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Utilitarismus als Begründung der Demokratie
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Inhalt:
Utilitarismus und 
Vertragstheorie als konkurrierende Theorien
Die Demokratiekonzeption bei William Godwin
Der ethische und der 
psychologische Hedonismus bei Bentham
Die Annahme der Mündigkeit der 
Individuen  
Die fragwürdige Handhabung des allgemeinen Wahlrechts durch 
Bentham 
Der nationale Bezugsrahmen
Orientierung der Wähler am allgemeinen oder 
am individuellen Interesse? 
Das Mehrheitsprinzip als Transformator der 
individuellen Interessen in ein kollektives Interesse
Die Grenzen einer Bestimmung des Gesamtinteresses durch 
Verfahren
Das Problem, die gewählten Vertreter zu 
kontrollieren
Bedingungen für das gewünschte Wirken des 
Mehrheitsprinzips
Textanfang
Utilitarismus und Vertragstheorie 
als konkurrierende Theorien
Die Utilitaristen sind bei ihren deutschen Kritikern meist schlecht 
weggekommen. Dies hat sich erst in den letzten Jahrzehnten etwas geändert. Vor allem wird die Rolle des Utilitarismus bei der 
Forderung nach 
politischer Demokratie zu wenig gewürdigt. Deshalb soll im Folgenden der Utilitarismus in 
seiner klassischen Version bei Jeremy Bentham dargestellt werden, wobei die 
politischen, insbesondere demokratietheoretischen Konsequenzen der 
utilitaristischen Position im Mittelpunkt stehen sollen. 
Der Utilitarismus war theoriegeschichtlich der Rivale der 
Theorie des Gesellschaftsvertrages und hatte diese im Laufe des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet der 
politischen Philosophie in den angelsächsischen Ländern weitgehend verdrängt. 
Während die Vertragstheorie eine politische Ordnung danach beurteilt, ob diese 
Ordnung aus einer freien Überreinkunft rationaler Individuen hätte hervorgehen 
können, ist für den Utilitarismus entscheidend, ob eine politische Ordnung dem 
Wohlergehen der Menschen möglichst förderlich ist. "Das größte Glück (der größten 
Zahl)!"   war das populäre Motto der Utilitaristen.
Gemeinsam ist beiden Theorien die nicht-religiöse, 
säkulare Orientierung. Es 
wird nicht vom Willen übermenschlicher Wesenheiten oder Autoritäten wie Gott, 
Natur oder Geschichte ausgegangen, die den Menschen die soziale Ordnung  
vorschreiben, sondern die Rechtfertigung und Kritik politischer Ordnungen wird 
allein auf menschliche Vernunft gegründet. Außerdem sind beide Ansätze insofern 
individualistisch, als der Wille bzw. das Wohlergehen der Individuen Bezugspunkt ist und 
nicht das Schicksal überindividueller Wesenheiten wie Rasse, Volk, Staat oder 
soziale Klasse.
Der Utilitarismus ist eine breite philosophische Strömung, deren Quellen unter 
anderem im englischen Empirismus (Francis Bacon) und im 
französischen Materialismus (Helvetius und Holbach) zu suchen 
sind. Besondere Durchschlagskraft erhielt das utilitaristische "Prinzip des 
größten Glücks"   ("maximum happiness principle") durch die Arbeiten von Jeremy Bentham (1748 - 1832), 
der versuchte, diesem Prinzip eine möglichst exakte Form zu geben und es auf die 
Gestaltung der politischen, rechtlichen und ökonomischen Verhältnisse 
anzuwenden. Weitere wichtige Theoretiker mit utilitaristischem Ansatz waren 
William Godwin (1756 - 1836), James Mill (1773 - 1836), mit dem Bentham befreundet 
war, sowie dessen Sohn John Stuart Mill (1806 - 1873), der zugleich Schüler von Bentham war, und schließlich Henry Sidgwick (1838 - 1900).
Die Demokratiekonzeption bei William Godwin
William Godwin, ein Zeitgenosse Benthams schreibt in seiner "Enquiry Concerning Political Justice"   von 1793: "Moralität ist das 
System des Verhaltens, das bestimmt wird durch die Rücksicht auf das größte 
allgemeine Gut. … In gleicher Weise sind die einzigen Regeln, die irgendeine 
politische Autorität berechtigterweise erzwingen darf, diejenigen, die dem 
öffentlichen Nutzen am angemessensten sind. (Enquiry S. 67, eigene Übersetzungen) ... Eine Form der Regierung ist 
gegenüber einer anderen in genau dem Maße vorzuziehen, wie sie die Sicherheit 
bietet, dass nichts im Namen der Gemeinschaft getan werden soll, das nicht zur 
Wohlfahrt des Ganzen beiträgt."   (Enquiry S. 68)  
Godwin zieht daraus Konsequenzen im Sinne der demokratischen Regierungsform: "Wenn eine Regierung nun einmal notwendig für die Wohlfahrt der Menschheit ist, 
erscheint das wichtigste Prinzip in Bezug auf ihre Struktur Folgendes zu sein:
Da eine Regierung ein Unternehmen im Namen und zum Wohle des Ganzen ist, sollte 
jedes Mitglied der Gemeinschaft einen bestimmten Anteil bei der Entscheidung 
über ihre Handlungen haben. … Demokratie ist ein Regierungssystem, demgemäß 
jedes Mitglied der Gesellschaft als ein Mensch angesehen wird und als sonst 
nichts."   (Enquiry S. 112)  
 
Die Demokratie ist nach Godwin monarchischen und aristokratischen 
Regierungsformen überlegen, obwohl die Gefahr besteht, dass durch das Prinzip 
der demokratischen Gleichheit die Weisen den Nicht-Weisen 
zahlenmäßig unterlegen 
sein könnten. Allerdings glaubt Godwin an eine erzieherische Wirkung der 
Demokratie: "Demokratie stellt im Menschen wieder ein Bewusstsein seines Wertes 
her, sie lehrt ihn, durch die Beseitigung von Autorität und Unterdrückung, nur 
den Ratschlägen der Vernunft zu folgen. Nichts wäre unvernünftiger als von den 
Menschen, wie wir sie jetzt vorfinden, auf die Menschen zu schließen, wie sie in 
Zukunft beschaffen sein können."   (Enquiry S. 203)
Damit kommt Godwin - allerdings auf einem anderen Begründungsweg - 
so wie der Vertragstheoretiker Rousseau zur Forderung nach Teilnahme aller 
Bürger an der Gesetzgebung und nach gleichem Stimmrecht.   
Der ethische und der 
psychologische Hedonismus bei Bentham
Gegenüber der Theorie des Gesellschaftsvertrages, die nach Ansicht Benthams auf einer 
unzulässigen Fiktion beruht (Parekh, B. Hrsg.: Bentham's Political Thought, 
London 1973, S. 317), und gegenüber Naturrechtstheorien, 
von denen jede Variante andere Rechte als "natürlich"   behauptet, will Bentham die 
normative Theorie von Politik und Recht auf eine tragfähige und, wie er meint, 
letztlich empirische Grundlage stellen, denn er hält 'Glück' für eine im 
Prinzip empirisch-psychologisch messbare Größe, die sich aus Lust- und 
Schmerzempfindungen zusammensetzt.
Insofern hat Bentham eine hedonistische Auffassung des Guten (von 
griechisch "hedone"   = 
"Lust"  ). "Schlechtes ist Schmerz oder die Ursache von Schmerz. Gutes 
ist Lust oder die Ursache von Lust." (Bentham, J.: Theory of Legislation, 
London 1904, zuerst 1802 auf Französisch, S.2, eigene Übersetzungen) Nach Benthams Auffassung ist derjenige 
ein Anhänger des Utilitarismus, der seine "Billigung oder 
Missbilligung einer öffentlichen oder privaten Handlung an ihrer Tendenz 
bemisst, Lust oder Schmerz hervorzubringen."   (S.3)
Dieser ethische Hedonismus, der fordert, 
dass die Menschen im Sinne des größten Glücks (d. h. des größten 
Übergewichts von Lust über Schmerz) handeln sollen, verbindet sich bei den älteren 
Utilitaristen gewöhnlich mit der  Annahme eines psychologischen Hedonismus, der 
besagt, dass jeder Mensch tatsächlich sein eigenes Glück anstrebt: "Die Natur 
hat die Menschheit unter die Herrschaft von Lust und Schmerz gestellt. Ihnen 
schulden wir all unsere Vorstellungen, wir beziehen auf sie all unsere Urteile 
und alle Bestimmungen unseres Lebens. ... Das Nutzenprinzip unterwirft alles 
diesen zwei Motiven"   (Bentham, J.: An Introduction to the Principles of 
Morals and Legislation, New York 1948, zuerst 1789, S. 2).
Die Annahme der Mündigkeit der 
Individuen
Weiterhin nimmt Bentham an, dass in der Regel 
jedes Individuum selber am besten erkennen kann, was seinem eigenen Glück 
förderlich ist: "Der größte mögliche Spielraum sollte den Individuen in all 
jenen Fällen gelassen werden, in denen sie niemandem als sich selbst schaden 
können, denn sie sind die besten Richter ihrer eigenen Interessen. Wenn sie sich 
täuschen, kann angenommen werden, dass sie ihr Verhalten sofort ändern werden, 
wenn sie ihren Irrtum erkennen. " (Parekh, S. 63)
Bei Bentham (und auch bei anderen Utilitaristen) finden sich also folgende 
ethische und psychologische Annahmen:
1. Es soll das größte Glück der Menschen angestrebt werden, denn nur Lust bzw. 
die Ursache der Lust ist gut. (universaler ethischer Hedonismus)
2. Das gesamte Glück ergibt sich aus der gleichgewichtigen Zusammenfassung des 
Glücks der Einzelnen. (Gleichheit der Individuen)
3. Jeder Mensch strebt tatsächlich nach seinem eigenen Glück (psychologischer 
Hedonismus)
4. In der Regel weiß jeder Mensch am besten, was seinem Glück förderlich ist 
(Annahme aufgeklärter Interessen, Mündigkeit)  
Aus diesen Grundannahmen ergibt sich für Bentham politisch 
nun die Forderung nach Demokratie, wobei ihm vor allem das 
Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika vorschwebt: "Wenn es um das Glück 
der Menschen geht und wenn die Menschen am besten wissen, was ihrem jeweiligen 
Glück förderlich ist, und dies auch tatsächlich anstreben, so müssen die 
Menschen selber die sie betreffenden politischen Entscheidungen treffen. Die 
grundlegende Autorität (constitutive authority) eines Staates muss deshalb bei 
seinen Einwohnern liegen."    
Die fragwürdige Handhabung des allgemeinen Wahlrechts 
durch Bentham
Allerdings schließt Bentham paradoxerweise dann Frauen, Heranwachsende, 
Analphabeten und Ausländer vom Wahlrecht aus (Parekh, S. 207 ff.) Anscheinend gibt 
es Bedingungen, unter denen die Interessen der Individuen doch besser 
stellvertretend von anderen wahrgenommen werden. Das heißt jedoch, dass die 
Annahme, jedes Individuum könne selber am besten entscheiden, was in seinem 
Interesse liegt, hier fallen gelassen wird.
In Bezug auf Nicht-Erwachsene mag die Annahme der Unmündigkeit noch am 
unproblematischsten sein. In Bezug auf Individuen, die nicht Lesen und Schreiben 
können, ist die Annahme der Unmündigkeit schon problematischer, vor allem wenn 
man bedenkt, dass zu Benthams Zeiten damit erhebliche Anteile der erwachsenen 
Bevölkerung, vor allem die "arbeitenden Klassen", von der politischen 
Einflussnahme ausgeschlossen wurden.  
Sicherlich war Benthams Einstellung beeinflusst durch das Bestreben, die sich 
entwickelnde Industriearbeiterschaft von der Einwirkung auf die Gesetzgebung 
fernzuhalten bzw. sie nur allmählich zuzulassen. Denn Bentham war ein 
entschiedener Anhänger des Privateigentums und der kapitalistischen 
Marktwirtschaft, und er befürchtete offenbar Gefahren für das große 
Grund- und Kapitaleigentum bei einer plötzlichen Zulassung aller erwachsenen 
Männer zur Wahl.
So veröffentlichte Bentham 1787 eine Abhandlung mit dem Titel "Eine Verteidigung des 
Wuchers"   gegen die Absicht des Parlaments, die Höhe der Zinssätze gesetzlich zu 
beschränken, worauf ihm der geistige Vater der kapitalistischen 
Marktwirtschaft, Adam Smith, als Anerkennung seine Werke übersandte. Und Karl 
Marx wandelte das Motto der französischen Revolution ironisch ab in die Formel: "Freiheit, Gleichheit, Bentham."  
  
Liegt in den Beschränkungen des Wahlrechts bereits eine gewisse Inkonsequenz 
gegenüber den theoretischen Grundannahmen des Utilitarismus vor, so wird dies 
noch deutlicher beim Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht. Dieser Ausschluss 
wurde meist bejaht, obwohl es zahlreiche hoch gebildete Frauen gab. Zwar war 
Bentham in seinen späteren Jahren im Prinzip für das Frauenwahlrecht, aber er 
hielt das allgemeine Bewusstsein dafür noch nicht reif: "Die Auseinandersetzung 
und die Verwirrung, die durch den Vorschlag ... hervorgerufen 
würde, würde das öffentliche Bewusstsein völlig mit Beschlag belegen, unsere 
Reformen in allen andern Bereichen zurückwerfen."   (Nach McPherson, C.B.: 
The Life and Time of Liberal Democracy, 1977, S.36).  
Bentham argumentiert also gegen die Einführung des Frauenwahlrechts mit dem 
Hinweis auf die starken Widerstände gegen dessen Einführung. Er verschiebt damit 
die Diskussion von der grundsätzlichen Ebene auf die Ebene der momentanen 
Opportunität.  
Bei den Ausländern könnte man den Ausschluss vom Wahlrecht dadurch 
rechtfertigen, dass diese sich nur kurzfristig im Lande aufhalten und deshalb 
von den zum Teil langfristig wirksamen Konsequenzen politischer Entscheidungen 
und Gesetze nur am Rande betroffen sind.
Der nationale Bezugsrahmen
Dabei wechselt Bentham wie 
selbstverständlich von der Ebene der Menschheit auf die Ebene der eigenen Nation. Er schreibt in seinem Verfassungsentwurf: "Diese Verfassung 
hat zum allgemeinen Ziel das größte Glück der größten Zahl, nämlich der 
Mitglieder dieses politischen Staates: mit anderen Worten, die Förderung ihrer 
Interessen."   (Parekh, S.195) Dass sich aber aus der Verfolgung der Interessen einer 
Nation Probleme ergeben könnten für Individuen, die nicht dieser Nation 
angehören, wird von Bentham nicht weiter problematisiert. Hier siegt bei ihm offenbar 
die nationalstaatliche Gesinnung über die Logik des eigenen Ansatzes.
Orientierung der Wähler am allgemeinen oder 
am individuellen Interesse?  
Sieht man einmal von den Beschränkungen beim Wahlrecht und der national 
beschränken Perspektive ab, so bleibt als Grundsatz, dass die politischen 
Entscheidungen entweder direkt oder indirekt über gewählte Vertreter von den 
Einwohnern selber getroffen werden sollen. Von der Wählerschaft sagt Bentham: "Deren beständiger Wille ist es (denn etwas anderes kann man nicht annehmen), 
das nationale Glück, das Glück der größten Zahl zu maximieren."   (Parekh, S.218)
Hier stellt sich jedoch sofort die Frage, wie man diese Aussage interpretieren 
soll. Einige Autoren, wie zum Beispiel Schumpeter, meinen, die utilitaristischen 
Väter der demokratischen Doktrin seien von der Annahme ausgegangen, dass sich 
die Individuen als Wähler am Gemeinwohl orientieren, so wie Rousseau, der 
ausdrücklich forderte, dass sich die Individuen bei der Abstimmung immer die 
Frage vorlegen: "Was ist im allgemeinen Interesse?"   
In Bezug auf Bentham jedoch erscheint eine solche Interpretation äußerst 
unwahrscheinlich, da für Benthams Denken die Annahme des psychologischen 
Hedonismus, also das Streben nach dem eigenen Glück, einen sehr zentralen Platz 
einnimmt. Deshalb wäre es äußerst unverständlich, wenn Bentham für die 
Entscheidung der einzelnen Wähler plötzlich annehmen würde, dass sie nicht am 
eigenen Interesse sondern am Gesamtinteresse der Gesellschaft orientiert sind.
Im Rahmen des Ansatzes von Bentham erscheint deshalb eine andere Interpretation 
erforderlich für die Behauptung, dass die Wählerschaft beständig das Glück der 
größten Zahl "zu maximieren bestrebt ist."   (Parekh, S. 218) Wie lässt sich das Paradox 
auflösen, dass jedes Individuum als einzelnes sein eigenes Glück anstrebt, dass 
jedoch die Individuen als Gesamtheit das allgemeine Glück anstreben?
Das Mehrheitsprinzip als Transformator der 
individuellen Interessen in ein kollektives Interesse
Die Lösung ergibt sich meines Erachtens durch die zusätzliche Annahme, dass die 
kollektiven politischen Entscheidungen durch Abstimmungen nach dem 
Mehrheitsprinzip getroffen werden. Wenn ein Kollektiv nach dem Mehrheitsprinzip 
abstimmt und jeder Wähler diejenigen Wahlbündnisse eingeht, die für ihn ein 
möglichst vorteilhaftes Wahlergebnis erbringen, so führt dies in der Regel dazu, 
dass eine Alternative gewählt wird, die auch dem allgemeinen Interesse 
entspricht.
Wenn von zwei Alternativen x und y die 
Alternative x den Interessen einer Mehrheit der Individuen entspricht, so 
bedeutet dies, dass bei Realisierung von x eine zahlenmäßig größere Gruppe 
Vorteile hätte als bei Realisierung von y.  Die Vorteile der größeren Gruppe 
bei Realisierung der Alternative x überwiegend die Vorteile der kleineren Gruppe 
bei Realisierung der Alternative y, sofern die Individuen annähernd gleich stark 
betroffen sind.
Da das allgemeine Interesse nach Bentham nichts anderes ist als die 
Zusammenfassung der individuellen Interessen, spielt die Zahl der jeweils 
positiv oder negativ in ihren Interessen Betroffenen eine wichtige Rolle bei der 
Frage, welche Alternative das allgemeine Glück maximiert: "Die 
Anzahl", so schreibt Bentham, "ist der Umstand, der verhältnismäßig am stärksten 
zur Bildung des Standards des größten Glücks beiträgt"   (Parekh, S.322). Dies macht 
auch die (allerdings unklare) Formel vom "Größten Glück der größten Zahl"   
deutlich.
Unter den genannten 
Voraussetzung bewirkt das Mehrheitsprinzip also, dass das eigeninteressierte 
Abstimmungsverhalten der Individuen zu einer Entscheidung führt, die dem 
allgemeinen Interesse am besten entspricht. 
Die Grenzen einer Bestimmung des Gesamtinteresses durch 
Verfahren
Das Problem bei dieser Konstruktion ist allerdings, dass die Anwendung des 
Mehrheitsprinzips keineswegs eine Entscheidung im Sinne eines solidarisch bestimmten Gesamtinteresses garantieren kann: 
Zum einen können sich die Individuen in Bezug auf ihre eigene Interessenlage auch einmal 
täuschen, zum andern bedeutet die zahlenmäßige Überlegenheit der Mehrheit noch 
nicht unbedingt, dass auf ihrer Seite das überwiegende Interesse liegt, denn
es 
kommt auch darauf an, wie stark die einzelnen Individuen in ihren Interessen 
durch die Entscheidung betroffen sind.
Deshalb ist es denkbar, dass das überwiegende  Interesse auch bei der 
Minderheit liegt. Dies ist z. B. der Fall, wenn für die Individuen, die in der 
Minderheit sind, mit der Entscheidung sehr schwere Nachteile verbunden sind, 
während die Individuen, die in der Mehrheit sind, dadurch nur relativ geringe 
Vorteile haben. Dieser Fall, dass das überwiegende Interesse nicht bei der 
Mehrheit sondern bei der Minderheit liegt, ist vor allem dann möglich, wenn die 
Mehrheit knapp ist. Das Mehrheitsprinzip bewirkt dann zwar das Glück der größten 
Zahl, jedoch nicht das größte Glück, um in der Sprache von Bentham zu sprechen.
Diese Überlegungen zeigen, dass - gemäß der utilitaristische Theorie - 
die Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip zwar in vielen Fällen ein geeignetes 
Verfahren zur groben Ermittlung des Gesamtinteresses darstellt, 
dass jedoch ein 
solches Verfahren die richtige Entscheidung nicht garantieren kann und deshalb 
die argumentative Bestimmung des Gesamtinteresses auch nicht überflüssig machen 
kann.  
Zugespitzt gesprochen heißt das: Kein Normsetzungsverfahren kann die argumentative Wahrheitssuche in normativen Fragen ersetzen. Auch 
verfahrensmäßig völlig korrekt zustande gekommene Mehrheitsentscheidungen können 
inhaltlich falsch sein.  
Diese Überlegungen zeigen, dass Bentham irrte, als er meinte, man könne nichts 
anderes annehmen, als dass die Wählerschaft bestrebt sei, das nationale Glück zu 
maximieren (Parekh, S. 218). Bentham macht hier den gleichen Fehler wie Rousseau, der meinte, man könne ein 
politisches Entscheidungsverfahren bestimmen, 
dessen Resultat den Allgemeinen Willen verkörpere.
Die Annahme Benthams, dass eine nach dem Mehrheitsprinzip ihren Willen bildende 
Wählerschaft notwendig das allgemeine Interesse realisiere, hat Konsequenzen für 
seine Verfassungskonstruktion. Denn die gesetzgebende Versammlung, in die jeder 
Distrikt einen nach dem Mehrheitsprinzip gewählten Abgeordneten entsendet (Parekh, 
S. 208), 
ist mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet (omnicompetent). "Ihren Befugnissen", so sagt Bentham, "sind keine Grenzen gesetzt."   (Parekh, 
S. 216)  
Was 
jedoch Bentham ähnlich wie Rousseau bei seiner Verfassungskonstruktion völlig 
außer Acht lässt, ist das Problem, dass die Mehrheit falsch entscheiden kann, ja 
schlimmer noch, dass die Mehrheit Beschlüsse fassen kann, die der Anwendung des 
Mehrheitsprinzips selber die verfassungsrechtliche Grundlage entziehen.
Das Problem, die gewählten Vertreter zu 
kontrollieren
Im Unterschied zu Rousseau, der meint, bei der Ausübung der gesetzgebenden 
Gewalt dürfe sich kein Bürger durch einen Abgeordneten vertreten lassen, 
sieht 
Bentham im Flächenstaat Großbritannien eine Volksvertretung als 
unumgänglich an. Ihm ist außerdem klar, dass die Gesetzgebung sowie die 
Einsetzung, Kontrolle und Abberufung von Regierung und Verwaltung zeitraubende 
Tätigkeiten darstellen. Bentham sieht deshalb vor, dass die Volksvertretung 
täglich tagt.
Das zentrale Problem der Verfassungskonstruktion besteht für Bentham darin, zu 
verhindern, dass die Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung ihre eigenen 
Interesse verfolgen und nicht die Interessen der Wähler, eine Gefahr, die bei 
seinem Bild von Menschen als einem vor allem eigeninteressierten Wesen natürlich 
nahe liegt.
Er schreibt: "Je größer die Macht ist, die jemand besitzt, desto größer ist die 
Möglichkeit und der Anreiz zu ihren Missbrauch."   (Parekh, S. 200) Deshalb müssen die 
Eigeninteressen der Abgeordneten und das allgemeine 
Interesse jeweils durch entsprechende Anreize und Sanktionen zur Übereinstimmung gebracht werden. Die Verhältnisse sollen 
für jeden Inhaber eines politischen Amtes so gestaltet werden, "dass in jedem 
Fall der Handlungsverlauf, wie er von dessen besonderem Interesse vorgeschrieben 
wird, so weit wie möglich mit dem Handlungsverlauf übereinstimmt, ... wie er 
durch seine Pflicht vorgeschrieben wird."   (Parekh, S. 203f.) 
Im Falle der Abgeordneten 
soll die ständige Drohung, abgewählt oder sogar vor Gericht gestellt zu werden, bewirken, dass sich die 
Abgeordneten in ihrem eigenen Interesse gemäß dem Interesse der von ihnen 
vertretenen Wähler 
verhalten.
Während Rousseau eine Gesetzgebung durch Volksvertreter ablehnt, weil kein 
vernünftiger Mensch versprechen könne, dass er auch morgen so handeln wollen 
werde, wie der von ihm gewählte Abgeordnete, hält Bentham das Problem der 
Verselbständigung der Volksvertretung vom Willen ihrer Wähler für lösbar durch 
das Recht der Wähler, jederzeit den von ihnen entsandten Abgeordneten 
abzuberufen (Parekh, S. 207).
Bedingungen für das gewünschte Wirken des 
Mehrheitsprinzips
Eine Vorraussetzung dafür, dass die Mehrheitsentscheidungen überhaupt zu 
akzeptablen Resultaten führen, ist die, dass die Wähler bei der Stimmabgabe 
zumindest annäherungsweise ihr wirkliches Interesse ausdrücken.  
Das setzt zum einen eine gewisse Informiertheit bei den Individuen voraus, die 
jedoch ohne Meinungs- und Diskussionsfreiheit nicht möglich ist.  
Zum anderen muss das Individuum bei der Stimmabgabe eine wirkliche Wahl zwischen 
den relevanten Alternativen treffen können, was unmöglich ist, wenn es nicht das 
Recht hat, notfalls eigene Wahlvorschläge zu initiieren.  
Zum Dritten darf die Wahl nicht durch Drohungen verfälscht werden, was 
freie und 
geheime Abstimmungen erforderlich macht.  
Nur bei Gewährleistung dieser politischen Grundrechte kann eine Wahl als 
Ausdruck für die wirklichen Interessen der Wähler angesehen werden, und nur dann 
macht das Mehrheitsprinzip überhaupt einen Sinn. Deshalb müssen Grundfreiheiten 
wie die Freiheit der Information und der Meinungsäußerung, sowie das gleiche, freie 
aktive und passive Wahlrecht auch im Rahmen eines utilitaristische Ansatzes 
verfassungsmäßig garantiert sein, d. h. sie müssen der Einschränkung durch 
Mehrheitsbeschlüsse entzogen bleiben.
In seiner Schrift "On Liberty"   hat später John Stuart Mill (ein Schüler von 
Bentham, der allerdings dessen Position erheblich 
modifizierte) die Notwendigkeit des verfassungsmäßigen Schutzes bestimmter 
politischer Grundfreiheiten eindringlich begründet. In der Einleitung schreibt 
er: "Die Feststellung, dass das Volk es nicht nötig hat, seine Macht über sich 
selbst zu beschränken, mochte als axiomatisch erscheinen, als eine demokratische 
Regierungsform noch etwas war, wovon man träumte."   (Mill, J.St.: On 
Liberty, London 1969, zuerst 1859, S. 8)
Zu einer Zeit jedoch, wo eine große Demokratie in Gestalt der Vereinigten 
Staaten von Amerika bereits existiert, sei man kritischer geworden, meinte Mill: "Man begriff nun, dass Formulierungen wie 'Selbstregierung' und 'die Macht des 
Volkes über sich selbst' nicht den wahren Sachverhalt ausdrücken. Leute, die die 
Macht ausüben, sind nicht immer dieselben Leute, wie die, über die Macht 
ausgeübt wird. Und jene Regierung, von der gesprochen wird, ist nicht die 
Regierung eines jeden durch sich selbst, sondern eines jeden durch alle übrigen.
Der Wille des Volkes besteht darüber hinaus praktisch in dem Willen des 
zahlenmäßig stärksten oder des aktivsten Teil des Volkes, also der Mehrheit oder 
jenen, denen es gelingt, als Mehrheit anerkannt zu werden. Das Volk mag folglich 
den Wunsch haben, einen Teil seiner Mitglieder zu unterdrücken, und Vorkehrungen 
werden ebenso gegen diesen Missbrauch von Macht benötigt wie gegen jeden 
anderen. Deshalb verlieren die Begrenzungen der Regierungsmacht über die 
Individuen nichts von ihrer Bedeutung, wenn die Träger der Macht regelmäßig der 
Gemeinschaft, d. h. der stärksten Partei darin, Rechenschaft schuldig sind."   (S. 8).
***
Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
       
    Utilitarismus - Kritik und Neubegründung *** (26 
    K)
      
 Bentham - Leben und Werk ** (28 K) 
***
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Begründung der Demokratie"  
Letzte Bearbeitung 09.08.2011 / Eberhard Wesche
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