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Der Begriff 'Interesse'
Seine wertende und seine erklärende Verwendung
(1978)
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Inhalt:
Einleitung
Kriterien wissenschaftlicher 
Begriffsbildung
Interpretation von Begriffen
Der Begriff des "Interesses"   in normativen Theorien
Der Begriff des "Gesamtinteresses"  
Der Begriff des "Interesses"   in 
positiven, erklärenden Theorien
Textanfang
Einleitung
In den neuzeitlichen 
politischen Theorien spielt der Begriff des "Interesses"   eine wichtige Rolle. 
Zum einen hat er eine Funktion in der Erklärung bzw. Voraussage menschlichen 
Handelns und sozialer Entwicklungen. Ob bei Tauschprozessen auf Märkten, bei 
sozialen Konflikten und Bewegungen, parlamentarischen Auseinandersetzungen oder 
internationalen Konflikten: die Interessenlage der Beteiligten ist immer ein 
wichtiger Aspekt der theoretischen Analyse.
Neben den Funktionen, die der Interessenbegriff im Rahmen einer positiven, auf 
Erklärung abzielenden   
sozialwissenschaftlichen Theoriebildung besitzt, hat er gleichzeitig auch eine 
Funktion im Rahmen normativer   Theoriebildung, also 
solcher Theorien, die der Rechtfertigung oder Kritik sozialer Verhältnisse dienen. 
Die Befriedigung menschlicher Interessen ist zu einem weithin anerkannten Ziel 
geworden und man beruft sich zur Rechtfertigung der eigenen Politik häufig auf 
die relative Dringlichkeit betroffener Interessen.
Seine besondere Attraktivität gewinnt der Interessenbegriff nicht zuletzt durch 
diese positiv-normative Doppelfunktion.
Allerdings hat dies für die Klarheit des Interessebegriffs nicht 
nur förderliche Auswirkungen gehabt. Dadurch dass erklärende und 
rechtfertigende Funktion der Theorie ungeklärt vermengt wurden, litt auch die 
Brauchbarkeit des Interessenbegriffs. Es erscheint deshalb sinnvoll. den Begriff 
"Interesse" etwas genauer zu klären.
Kriterien
wissenschaftlicher Begriffsbildung
Angesichts eines unterschiedlichen und unklaren Gebrauchs des Interessenbegriffs 
erheben sich allgemeinere methodologische Fragen nach den 
Kriterien wissenschaftlicher Begriffsbildung.
Warum soll ein Begriff eine möglichst klare einheitliche Bedeutung haben? 
Warum ist eine bestimmte Definition des Wortes "Interesse" einer 
anderen vorzuziehen? Inwiefern können Begriffe "falsch"   sein? 
Die Antwort, die im folgenden skizziert werden soll, orientiert sich an der 
analytischen Wissenschaftstheorie, zu der Theoretiker wie RUSSELL, CARNAP, 
NAGEL, HEMPEL, POPPER u. a. beigetragen haben. (Eine Darstellung der 
analytischen Wissenschaftstheorie findet sich in W. STEGMÜLLER, Hauptströmungen 
der Gegenwartsphilosophie. 3.Aufl. Stuttgart: Kröner 1965.)
Um Kriterien für die wissenschaftliche Begriffsbildung zu gewinnen, ist es 
sinnvoll, sich die Aufgabenstellung von Wissenschaft zu vergegenwärtigen. Nach 
der hier vertretenen Auffassung geht es in der Wissenschaft um die Gewinnung von 
Erkenntnissen, oder anders ausgedrückt: um die Beantwortung von Fragen. Dabei 
werden nicht irgendwelche Antworten gegeben, sondern Antworten, die mit dem 
Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftreten. Im Unterschied zu bloßen 
Glaubenssystemen muss der Anspruch auf Allgemeingültigkeit in der Wissenschaft 
für jedermann argumentativ einlösbar sein: die "Wissenschaftlichkeit"   einer 
Behauptung misst sich am Grad ihrer argumentativen Konsensfähigkeit.
Die Antworten, die die Wissenschaft auf gestellte Fragen gibt, werden im Medium 
der Sprache gegeben. Es handelt sich also um Sätze, deren Elemente die einzelnen 
Begriffe darstellen. Hieraus ergeben sich nun Kriterien für die 
wissenschaftliche Begriffsbildung: in dem Maße, wie die benutzten Begriffe in 
ihrer Bedeutung unscharf oder widersprüchlich sind, werden auch die Antworten, 
die von der Wissenschaft gegeben werden, unscharf oder widersprüchlich sein.
Das Ziel der Beantwortung gestellter Fragen wird dadurch nur mangelhaft erfüllt. 
Deshalb ist die Klärung und Präzisierung der Begriffe in der Wissenschaft von grundlegender Bedeutung. 
Wissenschaftler, die die Frage nicht präzisieren, die sie beantworten wollen, 
und die die Bedeutung der Begriffe nicht klären, die sie verwenden, setzen sich 
dem Verdacht aus, dass es ihnen eher auf rhetorische Wirksamkeit als auf einen 
von jedermann kontrollierbaren Argumentationsgang ankommt. Diese Gefahr ist 
gerade in der Politikwissenschaft groß, da diese häufig eine Rolle in 
politischen Auseinandersetzungen spielt - und politische Auseinandersetzungen 
werden über weite Strecken mit den Mitteln rhetorischer Beeinflussung geführt.
Von dem Ziel der Wissenschaft her, nämlich der richtigen Beantwortung gestellter Fragen, 
lässt sich ein weiteres Kriterium für die Begriffsbildung ableiten: die Begriffe 
müssen so gebildet sein, dass sich damit die gestellten Fragen möglichst 
allgemeingültig beantworten lassen. 
Diesen Gesichtspunkt kann man als Kriterium der "wissenschaftlichen 
Fruchtbarkeit"   eines Begriffes bezeichnen. Ein Begriff, der zur Formulierung 
allgemeingültiger Antworten geeignet ist, ist im Prinzip wissenschaftlich 
brauchbar und er ist für die Wissenschaft umso wichtiger, je wichtiger die 
Fragen sind, bei deren Beantwortung dieser Begriff eine Rolle spielt. Ein 
empirischer Sozialwissenschaftler, der z. B. nach den Ursachen bestimmter Formen 
von Konflikt oder Kooperation in einer Gesellschaft fragt, kann dazu die verschiedensten Begriffe bilden. 
Er kann die Reichen und die Armen unterscheiden, die 
Arier und die Nicht-Arier, die Jungen und die Alten, die Lohnarbeiter und die 
Kapitalbesitzer, die Gebildeten und die Ungebildeten etc. Die wissenschaftliche 
Tauglichkeit einer Begrifflichkeit erweist sich allein daran, inwiefern sie 
geeignet ist, zur Konstruktion von Theorien beizutragen, die die gestellten 
Fragen gültig beantworten.
Das gleiche gilt für die normative Frageebene. Wenn sich ein Rechtstheoretiker 
fragt, welches die angemessene Reaktion auf die Tötung eines Menschen durch 
einen andern ist, so werden rechtstheoretische Begriffe wie "Vorsätzlichkeit", "Fahrlässigkeit"   und "Affekthandlung"   sicherlich eher zu normativ-gültigen 
Antworten führen als Begriffe wie "Schichtzugehörigkeit"   oder "Soziales Ansehen"   
des Täters. 
Von der hier eingenommenen wissenschaftstheoretischen Position aus stellen 
Begriffe also Werkzeuge bei der Erkenntnisgewinnung dar, und ihre Brauchbarkeit 
bemisst sich ausschließlich an ihrer Fruchtbarkeit für die Aufstellung 
allgemeingültiger Behauptungen.
Von dorther ergibt sich, dass es für die wissenschaftliche Begriffsbildung wenig 
bringt, wenn man versucht, unabhängig von den Fragen, um deren Beantwortung es 
geht, eine Definition oder eine Wesensbestimmung von Begriffen 
vorzunehmen. Auseinandersetzungen darum, was "Interesse eigentlich ist" oder 
"was das Wesen des Interesses ist", müssen 
deshalb zu einem fruchtlosen Streit um Worte führen, wenn der 
Verwendungszusammenhang des Interessenbegriffs nicht mit in die Diskussion 
einbezogen wird.
Interpretation von Begriffen
Etwas anderes ist es, wenn man nach derjenigen Bedeutung eines Begriffes fragt, 
die diesem von bestimmten Leuten beigelegt wird. Diese "hermeneutische"   
Fragestellung, die mit Methoden der philologischen Wissenschaften zu beantworten 
ist, ist wichtig und unersetzlich. 
Um z. B. einen Autor verstehen zu können, muss ich wissen, in welcher Bedeutung 
er bestimmte Begriffe verwendet. Sofern sein Sprachgebrauch von meinem eigenen 
abweicht, muss ich seine Begriffe in mir bereits bekannte Begriff "übersetzen"   
können. Das gleiche gilt auch für Gruppen mit einem gemeinsamen Sprachgebrauch. 
Man kann z. B. nach der Bedeutung des Interessenbegriffs im mittelalterlichen 
Deutschland, bei den französischen Aufklärern oder bei den englischen 
Utilitaristen fragen.
Untersuchungen zum historischen Wandel von Begriffsbedeutungen können über das 
Ziel des besseren Verständnisses von historischen Texten hinaus auch 
Rückschlüsse auf soziale Veränderungen zulassen, insofern der Sprachgebrauch 
durch die Lebensgewohnheiten und die Weltanschauungen der Menschen beeinflusst 
wird.
Aber eine hermeneutische Erforschung vorhandener Bedeutungen von Begriffen kann 
für die wissenschaftliche Begriffsbildung nicht verbindlich sein. Es ist nämlich 
keineswegs sicher, dass sich die gestellten Fragen mit dem vorhandenen 
Begriffsapparat und den damit möglichen Unterscheidungen sinnvoll beantworten 
lassen. Neue Fragen erfordern oft auch neue Begriffe und es ist dem 
Wissenschaftler unbenommen, eine neue, für seine Fragestellung geeignete 
Terminologie zu entwickeln. Allerdings ist es aus Gründen der leichteren 
Verständlichkeit angebracht, sich soweit wie möglich an den bestehenden 
Sprachgebrauch anzulehnen und mit der Einführung neuer Terminologien bzw. 
eigenen Sprachschöpfungen möglichst sparsam umzugehen.
Im Folgenden sollen nun die obigen Kriterien 
wissenschaftlicher Begriffsbildung auf die Interessen-Terminologie 
anzuwenden, wobei die folgenden Überlegungen allerdings noch eher einen 
vorläufigen, versuchsweisen Charakter haben. 
Ausgangspunkt müssen die Fragestellungen sein, bei deren Beantwortung der 
Interessenbegriff verwendet werden soll. Wie zu Anfang bereits ausgeführt, 
entsteht eine besondere Komplikation dadurch, dass der Interessenbegriff auf 
zwei unterschiedlichen Frageebenen Verwendung findet, nämlich einmal bei Fragen 
nach dem, was sein soll (der normativen Frageebene), und zum andern bei Fragen 
nach dem, was ist und warum es so ist (der empirischen oder positiven 
Frageebene). 
Obwohl diese analytische Unterscheidung zwischen normativen und positiven 
Fragestellungen im Alltag und auch in vielen wissenschaftlichen Arbeiten nicht 
bewusst gemacht wird, ist sie doch für den Fortschritt der Sozialwissenschaften 
von größter Bedeutung, da sich je nach Art der Fragestellung die Kriterien ihrer 
allgemeingültigen Beantwortung und damit die Formen der Argumentation wesentlich 
unterscheiden. (Zu dieser Unterscheidung s. z. B. die Beiträge in TOPITSCH 
(Hrsg.): Logik der Sozialwissenschaft, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1965 und 
KAMBARTEL (Hrsg.): Praktische Philosophie und konstruktive Wissenschaftstheorie. 
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974.) 
Wo aber Behauptungen über das, was ist, und das, was sein soll, ständig 
unreflektiert durcheinander gehen, muss der wissenschaftliche Streit notwendig 
in fruchtlosen Wortgefechten enden. Es ist deshalb zum Zwecke der analytischen 
Klarheit sinnvoll, die unterschiedlichen Frageebenen getrennt zu behandeln.
Der Begriff des "Interesses"   in 
normativen Theorien
Beginnen wir mit der normativen Frageebene. 
Zum einen taucht hier der Interessenbegriff bei der Anleitung des Handelns 
einzelner Individuen auf. Wenn Individuum A zu Individuum B sage: "Es liegt in 
Deinem Interesse, bei der Wahl des Parlamentes die Partei x zu wählen", so 
antwortet A damit auf die Frage, wie B in der Wahlsituation handeln soll. 
Aber hier fangen die Fragen zum Begriff "Interesse" bereits an. Was ist mit dem 
"Interesse eines Individuums" gemeint? Enthält das Interesse eines Individuums 
auch dessen positiven Willensinhalte in Bezug auf die eigenen Kinder oder die 
Hassgefühle gegenüber einem Nachbarn?
Um hier unterscheiden zu können, ist es 
sinnvoll, mehrere Interessenbestandteile begrifflich zu unterscheiden. Da ist 
einmal das Interesse, das ein Individuum besitzen würde, wenn es bei der 
Formulierung seines Interesses keinerlei moralische Gesichtspunkte zu 
berücksichtigen hätte. 
Diese Form des Interesses könnte man als 
"Eigeninteresse" bezeichnen. Das 
Dabei muss es sich bei demjenigen, um dessen Interessen es geht, und demjenigen, 
dessen Handeln angeleitet werden soll, nicht unbedingt um ein und dieselbe 
Person handeln, wie im obigen Beispiel. Der Interessebegriff kann auch benutzt 
werden, um einem Individuum A zu sagen, wie es in Bezug auf ein anderes 
Individuum B handeln soll. Ein Beispiel: "Es liegt im Interesse Deines Kindes, 
dass du ihm viel Bewegungsmöglichkeiten verschaffst."  
Je nachdem, wie der Interessebegriff nun inhaltlich gefasst wird, ergeben sich 
unterschiedliche Antworten auf die gestellte Frage, wie das Individuum handeln 
soll. Z. B. könnte im ersten Beispiel Individuum A mir widersprechen und sagen: "Nein, es liegt in meinem Interesse, die Partei y zu wählen."   
Wenn unser Dissens nun nicht auf irgendwelchen logischen oder empirischen 
Irrtümern beruht, sondern auf einem unterschiedlichen Interessenbegriff, so 
lässt sich der Streit um diesen Interessenbegriff im ersten Schritt dahingehend 
entscheiden, dass derjenige Interessenbegriff angemessen ist, der zu einer 
möglichst allgemeingültigen Antwort auf die Frage führt, wie das betreffende 
Individuum handeln soll. 
Hinter dem Streit um einen normativ verwendeten Interessenbegriff steht also u. 
U. ein Streit um den Wahrheitsbegriff bei normativen Behauptungen, wodurch der 
Fall natürlich nicht gerade einfacher wird. Trotzdem lassen sich von diesem 
Gesichtspunkt her bestimmte Fassungen des Interessenbegriffs bereits als 
ungeeignet ausscheiden, da ihre Anwendung zu Antworten auf normative Fragen 
führen würde, die als falsch angesehen werden müssen.
So ist z. B. ein Interessebegriff  - zumindest im normativen Zusammenhang 
- unbrauchbar, der das Interesse eines Individuums allein über die faktischen 
Äußerungen oder Handlungen des betreffenden Individuums bestimmen will. Dieser 
Interessenbegriff, den man als "subjektivistisch"   bzw. "behavioristisch"   
bezeichnen kann, impliziert, dass sich kein Individuum hinsichtlich seiner 
Interessen irren kann, ja dass es per Definition immer gemäß seinen Interessen 
handelt. 
 
Dem widerspricht jedoch bereits die Tatsache, dass man über seine 
Interessen zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedener 
Meinung sein kann.  
Man kann z. B. nachträglich eine Entscheidung "bereuen", man kann seine damalige 
Interessenlage "aus heutiger Sicht" ganz anders sehen. 
Schon aus diesem Grund kann die Meinung eines Individuums über seine 
Interessen kein unantastbares Datum sein bei der Beantwortung dessen, was ein 
Individuum tun soll. sondern unterliegt bestimmten Qualifikationsbedingungen: 
d. h. es gibt mehr oder weniger qualifizierte Interessenäußerungen. Insofern ist 
der übliche Sprachgebrauch auch sinnvoll, der zwischen dem "vermeintlichen"   und 
dem "wirklichen"   Interesse eines Individuums unterscheidet.
Ebenfalls unbrauchbar für normative Fragestellungen ist ein 
Interessebegriff, der das individuelle Interesse völlig unabhängig vom Willen 
des jeweiligen Individuums bestimmen will, indem er dies etwa aus Annahmen über 
soziale Verhältnisse und die "menschliche Natur"   ableitet. Ein derartig "objektivistischer"   Interessenbegriff kann ebenfalls zu keinen 
allgemeingültigen Antworten auf die Frage führen, wie ein Individuum handeln 
soll: um als Behauptung allgemeingültig zu sein, muss eine solche Antwort 
argumentativ konsensfähig sein, d. h. dass auch das betreffende Individuum 
selber dieser Antwort zustimmen können muss. Wenn man sich durch die "objektivistische"   Bestimmung des individuellen Interesses von dieser Zustimmung 
völlig abkoppelt, wird der Anspruch auf Allgemeingültigkeit gegenüber dem 
betreffenden Individuum zu einem reinen Gehorsamsanspruch, der bereits von den 
Voraussetzungen her nicht mehr argumentativ einlösbar ist.
Aus der hier skizzierten Kritik sowohl an der "subjektivistischen"   
wie an der "objektivistischen"   Fassung des Interessenbegriffs ergibt sich, dass 
ein für die Beantwortung normativer Fragen geeigneter Begriff des individuellen 
Interesses zwar einerseits an die argumentative Konsensfähigkeit auch durch 
das betroffene Individuum gebunden sein muss, dass andererseits aber nicht die 
bloße Meinung des Individuums über sein eigenes Interesse entscheidet, 
sondern diese Meinung bestimmten Qualifikationsbedingungen unterliegt, wie z. B. 
der Kenntnis der Situation, auf die sich das Interesse bezieht, einschließlich 
der zukünftig absehbaren Folgen verschiedener Handlungsalternativen. Nur ein in 
diesem Sinne "aufgeklärtes"   Interesse kann zu allgemeingültigen Antworten auf 
die Frage führen, was ein Individuum tun soll.
An dieser Stelle lässt sich bereits die Kompliziertheit des Interessenbegriffs 
verdeutlichen, die nicht selten zu Verwirrungen der Argumentation und zu 
normativen Fehlschlüssen führt. Wenn man im normativen Sinne vom Interesse eines 
Individuums spricht, so besteht dieses Interesse immer nur relativ zu einer 
bestimmten Situation. Es benennt
in einer bestimmten Situation 
diejenige aller möglichen Handlungsalternativen, die für das betreffende 
Individuum "besser"   bzw. "am besten"   ist. Je nach Beschaffenheit der Situation 
und je nach dem Bereich dessen, was als möglich angesehen wird, werden also ganz 
unterschiedliche Handlungen "im Interesse"   eines Individuums liegen. 
Um es an einem krassen Beispiel zu verdeutlichen: Wenn einem Individuum eine 
Pistole an die Schläfe gehalten wird mit den Worten: "Geld her oder ich 
schieße!", so liegt es wahrscheinlich im Interesse des Individuums, sein Geld 
wegzugeben, obwohl man davon ausgehen kann, dass ein Individuum "eigentlich"   
kein Interesse daran hat, einem völlig fremden Menschen sein Geld herzugeben.
Oder ein anderes Beispiel für diese Situationsbezogenheit von Interessen: Wenn 
ein Individuum nach Stücklohn bezahlt wird, so hat es wahrscheinlich ein 
Interesse daran, möglichst viele Stücke zu produzieren, obwohl man wohl davon 
ausgehen kann, dass sein Interesse  eigentlich nicht ist, möglichst schnell zu 
arbeiten.
Häufig werden nun die faktischen oder auch rechtlichen Beschränkungen, denen ein 
Individuum in der konkreten Situation unterliegt, nicht mit dargestellt, wenn 
über dessen Interessenlage Aussagen gemacht werden. Interessenbestimmungen 
lassen sich jedoch nur dann sinnvoll diskutieren, wenn man sich über die 
Handlungsmöglichkeiten einig ist, die dem Individuum offen stehen. 
Um dazu ein weiteres Beispiel zu geben: Unter der Voraussetzung, dass die 
kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht geändert werden kann bzw. nicht 
geändert werden sollte, kann es im Interesse der Beschäftigten eines Betriebes 
liegen, die Lohnforderungen nicht so hoch zu treiben, dass die Rentabilität des 
Kapitals und damit die zukünftige Existenz des Betriebes in Frage gestellt wird. 
Das heißt, unter Voraussetzung des Fortbestands kapitalistischer Verhältnisse 
können sich zwischen Beschäftigten und Kapitaleignern eines Betriebes, einer 
Branche oder eines ganzen Landes gemeinsame Interessen ergeben, die "eigentlich"   
nicht zu erwarten sind, wie z. B. eine Selbstbeschränkung bei 
Lohnforderungen.
Ähnliche Probleme ergeben sich, wenn zur Beantwortung normativer Fragestellungen 
mit dem Interesse von Kollektiven oder dem Interesse der Gesamtheit argumentiert 
wird. Auch hier muss der Bezugspunkt für die angemessene Bestimmung des 
Interessenbegriffs seine Brauchbarkeit für die allgemeingültige Beantwortung 
normativer Fragen sein. Ebenso wenig wie die Bestimmung individueller Interessen 
kann die Bestimmung der Interessen von Teilkollektiven, wie z. B. der Arbeiter, 
der Frauen, der Einwohner eines Landes zu unbedingten Handlungsanleitungen 
führen. 
Interessenbestimmungen von Teilkollektiven können nur angeben, was für diese 
Kollektive getan werden sollte, unter dem Vorbehalt, dass keine anderen 
Gesichtspunkte z. B. in Form der Interessen anderer Gruppen berücksichtigt 
werden müssen. Außerdem gilt genau wie bei den individuellen Interessen, dass 
weder eine subjektivistische noch eine objektivistische Bestimmung der 
kollektiven Interessen zulässig ist.
Während die Bestimmung individueller oder kollektiver Interessen keine 
Handlungsanleitungen ergeben können, die unbedingte Gültigkeit haben, wird der 
Begriff des "Gesamtinteresses"   gewöhnlich in diesem Sinne 
benutzt. Zu sagen: "Die Handlung x liegt im Gesamtinteresse"   beinhaltet, dass es 
unzulässig ist, die Realisierung von x zu verhindern. Partielle Interessen von 
Individuen oder Kollektiven haben gegenüber dem Gesamtinteresse bzw. "Allgemeininteresse"   oder "Gemeinwohl", wie es auch genannt wird - 
zurückzutreten.
Der Begriff des "Gesamtinteresses"  
  
Die Frage ist, wie das Gesamtinteresse zu bestimmen ist, um zu allgemeingültigen 
normativen Antworten zu kommen. Auch hier verbirgt sich hinter dem Streit um den 
Begriff also die Frage danach, was allgemeingültige normative Antworten sind.
Trotzdem lassen sich jedoch auch hier bestimmte Fassungen des Begriffs "Gesamtinteresse"   ausscheiden, weil diese zu normativ nicht akzeptablen 
Ergebnissen führen würden.
So ist es im normativen Zusammenhang z. B. unzulässig, das faktisch artikulierte 
Interesse der "Gesamtheit"   - etwa in Form der tatsächlichen Politik und 
Gesetzgebung eines Staates - als normatives Kriterium zu nehmen. Für seine 
normative Anerkennbarkeit kommt es immer auf die Art und Weise an, wie sich 
dieser staatliche "Gesamtwille"   herstellt. Ebenfalls wenig brauchbar 
für normative Fragestellungen ist die Bestimmung des Gesamtinteresses als "gemeinsames Interesse"   aller Individuen. 
Ein solcher Begriff des Gesamtinteresses wäre so gut wie gar nicht anwendbar, 
weil es zu jeder möglichen politischen Entscheidung gewöhnlich Alternativen 
gibt, die dem Interesse zumindest einiger Individuen besser entsprechen. Um 
überhaupt praktikabel zu sein, wird dieser Begriff gewöhnlich mit weiteren 
normativen Voraussetzungen gekoppelt, insbesondere mit der normativen 
Anerkennung der gesellschaftlichen Verhältnisse. 
Im Verhältnis zum Status quo mag es häufiger Alternativen geben, die im 
gemeinsamen Interesse aller liegen. Aber eine solche konservative Verzerrung der 
normativen Antworten zugunsten des Status quo erscheint argumentativ nicht 
konsensfähig gegenüber denjenigen, für die der Status quo eine schlechte 
Ausgangslage darstellt. Ein solcher Konsens ist nicht argumentativ, weil er 
nicht gewaltfrei ist. Denn gegenüber denjenigen, die unter dem Status quo leiden, 
kann die Fortdauer des Status quo als Druckmittel benutzt werden, damit sie    Verbesserungen 
zustimmen.
Stattdessen erscheint für die allgemeingültige Beantwortung normativer Fragen 
nur ein Begriff des Gesamtinteresses geeignet, bei dem das Gesamtinteresse durch 
die solidarische Berücksichtigung aller Interessen gebildet wird. Nur wenn jeder 
die Interessen jedes andern solidarisch so berücksichtigt, als seien es zugleich 
seine eigenen, erscheint ein argumentativer Konsens in normativen Fragen und 
damit eine normativ brauchbare Bestimmung des Gesamtinteresses möglich.
Nach diesen - allerdings mehr skizzenhaften - Ausführungen zum Interessenbegriff 
im normativen Zusammenhang, bei dem es um Rechtfertigung und Kritik der Realität 
geht, soll im Folgenden die Problematik des Interessenbegriffs diskutiert 
werden, sofern er bei der Beschreibung und Erklärung der Realität Verwendung 
findet.
Der Begriff des "Interesses"   in 
positiven, erklärenden Theorien
Auch hier kann es zur Vermeidung eines fruchtlosen Streits um Wörter nur darum 
gehen, den Interessenbegriff so zu bestimmen, dass damit möglichst wahre 
Antworten auf die relevanten Fragen gegeben werden können. Dabei kommt in den 
Sozialwissenschaften dem Interessenbegriff bzw. verwandten Konzepten eine 
besondere Bedeutung zu, weil gesellschaftliche Vorgänge sich nur über das 
Handeln von Menschen vollziehen. Mit Hilfe des Interessenbegriffs kann man nun 
versuchen, die außerordentliche Vielfältigkeit menschlichen Handelns 
beschreibend zu ordnen und zu erklären. 
Ein Alltagsbeispiel kann diese ordnende und erklärende Funktion des 
Interessenbegriffs verdeutlichen: Man sieht z. B., wie jemand Holz und Kohlen 
holt, wie er das Holz klein hackt, wie er in ein Geschäft geht und einen 
Klebestreifen zum Abdichten von Fenstern und Türen kauft usw. All diese völlig 
verschiedenen Handlungen kann man nun damit erklären, dass der Betreffende für 
die kommende kalte Jahreszeit eine warme Wohnung haben will und dass die 
beobachteten Handlungen unter den gegebenen Bedingungen geeignet sind, dies 
Interesse an einer warmen Wohnung zu befriedigen.
Allerdings werfen solche Erklärungen mit Interessen (oder Werten, Einstellungen, 
Präferenzen, Nutzenfunktionen, Trieben, Bedürfnissen, Motiven etc.) verschiedene 
methodische Probleme auf. 
Eine der Gefahren bei derartigen Erklärungen besteht darin, dass man nur zu 
Pseudoerklärungen kommt, die über das beobachtete Verhalten hinaus keinen 
weiteren Informationsgehalt haben. So kann man jedes beliebige Verhalten eines 
Individuums damit "erklären", dass man ein entsprechendes Interesse bzw. einen 
entsprechenden Trieb postuliert. Um ein extremes Beispiel zu geben: wenn jemand 
unter größten Strapazen und Todesgefahr auf einen Berggipfel klettert, so ist 
wenig gewonnen, wenn man dies Verhalten mit einem "Interesse am Bergsteigen"   
erklärt. 
Einen zusätzlichen Informationswert über das sowieso bekannte Faktum der 
Bergbesteigung hinaus hätte eine solche Annahme höchstens bei Annahme einer 
gewissen zeitlichen Konstanz von individuellen Interessen, so dass man für die 
Zukunft ähnliche Bergbesteigungen des betreffenden Individuums annehmen kann.
Aber letztlich könnte man sich hier den Umweg über die Interessen auch sparen 
und direkt von einer relativen zeitlichen Beständigkeit des Verhaltens ausgehen. 
Um ein Phänomen x durch einen Faktor y erklären zu können, müssen x und y 
unabhängig voneinander bestimmbar sein, sonst wird die Erklärung tautologisch. 
Es bringt keinen Erkenntnisgewinn, von einem bestimmten Verhalten auf ein 
entsprechendes Interesse zurück zu schließen, um dann wiederum vom Interesse aus 
dasselbe Verhalten erklären zu wollen. Ein solches zirkuläres Vorgehen ergibt 
sich mit Notwendigkeit immer dann, wenn man eng "behavioristisch"   das 
Interesse durch das tatsächliche Verhalten bestimmt. Ein solcher 
Interessenbegriff kann höchstens noch beschreibenden aber keinesfalls einen 
erklärenden Wert mehr haben.
Bei der Diskussion eines normativ verwendbaren Interessenbegriffs war 
festgestellt worden, dass dazu die "vermeintlichen"   Interessen, also das, was 
die Betreffenden für ihre Interessen halten, unbrauchbar sind und dass hier nur 
die "wohlverstandenen"   Interessen in Frage kommen, d. h. solche Interessen, wie 
sie das Individuum unter Bedingungen von Information und Reflektion formulieren 
würde. 
Bei einem erklärenden Interessenbegriff, der menschliches Handeln erklären soll, 
gelten jedoch andere Überlegungen. Hier hat das, was die Individuen für ihre 
Interessen halten, natürlich eine viel größere Bedeutung. In ihrem 
Entscheidungsprozeß beziehen sich die Individuen ja nicht auf "die Wirklichkeit"   
als solche, sondern immer auf ihr Bild von der Wirklichkeit, das von Subjekt zu 
Subjekt sehr verschieden sein kann. Durch die stellvertretende Rekonstruktion 
des "wahren"   Interesses eines Individuums habe ich also noch keinerlei 
hinreichende Grundlage, um auf das Verhalten dieses Individuums zu schließen. 
(Damit entfällt übrigens auch ein "optimistischer"   Zug der Interessentheorien, 
die mit Hilfe des Interessenbegriffs das normativ wünschenswerte - die 
Befriedigung menschlicher Interessen - mit dem tatsächlich zu erwartenden 
Geschehen verknüpfen, da Interessen zugleich ja die Motive menschlichen Handelns 
abgeben. Durch die Möglichkeit eines falschen Bewusstseins der eigenen 
Interessen ist diese Verknüpfung unterbrochen, es bedarf erst einer Aufklärung 
der Individuen bzw. Kollektive über ihre wirkliche Interessenlage, um ihr 
Handeln in diese erwünschte Richtung zu lenken.) 
Wenn der Interessenbegriff in einer erklärenden Theorie sozialer Prozesse 
Verwendung finden soll, müssen aufgrund dieser Überlegungen auch immer 
diejenigen Faktoren analysiert werden, die das Bild von der Wirklichkeit und die 
Bewertungen der Individuen beeinflussen, z. B. die Formen und Inhalte der 
Erziehung, der Kultur und der Massenkommunikation.
Man könnte nun die optimistische Annahme teilweise wiederherstellen, indem man 
davon ausgeht, dass die Individuen zumindest auf lange Sicht eine richtigere 
Vorstellung von ihren Interessen gewinnen, weil sie fortlaufend Erfahrungen 
machen, die sie zu einer Korrektur falscher Vorstellungen und Bewertungen 
veranlassen. Aber natürlich kann es auch systematisch entgegenwirkende Faktoren 
geben, wie z. B. eine gezielte manipulative Beeinflussung zur Aufrechterhaltung 
falscher Vorstellungen. 
Außerdem ändern sich im Zeitverlauf auch die Verhältnisse, was eine 
Neubestimmung der Interessen erforderlich macht.
Die Versuche innerhalb der Sozialwissenschaften, durch die Postulierung 
bestimmter menschlicher Interessen- oder Bedürfnisstrukturen zu theoretischen 
Erklärungen gesellschaftlicher Vorgänge zu kommen, sind bisher noch recht 
unbefriedigend, wie überhaupt die gesamte erklärende Theoriebildung im 
gesellschaftlichen Bereich noch sehr umstritten ist. Im Folgenden sollen nun 
einige Varianten solcher Versuche skizziert werden.
Ein wichtiger Ansatz könnte mit dem Etikett: "Theorien des individuellen 
Rationalverhaltens"   bezeichnet werden. Auf dem Rationalverhalten der Individuen 
aufbauende theoretische Modelle gesellschaftlicher Vorgänge wurden zuerst in der 
Ökonomie entwickelt, vor allem in der Preistheorie. Sie finden jedoch unter dem 
Namen "ökonomischer Ansatz"   in der letzten Zeit auch stärker Eingang in die 
politische Wissenschaft und in die Soziologie. Die Annahme des "Rationalverhaltens"   aller Individuen besagt dabei, dass die Individuen gemäß 
ihren Interessen handeln, dass sie Vor- und Nachteile für sich kalkulieren und 
das für sie beste Resultat zu erzielen versuchen. 
In der quantifizierenden Nutzenterminologie ausgedrückt ist jedes Individuum ein "Nutzenmaximierer", ein "homo oeconomicus".
Dabei ist es allerdings keineswegs immer einfach, Klarheit darüber zu gewinnen, 
was mit dem Begriff "Rationalverhalten"   in verschiedenen Theorien impliziert 
ist. Diese Schwierigkeit entspricht der Schwierigkeit, die Begriffe "individuelles Interesse", "Eigeninteresse"   und "egoistisches Interesse"   in 
ihrer Bedeutung auseinander zu halten. 
Im umfassendsten Sinne bedeutet "Rationalverhalten"   der Individuen nur, dass die 
Individuen sich entsprechend ihren tatsächlichen Interessen verhalten, ohne 
etwas darüber auszusagen, welcher Art diese Interessen inhaltlich sind. So 
könnte ein Individuum auch zum Beispiel das individuelle Interesse haben, 
anderen Menschen Freude zu bereiten. Und es handelt z. B. dann "rational", wenn 
es sein Vermögen an andere verschenkt und damit sein Ziel erreicht. In diesem 
Sinne bedeutet die rationale Verfolgung der individuellen Interessen also nicht 
notwendig ein Handeln im "Eigeninteresse". 
Während ein individuelles Interesse auch auf Dinge bezogen sein kann, die andere 
Individuen betreffen, sollte zur besseren Unterscheidung der Begriff "Eigeninteresse"   nur in dem engeren Sinne verwendet werden, dass sich das 
individuellen Interesse auf den Träger des Interesses selber richtet. Dabei 
impliziert die Tatsache eines eigeninteressierten Verhaltens noch keineswegs 
dessen normative Verurteilung als egoistisch. Dazu müsste das eigeninteressierte 
Verhalten Widerspruch zu anderen Interessen geraten, die bei solidarischer 
Berücksichtigung aller Interessen den Vorrang hätten, d. h., das 
eigeninteressierte Verhalten müsste in Widerspruch zum Gesamtinteresse stehen, 
um das Eigeninteresse zu einem egoistischen Interesse zu machen. Aber auch die 
hier vollzogenen begriffliche Unterscheidung zwischen individuellen Interesse 
und Eigeninteresse wirft noch Probleme auf, insbesondere in Bezug auf moralische 
Interessen, die ein Individuum haben kann. (Unter "moralischem"   Interesse ist 
dabei das Interesse an der Verwirklichung eines solidarischen Gesamtinteresses 
zu verstehen.)
Bei den Theorien des individuellen Rationalverhaltens muss wegen dieser 
begrifflichen Verwirrung immer genau analysiert werden, wie das individuelle 
Interesse bestimmt wird, dessen Verwirklichung rational betrieben wird. 
In der herrschenden ökonomischen Theorie wird gewöhnlich als individuelles 
Interesse das Eigeninteresse angenommen, wobei die Eigeninteressen in ihrem 
Inhalt gewöhnlich noch stark vereinfacht sind. 
Der homo oeconomicus der Preistheorie zum Beispiel richtet sein Interesse allein 
auf den Erwerb von mehr Gütern, Dienstleistungen oder Geld. Er zieht eine 
größere Menge irgendeines Gutes gegenüber einer kleineren Menge vor. Mit 
steigenden Vorrat an einem bestimmten Gut x sinkt der Nutzen einer zusätzlichen 
Einheit von x im Verhältnis zum Nutzen einer Einheit eines anderen Gutes y, 
dessen Vorrat konstant bleibt. 
Mit Hilfe allgemein gehaltener Annahmen über die Interessenstruktur wie der 
Annahme eines sinkenden Grenznutzens und der zusätzlichen Annahme eines 
Rationalverhaltens im Sinne dieser Interessen versucht die ökonomische Theorie 
nun die ökonomischen Prozesse am Markt zu erklären. Die dabei entwickelten 
Modelle sind in ihrer Aussagekraft hinsichtlich realer Gesellschaften 
umstrittenen, sie finden sich jedoch weiterhin den meisten ökonomischen 
Lehrbüchern. 
Einer der Gründe hierfür ist sicherlich, dass man diese Modelle auch normativ 
verwenden kann. Unter der Voraussetzung vollkommene Konkurrenz ergibt sich im 
Modell ein Gleichgewichtspunkt mit einer Pareto-optimalen Produktion und 
Verteilung. "Pareto-optimal"   heißt dabei, dass es keine Umstellung der 
Produktion oder der Verteilung eines Gutes gibt, die im gemeinsamen Interesse 
aller Beteiligten liegt, bei der also zumindest einige besser und niemand 
schlechter gestellt würde. 
In neuerer Zeit wurden angesichts der Kritik an der Wirklichkeitsferne dieser 
ökonomischen Lehrbuchmodelle der Versuch unternommen, die Annahmen über die 
Interessenstruktur der Individuen stärker zu differenzieren. Auf diese Versuche 
soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden.
Auch in der politischen Theorie spielen in neuerer Zeit Theorien des 
individuellen Rationalverhaltens eine zunehmende Rolle, insbesondere seit 
Anthony Downs "Ökonomischer Theorie der Demokratie". Darin wird das Verhalten 
der Parteien hinsichtlich der Gestaltung ihrer Programmatik und ihre 
Regierungspolitik, das Verhalten der Wähler hinsichtlich ihrer Wahlbeteiligung 
und Wahlentscheidung als rationale Verfolgung individueller Interessen 
verstanden, wobei Downs besonderes Gewicht auf die Rolle der Ungewissheit der 
Individuen über die Realität legt und viele seine Ergebnisse von dem Umstand 
ableitet, dass zur Beseitigung dieser Ungewissheit politische Information 
erforderlich sind, deren Erwerb für Zeit, Geld und Anstrengung kosten. 
Das rationale Individuum wird sich deshalb nur soweit informieren wie sich "der 
Aufwand lohnt". Obwohl Downs dies nicht immer deutlich macht, ist auch bei ihm 
das "individuelle Interesse"   der politischen Akteure immer das Eigeninteresse. 
Das Interesse an der Gestaltung der Lebensbedingungen anderer Menschen spielt in 
seinem politischen Modell keine Rolle.
Neben den Theorien des individuellen Rationalverhaltens hat es in den 
Sozialwissenschaften auch Theorien gegeben, die soziale Prozesse als Handeln von 
Kollektiven (sozialen Klassen oder Gruppen) analysiert haben, die versuchen ihre 
kollektiven Interessen durchzusetzen. 
Beide Theorieströmungen haben einen gemeinsam Ausgangspunkt bei den 
französischen und englischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts. Allerdings ergeben 
sich aus der unterschiedlichen Fassung des Interessenbegriffs unterschiedliche 
theoretische Konsequenzen. 
Die Bedeutung von kollektiven Akteuren ist für politische Prozesse in 
kapitalistischen parlamentarischen Gesellschaften offensichtlich, da Parteien, 
Verbände, Gewerkschaften oder auch regionale politische Einheiten beim 
politischen Willensbildungsprozess eine große Rolle spielen. Allerdings ist 
keineswegs immer klar, was gemeint ist, wenn vom Interesse bestimmter Gruppen, 
Klassen oder Organisationen die Rede ist. 
Zu sagen, dass alle Arbeiter ein einheitliches Klasseninteresse haben, heißt zum 
Beispiel nicht, dass alle Arbeiter in jeder Hinsicht die gleichen individuellen 
Interessen haben. Dies ist offensichtlich bei Interessen, die mit der sozialen 
Stellung als Arbeiter wenig zu tun haben. So kann zum Beispiel ein türkischer 
Arbeiter hinsichtlich des schulischen Lehrplans seiner Kinder andere Interessen 
haben als ein deutscher Arbeiter. 
Selbst bezogen auf ihre Stellung als Arbeiter müssen die Interessen der 
einzelnen Arbeiter nicht in jeder Situation übereinstimmen. Um ein einfaches 
Beispiel zu sehen: wenn sich zwei Arbeiter um den gleichen Arbeitsplatz 
bewerben, so ergibt sich notwendig ein Interessenkonflikt, denn die Einstellung 
des einen geht gegen die Interessen des anderen. 
Wenn man von Interessen eines Kollektivs im Sinne eines gemeinsamen Interesses 
aller Individuen dieses Kollektivs spricht, wird es also nötig sein, den Bereich 
der Gemeinsamkeiten näher zu bestimmen. Eine völlige Interessengemeinsamkeit 
unter allen Umständen kann wohl kaum behauptet werden.
(Nicht fertig gestellt)
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seine erklärende Verwendung"  
Letzte Bearbeitung 03.10.2005 / Eberhard Wesche
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