen, wie die 
Ozonschicht, die vor der Krebs erzeugenden ultravioletten Strahlung schützt. 
Beide Problembereiche – Verknappung der Ressourcen und Zerstörung von  
Lebensbedingungen – werden jedoch nicht nur davon beeinflusst, wie viele 
Menschen leben, sondern auch davon, wie sie leben. 
Unstrittig ist wohl auch, dass durch eine 
Verbesserung der medizinischen Versorgung in Ländern der 
Dritten Welt  die Sterberate herabgesetzt wird und dadurch die 
Bevölkerung zahlenmäßig wächst. Insofern hat die medizinische Entwicklungshilfe 
unerwünschte Nebenfolgen. Diese unerwünschte Nebenfolgen sollten bedacht werden 
und durch "flankierende Maßnahmen"   wie die Förderung von Empfängnisverhütung 
ausgeschaltet werden. 
Ich halte es jedoch für ethisch nicht gerechtfertigt, wegen dieser Nebenfolgen 
die Einstellung der medizinischen Hilfe zu fordern. Ich sehe dafür keine 
allgemein akzeptablen Argumente. Soll ich dem Mann aus Gabun sagen: "Du bekommst 
keine  Pockenimpfung, weil Du dann länger lebst, womöglich Kinder zeugst 
und damit die Weltbevölkerung vergrößerst"  ? 
Generell gilt für mich der methodische Anspruch, dass 
ich bei Fragen der Entwicklungshilfe allgemein konsensfähige Argumente finde, 
denen also sowohl die gut versorgten Mitteleuropäer oder Nordamerikaner als auch 
die Menschen in den unterentwickelten Ländern zustimmen können. 
Deshalb darf ich nicht nur aus "meiner Sicht"   und Interessenlage argumentieren, 
sondern 
muss mich auch in die Lage der anderen hineinversetzen. 
Bin ich als einzelner Mensch mit dem Lebensstandard Mitteleuropas in irgendeiner 
Weise verpflichtet, durch Geldspenden oder praktisches Tun den Hungernden in den 
armen Ländern der Welt zu helfen – und wenn ja, wie weit geht diese 
Verpflichtung? 
Deine Antwort darauf lautet: "Ich fühle mich nur dann zur Hilfe verpflichtet, 
wenn der Empfänger der Hilfe bereit ist, diese Hilfe anzunehmen und ferner 
bereit ist, die Ursachen der Not zu bekämpfen."   Du bejahst also die 
Verpflichtung. Du knüpfst diese Bejahung jedoch an zwei Bedingungen: 
1. Der Empfänger der Hilfe muss bereit sein, diese Hilfe anzunehmen. 
2. Der Empfänger der Hilfe muss bereit sein, die Ursachen seiner Not zu 
bekämpfen. 
Die erste Bedingung kann man dahingehend interpretieren, dass Du der Regel 
folgst, dass eine Hilfe zwar angeboten aber nicht aufgezwungen werden soll. 
Diese Bedingung wird man bei dem Angebot einer finanziellen Hilfe wohl als 
erfüllbar ansehen können. Hilfsgelder brauchte man wohl niemandem aufzwingen. 
Die zweite Bedingung ist schon schwieriger zu erfüllen, denn sie setzt einen 
Konsens über die Ursachen der Not voraus, was in Bezug auf den Hunger in der 3. 
Welt eine komplexe  empirische Frage ist. Du siehst die Ursache 
im übermäßigen Bevölkerungswachstum: "Wenn der Große  Bruder in der 3. Welt 
den Hunger stillt und sie medizinisch versorgt, es ihm aber nicht gelingt, die 
Bevölkerungsexplosion zu stoppen, dann löst er das Problem nicht."   Man könnte 
als Ursache des Hungers jedoch auch die instabilen politischen Verhältnisse, die 
mangelnde Industrialisierung, die ungerechten Preisverhältnisse auf dem 
Weltmarkt, die Zerstörung der tradierten Kultur durch den Kolonialismus oder die 
heftiger werdenden Naturkatastrophen (Dürre) anführen. 
Die Frage ist, welche allgemeine Handlungsregel Deiner Antwort zugrunde liegt. 
Ich versuche einmal eine Formulierung dieser Norm, die – wie wir uns ja bereits 
einig waren -  personunabhängig formuliert sein muss, wenn sie konsensfähig 
sein soll. Die Regel könnte lauten: "Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, 
als zu seiner Erhaltung nötig ist, und wenn ein anderer Mensch keine 
Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern droht, dann ist der Wohlhabende 
moralisch verpflichtet, dem Armen die notwendigen Mittel zum Überleben zu 
schenken. Diese Verpflichtung entfällt, wenn der Arme nicht bereit ist, die 
Ursachen seiner Notlage zu bekämpfen. Diese Verpflichtung entfällt auch dann, 
wenn die Beseitigung der Not des Armen neue Notlagen bei anderen Individuen 
erzeugt."    
In Bezug auf die Verpflichtung des Staates sind die Handlungsregeln wohl analog. 
Hinzu kommt noch die Regel: "Die Verpflichtung zur Hilfeleistung entfällt 
außerdem dann, wenn eine andere ebenfalls wohlhabende Institution (katholische 
Kirche in Lateinamerika) die Notlage verursacht oder deren Beseitigung versäumt 
oder verhindert hat. In diesem Fall ist zuerst diese Institution zuständig und 
verantwortlich für die notwendigen Hilfeleistungen."   
***
Hinten anstellen!  oder:  Abfertigung nach der Länge der Wartezeit
Wenn die Regel gilt: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst", also 
Abfertigung entsprechend der Reihenfolge der Ankunft, wird jeweils immer 
derjenige als nächster abgefertigt, der von allen Wartenden bereits am längsten 
gewartet hat. Dadurch wird die maximale Wartezeit eines Einzelnen minimiert - 
nicht jedoch die durchschnittliche Wartezeit. 
Die durchschnittliche Wartezeit (und damit die gesamte Wartezeit aller 
zusammengenommen) wird minimiert, wenn jeweils immer derjenige als nächster 
abgefertigt wird, dessen Abfertigung am schnellsten geht. 
Wenn Marken für die Reihenfolge der Ankunft 
ausgegeben werden, dann gibt es keinen Streit um die Reihenfolge der Ankunft. 
Deshalb entfällt das oft anstrengende Platzhalten, das Stehen in der Schlange. 
Wenn gleichzeitig noch angegeben wird, welche Nummer gerade abgefertigt wird, so 
kann man sich in etwa ausrechnen, wann man an der Reihe ist. In der Zwischenzeit 
kann man die Zeit anderweitig nutzen. Dies wird noch verbessert, wenn angezeigt 
wird, wie lange die Abfertigung pro Person durchschnittlich dauert.
Wenn keine Marken ausgegeben werden und man sich nicht anstellen will sondern im 
Wartezimmer sitzt, muss jeder neu Ankommende fragen: "Wer war bitte der Letzte?"   
Er muss sich diesen merken, weil er nach diesem an der Reihe ist. Sehr 
umständlich. 
***
Wartezeit ist wahrscheinlich umso 
beschwerlicher, je länger sie dauert. Vor allem ist sie negativ, wenn man nicht 
mit einer so langen Wartezeit gerechnet hat.
Wenn zwei Personen einkaufen, stellt der eine sich bereits in die lange 
Schlange, während der andere noch die Waren aussucht und in den Einkaufswagen 
legt. Dadurch ist man zu zweit schneller. Ist das gerecht gegenüber denen, die 
allein kommen? Dafür opfern ja auch zwei Personen Zeit. 
***
Ist man moralisch verpflichtet zu 
arbeiten?
Dass jemand lieber etwas anderes tut als zu arbeiten, ist nur normal. Wenn 
Arbeit jedoch notwendig ist, um die notwendigen Mittel zum Leben zu erzeugen, so 
wäre die Norm "Niemand braucht zu arbeiten, wenn er lieber etwas  anderes 
tut"   sicher nicht konsensfähig, denn dann würde die  Gesellschaft schnell 
zugrunde gehen - und wer will das? 
Auch die Norm "Janosch braucht nicht zu arbeiten, wenn er lieber etwas anderes 
tut. Die Mittel zum Leben bekommt er unabhängig davon", wäre nicht konsensfähig. 
Eine solche, auf die Identität der Individuen zugeschnittene Norm, die also 
nicht "person-unabhängig"   formuliert werden kann, ist wegen  der darin 
enthaltenen, sachlich nicht begründeten Ungleichbehandlung der Individuen 
grundsätzlich nicht allgemein konsensfähig. Warum sollten andere, die genauso 
wie Janosch lieber weniger arbeiten würden als mehr, auch zustimmen, dass sie 
mehr arbeiten müssen, um Janosch  durchzufüttern? 
***
Sterbehilfe und Hilfe zur Selbsttötung
Soll Tötung auf Verlangen erlaubt sein?
Zuerst muss Einigkeit über die Frage bestehen, die  beantwortet werden 
soll. Man könnte sie so formulieren: "Soll ich einen Menschen töten, der mich 
ernsthaft und wiederholt darum bittet, weil er dies selber nicht tun kann und 
andernfalls ohne Aussicht auf Besserung schrecklich leiden müsste?"   
Es bringt wenig, wenn jemand auf diese Frage einfach mit "Ja"   oder "Nein"   
antwortet. Daraus könnte sich höchstens ein Meinungsbild ergeben, man  
könnte daraus jedoch nicht lernen, wie in einem anderen Fall zu entscheiden ist, 
es sei denn, dieser wäre mit dem ursprünglichen Fall völlig identisch. Um das zu 
wissen, müsste jeder die Gründe für seine Antwort nennen. 
Um konkret zu werden, nenne ich einige 
Gründe, die für "nein"   sprechen: 
1. Der Fall setzt voraus, dass die Zukunft bekannt ist. Da wir uns hinsichtlich 
der Zukunft niemals völlig sicher sein können, ist die reale 
Entscheidungssituation immer anders als in der Frage vorausgesetzt wird. Wenn 
ich ihn aber töte, obwohl er hätte überleben können, dann ist das eine äußerst 
schlimme Angelegenheit. Wenn es richtig ist, dass man einen Menschen nicht 
unnötig töten darf, und auch nicht das geringste Risiko hierfür zulassen darf,  
dann folgt daraus, dass die Antwort "nein"   richtig ist.  
2. Durch die mit einem "Ja"   verbundene "Lizenz zum Töten"   kommt es zu einer 
Herabsetzung der vorhandenen psychischen  Hemmung, Menschen zu töten. Wenn 
diese Tötungshemmung eine Eigenschaft ist, die sich in anderen Situationen 
äußerst positiv auswirkt, und wenn es richtig ist, dass man derartige 
Persönlichkeitseigenschaften nicht abbauen sollte, dann folgt  daraus, dass "nein"   richtig ist. 
3. Wenn man erstmal an einem Punkt die gezielte Tötung von Menschen erlaubt, 
dann wird es schwer, irgendwo eine für jedermann klare Grenze zu ziehen. Deshalb 
muss an der klaren  Grenze festgehalten werden: Die gezielte Tötung von 
Menschen  ist grundsätzlich nicht zulässig. Dann muss auch in diesem Fall 
die Antwort "nein"   lauten. 
4. Selbst wenn es tatsächlich so wäre, dass die Tötung in diesem Fall 
gerechtfertigt werden könnte, so könnte eine entsprechende Erlaubnis missbraucht 
werden. In allen Fällen, in denen keine glaubwürdigen Zeugen oder andere Beweise 
vorhanden sind, kann jemand, der einen andern Menschen getötet hat und dem dies 
vorgeworfen wird, behaupten: "Ich habe nur getan, was er das von mir gewollt 
hat."   Damit wird die Verfolgung von Kapitalverbrechen erschwert und womöglich 
werden dadurch Individuen erst angeregt, einen als "Tötung auf Verlangen"   
getarnten Mord zu begehen. Wenn es richtig ist, derartige Ausflüchte  nicht 
zu begünstigen, dann ist es auch richtig, die Frage mit "nein"   zu beantworten. 
Was spricht für die Antwort "ja"  ?  
1. Wenn es richtig ist, dass man Menschen ihre Wünsche  möglichst erfüllen 
soll, so sollte man auch diesen ernsthaften und festen Wunsch, zu sterben 
erfüllen. Die Frage ist deshalb mit "Ja"   zu beantworten. 
2. Wenn es richtig ist, dass man Menschen extremes Leiden ersparen soll und wenn 
es beim Überleben des Betreffenden zu  diesem Leiden mit Sicherheit kommen 
wird, so ist die Antwort "ja"   richtig, weil es dann zu einer schnellen und 
schmerzlosen  Beendigung des Lebens kommt. 
 3. Wenn es richtig ist, dass alle mündigen Menschen das recht haben, über sich 
selbst frei zu verfügen, dann schließt das auch das Recht ein, über die 
Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden. Deshalb muss die Frage mit "ja"   
beantwortet werden. 
***
 1. Darf man jemandem, der nicht mehr 
weiterleben will, die fehlenden Mittel dazu beschaffen? (Beihilfe zur 
Selbsttötung) 
2. Darf man jemanden auf dessen Verlangen hin töten? (Töten auf Verlangen) 
Diese ethischen Fragen sind nicht völlig identisch mit den zugehörigen 
rechtspolitischen Fragen: 
3. Soll der Gesetzgeber Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen? 
4. Soll der Gesetzgeber Tötung auf Verlangen unter Straftat stellen? 
Die ethische und die rechtspolitische Frageebene müssen auseinander gehalten 
werden, weil es zu unterschiedlichen Antworten kommen kann. 
Im Falle einer Bejahung dieser Fragen muss dann jeweils ergänzend die Frage nach 
möglichen einschränkenden Bedingungen gestellt werden. Ich will mich im 
Folgenden nur mit "Töten auf Verlangen"   beschäftigen. 
Wenn man von religiös bestimmten Verboten absieht, macht offenbar die 
Tötungshandlung als solche keine Probleme. (Es gibt jedoch das "Dammbruch-Argument"   und das "Verrohungs-Argument".) 
Aus sehr allgemeinen Normen oder Werturteilen wie:
- "Jeder hat das Recht über sich selbst zu bestimmen", 
- "Es ist unter sonst gleichen Umständen besser, wenn einem Menschen ein Wunsch 
erfüllt wird, als wenn ihm die Erfüllung dieses Wunsches verwehrt wird", 
 - "Füge anderen so wenig Schmerz wie möglich zu!"   
lässt sich die bejahende Antwort mehr oder weniger zwingend ableiten: "Wenn Menschen über sich selbst bestimmen dürfen, dann dürfen sie auch über das 
Ende ihres Lebens bestimmen." "Wenn es unter sonst gleichen Umständen besser ist, einem Menschen seinen Wunsch 
zu erfüllen, dann gilt dies auch für den Wunsch zu sterben." "Wenn es richtig ist, andere Menschen möglichst wenig Schmerz erleiden zu lassen 
und wenn durch deren Tötung dies erreicht wird, dann sollte man sie töten."   
Die Frage ist, ob diese sehr allgemeinen Prämissen unstrittig sind. Ich will auf 
einige Probleme aufmerksam machen: "Jeder hat das Recht, über sich selber zu bestimmen."   
Ja, aber was ist mit Kindern oder Menschen, die zeitweise geistig verwirrt sind? "Wunscherfüllung ist etwas Gutes". 
Ja, aber was ist mit Wünschen, die sich missgünstig gegen andere richten oder 
Wünschen mit schädlichen Folgen für einen selbst? "Verringerung menschlichen Leidens ist etwas Gutes."   
Ja, aber darf ich dann die Leiden eines andern auch ohne dessen Zustimmung 
verringern? 
Das zentrale Problem scheint es zu sein, den Willen eines 
Menschen zum Sterben zweifelsfrei festzustellen. Hier setzen auch die 
meisten Einwände an. Das Problem der Willensbestimmung ist hier aus drei Gründen 
wichtig: 
1. weil die Entscheidung unwiderruflich ist, 
2. weil man einen Toten nicht mehr danach befragen kann, ob es wirklich sein 
Wille war zu sterben und 
3. weil die Menschen, um die es geht, als Schwerkranke in einer besonders 
hilflosen und abhängigen Lage sind, aus der heraus es immer schwer ist, sein 
eigenes Interesse u. U. auch gegen andere zu formulieren.
***
Kann man die Interessen von Verstorbenen verletzen? Oder bezieht man sich genau genommen immer indirekt über andere, z. B. die Nachkommen, auf die Verstorbenen?
***
Darf ein Mensch sich selber zu Grunde richten?
Hat sich jemand, der sich durch den 
Konsum von Suchtmitteln zu Grunde richtet, deswegen etwas vorzuwerfen? Und wenn 
ja, aus welchem Grunde? Ist sein Verhalten zu billigen? Und wenn nein, warum 
nicht? 
Also: Hat sich derjenige, der nach einigen Jahren Alkohol- oder Heroingenusses 
ein körperliches und geistiges Wrack ist, etwas vorzuwerfen? 
Ich sehe dazu verschiedene Meinungen. 
1. Dies geht niemanden etwas an, sofern er nur sich selber geschadet hat. Alles 
andere ist eine unzulässige Einmischung in die privaten Angelegenheiten eines 
Menschen unter einem zweifelhaften Vorwand nach dem Muster: Ich muss mich um 
dein Seelenheil kümmern, deshalb muss ich mich in alles einmischen, was du 
denkst und tust. 
2. Dagegen steht der Einwand, dass niemand für sich allein in dieser Welt lebt 
und dass praktisch immer andere in Mitleidenschaft gezogen werden. Fast jeder 
hat z. B. Eltern, die viel für ihn getan haben und deren Hoffnungen durch eine 
solche Suchtkarriere aufs tiefste enttäuscht werden. Entsprechendes gilt für 
Kinder oder Partner, die ebenfalls darunter zu leiden haben. 
Dass eine solche Suchtkarriere die anderen zu kostspieliger Hilfe verpflichtet, 
ist dann relevant, wenn der Süchtige diese Hilfe selber als sein gutes Recht 
fordert oder auf diese Hilfe rechnet. 
3. Durch Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit wird der normale Wille eines 
Menschen geschädigt. Seine Fähigkeit zur Selbststeuerung ist beeinträchtigt. 
Deshalb darf man diesen Menschen nicht sich selbst überlassen.
4. Jeder hat in sich ein Ethos, einen ethischen 
Willen hat, der -  bei angemessener Wahrnehmung und Kenntnis der Sachlage -  
das Verhalten des Süchtigen missbilligt und einen selbst verpflichtet, helfend 
einzugreifen. 
 
***
Es muss dazu wohl zwischen zwei Formen 
der Selbstzerstörung unterschieden werden, der Selbsttötung eines Lebensmüden 
und dem gesundheitlichen Raubbau des Rauschmittelabhängigen. 
Meiner Meinung nach gibt es Situationen, in denen gegen eine Selbsttötung 
moralisch nichts einzuwenden ist. Ich denke etwa an einen alten, allein lebenden 
Menschen, der unter einer schmerzhaften, unheilbaren Krankheit leidet, die ihn 
ans Bett fesselt. Wenn dieser Mensch sich dafür entscheidet, sein Leben selbst 
bestimmt und bei klarem Verstand zu beenden, so sollte man diese Entscheidung 
respektieren.  
Diese moralische Unbedenklichkeit gilt selbstverständlich nicht für jede 
Selbsttötung. 
Dagegen ist der gesundheitliche Raubbau des Drogensüchtigen immer abzulehnen. 
Bei einer entwickelten Sucht ist die Frage, ob der Süchtige die 
gesundheitsschädlichen Drogen konsumieren darf, eigentlich schon obsolet, denn 
der moralische Appell ist gegenüber der Sucht machtlos. 
Moral spielt allerdings eine wichtige Rolle bei allen Handlungen, die zur Sucht 
hin führen. (Dabei verstehe ich unter Sucht nicht jede kleine "Schwäche", 
sondern den Konsum von Stoffen, die zu körperlichen und psychischen 
Entzugserscheinungen führen. Ich halte Sucht nicht für ein Randproblem sondern 
für eines der Hauptprobleme unserer Zeit.) 
Den Dealer, der andere – die womöglich noch im jugendlichen Alter sind - zur 
Sucht verleitet, trifft zu Recht die tiefste moralische Verachtung. 
Jeder, der an der Sucht der anderen verdient und deshalb deren Sucht fördert, 
handelt moralisch verwerflich. 
Aber auch das leichtfertige Spielen mit und Probieren von "harten"   Suchtmitteln 
ist moralisch zu verurteilen, weil die Abhängigkeit schleichend und unmerklich 
eintritt, gedeckt von Verharmlosung und Selbsttäuschung. 
Die zeitlich begrenzte Entmündigung Süchtiger, die immer größere Mengen an 
Drogen benötigen, halte ich für moralisch gerechtfertigt, wenn sie dadurch vor 
dem absehbaren vorschnellen Tod bewahrt werden. Das wird auch der Süchtige 
selber in seinen klaren Momenten akzeptieren.  
Position1:  
Ein Mensch darf sich nicht selber zerstören und man darf nicht untätig zusehen, 
wie ein Süchtiger sich selbst zerstört. Man darf und soll ihn daran hindern, 
notfalls durch zeitlich begrenzten Zwangsentzug. 
In der Begründung lassen sich zwei Positionen unterscheiden:  
Position 1a:  Diese Antwort ist 
Ausdruck des ethischen Wollens, das in mir (und auch in anderen?) ist. 
Position 1b:  Zwangsentzug ist auch gegenüber dem Süchtigen zu 
rechtfertigen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der ehemals Süchtige 
nach der Überwindung der Sucht dem Zwangsentzug nachträglich selber zustimmen 
wird. 
Position 2:  Erwachsene Menschen sollten in ihrer Selbstbestimmung niemals 
eingeschränkt werden, auch wenn sie sich selber zerstören. Voraussetzung ist 
jedoch, dass sie dadurch anderen nicht zur Last fallen. Sie haben deshalb keinen 
Anspruch auf Hilfe, es sei denn, diese Hilfe wird von den Süchtigen über eine 
Drogensteuer selber getragen. 
Position 3:  Wenn Menschen sich selbst zerstören, dann sind sie psychisch 
krank und brauchen eine Behandlung. Eine Zwangsbehandlung ist ein unzulässiger 
Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung. In jedem Fall haben die Süchtigen 
einen uneingeschränkten  Anspruch auf Hilfe.
***
Die Frage ist, ob sich ein Mensch 
selbst zerstören darf  und ergänzend dazu, ob man einen Menschen daran 
hindern darf oder soll, sich selbst zu zerstören. 
Ich gehe einmal davon aus, dass Selbstzerstörung im Falle des Süchtigen einen 
Schaden für den Betreffenden und in der Regel auch für andere bedeutet. (Im 
Falle einer Selbsttötung muss dies nicht der Fall sein.) 
Gibt es eine Lösung, die allgemein akzeptabel ist? Eine Antwort wäre:  
Jeder darf machen, was er will, sofern er nicht andere schädigt. Wenn sich 
jemand selbst zerstören will, dann geht das die andern nichts an, solange sie 
dadurch keine Nachteile erleiden. Wenn der Selbstzerstörer aber als 
arbeitsunfähiges gesundheitliches Wrack jahrelang auf Kosten der Allgemeinheit 
medizinische Hilfe, soziale Betreuung, Ernährung, Wohnung und Kleidung erhält, 
dann hat sein Verhalten negative Auswirkungen auf andere und diese haben 
entweder das Recht, ihn an der Selbstzerstörung zu hindern, oder sie dürfen ihm 
die Hilfe zu verweigern. 
Eine andere, meines Erachtens nach bessere Antwort wäre: 
Jeder darf grundsätzlich in den Angelegenheiten, die vor allem ihn selbst 
betreffen, tun und lassen, was er will. Es gibt jedoch Fälle, in denen die 
normale Fähigkeit des Menschen zur Selbststeuerung außer Kraft gesetzt ist und 
sein Handeln durch eine Sucht bestimmt wird. 
Kriterium dafür, ob jemandem in diesem Sinne die normale Fähigkeit zur 
Selbststeuerung fehlt, ist letztlich sein eigenes Urteil nach der Befreiung von 
der Sucht. Er muss selber zu der Einsicht kommen, dass das, was er als Süchtiger 
wollte, nicht seinem eigentlichen Willen entsprach. 
Dies Kriterium ist erst im Nachhinein anwendbar. Man kann jedoch in Kenntnis 
dessen, wie eine Sucht die eigene Persönlichkeit verändert - für den Fall, dass 
man selbst davon betroffen ist - bereits im Voraus andern bestimmte zeitlich 
begrenzte Rechte zur Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit geben (z. B. 
zum Zwangsentzug), sofern ernste Gefahren für die eigene Gesundheit und das 
eigene Leben bestehen. 
Bei allen Risiken einer solchen Freiheitsbeschränkung halte ich eine solche 
Lösung (die im Einzelnen noch weiter entwickelt werden müsste) für grundsätzlich 
allgemein akzeptabel.  
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Die erste Frage ist die, ob ein 
selbstzerstörerisches Verhalten überhaupt einen Schaden bewirkt, sei es für den 
Selbstzerstörer, für seine Angehörigen oder für die Allgemeinheit. 
Wenn man dies verneint, gibt es damit kein Problem. Falls jedoch ein Schaden 
gesehen wird, bleibt die Frage, wie man diesen Schaden vermeiden kann und ob es 
richtig ist, dem Einzelnen freizustellen, ob er sich selbst zerstört. 
Eine Meinung war: Ja man darf das, denn jeder ist Eigentümer seines Körpers und 
ein Eigentümer darf mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren. Die Frage 
verschiebt sich damit auf die Rechtfertigung eines unbeschränkten Eigentums am 
eigenen Körper. 
Eine Frage, die mit der Ausgangsfrage zusammenhängt, ist die Frage, ob Menschen, 
die sich derart zugrunde gerichtet haben, einen moralischen Anspruch auf Hilfe 
haben. Sind die andern moralisch verpflichtet, denjenigen, der sich selbst 
zugrunde gerichtet hat, in gleicher Weise zu unterstützen wie sie das bei 
Menschen sind, die Opfer eines Unfalls geworden sind? 
Die andere Frage, die mit der Ausgangsfrage zusammenhängt, ist die Frage, ob 
andere das Recht oder gar die Pflicht haben, ein selbstzerstörerisches Verhalten 
zu unterbinden, auch wenn es sich um Erwachsene handelt. 
Hier wird man zusätzlich fragen müssen, inwieweit die Selbstzerstörung dem 
Betreffenden zuzurechnen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, weil der Betreffende 
die Fähigkeit zur Selbststeuerung verloren hat (Sucht als Krankheit) , ergibt 
sich die Frage, ob damit als Konsequenz auch die Grundlage seiner Mündigkeit - 
zumindest zeitweilig - verloren gegangen ist. 
Eine Bestrafung des Selbstzerstörers scheint unangebracht, denn wer als 
geistiges und körperliches Wrack endet, der ist bestraft genug. Das Strafgesetz 
würde wohl mehr schaden als nützen.
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Selbstzerstörung ist gegeben, wenn ein Mensch entweder sich selbst tötet oder wenn ein Mensch sich so verhält, dass vorhergesagt werden kann, dass er deswegen in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, einen Beitrag zur Erhaltung seiner eigenen Existenz zu leisten.
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Wenn mich jemand töten will, so bin ich berechtigt, ihn vorher notfalls meinerseits zu töten. Aufgrund der Notlage bin ich entschuldigt. Wenn die andern lügen, ihre Versprechen nicht halten und ihre Arbeitspflichten nicht erfüllen, dann entfällt auch für mich die Pflicht dazu, denn dadurch werde ich noch schlechter gestellt als ohne Norm, d. h. ich kann nicht mehr zustimmen.
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Siehe auch die folgenden thematisch 
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Letzte Bearbeitung 02.06.2008 / Eberhard Wesche
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