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"Ohne Moral" oder "Ich mache was ich will"
Der Fall des Saxophonspielers
Angenommen, in einem Haus wohnen die drei Personen A, B und M.
Das "M"   steht für "Musikus", denn M ist ein leidenschaftlicher Saxophonspieler. 
Er spielt und übt auf dem lautstarken Instrument zu jeder Tag- und Nachtzeit, 
wann immer es ihm gerade in den Sinn kommt. 
A und B können in ihren Räumen das Saxophonspiel von M nur all zu gut hören und leiden 
entsprechend unter den unerwünschten Geräuschen:  Wenn M übt, fällt es A 
und B schwer, sich zu konzentrieren, und nicht selten werden sie aus dem Schlaf gerissen. 
Als sich A und B bei M beschweren und ihm vorschlagen, seine Übungen zeitlich zu 
begrenzen, reagiert M nur mit abweisenden Äußerungen wie: "Ich 
mache, was ich will, und ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was 
ich zu tun oder zu lassen habe."  
Konsequenzen aus der "Ich-mache-was-ich-will"-Haltung
Es scheint so, als als würde an dieser Haltung jede ethische 
Argumentation abprallen. Man muss jedoch sehen, dass eine Person sich selber aus der ethischen 
Diskussion verabschiedet, wenn sie grundsätzlich eine "Ich-mache-was-ich-will"-Haltung 
einnimmt. Wer diese Haltung einnimmt, bestimmt damit sein Verhältnis zu seinen 
Mitmenschen in der Weise, dass Konflikte nicht durch 
Argumente sondern durch die Machtverhältnisse entschieden werden.
Da M in unserm Beispiel gar keine moralischen Normen behauptet oder bestreitet, ist es sinnlos, mit ihm 
moralisch zu 
argumentieren. 
Wenn M sich aus der moralischen Argumentation verabschiedet, 
so hat dies allerdings zur Folge, dass M niemandem irgendwelche begründete Vorwürfe machen kann, und 
dass sich niemand 
gegenüber M für irgendeine Handlung verantworten muss. Denn beides würde einen 
Bezug auf gemeinsam anerkannte Normen voraussetzen, und die kann es für M nicht 
geben.
Wer sich nach der Devise "Ich-mache-was-ich-will"   aus der ethischen 
Argumentation ausklinkt, der kann zwar noch anderen Personen Befehle erteilen und 
er kann diese Befehle 
vielleicht auch mit Gewalt oder Drohungen durchsetzen. Er kann jedoch 
die Befolgung seiner Befehle niemandem mehr zur Pflicht machen.
Falls es zum Konflikt kommt, stellt sich nur die eine Frage: Wer ist stärker 
und wer setzt sich gegen den andern durch?
Mit der Identifizierung des M als jemanden, der sich selber außerhalb jeder 
Moral stellt, hat die Moralphilosophie ihre Aufgabe erfüllt. Man braucht sich 
mit dem Amoralisten nicht mehr argumentativ auseinandersetzen, kann allerdings 
noch eine erzieherische oder therapeutische Haltung ihm gegenüber einnehmen, 
wenn man sich nicht auf ein rein strategisches Verhältnis beschränken will, und 
wenn man es für möglich hält, dass M seine Position noch einmal korrigiert.
Eine entsprechende Argumentation wie gegenüber M würde übrigens auch für den Fall gelten, dass nicht 
ein 
einzelnes Individuum sondern eine ganze Gruppe erklärt: "Wir machen, was wir wollen, und wir lassen uns von 
niemandem vorschreiben, was wir zu tun oder zu lassen haben."   Auch in diesem Fall ist die Ebene der ethischen Argumentation aufgekündigt 
- mit den 
entsprechenden Konsequenzen für das Verhältnis zwischen den Gruppen.
Die Voraussetzung jeder sinnvollen Diskussion
Anders liegt der Fall dann, wenn M sich auf die Ebene ethisch-normativer 
Behauptungen einlässt und z. B. den Standpunkt vertritt, dass er das Recht habe, jederzeit 
in sein Saxophon zu blasen, ganz gleichgültig, ob er damit andere stört oder 
nicht. 
In diesem Fall besteht zwar eine Meinungsverschiedenheit zwischen A, B und M, 
sie haben jedoch eine gemeinsame Ebene der Argumentation.  Insofern als jeder etwas gegenüber dem anderen
behauptet,
muss jeder auch stillschweigend die Möglichkeit unterstellen, dass  der andere dieser 
Behauptung allein aufgrund von Argumenten zwangfrei zustimmen kann - 
zumindest wenn er mehr will, als nur irgendwelche Dogmen verkünden. 
Anders ausgedrückt: Eine Diskussion macht 
nur dann Sinn, wenn jeder Diskussionsteilnehmer unterstellt, dass es für die von 
ihm vertretene Behauptung Gründe bzw. Argumente gibt, die zumindest im Prinzip für die anderen Teilnehmer an der Diskussion einsehbar und nachvollziehbar sind.
Eine Diskussion ohne das von allen akzeptierte Ziel einer rein argumentativen, 
zwangfreien Einigung in Bezug auf die Beantwortung der gestellten Fragen ist keine  Diskussion sondern allenfalls ein verbaler 
Schlagabtausch. In solchen Schein-Diskussionen werden keine Fragen ihrer 
Beantwortung näher gebracht, sondern es wird - krass ausgedrückt -  
überredet und indoktriniert.
Zusammenfassung
Gegenüber jemandem, der nur Befehle gibt 
und Forderungen aufstellt, gibt es kein Problem der Begründung moralischer 
Normen. Er kann 
anderen keine Verletzung gültiger Handlungsnormen vorwerfen, weil es diese für ihn 
gar nicht gibt. Er kann höchstens feststellen, dass man seinen Befehlen nicht 
gefolgt ist.
Wenn jemand jedoch bestimmte moralische Normen vertritt, so lässt er sich auf eine 
moralische Argumentation ein. Dann muss er sich aber darauf festlegen lassen, dass es 
für die von ihm behaupteten Normen nachvollziehbare und einsichtige Gründe gibt. 
Wenn er dies nicht zugesteht, so führt er eine Scheindiskussion: Es geht ihm 
dann nicht um die richtige Beantwortung von Fragen sondern allein um die Beeinflussung 
der Beteiligten in seinem Sinne.
***
Anhang: Menschen ohne Moral
Für einen Menschen, dem moralische Überzeugungen fehlen, gibt es keine 
Verhaltensregeln, an deren Befolgung er sich gebunden fühlt. Vorwürfe gehen bei 
ihm ins Leere. Um ihn zur Einhaltung bestimmter Regeln zu bewegen, kann man 
höchstens auf die Strafen hinweisen, mit denen die Verletzung der Regeln 
verfolgt wird. Ein kluger, aber moralloser Mensch wird im eigenen Interesse die 
drohende Sanktion in seine Überlegungen einbeziehen, so wie er auch andere Risiken, 
z. B. einen Unfalls, berücksichtigt.
Einem Menschen ohne moralische Überzeugungen kann man nicht vertrauen. Wenn man 
ihn um eine Auskunft bittet, so ist völlig ungewiss, ob man eine wahrheitsgemäße 
Antwort erhält, wenn er Versprechungen macht, ist ungewiss, ob er sich um deren 
Einhaltung bemühen wird.
In der Beziehung zu einem Menschen ohne moralische Überzeugungen gibt es keine 
Sicherheit. Ich muss immer auf der Hut sein und damit rechnen, dass er um des 
eigenen Vorteils willen mir Schaden zufügt, sofern er nur glaubt, dass er 
ungestraft davon kommt.
Auch die Wirksamkeit staatlicher Gesetze ist in Frage gestellt, wenn 
Richter, Polizisten und andere Beamte keinerlei "Moral"   bei der Ausübung ihres 
Amtes haben. Die besten Gesetze gehen dann im Dickicht von Bestechlichkeit, 
Vetternwirtschaft und Bequemlichkeit der Amtsträger unter.
Mit jedem Individuum, dem es an "moralischer Einstellung"   mangelt und das sich 
die gesellschaftlichen Regeln nicht zu eigen gemacht hat, verringern sich für 
die übrigen Mitglieder der Gesellschaft die Vorteile des Zusammenlebens in der 
Gesellschaft.  
***
An einen moralischen Zyniker:
Du schreibst: "Moral ist zu einem bestimmten Zweck erfunden worden, nämlich um dem 
Individuum Sand in die Augen zu streuen, damit es sich Illusionen über den Staat 
macht, in dem es lebt."   Und: "Jede Moral liegt im Interesse ihres Erfinders, 
vertritt dessen Interesse. Wie sie begründet wird, mit Gott oder mit Vernunft 
oder mit sonstwas, ist völlig nebensächlich."   
Ich muss gestehen, diese Position hat mich erschreckt. Die Berufung auf 
moralische Normen ist demnach nur eine verbrämte Form, um zu sagen: "Dies ist in 
meinem Interesse und dies nicht". Und die Begründung moralischer Normen ist 
demnach beliebig und nebensächlich, d. h. es gibt keine ernst zu nehmende 
Begründung. 
Einem Menschen, der eine solche Auffassung ernsthaft vertritt - nicht nur als 
"Salon-Nihilist" in philosophischen Zirkeln - könnte ich nur mit größtem 
Misstrauen begegnen. Denn wenn ich mich umdrehe, könnte er mir die Flasche in 
seiner Hand über den Kopf hauen, meine Brieftasche an sich nehmen und 
verschwinden.  
Wenn ich Deine Position wirklich ernst nehme, dann wird für mich sogar fraglich, 
ob ich überhaupt mit Dir hier diskutieren soll. Wenn es nur Individuen mit der 
Tendenz zur Selbstentfaltung gibt und gemeinsame Werte nur der Sand sind, den 
man den andern in die Augen streut, dann ist auch die Wahrheit von Behauptungen 
kein von uns gemeinsam akzeptierter Wert, auf den sich jeder 
Diskussionsteilnehmer verbindlich festlegen lassen muss. Wenn dem so ist, dann 
sehe ich eigentlich keinen Sinn darin, mit Dir Argumente auszutauschen.
***
Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
    Einführende Thesen zur 
Begründung von Normen ** (9 K)
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Letzte Bearbeitung 11.05.2008 / Eberhard Wesche
 
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