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Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie
Der Aufsatz von Max Horkheimer: "Traditionelle und kritische Theorie"   
erschien zuerst 1937. Er stellt einen wichtigen Text für das Selbstverständnis 
der "Kritischen Theorie" dar, wie sie von der "Frankfurter Schule" und ihrem 
Institut für Sozialforschung vertreten wurde. In diesem Aufsatz formuliert 
Horkheimer seine Kritik an der modernen positivistischen 
Erfahrungswissenschaft und ihrer Reduzierung auf eine nur "instrumentelle 
Vernunft", auf ein bloß technisch verwertbares Wissen. 
Horkheimer stellt fest, dass die "Wissenschaften von Mensch und Gesellschaft 
bestrebt (sind), dem Vorbild der erfolgreichen Naturwissenschaften 
nachzufolgen."   (Alle Zitate nach Max Horkheimer: "Traditionelle und kritische Theorie", 
Fischer Taschenbuch-Verlag. S. 14) Horkheimer bringt 
diese Tendenz mit den gesellschaftlichen Anforderungen an die Wissenschaft in 
Zusammenhang: "Theorie im traditionellen … Sinn, wie sie im Betrieb der 
Fachwissenschaften überall lebendig ist, organisiert die Erfahrung aufgrund von 
Fragestellungen, die sich mit der Reproduktion des Lebens innerhalb der 
gegenwärtigen Gesellschaft ergeben."   (S. 57) "Sowohl die Handhabung der 
physischen Natur wie auch diejenige bestimmter ökonomischer und sozialer 
Mechanismen erfordert eine Formung des Wissensmaterials, wie sie in einem 
Ordnungsgefüge von Hypothesen gegeben ist."   (S. 17) "Es ist ein Operieren mit 
Konditionalsätzen, angewandt auf eine gegebene Situation. Unter Voraussetzung 
der Umstände a, b, c, d muss das Ereignis q erwartet werden, fällt d weg, das 
Ereignis  r … und so fort. Solches Kalkulieren gehört zum logischen Gerüst der 
Historie wie der Naturwissenschaft. Es ist die Existenzweise von Theorie im 
traditionellen Sinne."   (S. 16)
Horkheimer schreibt weiter: "Die Systeme der Disziplinen 
enthalten die Kenntnisse in einer Form, die sie unter den gegebenen Umständen 
für möglichst viele Anlässe verwertbar macht. Die soziale Genesis der Probleme, 
die realen Situationen, in denen die Wissenschaft gebraucht, die Zwecke zu denen 
sie angewandt wird, gelten ihr selbst als äußerlich."   (S. 57)
Wie ist demgegenüber nun die kritische Theorie der 
Gesellschaft angelegt? Woher bezieht diese Theorie die Maßstäbe ihrer Kritik? 
Dies ist nicht immer leicht auszumachen, da die tragenden positiven und 
negativen Wertbegriffe wie z. B. Vernunft, Humanität, Gerechtigkeit, oder 
Unterdrückung, Ausbeutung, Entfremdung, Verdinglichung etc., die über die Analyse des 
faktisch Bestehenden kritisch hinausweisen, von Horkheimer wie 
selbstverständlich benutzt werden, ohne dass sie einer gesonderten Klärung und Begründung 
überhaupt bedürftig erscheinen.
Methodisch wichtig für die Kritik ist der Bezug auf das 
Ganze der Gesellschaft bzw. die Totalität, wie es auch heißt: "Die isolierende 
Betrachtung einzelner Tätigkeiten und Tätigkeitszweige mitsamt ihren Inhalten 
und Gegenständen bedarf, um wahr zu sein, des konkreten Bewusstseins ihrer 
eigenen Beschränktheit. Es muss zu einer Konzeption übergegangen werden, in der 
die Einseitigkeit, welche durch die Abhebung intellektueller Teilvorgänge von 
der gesamtgesellschaftlichen Praxis entsteht, wieder aufgehoben wird."   (S. 21)
Damit zusammenhängend werden die gesellschaftlichen 
Verhältnisse in ihrer geschichtlichen Gewordenheit und Veränderlichkeit 
betrachtet: "Die kritische Theorie der Gesellschaft hat … die Menschen als 
Produzenten ihrer gesamten historischen Lebensformen zum Gegenstand. Die 
Verhältnisse der Wirklichkeit … erscheinen ihr nicht als Gegebenheiten, die bloß 
festzustellen und nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit vorauszuberechnen 
wären ... Die Gegenstände und die Art ihrer Wahrnehmung, die Fragestellung und 
der Sinn der Beantwortung zeugen von menschlicher Aktivität und dem Grad ihrer 
Macht."   (S. 57)
Die sozialen Verhältnisse sind also im gesellschaftlichen 
Zusammenwirken der Menschen produziert, allerdings ohne, dass es so etwas wie 
ein allgemeines gesamtgesellschaftliches Bewusstsein bereits gibt, das so etwas 
wie eine allgemein-menschliche Vernunft realisieren könnte. "Wo sich (das 
Individuum) als passiv und abhängig erfährt, ist (die Gesellschaft) ein wenn 
auch bewusstloses und insofern uneigentliches, jedoch tätiges Subjekt. Dieser 
Unterschied in der Existenz von Mensch und Gesellschaft ist ein Ausdruck der Zerspaltenheit, die den geschichtlichen Formen des gesellschaftlichen Lebens 
bisher eigen war. Die Existenz der Gesellschaft hat entweder auf unmittelbarer 
Unterdrückung beruht oder ist eine blinde Resultante widerstrebender Kräfte, 
jedenfalls nicht das Ergebnis bewusster Spontanität der freien Individuen."   (S. 
22) 
Die Kritik leitet sich demgemäß ab aus dem gedanklichen 
Vorgriff auf einen "Zustand, in dem tatsächlich ein umgreifendes Subjekt, d. h. 
die selbstbewusste Menschheit existiert."   (S. 55) 
Allerdings wird dies nicht bereits durch eine staatliche Planung des 
gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses erreicht, wie die sowjetischen 
Marxisten meinen, denn "der Entwicklungsgrad der wesentlichen Momente realer 
Demokratie und Assoziation gehört mit zum Inhalt des Begriffs der 
Vergesellschaftung."   (S. 62)
Trotz dieses rein gedanklichen Vorgriffs auf eine "selbstbewusste Menschheit"   oder auf die "Gemeinschaft freier Menschen"   wird von 
Horkheimer betont, dass "die dialektische Theorie … keine Kritik aus der bloßen 
Idee (übt). Schon in ihrer idealistischen Gestalt (d. h. bei Hegel) hat sie die 
Vorstellung von einem an sich Guten, das der Wirklichkeit bloß entgegengehalten 
wird, verworfen. Sie urteilt nicht nach dem, was über die Zeit, sondern 
nach dem, was an der Zeit ist."   (S. 62) Dies soll erreicht werden durch 
den Bezug auf die realen historischen Möglichkeiten: "Von abstrakter Utopie 
unterscheidet sich diese Idee (der Assoziation freier Menschen, in der jeder die 
gleiche Möglichkeit hat, sich zu entfalten) durch den Nachweis ihrer realen 
Möglichkeit beim heutigen Stand der menschlichen Produktivkräfte."   (S. 38)
Gegenüber der normativ-ontologischen Theorie, die die 
menschliche Natur und die gesellschaftliche Ordnung eher statisch sieht, betonte 
der kritisch-dialektische Ansatz, dass bei der Bestimmung politischer 
Programmatik immer vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft ausgegangen werden 
muss, was im Anschluss an Marx vor allem bedeutet, dass der Entwicklungsstand 
der Produktivkräfte, also der technischen Möglichkeiten der Naturbeherrschung, 
berücksichtigt werden muss. Es gibt also nicht "die gerechte 
Gesellschaftsordnung", sondern nur die zu einem bestimmten historischen 
Zeitpunkt mögliche und zu fordernde nächste Entwicklungsstufe auf dem Wege zur "selbstbewussten Menschheit", zur "Assoziation freier Menschen".
Hier wird deutlich, dass bei Horkheimer im Hintergrund eine Theorie des Geschichtsverlaufs 
steht, die die Menschheitsgeschichte als eine zielgerichtete Entwicklung hin zur "selbstbewussten Menschheit" 
interpretiert, und dass von diesem Gesichtspunkt her normative Orientierungen des 
politischen Handelns abgeleitet werden.
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Letzte Bearbeitung 23.09.2008 / Eberhard Wesche
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