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Universalisierbarkeit und Konsensfähigkeit
moralischer Normen
Inhalt
Kriterien der Universalisierbarkeit bei Sidgwick, Hare und Singer
Allgemeine Geltung und allgemeine Akzeptierbarkeit von Normen
Das Kriterium der Umkehrbarkeit (reversibility) bei Baier
Intersubjektive Akzeptierbarkeit und Interessenlage
Textanfang
Universalisierbarkeit bei 
Sidgwick, Hare und Singer
In der moralphilosophischen Diskussion spielen Prinzipien der 
Universalisierbarkeit eine wichtige Rolle. Aber auch im Alltag wird mit der 
Forderung nach Verallgemeinerbarkeit - wie man auch sagt - argumentiert. Wenn 
man eine bestimmte Handlungsweise auf ihre moralische Zulässigkeit überprüfen 
will, dann stellt man häufig die Frage: "Was wäre, wenn jeder in dieser Weise handeln 
würde?"
Das Prinzip der Universalisierbarkeit wird in verschiedenen 
Varianten formuliert. Henry Sidgwick (1838-1900) formuliert das Prinzip 
folgendermaßen: "Wenn eine bestimmte Verhaltensweise, die bei mir richtig (oder 
falsch) ist, bei jemand 
anderem nicht richtig (oder falsch) ist, so darf der Grund hierfür nicht allein darin 
liegen, dass er und ich zwei verschiedene Personen sind, sondern es muss einen 
anderen Unterschied zwischen beiden Fällen geben."   (in: Methods of Ethics, 
New York 1966, S.379, zuerst erschienen 1874, eigene Übersetzung.) ["If a kind 
of conduct that is right (or wrong) for me is not right (or wrong) for some one 
else, it must be on the ground of some difference between the two cases, other 
than the fact that I and he are different persons."]
Die Frage ist, ob und wie sich ein 
derartiges Prinzip begründen lässt. Sidgwick hält 
es für evident und zählt es zu den "absoluten praktischen Prinzipien, deren Wahrheit manifest ist, wenn man sie 
explizit formuliert."   (S. 379.) [ ... certain absolute practical principles, 
the truth of which, when they are explicitly stated, is manifest.]
Nach Richard M. Hare (1919-2002) ergibt sich aus der Bedeutung der 
moralischen Begriffe, dass bloße Identitätsunterschiede zwischen Personen bei 
moralischen Urteilen keine Rolle spielen dürfen: "Wenn jemand unterschiedliche 
moralische Urteile fällt in Bezug auf Fälle, von denen er zugibt, dass sie in 
ihren nicht-moralischen Eigenschaften identisch sind, begegnet er der gleichen 
Art von Unverständnis wie bei einer logischen Inkonsistenz."      
   
(in:
Moral Thinking, Oxford 1981, S.115, eigene Übersetzung.) 
["A person who makes different moral judgments about cases which he admits to be 
identical in their non-moral universal properties encounters the same kind of 
incomprehension as is encountered by a logical inconsistency".]
Hare schreibt: "Wenn gewöhnliche Leute
mit einer Aussage konfrontiert werden wie 'Jack tat dasselbe wie 
Jim unter denselben Umständen und beide sind genau dieselbe Art 
von Menschen, aber Jack tat,
was er sollte und Jim tat, 
was er nicht sollte', so werden sie darauf in 
derselben Weise reagieren wie auf den Satz 'Zwei Figuren haben genau 
dieselbe Fom, aber die eine ist dreieckig und die andere nicht'." (S.81) ["When 
confronted with a statement like 'Jack did just the same as Jim, in just the 
same circumstances, and they are just the same sort of people, but Jack did what 
he ought and Jim did what he ought not', they (ordinary people, E.W.) will react 
to it in the same way as they will to 'The two figures are exactly the same 
shape, but one is triangular and the other not'."]
Hare grenzt seine Position dabei vom ethischen Intuitionismus ab: "Ich 
stütze mich hier auf unsere sprachlichen Intuitionen, darin mir selbst 
vertrauend, und darauf vertrauend, dass diese Intuitionen sprachlicher und nicht 
moralischer Art sind (weil sie von jedermann geteilt werden müssen, der den 
Gebrauch des Wortes "sollen" versteht, welche moralische Ansicht er auch immer haben mag)." 
(S.116) ["I am appealing here to our 
linguistic 
intuitions, being confident of my own, and confident that they are linguistic 
not moral (because they must be shared by anybody who understands the use of 'ought', whatever his moral opinion)."]
 Marcus
Singer (1926- ) gibt seinem 
Verallgemeinerungsprinzip ("generalization principle"  )   
die 
folgende   
Formulierung:   
"Was für eine Person richtig(oder  falsch) ist, 
muss für jede ähnliche Person in ähnlichen Umständen richtig (oder falsch) 
sein."  (in: 
Generalization in Ethics, New York 1971, zuerst 1961 , S.5.) ["What is right (or wrong) for one person must be right (or 
wrong) for any similar person in similar circumstances."]
Nach Singers Auffassung wird das 
Verallgemeinerungsprinzip in jeder moralischen Argumentation und in jedem 
Versuch der Begründung eines moralischen Urteils vorausgesetzt: "Das 
Verallgemeinerungsprinzip wird bei jedem echten moralischen Urteil 
vorausgesetzt. ... Es wird in jedem Begründungsversuch eines moralischen Urteils 
verausgesetzt." (S.34) ["The Generalization Principle ... is ... presupposed by 
every genuine moral judgement, ... it is presupposed in every attempt to give a 
reason for a moral judgment."]
Auf den Einwand, das Prinzip sei leer, da man in Bezug auf zwei beliebige 
Dinge immer sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede ausmachen könne, und 
seien es nur numerische Unterschiede, entgegnet Singer: "Das 
Verallgemeinerungsprinzip muss in dem Sinne verstanden werden, dass das, was für 
eine Person richtig ist, richtig sein muss für jede im relevanten Sinne ähnliche 
Person in Umständen, die ebenfalls in relevanter Weise ähnlich sind." 
(S.19)
["The Generalization principle must be understood in the 
sense that what is right for one person must be right for every relevantly similar person in relevantly similar circumstances."] 
"Die Kriterien für die Bestimmung 'aller ähnlichen Fälle' sind in den Gründen 
enthalten, gemäß denen eine Handlung richtig oder falsch ist. 
All jene Fälle, auf die die Begründung zutrifft, sind einander ähnlich und sie 
sind in 
relevanter Weise verschieden von denen, auf die die Begründungen nicht 
zutreffen." (S.21) ["The criteria for 'all similar cases' are contained in the ... 
reasons on the basis of which an act is ... right or wrong. All those to whom the 
reasons apply are similar to each other and relevantly different from those to 
whom the reasons do not apply."] 
Singer versucht nun zu zeigen, warum 
allein der Umstand, dass es sich um zwei Individuen handelt, 
noch keinen relevanten Unterschied zwischen den 
beiden darstellen kann und damit keinen Grund dafür abgeben kann, ihnen 
unterschiedliche Rechte zuzugestehen: "Wenn John Smith sagen 
kann 'Jeder, der John Smith heißt, hat das Recht, in solch einer Weise zu 
handeln', dann kann Stan Spatz III sagen 'Jeder der Stan Spatz III heißt, hat 
das Recht, in solch einer Weise zu handeln' und jeder andere könnte eine 
entsprechende 'Regel' ins Leben rufen.  ... Wenn der Umstand, dass jemand 
einen bestimmten Namen hat, dafür benutzt werden könnte zu zeigen, dass sein 
Fall eine Ausnahme bildet, so könnte sein Fall dazu benutzt werden zu zeigen, 
dass jeder Fall eine Ausnahme bildet, was in sich widersprüchlich ist." (S.23) ["If John Smith can say 'Everyone whose 
name is John Smith has the right to act in such and such a way' Stan Spatz III 
can say 'Everyone whose name is Stan Spatz III has the right to act in such and 
such a way' and everyone else can invoke a similar 'rule' ...  If the 
fact that someone has a certain name could be used to show that his case is an 
exception, it could be used to show that every case is an exception, which ... is 
... self-contradictory."].
Wie gelangt Singer zu 
diesem Resultat? Die Position von John Smith ist ja in sich nicht 
widersprüchlich, denn aus dem Satz "Jeder, der John Smith heißt, hat das Recht 
.. "  folgt nicht logisch der Satz "Jeder der Stan Spatz III heißt, hat das 
Recht ...".  
Der obige Satz: "Wenn John Smith sagen kann … dann 
kann Stan Spatz III sagen ..."   stellt offenbar selber eine Anwendung des 
Verallgemeinerungsprinzips dar, jetzt allerdings nicht bezogen auf die  
Regelung von Handlungen sondern bezogen auf die Regelung von 
Argumentationen: Wenn John Smith ein derartiges Argument einbringen darf, dann 
darf auch jeder andere ein entsprechendes Argument vorbringen, sofern keine 
relevanten Unterschiede zwischen beiden Fällen vorliegen. Eine Begründung dieses 
Prinzips ist durch diese Verschiebung seiner Anwendung jedoch noch nicht 
erreicht.
  
Die Heranziehung des Verallgemeinerungsprinzips innerhalb dieses 
Argumentationsmusters hat Singer bei der Diskussion eines anderen Beispiels 
ausdrücklich erwähnt:  
... da jeder Eigenschaften besitzt, die nur er selbst hat, so kann dann, wenn 
irgend jemand ein Recht beansprucht, ihm aus diesem 'Grund' ein Leid zuzufügen" 
auch jeder Andere dasselbe Recht aus demselben 'Grund' beanspruchen.. 
(durch Anwendung des Verallgemeinerungsprinzips) (in: Potter,N.T./M.Timmons 
(ed.): Morality and Universality. Dordrecht 1985, S. 66f.)  
.  
[since everyone possesses qualities that are 
had only by himself, if anyone can claim a right to inflict harm on that 'ground', everyone can claim the same right on that same ground (by application 
of the generalization principle)".]
Damit stellt sich 
aber das Problem, um dessen Lösung es geht, auf dieser Ebene erneut. Könnte John 
Smith nicht auch hier darauf bestehen, dass die Identität der 
Personen einen "relevanten Unterschied"   macht, und könnte er nicht Stan Spatz 
III das Recht bestreiten, analog zu ihm zu argumentieren, etwa unter Hinweis auf 
den Satz "Everyone whose name is John Smith has the right to argue in such and 
such a way"? Auch hier würde die Position von John Smith nicht in sich logisch 
widersprüchlich sein. Trotzdem wird wohl niemand die von John Smith gegebenen 
Begründungen als solche akzeptieren wollen.
Allgemeine Geltung und allgemeine Akzeptierbarkeit von Normen
Aber warum sind 
derartige Begründungen 
unzulässig? Um diese Frage zu beantworten, muss noch einmal genauer untersucht 
werden, welche Anforderungen an die Begründung moralischer Urteile zu stellen 
sind, die über die Forderung nach innerer logischer Widerspruchsfreiheit 
hinausgehen.  
Bezugspunkt moralphilosophischer Überlegungen sind Probleme, die sich 
ausdrücken lassen in Fragen der allgemeinen Form: "Was soll 
man in einer bestimmten Situation tun (oder unterlassen)?"  . Auf derartige normative Fragen werden 
die richtigen Antworten gesucht. 
Die gesuchten Antworten sind also nicht beliebig, sondern an sie werden 
bestimmte Anforderungen gestellt.  
Zum einen ist 
notwendig, dass die Antworten auf normative Fragen dauerhaft, d. h. "intertemporal"   gelten. 
Wenn jemand heute den Satz behauptet: "Peter durft in dieser Situation das 
Kind nicht schlagen", so muss er diesen Satz auch morgen noch für richtig 
halten. Wenn er dies nicht tut, so muss er seine frühere Behauptung korrigieren. Eine Antwort 
auf eine normative Frage darf also nicht nur richtig für einen 
bestimmten Zeitpunkt sein.
Zum andern dürfen 
die gesuchten Antworten nicht nur für bestimmte Personen gelten, sondern sie sollten 
allgemein d. h. "intersubjektiv"   gelten. Wenn Individuum A den Satz: "Peter 
durfte in dieser Situation das Kind nicht schlagen"   für richtig hält und Individuum B diesen Satz nicht für richtig hält, so 
muss sich mindestens eines von beiden korrigieren. Zugespitzt 
formuliert heißt das:  Wenn die Antwort auf eine normatie Frage für das eine 
Individuum richtig ist, dann muss sie auch für jedes andere Individuum richtig 
sein. 
Wenn die Richtigkeit der Antworten relativ zu 
Zeitpunkt und Subjekt wäre, so könnte es keinen Streit um die richtige 
Antwort geben. Richtigkeitsüberzeugungen wären dann ununterscheidbar von 
momentanen, subjektiven Vorlieben für bestimmte Antworten.
Drittens müssen die 
Antworten intersubjektiv akzeptierbar begründet werden können. 
Dabei soll unter der "Begründung"   einer Antwort ihre Herleitung aus anderen 
Sätzen verstanden werden. Mit der ,,intersubjektiven Akzeptierbarkeit"   einer 
Begründung ist gemeint, dass sowohl die Ausgangsprämissen als auch die 
Schlussweisen der Herleitung für jedes verständige Subjekt im Prinzip akzeptabel 
sein müssen. Im Grenzfall kann die normative Antwort dabei auch "selbst 
begründend"   sein, so dass keine Herleitung aus anderen Sätzen erfolgt. In diesem 
Fall muss sie unmittelbar intersubjektiv akzeptabel bzw. evident sein.  
Die Bedingung der intersubjektiv akzeptierbaren Begründung der Antworten macht 
den Unterschied deutlich zwischen einem dogmatischen Geltungsanspruch und einem 
wissenschaftlichen oder rationalen Geltungsanspruch. Geltungsansprüche, die sich nicht am 
Maßstab der intersubjektiven Akzeptierbarkeit ihrer Begründung messen lassen 
wollen, sind buchstäblich "indiskutabel"   und stellen sich damit selber außerhalb 
des Bereichs einer wissenschaftlichen Moralphilosophie.  
Im Folgenden soll 
nun die These vertreten werden, dass Normen, die das Prinzip der 
Personunabhängigkeit verletzen, deshalb keine richtigen Antworten auf normative 
Fragen darstellen können, weil die gegebenen Begründungen nicht intersubjektiv 
akzeptierbar sind.  
  
Das Kriterium der Umkehrbarkeit (reversibility)bei Baier
Wenn man die Geltung von Normen davon abhängig macht, inwiefern für 
sie eine intersubjektiv akzeptierbare Begründung gegeben werden kann, so ergibt 
sich daraus, dass jemand, der eine bestimmte Norm behauptet, diese Norm auch für "reversibel"   oder "umkehrbar"   halten muss. (Die Bedingung der "reversibility"   
von Handlungen bzw. Normen wurde vor allem von Baier herausgearbeitet. S. The moral point of view, S.108). 
 Dort bestimmt er die 
Bedingung der Umkehrbarkeit so, "... that the behaviour in question must be 
acceptable to a person whether he is at the 'giving' or 'receiving' 
end of it". "Umkehrbarkeit"   einer behaupteten Norm soll hier bedeuten, dass jemand, 
der eine bestimmte Norm vertritt, diese auch dann akzeptieren würde, wenn er sich in 
irgendeiner der anderen betroffenen Positionen befinden würde. Wenn jemand z. B. 
eine Norm behauptet, durch deren allgemeine Befolgung bestimmte Personen 
schlechter gestellt werden im Vergleich zu alternativen Normen, so muss er sich 
unter dem Gesichtspunkt der Umkehrbarkeit seiner moralischen Position 
fragen lassen, ob er diese Norm auch dann noch vertreten würde, wenn er selber 
zu diesen schlechter gestellten Personen gehören würde. Gibt er zur Antwort, 
dass er in diesem Fall die Norm nicht vertreten würde, so gibt er damit 
zu, dass er selber die von ihm behauptete Norm nicht für intersubjektiv 
anerkennbar hält, dass es also seiner eigenen Auffassung nach keine Gründe gibt, 
die auch die schlechter Gestellten von der Geltung der Norm überzeugen könnten. 
Die Bedingung einer intersubjektiv akzeptierbaren Begründung der Norm ist somit 
nicht erfüllt.
Die Bedingung der Umkehrbarkeit ist in gewisser Weise ein Test auf die 
Ernsthaftigkeit einer normativen Behauptung. Jemand, der zugibt, dass er eine 
von ihm selbst vertretene Norm nicht akzeptieren würde, wenn er in der Lage 
eines andern Betroffenen wäre, der gibt zu erkennen, dass er die behauptete Norm 
nur als 
Ausdruck seines spezifischen Interesses verstanden hat und nicht als Norm, die 
einer allgemein akzeptierbaren Begründung fähig wäre. Insofern ist die Frage: "Würdest du auch 
dann noch dieser Auffassung sein, wenn du in der Lage des andern 
wärest?"   innerhalb einer normativen Diskussion sinnvoll und legitim.
Die Frage nach der 
Umkehrbarkeit führt in einem moralischen Disput jedoch dann nicht weiter, wenn jemand - vielleicht nur geheuchelt 
- diese Frage bejaht. Hier bleibt nur noch die Möglichkeit, dem Betreffenden 
Inkonsistenzen nachzuweisen, wenn er im Zeitverlauf unterschiedliche normative 
Positionen vertritt, die allein Ausdruck seiner inzwischen veränderten 
Interessenlage sind. Wenn man ihm dann vorhält, dass er früher zu dieser 
normativen Frage eine ganz andere Position vertreten hat, so kann er sich 
allerdings immer noch nach dem Motto: ,,Was kümmert mich mein Geschwätz von 
gestern!"   auf eine Korrektur seiner früheren Ansichten herausreden.
Auch in Bezug auf 
personabhängig formulierte Normen muss das Argument der Umkehrbarkeit nicht 
durchschlagen. Wenn John Smith z. B. behauptet: "Nur John Smith darf andere 
belügen", so kann man ihn hinsichtlich der Umkehrbarkeit fragen: "Würdest Du 
diese Auffassung auch dann vertreten, wenn Du selber zufällig nicht John Smith 
wärest sondern jemand anderes?"   John Smith könnte - wie unglaubwürdig auch immer 
- die Frage bejahen, denn er muss nicht befürchten, dass dieser Fall 
jemals real eintreten wird und er "Farbe bekennen"   müsste.
 
Intersubjektive Akzeptierbarkeit und Interessenlage
Da die Bedingung 
der Umkehrbarkeit als Argument nur begrenzte Durchschlagskraft hat und 
gewissermaßen nur ein Test auf die Ernsthaftigkeit einer normativen Behauptung 
ist, muss noch einmal grundsätzlicher gefragt werden, warum z. B. eine Norm wie "Nur John Smith darf andere belügen"   keiner intersubjektiv akzeptierbaren 
Begründung fähig ist. Was heißt es, "eine Norm zu akzeptieren"  ? In diesem 
Zusammenhang lässt sich dies folgendermaßen verdeutlichen: Wenn jemand eine Norm 
akzeptiert, so bejaht er den Zustand der Welt, der durch eine allgemeine 
Befolgung der Norm gegeben ist. Er will, dass es so sei, wie die Norm besagt. 
(An dieser Formulierung wird übrigens deutlich, dass sich die hier angestellten 
Überlegungen noch auf einer sehr abstrakten Ebene bewegen, wo Normen unter der 
Bedingung ihrer vollkommenen Befolgung diskutiert werden. Von den Problemen der 
Durchsetzung von Normen wird  hier noch völlig abgesehen.)  
Grundsätzlich lassen sich verschiedene Gesichtspunkte denken, auf die sich ein 
Individuum beziehen kann, wenn es eine Norm in diesem Sinne akzeptiert. Ein 
Gesichtspunkt für die Akzeptierung einer Norm ist deren logische 
Deduzierbarkeit aus anderen bereits akzeptierten Normen bzw. ihre Setzung 
durch bereits akzeptierte Normsetzungsverfahren. Dies ist jedoch kein 
eigenständiger Gesichtspunkt, denn damit verschiebt sich das Problem nur auf die 
in Anspruch genommenen normativen Prämissen.
Ein anderer 
möglicher Gesichtspunkt für das Akzeptieren einer Norm durch ein Individuum sind 
dessen bereits vorhandenen normativen Intuitionen, Empfindungen, 
Ideale oder Überzeugungen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange hierin 
intersubjektive Übereinstimmung besteht. Das Problem bei der Orientierung an 
moralischen Intuitionen oder Idealen ist jedoch, dass diese offenbar nicht 
intersubjektiv und intertemporal übereinstimmen. Wenn die Intuitionen der 
Individuen jedoch widersprüchlich sind, so ist es nicht möglich, auf dieser 
Grundlage zu Normen zu gelangen, die intersubjektiv akzeptierbar sind.
Als Gesichtspunkt 
für das Akzeptieren einer Norm durch ein Individuum kommt schließlich sein
Interesse in Frage. Hierunter sollen alle Ziele eines Individuums verstanden 
werden, die es unabhängig von allen normativen Argumenten und Erwägungen hat. 
 
Allgemein könnte man formulieren: "Ein Individuum kann eine Norm umso eher 
akzeptieren, je mehr deren allgemeine Befolgung seinem Interesse entspricht."
Angesichts real bestehender Interessenkonflikte sind in Bezug auf normative 
Fragen unterschiedliche Antworten denkbar, die den Interessen der verschiedenen 
Individuen unterschiedlich gut entsprechen. Die Norm "Nur John Smith darf lügen"   
würde wohl dem Interesse von John Smith am meisten entsprechen, nicht jedoch dem 
Interesse von Stan Spatz. Umgekehrt wäre es bei der Norm "Nur Stan Spatz darf 
lügen"   für Stan Spatz.  
Wäre für jeden nur diejenige Norm akzeptabel, die seinem individuellen 
Interesse am besten entspricht, so gäbe es offensichtlich keine Norm, die für 
alle gemeinsam akzeptabel wäre. Wer darauf beharrt, bewirkt damit, 
dass keine Norm einen begründeten Anspruch auf allgemeine Geltung besitzen kann. Damit 
ist aber jeder normativen 
Argumentation der Boden entzogen. Will man diese Konsequenz nicht und will man 
seinerseits nicht auf jegliche normative Behauptungen verzichten, so muss man 
deshalb fragen:  "Welche Norm ist für alle Individuen gemeinsam die 
vergleichsweise akzeptabelste?"     
Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
 
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Letzte Bearbeitung 13.06.2014 / Eberhard Wesche
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