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Mehrheitsprinzip - eigene Diskussionsbeiträge
(aus der Diskussion bei PhilTalk)
***
Was ist der der Wille der 
Mehrheit?
Nehmen wir ein Beispiel, bei dem sich ein Kollektiv, bestehend aus den 5 
Individuen A, B, C, D und E zwischen den 4 Alternativen w, x, y und z entscheiden muss. 
[Es muss also feststehen, wer wahl- oder abstimmungsberechtigt ist.]
Die Bewertung der Alternativen durchy die einzelnen Individuen wird durch eine 
entsprechende Rangfolge der Alternativen wiedergeben.[Dabei ist zu beachten, 
dass hier jeder Teinehmer seine Präferenzordnung selber bestimmt. Wenn die 
"wirklichen" Präferenzordnungen der Individuen herangezogen werden, kann es zu 
anderen Ergebnissen kommen. Um Missverständnisse möglichst zu vermeiden, sollte 
man zwischen einem "Mehrheitssystem" und einer "Mehrheitsregel" unterscheiden. 
Das Mehrheitssystem ist eine soziale Institution, die Mehrheitsregel ein 
mathematischer Algorhythmus.]
 
In der folgenden Tabelle sind die angenommenen Präferenzen der Mitglieder A, B, 
C, D und E in Bezug auf die Vorschläge w, x, y und z eingetragen:
| A | B | C | D | E | |
| 1.Rang | y | y | x | z | w | 
| 2.Rang | z | x | z | x | x | 
| 3.Rang | w | z | y | y | y | 
| 4.Rang | x | x | w | w | z | 
Die Frage ist: Welche der 
Alternativen entspricht dem Willen der Mehrheit?
Um das herauszufinden, wird abgestimmt.
Angenommen, die Individuen stimmen "aufrichtig"   ab, d. h. jeder gibt seine 
Stimme der von ihm favorisierten Alternative, seiner "Spitzenalternative". Dann 
stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für z und E für w. 
In diesem Fall erhält keine der Alternativen eine (absolute) Mehrheit 
(englisch 'majority') der Stimmen. 
Die Alternative y erhält jedoch eine relative Mehrheit (englisch 'plurality') 
der Stimmen gegenüber 
den andern Alternativen. Y bekommt 
mit 2 Stimmen mehr Stimmen als irgendeine andere Alternative, da diese jeweils 
nur 1 Stimme erhalten.
Das Abstimmungsverfahren, bei dem derjenige Vorschlag siegt, der die meisten 
Stimmen erhält, wird als "Verfahren der relativen 
(einfachen) Mehrheit" bezeichnet.
Ist y nun das, was die Mehrheit will? 
Aus den Präferenzordnungen der Tabelle ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit 
(C, D und E) die Alternative x besser ist als y. Insofern will die Mehrheit also 
eher x als y.
Angenommen, anschließend wird nach der "Regel der absoluten Mehrheit ("Als kollektiv gewählt gilt diejenige 
Alternative, die mehr als die Hälfte der Stimmen erhält") und mit den Stimmen 
von A, C und D wird die 
Alternative z gewählt. 
Ist z nun das, was die Mehrheit will? 
Aus den Präferenzordnungen der Tabelle ist 
zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x besser ist als 
z. Insofern will die Mehrheit also eher x als z. Die Alternative x wird auch 
gegenüber den Alternativen w und y von einer Mehrheit vorgezogen.
Eine solche Alternative, die bei paarweisen Abstimmungen mit jeder der anderen 
Alternative eine Stimmenmehrheit erhält, wird als "Mehrheitsalternative" 
oder nach ihrem "Entdecker" auch als Condorcet-Sieger (englisch: Condorcet 
winner)   
bezeichnet. In unserem Beispiel ist x die Mehrheitsalternative. Die 
Mehrheitsalternative ist also das, was die Mehrheit will.
Wie man sieht, sind die Ergebnisse der verschiedenen Wahlverfahren (Regel der 
relativen Mehrheit, Regel der absoluten Mehrheit etc.) von der jeweiligen 
Abstimmungsstrategie der 
Individuen abhängig und sind deshalb wenig aussagekräftig. Man kann jedoch zeigen, 
dass sich eine vorhandene 
Mehrheitsalternative in allen gleichgewichtigen Wahlverfahren durchsetzt, wenn 
jedes 
Individuum so abstimmt, dass das bestmögliche Ergebnis für es selbst erzielt wird.
Alle gleichgewichtigen Wahlverfahren, bei denen sich 
eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im 
Einklang mit dem Mehrheitsprinzip.
Dazu noch eine Anmerkung: Wenn die 
Gruppenentscheidung nicht nur aus den 
Präferenzrangfolgen der Individuen abgeleitet wird, sondern Zufallsverfahren 
wie z.B. Losentscheid dabei mitwirken, so handelt es sich nicht mehr um ein gleichgewichtiges 
Wahlverfahren im obigen Sinne, weil die Präferenzrangfolgen gar nicht 
berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Verfahren mit 
Chancengleichheit der Individuen. Eine ungerechte Verteilung der Nutzen und 
Kosten auf die Individuen wird nicht dadurch akzeptabler, dass die Verteilung 
ausgelost wurde. Dass die Auslosung "fair" im Sinne von Chancengleichheit war, 
macht sie nicht gerechter.  
***
Die Äquivalenz aller Abstimmungsverfahren, die den Präferenzen der Einzelnen ein gleiches Gewicht geben
Das Mehrheitsprinzip als Regel einer kollektiven Entscheidung besagt, dass 
derjenige Vorschlag kollektiv gewählt ist, 
der bei einer paarweisen 
Abstimmung mit jedem anderen Vorschlag siegt. 
(Wenn kein Vorschlag diese Bedingung erfüllt und somit keine 
Mehrheitsalternative existiert, bleibt es beim Status quo.) 
Nun muss man ein derart aufwendiges Verfahren, bei dem jeder Vorschlag einzeln 
mit jedem andern Vorschlag verglichen wird, zum Glück nicht tatsächlich 
durchführen, denn es lässt sich zeigen,  
dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in jedem Abstimmungsverfahren 
durchsetzt, sofern die folgenden Bedingungen gegeben sind:
 
1. Die Präferenzen der Teilnehmer an der Abstimmung in 
Bezug auf die zur Entscheidung stehenden Alternativen (Kandidaten) bilden die 
alleinigen Daten für die Aggregation. Die Individuen haben gleiches Gewicht.
 2. Jeder 
Teilnehmer kennt die Präferenzordnungen der anderen Teilnehmer 
bezüglich der zur Abstimmung stehenden Vorschläge (Alternativen).
3. Die Teilnehmer können verbindliche Absprachen darüber treffen, wie sie stimmen 
werden.
4. Jeder Teilnehmer trifft diejenigen Absprachen, die zu dem für ihn selbst 
bestmöglichen Ergebnis führen.
(Achtung: Zufallsverfahren sind keine 
Abstimmungs- bzw. Wahlverfahren im obigen Sinne, weil dabei die  
Präferenzen der Teilnehmer überhaupt nicht berücksichtigt werden!.)
Unter diesen Bedingungen 
setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative z. B. auch bei einer Abstimmung 
durch, die nach der Regel der relativen (einfachen) Mehrheit abläuft. ("Der Vorschlag, der die meisten 
Stimmen bekommt, gilt als kollektiv 
gewählt.")  
Die Begründung für das skizzierte Äquivalenz-Theorem ist einfach:
Wenn eine vorhandene Mehrheitsalternative m nicht gewählt wird sondern 
stattdessen 
irgendeine andere Alternative y, dann hätten diejenigen, für die m besser ist 
als y, sich zusammentun können und mit ihrer Mehrheit und ihrem größeren 
Stimmgewicht die für sie bessere Mehrheitsalternative m durchsetzen können.
***
Die "unsichtbare Hand in der Demokratie
Die hier vertretene Interpretation des 
Mehrheitsprinzips
fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass 
das für ihn selber beste Ergebnis herauskommt. 
Dabei kommt es automatisch zu Wahlabsprachen und Wahlbündnissen.
Diese Freisetzung des "(Gruppen-)Egoismus"   
erscheint auf den ersten Blick unverständlich und falsch. 
Das Überraschende bei Abstimmungen 
nach dem Mehrheitsprinzip ist aber nun, dass das eigeninteressierte 
Verhalten der Beteiligten zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, also 
derjenigen Alternative, die im Paarvergleich "jeder gegen jeden"   immer die 
Mehrheit der Stimmen gewinnt.
Es wirkt hier eine Art "invisible 
hand"   wie in einer Marktwirtschaft unter Konkurrenz. Weil die 
Kapitaleigentümer möglichst 
hohe Profite machen wollen, fließt Kapital in Branchen mit hohen Gewinnspannen 
und starker Nachfrage. 
Dadurch erhöht sich jedoch das Angebot. Die Preise sinken und die 
Gewinnspannen gleichen sich dem Durchschnitt an. Gerade das eigeninteressierte 
Verhalten der Einzelnen in der Marktwirtschaft führt also unter Konkurrenzbedingungen zu einer Lenkung 
der Investitionen in Bereiche mit relativ starker Nachfrage und damit zu einem allgemein 
erwünschten Ergebnis.
In analoger Weise führt 
im politischen Bereich gerade die Orientierung an den eigenen Interessen bei der 
Bildung von Wahlbündnissen zur 
Durchsetzung einer vorhandenen Mehrheitsalternative und damit zu einem Resultat, das in der 
Regel auch unter dem 
Gesichtspunkt des Gemeinwohls akzeptabel ist.
***
Die Nicht-Berücksichtigung der Präferenzintensitäten bei Einzelentscheidungen
Wenn man annehmen kann, dass die 
Abstimmenden von der anstehenden Entscheidung 
in ihren Interessen annähernd gleich stark betroffen sind, 
so gibt es gute Gründe dafür, dass die Befriedigung der Interessen der Mehrheit 
Vorrang erhält gegenüber der Befriedigung der Interessen der Minderheit. 
Das Mehrheitsprinzip kann jedoch auch dazu führen, 
dass eine schwach betroffene 
Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt. Dies ist umso 
problematischer, je knapper die Mehrheit dabei ist. In solchen Fällen 
sollte das Mehrheitsprinzip nicht angewendet werden.
Bei isolierten Abstimmungen über einzelne Probleme besteht die erhöhte Gefahr, dass 
Minderheiten in ihren elementaren Interessen überstimmt werden. (Dies gilt nicht 
bei Abstimmungen über Punkte, die alle gleichermaßen  angehen wie z. B. Verfassungsänderungen.) 
Wenn dagegen über umfangreiche 
Programme abgestimmt wird, die ein Bündel zahlreicher Vorschläge beinhalten, 
ist diese Gefahr weitaus geringer, denn die Abstimmenden wählen die Programme 
danach aus, ob diese in Bezug auf die für sie entscheidenden Punkte
in 
ihrem Sinne gestaltet sind und weil von der Politik einer ganzen 
Legislaturperiode alle Bürger annähernd gleich stark betroffen sind.
***
Das Mehrheitsprinzip erfüllt 
verschiedene wünschenswerte Bedingungen:
Es erfüllt zum einen die Bedingung der 
Anonymität in Bezug auf die 
Abstimmenden. 
Es spielt 
keine Rolle, um wessen Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel können 
deshalb geheim ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden 
Individuums zu erfassen.
Weiterhin erfüllt das Mehrheitsprinzip die Bedingung der 
Neutralität gegenüber den zur 
Entscheidung stehenden Alternativen. 
Das heißt, dass kein Vorschlag gegenüber den anderen Vorschlägen irgendwie 
bevorzugt oder benachteiligt wird. Das ist z.B. der Fall bei Veto-Regeln und 
Sperrminoritäten.
Selbstverständlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch die Bedingung der 
Nicht-Diktatur. 
Das heißt dass kein Individuum mit seinen Präferenzen allein entscheidend ist.
Schließlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch noch die Bedingung der 
positiven Berücksichtigung der 
individuellen Präferenzen. 
Es aggregiert die individuellen Interessen gewissermaßen "wohlwollend".
***
Das Mehrheitsprinzip führt bei 
Anwendung auf mehrere Entscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, 
ob und wie 
man die einzelnen Entscheidungen zu einem Bündel zusammenfasst. 
Man kann über jeden Tagesordnungspunkt einzeln abstimmen - also gar keine 
Bündelung vornehmen - , man kann alle Punkte zu einem umfangreichen "Paket" 
bündeln. Denkbar sind jedoch auch mehrere Teilbündel. Ich schlage vor, diese Eigenschaft 
von kollektiven Entscheidungsregelnals "Bündelungsempfindlichkeit" zu bezeichnen. 
Diese Bündelungsemfindlichkeit hängt damit zusammen, dass die Mehrheitsregel als 
Entscheidungsgrundlage nur die Präferenzordnungen der Abstimmenden 
berücksichtigt. Das bedeutet, dass nur erfasst wird, 
ob eine Alternative x für ein Individuum besser ist als die 
Alternative y oder nicht. Es wird jedoch nicht erfasst, um 
wieviel die 
Alternative x für das Individuum besser ist als y. Der wertmäßige Abstand 
zwischen den Alternativen bleibt also unberücksichtigt. 
Es spielt deshalb für das Ergebnis einer Abstimmung keine Rolle, ob eine 
Alternative x für den Abstimmenden nur unwesentlich besser ist als eine 
Alternative y oder ob x ideal und y katastrophal für das Individuum ist: In 
beiden Fällen ergibt sich x > y.
***
Wenn man Serien von 
Einzelentscheidungen zu einer Gesamtentscheidung bündelt, dann wirken sich die 
subjektiven Wertabstände zwischen den Alternativen aus.
Weil bei einer 
Bündelung der Einzelentscheidungen zu umfassenden Programmen berücksichtigt 
wird, wie wichtig einem Individuum die einzelnen Punkte des Programms sind, ist 
eine Entscheidung über solche Programme aussagekräftiger als isolierte 
Abstimmungen über die einzelnen Punkten, bei denen dies nicht möglich ist. 
Eine Parteiendemokratie ist deshalb einer direkten Demokratie mit voneinander 
isolierten Abstimmungen zu den einzelnen Punkten überlegen. 
Dazu ein konkretes Beispiel.
Rentner A 
steht vor der Entscheidung zwischen dem Wahlprogramm der Orange-Partei und dem 
Wahlprogramm der Blau-Partei. 
Am Programm der Orange-Partei gefallen Rentner A mehrere Punkte nicht: 1. dass 
die Benzinsteuer erhöht werden soll, 2. dass Schulgebühren eingeführt werden 
sollen und 3. dass im öffentlichen Dienst Personal abgebaut werden soll.
Am Programm der Blau-Partei gefällt Rentner A nur ein Punkt nicht, der besagt, 
dass die Rentenversicherung nicht mehr aus Steuermitteln bezuschusst werden 
soll.
Da die Höhe der Rente für A von elementarem Interesse ist während die andern 3 
Punkte für A keine so große Rolle spielen, wählt Rentner A trotzdem die 
Orange-Partei.
Dadurch bekommen die Punkte Benzinsteuererhöhung, Schulgebührenerhöhung und 
Personalabbau im öffentlichen Dienst die Stimme von Rentner A, die sie bei 
Einzelabstimmungen niemals erhalten hätten.
Auf parlamentarischer Ebene folgt daraus, dass die Abgeordneten der regierenden 
Koalitionsparteien auf das gesamte Regierungsprogramm eingeschworen werden 
müssen und sich bei den Abstimmungen zu den einzelnen Gesetzen an die 
Fraktions- und Koalitionsdisziplin 
halten müssen.
***
  Im Mehrheitsprinzip haben alle 
  Beteiligten das gleiche Stimmrecht. D.h., dass ihre Interessen gleichgewichtig 
  in die kollektive Entscheidung eingehen. Man könnte annehmen, dass dadurch die 
  Vormachtstellung von Gruppen unmöglich gemacht wird. Dies ist jedoch ein 
  Irrtum. 
  Demokratie kann ohne weiteres einhergehen mit der Vorherrschaft 
  einzelner Gruppen.  
    
  
  
  
  Wenn in einer gegebenen Wahlsituation eine bestimmte Gruppe Machtpositionen 
  innehat, so kann sie diese Machtposition zur Beeinflussung des Wahlergebnisses 
  einsetzen. 
  
  Sie kann dies auf zweierlei Wegen tun. 
  
  Erstens kann sie mit ihren Machtmitteln auf die Meinungsbildung Einfluss 
  nehmen. 
  
  Zum andern kann sie ihre Machtposition auch dazu gebrauchen, dass es bei einem 
  für sie ungünstigen Wahlergebnis, zu Folgewirkungen kommt, die für eine 
  Mehrheit der Wähler sehr negativ sind. Da die Wähler dies wissen, verzichten 
  sie von vornherein auf ein Votum, das die mächtige Gruppe beeinträchtigen 
  würde. 
  
  Ein Beispiel für diesen Mechanismus ist das Problem der Kapital- und 
  Steuerflucht. Wenn mehrheitlich eine Politik beschlossen würde, die die 
  Interessen der Vermögenden angreift, so wären Kapitalflucht und Steuerflucht 
  die Folge. Dies würde zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen.
  
  Es ist also im Interesse der Wähler, dass ein solcher Fall nicht eintritt.
  
  Wie ist so etwas möglich, wo doch die Wahlentscheidung aller Beteiligten 
  geheim bleibt und frei von Sanktionen und Sanktionsdrohungen ist? 
  
  Durch ihre Machtpositionen können die Mächtigen die zur Verfügung stehenden 
  Alternativen einschränken. Dies kann völlig legal sein und stellt insofern 
  keine unzulässige Erpressung dar. 
  
  Dass es bei der Einführung einer drastischen Vermögenssteuer zu einer Kapital- 
  und Steuerflucht ins Ausland kommt, ist allerdings kein Naturgesetz sondern 
  beruht auf menschlichen Entscheidungen und Handlungen. 
  
  Das heißt: Eine eigentlich vorhandene Alternative (Die Vermögenssteuer wird 
  erhöht, die Vermögen bleiben im Lande und die erhöhten Abgaben werden gezahlt) 
  ist nicht verfügbar, weil die Vermögenden in einer bestimmten Weise auf einen 
  für sie nachteiligen Mehrheitsbeschluss reagieren würden.
  
  Entsprechendes gilt für andere Machtpositionen. Etwa wenn zum Zeitpunkt der 
  Wahl das Militär eine Machtposition einnimmt und im Falle eines Wahlerfolges 
  einer radikalen Partei, deren Ziele sie nicht billigen, per Staatsstreich die 
  Macht übernimmt.
  
  Um dies zu vermeiden, verzichten viele Wähler dann von vornherein auf die Wahl 
  der radikalen Partei. 
  
  Durch die Machtposition wird die äußerlich freie Wahlentscheidung insofern 
  verändert, als der Bereich der verfügbaren Alternativen eingeschränkt wird. 
  Die eigentlich mögliche Alternative: "Die radikale Partei erhält die Mehrheit 
  und das Militär hält still"   ist damit nicht mehr verfügbar. 
  
  Damit werden die Wähler in ihrer Wahlfreiheit jedoch auf eine schwer zu 
  fassende Weise eingeschränkt. Auch in dieser Hinsicht ist die Anwendung des 
  Mehrheitsprinzips also kein Allheilmittel.
***
  Die 
  Wahl des 
  Landesparlaments in Bremen 2007 
  ist ein Anlass, einige von uns diskutierte Punkte des Mehrheitsprinzips daran 
  festzumachen, und auf Aspekte zu verweisen, die bisher nicht zur Sprache 
  kamen.
  
  Zuerst noch mal das 
  Ergebnis anhand der Sitze in der Bremer Bürgerschaft. 
  
  SPD: 33 / CDU: 23 / Grüne: 14 / Linke: 7 / FDP: 5 / DVU: 1 
  
  Es gibt also insgesamt 83 Sitze im Parlament. Für die Wahl der Landesregierung 
  wird somit eine absolute Mehrheit von 42 Sitzen benötigt.
  
  Rein rechnerisch 
  erreichen folgende 5 Koalitionen mindestens 42 Sitze und könnten damit theoretisch 
  regieren: 
  
  (SPD + CDU)                =  33+23  =      56 
  (SPD + Grüne)              
  =  33+14 =      47
  (SPD + Linke + FDP)     =  33+7+5 =   45
  (CDU + Grüne + FDP)   = 23+14+5 =  42
  (CDU + Grüne + Linke) = 23+14+7=   44
  
  Dies ist eine gewisse Bestätigung für die These, dass die eigentliche Wahl der 
  Bürger keine direkte Entscheidung über die Politik der nächsten Jahre 
  darstellt. Die Regierungskoalition und das Regierungsprogramm ergeben sich 
  erst aus den Verhandlungen der Parteien, die hinter verschlossenen Türen 
  geführt werden.
  
  Aufgrund der unterschiedlich großen Differenzen zwischen den politischen 
  Positionen der Parteien scheiden davon einige rechnerisch mögliche Koalitionen 
  als unwahrscheinlich aus. 
  
  Wenn man versucht, die Parteien auf einer politischen Links-Rechts-Dimension 
  anzuordnen, ergibt sich folgendes Bild:
  ---Linke (7)---- Grüne (14)------------------ SPD (33)--------- FDP 
  (5)------- CDU (23)---- DVU (1)---
  --|||||||-------||||||||||||||---|||||||||||||||||||||||||||||||||---|||||---||||||||||||||||||||||---|----
    Bei dieser Anordnung besetzt 
  die SPD die Mitte. Der "mediane" Abgeordnete ist der 42. Abgeordnete: 41 
	Abgeordnete sind "rechter" als er und 41 Abgeordnete sind "linker" als er. Jede Koalition gegen die SPD wäre instabil, sodass 
	als realistische Koalitionen nur die Kombinationen SPD + CDU und SPD + Grüne in Frage 
  kommen. 
  
  Wenn man jedoch die SPD links von den Grünen einordnet und die FDP rechts von 
  der CDU, so ergibt sich folgendes Bild: 
  
	---Linke (7)--------------- SPD (33)-------------- Grüne (14)---------- CDU 
	(23)----- FDP (5)- DVU (1)
	---|||||||---|||||||||||||||||||||||||||||||||------||||||||||||||---|||||||||||||||||||||||--|||||------|----
In diesem Fall besetzen die 
Grünen die Mitte und hätten die Wahl zwischen einer Koalition mit der SPD und 
einer Koalition mit CDU und FDP. 
Gegenwärtig erscheint eine Koalition aus Grünen, CDU und FDP aber als 
ausgeschlossen. Außerdem wäre die Mehrheit in der Bürgerschaft mit 42 Sitzen 
denkbar knapp, wenn man die zu erwartende Zerreißprobe bei den Grünen im Falle 
einer Koalition mit der CDU und der FDP berücksichtigt. Wenn nur ein Grüner aus 
Protest zur SPD wechseln würde, so wäre die Mehrheit bereits dahin.
Die Wahl hat weiterhin gezeigt, dass das parlamentarische System das Aufkommen 
neuer Parteien nicht prinzipiell verhindert.
Das große Problem bei dieser Wahl sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, 
die gar nicht zur Wahl gegangen sind,
***
Durch die Zweistufigkeit wird 
das Mehrheitsprinzip in seinem Funktionieren schwer überschaubar. 
Stufe 1: Die Wähler wählen das Parlament, das entsprechend den 
Stimmenverhältnissen für die Parteien zusammengesetzt wird 
(Verhältniswahlrecht). 
Stufe 2: Das Parlament wählt mit der Mehrheit der Abgeordneten eine Regierung.
Wenn keine Partei eine absolute Mehrheit (d.h. mehr als die Hälfte der 
Abgeordneten) erhält, müssen Koalitionen gebildet werden. Über die Koalitionen 
entscheiden die Abgeordneten. Die Wahl eines Regierungschefs, die gewöhnlich 
in geheimer Abstimmung erfolgt, kann u. U. durch einen einzigen, anonym 
bleibenden Abgeordneten verhindert werden, wie bei der letzten Regierungsbildung 
in Schleswig-Holstein geschehen.
Eine derartige 
Verselbständigung von Vertretern gegenüber denen, die sie vertreten sollen, 
ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht üblich. Nach § 168 des 
Bürgerlichen Gesetzbuches kann derjenige, der eine Vertretungsvollmacht erteilt 
hat, diese auch jederzeit widerrufen. 
Durch das 
Verhältniswahlrecht kommen jedoch viele Abgeordnete nicht durch Direktwahl in 
einem Wahlkreis in das Parlament sondern über Listenplätze, d.h. über 
Parteibeschlüsse. Die Abgeordneten repräsentieren nach dem Verständnis des 
Grundgesetzes nicht eine bestimmte Gruppe von Wählern, sondern nach § 38 des 
Grundgesetzes sind sie Vertreter des ganzen 
Volkes. Sie sind nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden sondern nur ihrem 
Gewissen verantwortlich. 
In dieser Formulierung 
bleibt unklar, ob der Passus: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes"   bedeutet, 
dass alle Abgeordneten zusammen das ganze Volk vertreten sollen, oder ob jeder 
einzelne Abgeordnete das ganze Volk vertreten soll. 
In dieser Konstruktion 
haben die Bürger ihre Entscheidungsgewalt tatsächlich unwiderruflich für die 
Dauer der Legislaturperiode an die Abgeordneten abgetreten. 
Wenn man die Formulierung "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes"   so versteht, dass das Parlament als 
Ganzes das ganze Volk vertreten soll, dann wäre das Parlament eine Art 
verkleinertes Modell der Wählerschaft, das nun an Stelle der Gesamtheit der 
Wähler die politischen Entscheidungen erzeugt. 
Die Frage ist, ob sich 
das Parlament als Modell analog zur Gesamtheit der Wähler verhält. 
Um nur ein Problem einer 
solchen Repräsentationstheorie zu nennen: 
Wo sind im Parlament diejenigen 
repräsentiert, die ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben? Wie die Wahl in Bremen zeigt, können 
die 
Nichtwähler ja einen großen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen. Müsste es 
deshalb nicht konsequenter Weise eine 
Wahlpflicht 
geben, wie in Belgien, um die 
Repräsentativität des Parlamentes in dieser Hinsicht zu sichern?
 
Um verbindliche Entscheidungen 
für ein Kollektiv zu treffen, ist das Mehrheitsprinzip m. E. am besten geeignet, 
weil alle anderen Verfahren entweder das 
Vetorecht 
kleiner Gruppen beinhalten (wie die Einstimmigkeitsregel mit Beibehaltung des 
Status quo, wenn keine Einstimmigkeit erzielt wird) oder aber sich von den 
Interessen der Einzelnen abkoppeln können (wie z. B. die Einparteienherrschaft 
einer selbsternannten Avantgarde mit der entsprechenden Rechtfertigungs-Ideologie). 
Allerdings halte ich das Mehrheitsprinzip nur deshalb für notwendig, weil die 
rationale Argumentation (der herrschaftsfreie Diskurs, der Streit der Gelehrten) 
nicht zu einem definitiven Resultat in Form eines allgemeinen Konsenses führen 
muss. 
Je größer in einer 
Gesellschaft jedoch der Bereich des allgemein einsichtigen Konsenses ist, desto 
besser für diese Gesellschaft.
***
Das Mehrheitsprinzip ist ein 
praktikables Normsetzungsverfahren, das sich allerdings daran messen lassen 
muss, wie nahe seine Resultate einem argumentativ bestimmten Gemeinwohl oder 
Gesamtinteresse kommen. Dass dies unter bestimmten Bedingungen nicht der Fall 
ist, lässt 
sich leicht zeigen. 
Bei Einzelabstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip spielen nur die Rangfolgen der 
Alternativen eine Rolle. Wie stark die Einzelnen von einer Entscheidung 
betroffen sind, wird nicht erfasst. Dadurch bildet im Mehrheitssystem der "mittlere"   bzw. mediane Wähler den Gleichgewichtspunkt, zu dem alle 
Wahlabsprachen und Koalitionen hin tendieren.
Nehmen wir ein fiktives 
Beispiel. Es geht um die Höhe der Mineralölsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen 
(A,B,C,D,E), 
die jeweils pro Liter den folgenden Steuerbetrag in Cent (c) befürworten:
A - 10 c ------- B - 20 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c
In diesem Fall ist C der mediane Wähler und die Alternative 70 Cent Mineralölsteuer pro Liter setzt sich bei einer Abstimmung durch. Angenommen, A und B würden ihre Meinung ändern und nur für eine weit höhere Steuer plädieren:
A - 60 c ------- B - 60 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c
Trotz dieser Veränderung der 
Meinungen – immerhin treten jetzt mehr als 1 Drittel der Beteiligten für eine 
sehr viel höhere Mineralölsteuer ein als zuvor – ändert sich am Resultat einer 
Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip nichts, denn C bleibt weiterhin der mediane 
Wähler. 
Hier sieht man, wie grob 
im Mehrheitssystem die Interessen der Beteiligten erfasst werden. Das 
Mehrheitsprinzip ist insofern nicht sakrosankt, sondern es muss nach 
sozialethischen normativen Kriterien geprüft werden, wo seine Anwendung sinnvoll 
ist und wo nicht.
***
Auseinandersetzung mit einem 
Demokratiekritiker
Du behauptest: "Es kann kein Recht geben, dem Pöbel die Verantwortung für ein ganzes Land zu 
geben."   
Was meinst Du mit dem 
Wort "Pöbel"  ? 
Wenn ich in meinem alten 
Sprach-Brockhaus nachsehe, so finde ich unter "Pöbel"   die Erläuterung: "gemeines, rohes Volk, niedere Masse"   und unter "pöbelhaft"   die Erläuterung: "gemein, gewöhnlich, frech".   
Da Du schreibst, dass das allgemeine Wahlrecht nichts anderes ist als dem Pöbel 
das Recht zu bestimmten Handlungen zu geben, ergibt sich, dass Du mit dem Wort "Pöbel"   die Gesamtheit der Wahlberechtigten eines Landes bezeichnest. 
Deine Behauptung lässt sich demnach folgendermaßen formulieren: "Es kann kein Recht geben, den Wahlberechtigten die Verantwortung über ein 
ganzes Land anzuvertrauen."   
Damit ist mir allerdings 
schleierhaft, aus welcher Moral und welchem Naturrecht Du diese 
Behauptung ableitest. 
Du könntest einwenden: "Ich habe nicht umsonst vom Pöbel gesprochen und nicht 
von den Wahlberechtigten. Indem ich die Wahlberechtigten als "Pöbel"   bezeichne, 
sage ich ja etwas über diese Wahlberechtigten aus. Sie sind eine niedere Masse, 
ein gemeines und rohes Volk."  
Dann würde ich an Dich 
die Frage stellen, was Du mit den Wörtern "gemein", "roh"   oder "niedrig"   wohl 
meinst. 
Im Sprach-Brockhaus finde ich unter "gemein"   die Erläuterung "1.) gewöhnlich, 
verbreitet, und 2.) niedrig gesinnt, grob, boshaft"   und unter "niedrig"   steht "1.) nicht hoch, flach, 2.) geringen Standes, 3.) gemein". Für unseren Kontext 
kommt wohl nur die Bedeutung unter 3.) in Frage, womit sich die Erläuterungen im 
Kreise drehen: 
Wie jeder leicht merken 
kann, haben diese Wörter einen minimalen empirischen Gehalt aber einen eindeutig 
negativ wertenden Gehalt. 
Dass Du die 
Wahlberechtigten als "gemein"   bewertest und deren Gesinnung als "niedrig", 
stellt ein Werturteil dar, das völlig unbegründet im Raum steht. Offenbar setzt 
Du voraus, dass dies Werturteil von den Diskussionsteilnehmern geteilt wird. 
Auch hier muss ich sagen: Zumindest für meine Person kannst Du diese 
Voraussetzung nicht machen, weshalb auch Deine Wertprämissen völlig in der Luft 
hängen. 
Du behauptest weiterhin, 
mit dem allgemeinen Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Verantwortung für 
ein Land anvertraut, damit es freie, friedfertige und fleißige Menschen nach 
Belieben beherrschen, ausplündern und ausbeuten kann.
Die Frage ist, wen Du mit 
den "freien, friedfertigen und fleißigen Menschen"   meinst. 
Da das allgemeine 
Wahlrecht die Grundlage bildet und die daraus resultierende Gesetzgebung gemeint 
ist, kann es sich bei den "freien Menschen"   nur um die Bevölkerung desselben 
Landes handeln, denn nur für diese sind die von der Mehrheit gemachten Gesetze 
bindend. 
Damit sind wir bei dem 
skurrilen Ergebnis angelangt, dass die Wahlberechtigten gemein und von niederer 
Gesinnung sind, während die Bevölkerung freie, friedfertige und fleißige 
Menschen sind. Da sich beide Gruppen weithin decken und aus den gleichen 
Individuen bestehen, sind Deine Behauptungen zumindest überraschend, wenn nicht 
sogar widersprüchlich. 
Du behauptest nun, durch das allgemeine Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die 
Macht gegeben, damit sie die Bevölkerung beherrschen und ausplündern können.
Dem kann ich nicht 
folgen. Das Wort "damit"   kennzeichnet den Zweck. Wenn man sagt: "Person A tut 
das, damit …", dann folgt hinter dem Wort "damit"   der Zweck, den Person A mit 
diesem Tun verfolgt.
Es stellt sich bei Deiner 
Behauptung sofort die Frage, wer denn diesen Zweck mit der Einführung des 
allgemeinen Wahlrechts verbindet. Und weiterhin stellt sich die Frage, wie eine 
derartige Motivunterstellung nachprüfbar begründet werden kann. Auf beide Fragen 
findet sich bei Dir keine Antwort. So stehen auch diese Behauptungen völlig 
unbegründet im Raum. 
Unabhängig von dieser 
Motivunterstellung behauptest Du, dass die Wahlberechtigten tatsächlich in 
Deutschland die Bevölkerung ausplündern, denn hier gibt es ja das allgemeine 
Wahlrecht. 
Es stellt sich die Frage, 
was Du mit "ausplündern"   meinst. Der Brockhaus erläutert "plündern"   mit "ausrauben". Wenn Du z. B. das Erheben von Steuern damit meinst, so handelt es 
sich dabei nicht um "Raub"   im rechtlichen Sinne. Ich vermute deshalb, dass es 
sich auch hier um Ausflüsse einer von Dir nicht näher begründeten 
Moralkonzeption handelt.
Was bleibt von den starken Worten übrig? Heiße Luft.
***
Das Mehrheitsprinzip schafft keine Gewalt, sondern vermeidet Gewalt, dort wo Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht vertretbaren Kosten erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man sich nicht einigen kann, bleibt alles so wie es ist" keine akzeptable Lösung ist, sondern nur Ausfluss der Ideologie von der Souveränität der Eigentümer und der Freiheit ihrer Verträge.
***
Du erhebst einen grundlegenden Einwand gegen 
eine Interpretation des Mehrheitsprinzips als eine Methode zur
Zusammenfassung von Interessen. Du weist darauf hin, dass das, was Menschen 
wollen, nicht nur von ihren Interessen bestimmt wird, sondern auch von ihren 
Werten bzw. Idealen. 
Ich stimme Dir hierin zu und muss zugleich sagen, dass auch für mich das 
Verhältnis zwischen Interessen und Werten keineswegs geklärt ist. Die Tatsache, 
dass ein Individuum die Alternative x der Alternative y vorzieht, sagt noch 
nichts darüber aus, ob diese Präferenz seine Interessenlage oder seine 
Werthaltungen ausdrückt.
Richtig ist, dass die 
Werte, die ein Mensch vertritt, nicht völlig durch seine Interessenlage bestimmt 
sind. Zwar bestimmt das gesellschaftliche Sein in starkem Maße auch das 
Bewusstsein in Form von Werthaltungen und Einstellungen. Die meisten 
Sozialhilfe-Empfänger werden gegen die Kürzung von Sozialleistungen sein und 
dies auch mit moralisch/politischen Werten vertreten, und die meisten Millionäre 
werden gegen eine höhere Vermögenssteuer sein und dies ebenfalls mit 
moralisch/politischen Werten verteidigen.
Aber wir können auch versuchen, einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen und für andere 
nachvollziehbar zu argumentieren. Wir können versuchen, intersubjektiv 
nachvollziehbare und allgemeingültige Antworten auf unsere Fragen zu finden.
Werte und Ideale sind 
nach meinem Verständnis im Bereich des Allgemeingültigen angesiedelt. Sie 
beanspruchen allgemeine Zustimmung, sie wollen dauerhaft geteilt werden. Über 
Werte und Ideale stimmt man nicht ab, sondern sie werden argumentativ begründet 
oder kritisch hinterfragt. Oder auch: Man hat sie eben und steht zu ihnen, 
gleichgültig, ob andere diese Werte teilen oder nicht. Deshalb werden 
Wertentscheidungen auch durch Bündnisse nicht "richtiger". 
Interessen dagegen ändern 
sich je nach Lebenslage und sozialer Position.
Wertfragen wie: "Sind der 
Schwangerschaftsabbruch oder das Experimentieren mit Stammzellen moralisch 
verwerflich?"   können nicht durch Abstimmungen entschieden werden, sondern nur 
durch Argumentation. 
Diese (vorläufige) 
Antwort befriedigt mich auch selber nicht. Hier bleibt noch viel zu klären.
Soviel zur Rolle der 
Werte und Ideale.
***
Die Bildung einer 
Gesellschaftsordnung: eine kleine Robinsonade  
Mehrere Schiffbrüchige werden auf eine verlassene Insel fernab jeder 
Zivilisation verschlagen, abgeschnitten von der übrigen Menschheit. Sie 
versuchen zu überleben, bis jemand sie findet. Wann das sein wird, kann niemand 
sagen.
Auf der Insel gibt es u. 
a. gefährliche Raubtiere, einige Kokospalmen, eine Stelle mit Beerensträuchern, 
eine Bucht mit Fischen, zwei Höhlen im Gestein, eine Süßwasserquelle u.a.m.
Die Schiffbrüchigen 
beginnen nach dem ersten Schock, jeder für sich nach Wasser und nach Essbarem zu 
suchen. Als es dunkel wird, suchen sie nach geschützten Schlafplätzen. 
In den nächsten Tagen 
kommt es zu ersten Konflikten. 
Jemand hat viel mehr 
Beeren abgepflückt, als er essen kann, andere gingen leer aus. 
Diejenigen, die sich als 
erste die Höhlen als sichere Schlafplätze ausgesucht haben, wollen nicht, dass 
noch weitere dort schlafen.
Einige haben versucht, in 
der Bucht Fische zu fangen, aber dabei wurden sie von anderen gestört, die dort 
Baden wollten.
Einer hat in der Nähe der 
Bäume ein Feuer gemacht, das sehr leicht zu einem für alle verheerenden 
Waldbrand führen kann. Deshalb haben andere das Feuer ausgetreten.
Die Frage ist, wie die 
Schiffbrüchigen – ich nenne sie ab jetzt mal "Insulaner"   – mit diesen Konflikten 
umgehen. 
Eine Möglichkeit ist: Die 
Insulaner lassen den Dingen ihren Lauf. Wo Konflikte sind, setzt sich der 
Stärkere durch und entscheidet die Konflikte in seinem Sinne. Dies geht nicht 
immer ohne Kampf ab. 
Dabei wird die Sache 
dadurch kompliziert, dass sich Insulaner mit anderen zusammentun, um sich gegen 
einzelne Starke durchzusetzen. Dabei bildet sich nach einiger Zeit eine "Hackordnung"   entsprechend der Stärke der gebildeten Einzelnen oder Gruppen 
heraus, die nur noch gelegentlich in Frage gestellt wird. Dabei kann es dann zu 
veränderten Rangfolgen kommen.
Diese Ordnung beruht 
allein auf den Machtverhältnissen. Das Individuum, das an der Spitze der 
Machtpyramide steht, kann seine Interessen gegen die der andern durchsetzen, 
aber es kann sich nicht auf irgendeine Berechtigung dazu berufen. Es kann mit 
seiner überlegenen Macht drohen und Gehorsam erzwingen, aber es kann die 
Forderung nach Befolgung seiner Befehle gegenüber den Adressaten dieser Befehle 
nicht einsichtig begründen. 
Nun könnte ein Insulaner, 
der die Hackordnung nicht gerade berauschend findet, den Vorschlag machen: "Lasst uns unsere Konflikte nicht nach dem Pseudorecht des Stärkeren 
entscheiden, sondern einvernehmlich. Die Lösung, die alle einstimmig 
befürworten, soll zukünftig für uns maßgeblich sein. Die Einstimmigkeit 
garantiert, dass niemand zu etwas gezwungen wird, was er nicht will. Nur so 
bleiben wir alle frei."  
Nach anfänglicher 
Begeisterung für diese ideale Methode der Konfliktlösung gab es jedoch schon 
bald lange Gesichter, denn fast immer stimmte irgendjemand gegen eine 
vorgeschlagene Lösung, sodass die Regel der Einstimmigkeit ohne praktischen 
Nutzen war. Für die Egoismen der einzelnen Insulaner gab es offenbar keinen 
gemeinsamen Nenner.
Da ergriff einer der 
älteren Insulaner das Wort und sagte: "Die Einmütigkeit für die Lösung von 
Konflikten ist nicht einfach vorhanden und muss nur durch Handaufheben 
festgestellt werden. Wir müssen uns um Einigkeit bemühen. Wir müssen solche 
Argumente und Positionen ausschließen, die eine Übereinstimmung systematisch 
verhindern. 
Wer nur von seinem 
eigenen Interesse ausgeht, der macht eine Einigung unmöglich. Einigung ist dann 
möglich, wenn jeder auch die Interessen der andern unparteiisch berücksichtigt. 
Wir müssen nach solchen Lösungen suchen, die für alle gemeinsam am ehesten 
akzeptabel sind. So sollte das Feuermachen am Wald generell verboten werden, denn 
eher kann allen zugemutet werden, einen anderen Feuerplatz zu suchen, als allen 
zuzumuten, sich dem Risiko eines Waldbrandes auszusetzen."  
Über das vorgeschlagene 
Verbot wurde noch bis tief in die Nacht diskutiert, weil zwei Insulaner das 
Risiko eines Waldbrandes bei ihrem Grillfeuer ausschlossen. Der Konsens aufgrund 
von Argumenten blieb unsicher.
Am nächsten Morgen – noch 
etwas unausgeschlafen – machte jemand einen anderen Vorschlag: "Wenn sich hier 
immer alle mit allem befassen müssen, kriegen wir überhaupt keinen Schlaf mehr. 
Ich schlage vor, wie teilen die Insel in soviel möglichst gleichwertige 
Grundstücke auf, wie wir an Köpfen zählen, und verlosen dann die Grundstücke. 
Jeder kann dann über sein Grundstück nach Belieben verfügen. Wenn andere etwas 
von ihm bzw. von seinem Grundstück wollen, dann müssen sie sich mit ihm einigen, 
also einen Vertrag schließen mit den wechselseitigen Verpflichtungen. Damit 
sparen wir uns diese ständigen Sitzungen mit allen andern."  
Das erschien einigen als 
das Ei des Kolumbus: Kein Zwang, keine Dauersitzungen mit endlosen Debatten.
Aber dann kamen doch 
einige Fragen auf: 
- "Aber wenn auf seinem Grundstück der Wald brennt, dann greift das Feuer doch 
auf die Nachbargrundstücke über."  
- "Wer kümmert sich um unsere Flaschenpost? Ich sehe da schon einige 
Trittbrettfahrer, die einerseits die Mühe, eine Flaschenpost herzustellen, 
scheuen, die sich aber andererseits gerne retten lassen, wenn die Flaschenpost 
Erfolg haben sollte."  
- "Wie soll ich mich denn auf der Insel bewegen können, wenn alles 
Privatgrundstücke sind? Soll ich mir jedes Mal eine Genehmigung zum Betreten 
holen oder gar kaufen?"   
- "Die einzige Trinkwasserquelle liegt auf dem Grundstück eines bestimmten 
Insulaners. Soll er mit diesem Monopol über ein lebenswichtiges Gut alle andern 
arm machen dürfen?"  
Zahlreiche Fragen und 
Einwände kamen zu der vorgeschlagenen privaten Eigentumsordnung. Offenbar wurden 
einige Konflikte durch dies System nicht vernünftig gelöst und ganz neue 
Konflikte tauchten auf: der Gegensatz zwischen armen und reichen Insulanern, der 
Gegensatz zwischen Gläubigern und Schuldnern unter den Insulanern.
Wie sollten nun die 
Konflikte entschieden werden, die eine Ordnung aus den Institutionen des 
Privateigentums und der Vertragsfreiheit nicht zufriedenstellend lösen kann?
Hier gab es wieder 
verschieden Vorschläge: "Wir stimmen selber über diese Fragen mehrheitlich ab." "Wir bestimmen einen 
König auf Lebenszeit, der die Entscheidungen fällt", "Wir bestimmen ein 
Gremium aus 3 klugen Köpfen, um zu entscheiden."  
(Aber wie sollte der König bzw. wie sollte das Gremium in seiner personellen 
Zusammensetzung bestimmt werden? Nach dem Mehrheitsprinzip?) 
Wenn man nicht wollte, dass kleine Gruppen oder gar einzelne die Entscheidungen 
blockierten, dann durfte man keine Einstimmigkeit fordern. Die Stimmen der 
Beteiligten waren nur dann gleichgewichtig, wenn nicht zur Durchsetzung der 
einen Alternative x mehr Stimmen erforderlich waren als zur Durchsetzung einer 
konkurrierenden Alternative y. Jede Forderung nach einer Stimmenzahl über der 
absoluten Mehrheit der Stimmen führt jedoch zu einer Verletzung der 
Gleichgewichtigkeit.
Wenn z. B. eine 
Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert wurde, um eine Alternative durchzusetzen, so 
genügten zur Beibehaltung des Status-quo bereits 1 Stimme mehr als ein Drittel 
der Stimmen. Man kann das zu recht als "konservative Schlagseite"   bezeichnen.
Ein letzter Vorschlag kam 
dann noch. Ein Insulaner sagte: "Was hier gesagt wurde, kann schnell wieder 
vergessen werden. Lasst uns aufschreiben, nach welchen Regeln wir die 
verschiedenen Konfliktarten lösen wollen."   Und so kam es zur Verfassung der 
Insulaner, die schließlich von allen unterschrieben wurde. 
***
Das Mehrheitsprinzip ist 
vielleicht das Herzstück der  
Demokratie, 
aber es macht keineswegs die ganze Demokratie aus. Dazu gehören 
noch: Verfassungsstaat, Verfassungsgericht, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, legale Opposition, 
Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Menschen- und Bürgerrechte, um nur das 
Wichtigste zu nennen. 
Schwachstellen des 
Mehrheitsprinzips sind:
- die verdeckte Beeinflussung der Wähler durch diejenigen, die über die Medien 
verfügen (Manipulation),
- der immense Informations- und Entscheidungsaufwand, wenn alle über alles 
abstimmen (Entscheidungsaufwand),
- die Benachteiligung von Minderheiten (Minderheitenschutz)
- der unterschiedliche Grad an Informiertheit bei den Wählern 
(Informationsgefälle).
Als mögliche 
Gegenmaßnahmen wurden genannt: 
 
Zum Problem 
"Manipulation"  : 
- Veränderung der Medienlandschaft durch ein Pressegesetz, das die Konzentration 
des Eigentums an Medien in den Händen weniger verhindert, 
- Verpflichtung der Medien zur Information.
Zum Problem 
"Entscheidungsaufwand"  :
- Vertretung der Staatsbürger durch auf Zeit gewählte Abgeordnete, 
- Dezentralisierung der Entscheidungsebenen durch Selbstverwaltung von 
Gemeinden, Regionen etc. in Bezug auf bestimmte Entscheidungsbereiche, 
- Beschränkung der Abstimmungen auf allgemeine Gesetze, 
- Delegation der Geschäftsführung an eine Regierung.
Zum Problem 
"Minderheitenschutz"  :
- Wahlabsprachen und Wahlbündnisse zwischen den verschiedenen 
Minderheitsgruppen, 
- Bildung von Parteien mit Programmen für Minderheiten (wenn Abgeordnete gewählt 
werden), 
- in der Verfassung verankerte Grundrechte, die der Mehrheitsentscheidung 
entzogen sind, 
- regionale Dezentralisierung (zum Schutz regionaler Minderheiten).
Zum Problem 
"Informationsgefälle"  :
- Ausstattung der Individuen mit Stimmrecht entsprechend dem Grad ihrer 
Informiertheit,
- Vertretung durch gewählte Berufspolitiker als Abgeordnete,
- Bildung von Parteien mit Spezialisten für die verschiedenen Politikbereiche.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen werfen jedoch ihrerseits wieder eigene Probleme 
auf:
- Die Repräsentation der 
Wähler durch Abgeordnete enthält die Möglichkeit, dass die Abgeordneten nicht 
die Interessen der Wähler vertreten.
 
- Außerdem erscheint es 
nicht sinnvoll, alle Entscheidungen von den Abgeordneten bzw. der Regierung 
treffen zu lassen, sodass die  
Zuständigkeit geregelt werden muss. Zumindest alle 
Veränderungen der Verfassung sollten von den Staatsbürgern selber beschlossen 
werden.
 Ungeeignet für Volksabstimmungen sind insbesondere Entscheidungen, von denen 
die Staatsbürger in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sind.
- Die Dezentralisierung 
erfordert Entscheidungen über die Zuständigkeit der verschiedenen Ebenen 
und über deren Ausstattung mit Steuergeldern. Die Frage ist auch hier, nach 
welchen Kriterien die jeweilige Zuständigkeit festgelegt werden soll.
- Die Festschreibung von 
Bürgerrechten in der Verfassung erfordert ein Verfassungsgericht, das diese Rechte auslegt. Da 
notwendigerweise nur relativ unpräzise Formulierungen möglich sind ("Die Würde 
des Menschen ist unantastbar"   oder "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der 
Persönlichkeit"  ) besteht die Gefahr, dass durch eine extensive Auslegung der 
Bürgerechte der politische Wille der Mehrheit zu stark eingeengt wird und 
notwendige Veränderungen behindert werden.
-  
Die Einführung nach 
Informationsgrad abgestufter Stimmgewichte
erfordert ein Instrument zur Messung des Grades an Informiertheit. Welche 
Probleme sich dabei ergeben zeigt die Diskussion der Intelligenztests. Außerdem 
erfordert ein solches Verfahren einen erheblichen Aufwand.
***
Wege zur Entschärfung des 
Problems 
Minderheitenschutz:
1. Die 
Dezentralisierung, wodurch Entscheidungen, die vorwiegend eine bestimmte 
Gruppe der Bevölkerung betreffen, auch nur von dieser Gruppe entschieden werden. 
Sinnvoll ist eine räumliche Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse, weil die 
meisten physikalischen Wirkungen mit der räumlichen Entfernung abnehmen. 
Allerdings stellen sich erhebliche Probleme beim räumlichen Zuschnitt solcher 
Selbstverwaltungseinheiten auf kommunaler oder regionaler Ebene.
2. Den Schutz vor bestimmten Eingriffen in das Leben der Staatsbürger durch die 
Formulierung von 
Menschen- und Bürgerrechten, über die nicht nach dem 
Mehrheitsprinzip abgestimmt werden darf.
3.Die Bildung von 
Bündnissen zwischen den einzelnen 
Minderheitsgruppen. 
Die Hundehalter könnten sich z. B. mit den Studenten zusammentun, denen eine 
Verdoppelung ihrer Studiengebühren droht (zugegeben kein sehr realistisches 
Beispiel). Die Hundehalter sind bereit, gegen die Erhöhung der Studiengebühren 
zu stimmen, wenn die Studenten dafür gegen die Erhöhung der Hundesteuer stimmen. 
Die Abstimmungsbündnisse sollten letztlich natürlich so groß sein, dass eine 
Mehrheit zustande kommt. 
Dieser Prozess der Koalitionsbildung, bei dem in Bezug auf verschiedene 
anstehende Entscheidungen Wahlabsprachen getroffen werden, führt zur Bildung von 
Parteien, die bestimmte Abstimmungspakete in Form eines Parteiprogramms zur 
Abstimmung stellen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist außerordentlich wichtig, 
um den Schutz der Minderheiten auch bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip 
zu erreichen. Die Bündnisbildung setzt voraus, dass die Beteiligten sich auch an 
die Wahlabsprachen halten. Dies ist übrigens einer der Gründe für die viel 
geschmähte "Fraktionsdisziplin".
***
Wenn in einer Gesellschaft eine 
freie Koalitionsbildung nicht gegeben ist, ist die Anwendung des 
Mehrheitsprinzips problematisch. Man stelle sich z.B. einen Staat vor, der zu 
70% aus katholischen, bäuerlichen, Suaheli sprechenden Schwarzen besteht und zu 
30 % aus hinduistischen, Handel treibenden, englisch sprechenden Indern besteht.
Hier würde es sicherlich eine Partei der Schwarzen und eine Partei der Inder 
geben, und die Partei der Schwarzen würde in allen Entscheidungen die Mehrheit 
bekommen. Die Resultate des Mehrheitsprinzips bei einer derartigen Konstellation 
werden sicherlich nicht einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse 
entsprechen. Der Bürgerkrieg und eine Spaltung des Landes sind hier 
vorprogrammiert. 
***
Im Bundestag werden pro Jahr 
hunderte von Gesetzen und Gesetzesänderungen beschlossen. Dazu kommen Tausende 
von staatlichen Verordnungen auf den verschiedenen politischen Ebenen. Außerdem 
müsste noch über die Einzelentscheidungen abgestimmt werden, die jetzt die 
Regierung und die Ministerien treffen. Niemand könnte sich auch nur einen 
Bruchteil der Informationen beschaffen und sie entscheidungsreif verarbeiten, um 
über diese Normen und Einzelentscheidungen mit dem nötigen Sachverstand 
abstimmen zu können. 
Insofern ist die "Basisdemokratie", in der alle kollektiven Entscheidungen von 
den einzelnen Staatsbürgern beschlossen werden, undurchführbar.
Die Wahl von politischen Vertretern, die zur Entscheidung bevollmächtigt sind, 
ist deshalb sinnvoll. 
Allerdings haben diese Vertreter ein 
Eigeninteresse, das sich mit den Interessen derer, die sie vertreten sollen, 
nicht decken muss. 
Eine zeitliche Befristung der 
Vertretung ist eine wichtige Vorkehrung, damit die Abgeordneten im Sinne ihrer 
Wählerschaft handeln. Hier wirkt das Interesse der Politiker, wiedergewählt zu 
werden. Aber dies Motiv reicht keineswegs aus, vor allem wenn dagegen finanziell 
lukrative "Beraterverträge" und Anschlussjobs stehen.
***
Die Versammlung der Abgeordneten, das Parlament, ist zwar die Stätte, wo die Probleme des Gemeinwesens besprochen werden und wo allgemeine Gesetze verabschiedet werden. Die laufenden Entscheidungen werden jedoch von der Regierung getroffen - was in Deutschland ausgedrückt wird durch den Satz der Verfassung: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik". Der Bundeskanzler wird von den Abgeordneten des Bundestags für eine begrenzte Zeit nach dem Mehrheitsprinzip gewählt und kann auch mehrheitlich wieder abgewählt werden. Die laufende Kontrolle der Regierung ist eine der Hauptaufgaben des Parlamentes.
***
Wenn man das Mehrheitsprinzip als eine Methode betrachtet, um die Interessen der Einzelnen zu einem kollektiven Interesse zusammenzufassen, dann geht durch das Prinzip "One man (and one woman), one vote!" das Interesse jedes Wahlberechtigten mit gleichem Gewicht in die Bildung des kollektiven Interesses ein. (Das war im preußischen 3-Klassen-Wahlrecht noch anders.)
***
Da die Wahl geheim ist und nicht bekannt wird, wer wie gewählt hat, kann auch niemand deswegen bedroht oder sanktioniert werden. Jeder kann also so wählen, wie er es für richtig hält und wie es seiner Interessenlage entspricht.
***
Als generelle Rechtfertigung des 
Mehrheitsprinzips hatte ich zu Anfang angeführt, dass es dringlicher ist, die 
Interessen einer Mehrheit zu befriedigen als die einer Minderheit. Bei diesem 
Argument bleibt jedoch 
unberücksichtigt, dass die Einzelnen von einer 
Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sein können. 
Den Bewohnern von A-Dorf mag es ziemlich egal sein, wo die Kläranlage von B-Dorf 
gebaut wird, während für die Bewohner von B-Dorf einiges auf dem Spiel steht. 
Macht das Mehrheitsprinzip hier überhaupt Sinn? 
Der Platz für die Kläranlage von B-Dorf war nur ein Beispiel für Entscheidungen, 
die eine Minderheit stark betrifft und die Übrigen nur am Rande interessiert. 
Diese Konstellation ist in komplexen Gesellschaften nun nicht selten, sondern 
eher häufig gegeben. (Das war zu Rousseaus Zeiten noch anders.) 
Ob Studenten, Rentner, Behinderte, Hundehalter, Beamte, Industriearbeiter, 
Unternehmer, Angler, Hessen oder Leipziger: immer handelt es sich um 
Minderheiten. 
Wenn es um etwas geht, was vorwiegend eine solche Minderheit 
betrifft, dann halte ich es für problematisch, wenn darüber nach dem 
Mehrheitsprinzip abgestimmt wird 
gehe ich modelltheoretisch vor. Modellannahme ist, dass die 
Abstimmungsberechtigten so abstimmen, dass das Ergebnis ihren eigenen Interessen 
am ehesten entspricht. In Bezug auf das Beispiel "Erhöhung der Hundesteuer"   
hieße das: Es gibt eine Volksabstimmung (also keinen Parlamentsbeschluss!) nach 
dem Mehrheitsprinzip. 
Nach den Modellannahmen würden die Hundehalter gegen die Verdoppelung der 
Hundesteuer stimmen (weil sie nicht gerne mehr Steuern zahlen) und die Andern 
würden für die Erhöhung stimmen (weil es ihnen nicht wehtut und die öffentlichen 
Einnahmen verbessert werden). Die Hundehalter bleiben also in der Minderheit und 
die Steuer wird erhöht. Dies ist offenbar kein Resultat, das einer solidarischen 
Berücksichtigung aller Interessen entspricht. 
Allgemeines Fazit: 
Wenn die Individuen von einer Entscheidung 
unterschiedlich stark betroffen sind, führt das Mehrheitsprinzip bei 
eigeninteressiertem Abstimmungsverhalten nicht zu akzeptablen Ergebnissen. Dies 
ist ein gewichtiges Argument gegen die direkte Demokratie.  
***
Als Lösung des Minderheitenproblems wurde vorgeschlagen, dass die Wähler nicht nur eigeninteressiert abstimmen, sondern dabei zugleich Regeln der Fairness beachten. Damit ist das Problem jedoch eher größer als kleiner geworden, denn: Was ist "Fairness" ? Wie erreicht man faires Abstimmungsverhalten?
***
Das Mehrheitsprinzip bei Jury-Aufgaben
Obwohl hier das Mehrheitsprinzip 
als eine Methode zur Zusammenfassung der individuellen Interessen zu einem 
kollektiven Interesse diskutiert wird, kann das Mehrheitsprinzip auch in anderen 
Zusammenhängen angewandt werden. 
Auf manche empirische Fragen gibt es z. B. keine eindeutige Antwort der 
Wissenschaft, so dass mehrere Positionen wissenschaftlich vertretbar bleiben. 
Das bekannteste Beispiel hierfür findet sich in Gerichtsprozessen, wo die 
Beweislage darüber, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat oder 
nicht, strittig bleibt. Auch bei Prognosen über zukünftige Entwicklung findet 
sich häufig der Streit der Gelehrten. 
In solchen Fällen, kann es angebracht sein, zwar nicht über die Wahrheit der 
Positionen abzustimmen aber doch darüber, von welcher Position das Kollektiv in 
seinem Handeln ausgehen soll. 
Die Begründung hierfür hat der französische Aufklärer und Enzyklopädist 
Condorcet bereits 1785 geliefert. Wenn man annimmt, dass die Wahrscheinlichkeit 
eines Irrtums bei den einzelnen Mitgliedern einer 10-köpfigen Jury z.B. 40 % 
beträgt, so beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich eine Mehrheit von 6 
Jurymitgliedern irrt, nur 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 = 0,004096, also 
weniger als ein Prozent (Nach der Regel für die Wahrscheinlichkeit mehrerer 
voneinander unabhängiger Ereignisse). 
Eine Frage der Politischen Philosophie ist es, ob man die politische Abstimmung 
nach dem Mehrheitsprinzip als eine Art Juryentscheidung über die beste Politik 
ansehen sollte oder ob man sie als einen Ausdruck der individuellen Interessen 
und deren Zusammenfassung zu einem "allgemeinen Interesse"   auffassen soll.
 
 
Ich neige zum Letzteren, weil die Orientierung am eigenen Interesse auch für die 
Wahlentscheidung das entscheidende Motiv zu bilden scheint. Dafür sprechen schon 
die Namen mancher Parteien: "Bauernpartei", "Arbeiterpartei", 
"Mittelstandspartei" oder ähnliches.
***
Das Mehrheitsprinzip führt zu 
akzeptablen Ergebnissen, wenn alle Beteiligten ihre Interessen mit gleichem 
Gewicht einbringen können (Jeder hat gleich viele Stimmen zu vergeben) und wenn 
die Einzelnen von der anstehenden Entscheidung ungefähr gleichstark betroffen 
sind. Außerdem müssen die Abstimmenden über das zur Entscheidung anstehende 
Problem (verfügbare Alternativen, langfristige Folgen etc.) einigermaßen 
informiert sein und ihre Stimme frei von Sanktionen (Bestechungen, Drohungen) 
abgeben können. 
Wenn jedoch der Grad der Betroffenheit von einer Entscheidung für die 
Abstimmenden sehr unterschiedlich ist, so besteht die Gefahr, dass z.B. eine 
schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.
Je stärker der Grad der Betroffenheit zwischen Mehrheit und Minderheit 
auseinandergeht und je knapper die Mehrheit ausfällt, umso problematischer ist 
das Resultat unter dem Gesichtspunkt einer solidarischen Berücksichtigung aller 
Interessen. 
***
Tendenz zur Mitte
Was manche nur als Problem der 
SPD sehen ("Sie verabschiedet Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht 
aber der Mehrheit im Volke entspricht"   und "Der Kanzler ist im Volk beliebter 
als in der eigenen Partei") ist nicht so sehr ein SPD-Problem, sondern ein 
Problem, das sich aus den Eigenschaften des Mehrheitsprinzips ergibt. Was ich 
meine, ist in dem Satz enthalten: "Wer die Wahl gewinnen will, muss die Mitte 
besetzen."   
Man kann sich das folgendermaßen veranschaulichen.
Angenommen, die politischen Positionen lassen sich auf einer Links-Rechts-Skala 
wiedergeben und wir haben 5 Wähler. Das könnte z. B. so aussehen:
--- A ----B -----------------C---------------------D-----------------------E-----
In diesem Fall ist C der "mittlere"   Wähler, genauer: der Medianwähler. Bei rationalem 
Abstimmungsverhalten kann nur ein Programm die Mehrheit erhalten, das der 
Position von C entspricht. 
Angenommen, A und B versuchen 
eine Mehrheit mit C zusammen zu bekommen auf der Position x:
--- A ----B -------x---------C---------------------D-----------------------E-----
 Dann könnte C seine Position 
dadurch verbessern, dass er eine Koalition mit D und E auf seiner Position 
zusammenbringt. Ein Programm, das der Position von C entspricht, wäre für D und 
E besser als ein Programm, das der Position von x entspricht. 
Dies trifft nun in jedem Fall zu. Angenommen D und E versuchen mit C eine 
Mehrheit auf der Position y zustande zu bringen:
--- A ----B -----------------C---------------y------D-----------------------E-----
Dann könnte C an A und B ein 
Koalitionsangebot auf der Position C machen, das für A und B eine Verbesserung 
gegenüber y darstellt. 
Am "mittleren" Wähler geht also kein Weg zur 
Mehrheit vorbei. Der Grund hierfür ist der, dass die Position C hier die 
Mehrheitsalternative bildet, die bei rationalem Verhalten aller Beteiligten das 
Ergebnis bildet. 
Dies ist die Logik des Mehrheitsprinzips, die bei Wahlen beachtet werden muss, 
wenn man Wahlen gewinnen will. 
Da aber Parteien nicht nur auf das Ziel ausgerichtet sind, Wahlen zu gewinnen, 
sondern auch aus Mitgliedern bestehen, die bestimmte politische Überzeugungen 
haben und diese propagiert und  verwirklicht sehen möchten, ergibt sich das Phänomen, dass die 
erfolgreichen Spitzenkandidaten meist mehr zur Mitte tendieren als ihre Partei.
Dafür ist Angela Merkel ein gutes Beispiel. 
Dies erklärt auch, warum die FDP als "Zünglein an der Waage"   trotz ihrer 
Kleinheit der "Königsmacher"   war, als sie noch nicht rechts von der CDU/CSU 
angesiedelt war.
Es wäre sicher etwas gewaltsam, wollte man die politischen Alternativen auf eine 
Links-Rechts-Dimension reduzieren. Wie sich die Mehrheitsalternative in 
mehrdimensionalen Politikräumen darstellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Dann 
besteht auch die Möglichkeit des sogenannten "Wahlparadoxes", dass es gar keine 
Mehrheitsalternative gibt sondern zirkuläre Mehrheiten bestehen. 
Man kennt so etwas vom Fußball: Mannschaft A schlägt Mannschaft B. Mannschaft B 
schlägt Mannschaft C. Und Mannschaft C schlägt Mannschaft A. Welches ist nun 
die "stärkste"   Mannschaft?
Ähnliches kann passieren bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, wenn z. B. 
die Präferenzen der 3 Abstimmungsberechtigten A, B und C hinsichtlich der zur 
Abstimmung stehenden 3 Alternativen x, y und z folgendermaßen aussehen:
| 
			 A  | 
			
			 B  | 
			
			 C  | 
		|
| 
			 1.Rang  | 
			
			 x  | 
			
			 y  | 
			
			 z  | 
		
| 
			 2.Rang  | 
			
			 y  | 
			
			 z  | 
			
			 x  | 
		
| 
			 3.Rang  | 
			
			 z  | 
			
			 x  | 
			
			 y  | 
		
Für Individuum B ist demnach y die beste und x die schlechteste Alterantive.
 
  Bei paarweiser Abstimmung 
  ergibt sich: 
  
         
  x gegen y -> 2:1, y gegen z -> 2:1 und z gegen x -> 2:1, also x > y > 
  z > x. 
  
  Das bedeutet, dass wegen zirkulärer Mehrheiten keine Mehrheitsalternative existiert. 
  
  In der Praxis spielt dies gewöhnlich keine Rolle, weil das Mehrheitsprinzip 
  meist mit 
  einer Status-quo-Klausel verbunden ist, die besagt, dass alles 
  beim Alten bleibt, wenn keine Alternative gewählt wird. 
  
  Allerdings ist Stimmengleichheit von Alternativen, die sogenannte "Pattsituation"   in der Politik, eine mögliche Schwierigkeit bei Abstimmungen 
  nach dem Mehrheitsprinzip.
***
  Wir haben in Deutschland gegenwärtig (2010) die 
  Situation, dass keine Partei alleine 
	regiere kann und dass deshalb 
  Regierungskoalitionen gebildet werden müssen. Auf der Ebene der 
	Koalitionsvereinbarungen werden dann erst die entscheidenden Pakete 
	geschnürt, 
  die nur noch von den Fraktionen mit Mehrheit abgesegnet werden müssen. 
  
  Das führt dazu, dass die Wahlprogramme der einzelnen Parteien, die dem Wähler 
  vorgelegt werden, meist Schnee von gestern sind. Dies bedeutet, dass die 
  Wähler nur sehr indirekt über das Regierungsprogramm abgestimmt haben und dass 
  die Wähler von der Politik der Koalitionsregierung eher überrascht werden. 
  
  In dieser Hinsicht ist das britische Wahlrecht besser, das meist zu klaren 
  Mehrheiten führt, und wo die siegreiche Partei für die Regierungspolitik voll 
  verantwortlich ist,
  
  Ich denke, es ist sinnvoll, von der bestehenden politischen Verfassung dieses 
  Landes auszugehen und zu fragen, was konkret verbessert werden könnte. 
  
  In Bezug auf die Einführung beziehungsweise die Erweiterung plebiszitäre 
  Elemente im Grundgesetz wäre es sinnvoll, solche Entscheidungsbereiche zu 
  benennen, in denen das Volk direkt befragt werden muss und wo es mehrheitlich 
  entscheiden sollte.
  
  Mir fallen da z. B. die folgenden Bereiche ein, die für alle von elementarer 
  Bedeutung sind:
  
  1. Änderungen der Verfassung (mit mindestens 2/3 der Stimmen),
  2. Änderungen des sonstigen Wahlrechts,
  3. Änderungen des Staatsgebietes oder der Ländergrenzen
  4. Zugehörigkeit zu Militärbündnissen. 
"Normale"   politische Entscheidungen sollten nicht durch Volksentscheide 
  getroffen werden wegen des Problems, dass eine schwach interessierte Mehrheit 
  eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.
  
  Wie man den Wählern einen direkten Einfluss auf die Regierungsprogramme geben 
  kann, weiß ich nicht. Die Parteien vermeiden es, sich vor der Wahl auf eine 
  Koalition fest zu legen. Sie versuchen sich zu profilieren und möglichst viele 
  Stimmen zu bekommen, um dadurch gestärkt in die Koalitionsverhandlungen zu 
  gehen. Dies hat eine gewisse Berechtigung, weil ja nicht feststeht, ob eine 
  beabsichtigte Koalition die Mehrheit im Bundestag bekommen wird. Die Parteien 
  wollen sich die Möglichkeit offen halten, in diesem Fall die Koalitionsfrage 
  neu zu stellen. 
  
  Vielleicht wäre es Aufgabe einer unabhängigen Presse, die Programmatik bzw. 
  Nicht-Programmatik der Parteien kritischer zu durchleuchten und genauer 
  darüber zu informieren, in welchen Punkten Regierungsparteien von ihrer 
  Programmatik abgewichen sind, um eine Koalition zu bilden. 
  
  Bei allen Verfassungsänderungen sollte man sehr gründlich überlegen und eher 
  zögerlich vorgehen. Diese grundlegenden Prinzipien sollte man nicht alle paar 
  Jahre umstoßen.
***
  Weshalb ich Vorbehalte gegen 
  Volksentscheide als normales Mittel der Entscheidungsfindung habe:
   
  Entscheidend ist die These, dass das Mehrheitsprinzip zu unterschiedlichen 
  Ergebnissen führen kann, je nachdem ob die Abstimmungen zusammengefasst werden 
  oder nicht. 
  
  Man lässt z. B. über 10 Punkte zuerst einzeln abstimmen. Dann fasst man die 10 
  Punkte zusammen und lässt über die entstehenden Alternativenbündel abstimmen.
  
  Nun ergibt sich u. U. ein ganz anderes Resultat. Jetzt kann ein Bündel die 
  Mehrheit erhalten, das nicht aus den Resultaten der 10 Einzelabstimmungen 
  besteht! 
  
  Der Grund hierfür liegt daran, dass die einzelnen Entscheidungen für die 
  Abstimmenden von unterschiedlichem Gewicht sind. 
  
  Wenn das richtig ist, so bedeutet das einen schwerwiegenden Einwand gegen 
  punktuelle Abstimmungen.
***
  Mir scheint, dass bei uns der 
  meiste Unmut am politischen System nicht auf das Mehrheitsprinzip als solches 
  bezogen ist, sondern auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens, auf die Probleme 
  der Vertretung der Bürger durch Berufspolitiker. 
  
  Die Politiker sind ja Menschen, die ihre eigenen Interessen haben und 
  verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen, um deren Interessen mit den 
  Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen, einigermaßen zur Deckung zu 
  bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht genug getan? Welche 
  zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer Verbesserung der 
  Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie führen?
  
  Meiner Ansicht nach haben die Medien hier eine besondere Aufgabe, die sich 
  auch im Berufsethos des Journalisten ausdrücken müsste. 
  
  Die Journalisten haben nicht die Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten 
  dieser oder jener Partei und Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die 
  gewöhnlich internen politischen Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und 
  Ministerien öffentlich zu machen, die Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, 
  ihre Beziehungen zu Repräsentanten der Wirtschaft oder der großen Verbände 
  offenzulegen. 
  
  Dies kann durch eigene Recherchen oder durch Zusammenarbeit mit forschenden 
  Wissenschaftlern und sachkundigen Insidern geschehen. Medien, die sich im 
  Eigentum einzelner Personen oder Gruppen befinden, können dies nur bedingt 
  leisten. 
  
  Nicht der Tendenzjournalismus linker oder rechter politischer Überzeugungen 
  ist gefragt, sondern die generelle Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von 
  verdrängten Problemen und von unangenehmen Wahrheiten. 
  
  Hier könnte der deutsche Journalismus von der BBC noch manches lernen.
***
  Es wird angeführt, dass die 
  Wahlberechtigten ihre wahren Interessen gar nicht kennen sondern in ihren 
  politischen Ansichten und Meinungen durch die Medien manipuliert werden. 
  
  Diese Kritik am bestehenden politischen System ist weit verbreitet und muss 
  ernst genommen werden. Was meint man also, wenn man sagt: "Die Wähler sind in 
  ihrer politischen Meinung manipuliert worden?"  
  
  Zum einen ist damit offenbar gemeint, dass die Wähler nicht entsprechend ihrem 
  wirklichen Interesse wählen. 
  
  Diese Aussage setzt jedoch voraus, dass derjenige, der dies behauptet, selber 
  die wirklichen Interessen der Wähler kennt, denn sonst könnte er ja keine 
  Abweichung davon feststellen.
  
  Damit stellt sich die erkenntnistheoretische Frage, wie man die wirklichen 
  Interessen eines Menschen erkennen kann. Ich, der ich ja auch Wähler bin, 
  würde z. B. bestreiten, dass ich meine wirklichen Interessen nicht erkennen 
  kann und in meiner Wahlentscheidung durch die Medien manipuliert bin. 
  
  Nun könnte jemand sagen: "Dass du glaubst nicht manipuliert zu werden, das 
  zeigt ja gerade, dass die Manipulation gelungen ist. Natürlich merkt der 
  Manipulierte selber nicht, dass er manipuliert wurde." 
  
  Gegen ein solches "Argument"   ist man natürlich machtlos, weil es den andern entmündigt. 
  Damit hat der andere mich jedes Argumentes beraubt, denn was ich immer ich 
  sage, ist bereits manipulierte Meinung. 
  
  Damit hat er der Diskussion jedoch die Grundlage entzogen und ich kann nur 
  noch das Gespräch mit ihm beenden. 
  
  So einfach geht es also nicht.
  
  Nun könnte jemand sagen: "Du kannst doch nicht bestreiten, dass Deine Meinung 
  durch die Medien beeinflusst wird, das heißt doch, dass Du in Deiner 
  Meinungsbildung nicht frei bist."
  
  Dem würde ich entgegenhalten: "Es stimmt zwar, dass ich in meiner politischen 
  Meinungsbildung beeinflusst werde, aber nicht jede Beeinflussung bedeutet 
  Manipulation. Beeinflusst werde ich auch durch Argumente, die andere mir 
  vermitteln und die mir einsichtig sind." So geht es also auch nicht. 
  
  Nach Wikipedia bedeutet "Manipulation"   im Lateinischen soviel wie "Handhabung". Heute hat das Wort einen abwertenden Beiklang und man versteht 
  darunter eine gezielte, aber verdeckte Einflussnahme auf das Denken und Meinen 
  anderer Menschen.
  
  Wenn es stimmt, dass die Mehrheit der Wähler dieses Landes bei politischen 
  Wahlen in ihrer Entscheidung fremdgesteuert sind, dann wären die Wahlen reines "Theater",  so wie es in der DDR mit den 
  "99-Komma-und-Resultaten" war oder so, 
  wie es in Syrien gegenwärtig abläuft, wo nur ein Viertel der Abgeordneten 
  überhaupt gewählt wird.
  
  Trotz berechtigter Kritik an Stimmungsmache und Nicht-Information in 
  Fernsehen, Rundfunk und Presse kann die Manipulation der Öffentlichkeit durch 
  das große Geld so erfolgreich doch nicht sein, wenn die Chefs in Wirtschaft 
  und Politik vor Gerichte und Untersuchungsausschüsse zitiert werden und manche 
  daraufhin ihren Hut nehmen müssen.
  
  Die Methoden der irrationalen Meinungsmache anzuprangern und zu analysieren, 
  halte ich für eine der wichtigsten politischen Aufgaben in einer Demokratie. 
  Das fängt bei der Sprache an, wo jeder hellhörig werden sollte, wenn statt 
  Information und Fakten nur stark wertende Worte geliefert werden wie z. B. "Terrorist"   oder "Befreiungskämpfer".Fazit: 
  Das Mehrheitsprinzip erfordert Menschen, die zumindest ihre wichtigsten 
  Interessen erkennen können.
***
Das Resultat einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip kann nicht besser sein, als die individuellen Meinungen, die dem Abstimmungsverhalten der Einzelnen zugrunde liegen.
***
Das Einbringen der eigenen Interessen durch die Individuen selber – wie es bei Wahlen geschieht - macht nur Sinn, wenn diese Individuen auch in der Lage sind, ihre eigenen Interessen selber hinreichend zu erkennen.
***
  Das 
   
  Mehrheitsprinzip ist ein reines Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich 
  heraus noch keinerlei Motivation zur Realisierung der mehrheitlichen 
  Beschlüsse. Deshalb 
  kommt nach manch glorreichem Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller Art 
  im örtlichen Verein oft die peinliche Frage auf: "Und wer macht es nun? Wer 
  führt den Beschluss aus?"   Im politischen Bereich entspricht das der Frage: "Und wie soll das finanziert werden?"  
  
  Hier unterscheiden sich Abstimmungsverfahren stark von Märkten. Bei letzteren 
  ist durch den Inhalt des Vertrages klar, wer was zu leisten hat, und es gibt 
  bei den Vertragspartnern die Motivation zur Erfüllung des Vertrages, weil 
  sonst der Vertragspartner seine Verpflichtung auch nicht erfüllt.
  
  Zum Mehrheitsprinzip 
  als Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive, die mit den nötigen Mitteln 
  zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse ausgestattet ist. Dies ist 
  in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein "öffentlicher Dienst", also 
  eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger finanziert wird, und deren 
  Mitglieder zu diesem "Dienst"   im Sinne der mehrheitlichen Beschlüsse motiviert 
  werden müssen.
  
  Dies ist einer der Gründe, warum Versuche zur "Demokratisierung der 
  Wirtschaft"   mit großen Problemen belastet sind. Man kann ehrgeizige 
  Wirtschaftspläne aufstellen, aber 
  wie werden die Menschen 
  motiviert, diese Pläne zu erfüllen. 
  Lenin hatte als Vorbild die deutsche Reichspost. Entsprechend erfolglos war 
  auch die sowjetische Planbürokratie, wo es darum ging, neue Produkte, neue 
  Vertriebsformen und neue Produktionsverfahren zu entwickeln, die das A und O 
  einer modernen dynamischen  Wirtschaft sind. 
***
  	Im Großen und Ganzen 
  entspricht die Politik, die von den Parteien propagiert und von der Regierung 
  gemacht wird, der Verteilung der politischen Ansichten in der deutschen 
  Bevölkerung.
  
  Der Einfluss der Bevölkerung auf die Politik erschöpft sich nicht im Ausfüllen 
  des Wahlzettels. Über die Meinungsumfragen werden die Politiker mit den 
  vorhandenen Ansichten konfrontiert und sie werden sich hüten, diese 
  vorherrschenden Meinungen zu politischen Fragen zu ignorieren. Im Gegenteil: 
  manche werfen den Politikern auch "Populismus"   und mangelnde "Meinungsführerschaft"   vor. 
  
  Außerdem gibt es zahlreiche 
  	Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man 
  kann Parteien beitreten oder auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine 
  Vorstellungen als Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit 
  politisch relevanten Zielsetzungen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen 
  Interessenverbänden, oder lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an 
  politischen Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den 
  Abgeordneten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder im Internet politische 
  Aufklärung betreiben. 
  
  Das klingt alles klingt nicht so großartig, aber die Summe all dieser 
  Aktivitäten macht eine demokratische politische Kultur aus. 
  
  Ich glaube nicht, dass diese Möglichkeiten in Deutschland mit der nötigen 
  Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden. Bei der Politik hört offenbar für 
  viele das nüchterne Denken auf und stattdessen finden sich dort unpolitisches "Ohne-mich"  -Denken oder aber unbelehrbarer Fanatismus gepaart mit 
  Verschwörungstheorien. 
  
  Es fällt oft nicht leicht, von unterschiedlichen politischen Ansichten aus 
  sachlich miteinander zu diskutieren. Allzu schnell wird dem Andersdenkenden 
  aus seiner Position ein Vorwurf gemacht. Nicht selten gibt es auch einen 
  Gruppendruck, wo es einen gewissen Mut erfordert, der Gruppenmeinung zu 
  widersprechen und selbstkritische Fragen zu stellen.
***
  Ein geradezu erschreckendes 
  Beispiel für die Abhängigkeit unseres Denkens von der sozialen Umgebung und 
  für das 
	
  Einknicken der Einzelnen und ihrer rationalen Argumente vor der 
  Gruppenmeinung war die Art, wie auf die Rinderseuche BSE reagiert wurde. 
  
  Obwohl sich die Gefahrenlage seit der hysterischen Reaktion vor ein-zwei 
  Jahren mit völligem Verzicht auf den Verzehr von Rindfleisch nicht wesentlich 
  verändert hat, wird heute reichlich Rindfleisch konsumiert, ein völlig 
  irrationales Verhalten.
  
  Das zeigt, wie schwach der Einzelne gegenüber Massenhysterie und Panikmache in 
  seinem Denken und Handeln auch jetzt noch ist - und dass dies nicht nur ein 
  Problem der Weimarer Republik war. 
  
  Wenn hier etwas mehr Zivilcourage der Einzelnen vorhanden wäre, stünde es um 
  die politische Kultur in unserm Lande besser.
***
  Du schreibst etwas 
  sarkastisch: "Ein satter Deutscher opponiert nicht."   Ganz so unpolitisch sind 
  die Deutschen wiederum auch nicht. Ein Gegenbeispiel ist die 
  Studentenbewegung der 60er Jahre, die auch ein Abschnitt meiner politischen 
  Entwicklung war. Ich war damals nicht unterernährt, was die Kalorien betrifft, 
  aber ich war unzufrieden. Ich wollte das, für das die Generation unserer 
  Eltern nicht die Verantwortung übernommen hatte, offen legen, um es produktiv 
  verarbeiten zu können, und ich wollte alle überkommenen Autoritäten auf ihre 
  Berechtigung hinterfragen, um Platz für neue Entwicklungen zu schaffen. 
  
  Es kommt meines Erachtens im politischen Leben einer Gesellschaft nicht darauf 
  an, dass alle gewissermaßen in einer politischen Dauermobilisierung verharren, 
  sondern es kommt darauf an, dass jeder dann, wenn Gefahren für das Gemeinwesen 
  heraufziehen, rechtzeitig dagegen aktiv wird. In politischen Krisenzeiten 
  müssen die Bürger die Bereitschaft zum demokratischen Engagement haben, 
  während bei "normalem"   Ablauf der Dinge es genügt, sich zu informieren und die 
  Dinge aufmerksam zu beobachten. 
  
  Zur Kritik an der Kaste der Politiker, die sich "dem Volk"   entfremdet haben.
  
  
  Ich habe als einen Grund hierfür genannt, dass - wegen des geltenden 
  Wahlverfahrens - für die Regierungsbildung in der Regel Koalitionen 
  erforderlich sind. Dies bedeutet, dass das Regierungsprogramm erst nach der 
  Wahl ausgehandelt wird, ohne dass die Wähler darüber noch einmal befinden 
  können. 
  
  Wenn dagegen das Wahlverfahren direkt zur Mehrheit einer Partei führt, wird 
  der Wille der Wähler direkter in Politik umgesetzt. Dann hat eine Mehrheit 
  diese Politik gewählt.
***
Wer 
ohne eine zusammenhängende Argumentation die auch von mir frei gewählten 
Abgeordneten pauschal als "Verbrecher"   und "Mafia"   beschimpft und mit Dreck 
bewirft, der ist für mich kein radikaler Kritiker unserer Gesellschaftsordnung 
sondern er ist jemand, der politischen Schaden anrichtet, indem er kostbare 
Rechte wie z. B. das allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu beschädigen 
versucht. 
Hier hat für mich die 
Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu, wenn - auch meine - politische 
Freiheit verbal demontiert wird.
***
Du siehst den Fehler beim 
Mehrheitsprinzip darin, dass der Kluge und der Dumme in gleicher Weise eine 
Stimme haben, und fragst: Wohin soll das führen?
Wenn man die politische 
Abstimmung nicht als Urteil über die für alle beste Politik versteht sondern als 
Ausdruck des eigenen Interesses (jeder wählt die Partei, deren politische 
Absichten mit dem, was er selber will, am ehesten übereinstimmen), dann spielt 
die Klugheit keine entscheidende Rolle. 
Zu erkennen, ob eine 
Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler 
selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der die Interessen des 
Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für ihn abgeben 
sollte?
***
	An einen 
Kritiker der parlamentarischen Demokratie:
	
	
	
	Du bezweifelst die  Möglichkeit der Selbstkorrektur 
	 
	einer Mehrheitsmeinung durch die kritische öffentliche Diskussion. 
	
Eine 
solche Änderung der Mehrheitsmeinung hat aber z. B. bei einer so wichtigen Frage wie 
der Nutzung von Atomkraftwerken stattgefunden. In den USA 
gab es nach der Ära McCarthy und seinem berüchtigten "Komitee für 
anti-amerikanische Umtriebe"   eine Korrektur in der öffentlichen Meinung und eine 
Rehabilitation von Angeschuldigten. 
	Du behauptest, die  Abschaffung von Rechten 
in einem demokratischen Staat sei leicht. 
Ein Gegenbeispiel ist das Verfahren gegen die NPD vor dem 
Bundesverfassungsgericht, wo der Wunsch von Bundesregierung und 
Länderregierungen nach einem Verbot dieser Partei wegen Verfassungsfeindlichkeit keineswegs problemlos erfüllt wird. 
	Du 
sagst,  dass sich die Parteien gleichen wie ein Ei dem andern.
	
Ich möchte mal 
wissen, was Anhänger der "Linken" und der NPD zu der Behauptung sagen würden, dass 
sich beide Parteien gleichen wie ein Ei dem anderen. 
	Du 
bezeichnest jede Art von Eingriff des Staates in das individuelle 
Leben als "Repression". 
	
Soll der Begriff dann weiterhin eine Kritik 
beinhalten? Wenn ja, dann wäre ein Polizeieinsatz zur Festnahme 
eines Mörders für Dich folglich auch Repression und somit zu 
kritisieren. Eine Hausdurchsuchung der Polizei ohne richterliche 
Anordnung fällt für Dich in die gleiche Kategorie "Repression"   wie eine Hausdurchsuchung aufgrund richterlicher Anordnung. Kannst Du 
einen Unterschied sehen zwischen den Nacht-und-Nebel-Aktionen der Gestapo und 
einer Drogenrazzia?
	Du bewertest die 
Demokratie extrem negativ, wenn Du sie  den "schlimmsten Diktaturen"   gleichstellst.
	
Als Begründung führst Du "die zusätzlichen Repressionen nach dem 11. September" 
an sowie die "Kriege, die von der Demokratie geführt" werden.
	Wenn ich Deinen 
damit angedeutete Gedanken einmal ausformulieren darf, so meinst Du offenbar: 
"Die Demokratie ist als Staatsform nicht besser als die schlimmsten Diktaturen, 
weil ein demokratischer Staat wie die USA nach dem Anschlag auf das World Trade 
Center zusätzliche Unterdrückungsmaßnahmen ergriffen hat und die Kriege gegen 
Afghanistan und den Irak geführt hat."  
Dem würde ich entgegen halten, dass die 
globale Politik gerade nicht demokratisch organisiert ist, 
sondern immer noch ein Vielzahl von mehr oder weniger 
selbständig handelnden Staaten die Akteure der globalen Politik sind 
und dass Konflikte zwischen den Staaten weiterhin in erster Linie 
durch Anwendung von Macht entschieden werden, was letztlich 
heißt, dass die Konflikte militärisch entschieden werden. Dass ein Staat, der intern demokratisch 
verfasst ist, gegenüber anderen Staaten eine am "nationalen 
Interesse"   orientiert Machtpolitik betreibt, schließt 
sich nicht aus, im Gegenteil: es ist eigentlich auch nichts 
anderes zu erwarten. Denn bei der demokratischen Wahl der 
Regierung eines Landes werden ja die Interessen anderer Staaten und 
Völker kaum berücksichtigt und der amerikanische 
Präsident stellt sich ja nicht der Weltbevölkerung zur 
Wiederwahl sondern den wahlberechtigten US-Amerikanern. 
Was Du als Beleg für das schlimmste Versagen 
der Demokratie ansiehst, ist für mich umgekehrt ein 
zusätzlicher Beleg für die Notwendigkeit demokratischer 
Entscheidungsprozesse auch im globalen Maßstab. Leider besteht gegenwärtig 
die große Gefahr, dass das zarte und noch schwache Pflänzchen "Vereinte Nationen", in dessen Rahmen eine vorsichtige 
Demokratisierung der internationalen Politik begonnen wurde, 
durch die gegenwärtige amerikanische Regierung 
selbstherrlich geknickt wird.
Wir sind uns darin einig, 
dass auch demokratisch verfasste Staaten nicht zu rechtfertigende Kriege 
führen. So haben die USA in der Verfolgung 
ihres "nationalen Interesses"   wiederholt in Mittel- und 
Südamerika in einer Weise militärisch interveniert, dass man über 
deren völkerrechtliche und moralische Berechtigung 
geteilter Meinung sein kann. Krass gesprochen könnte sogar die 
interne Willensbildung einer Räuberbande nach dem 
Mehrheitsprinzip organisiert sein. 
Allerdings hat ein demokratischer Staat, in 
dem Meinungsfreiheit herrscht, gegenüber einer 
Diktatur den Vorteil, dass die Kriegsgegner ihre Kritik an 
der Politik der eigenen Regierung öffentlich bekunden dürfen 
und dass auch ausländische Kritik veröffentlicht werden 
	darf. Dadurch bleibt eine Selbstkorrektur der 
Mehrheitsmeinung möglich im Unterschied zur Diktatur, in der 
Kriegsgegner wegen "Wehrkraftzersetzung"   hingerichtet werden und 
in der das Abhören ausländischer Sender als "Verbreitung von Feindpropaganda"   unter Strafe steht. 
	
Du stellst fest, dass Demokratien in der Lage sind, "die Rechte einzuschränken".
	
Demgegenüber würde ich 
betonen, dass es nirgends so schwer ist, Rechte - wie z. B. das Recht auf freie  Meinungsäußerung einzuschränken 
- wie in einer konstitutionellen, parlamentarische 
Demokratie. In der Bundesrepublik müsste es dazu eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im 
Bundesrat geben, der Bundespräsident müsste unterschreiben und das Verfassungsgericht müsste eine Klage dagegen 
abweisen. Das sind nicht gerade leicht zu überwindende 
Hindernisse.
	Du hältst die Rechte in einer Demokratie nur für "Zuckerbrot". 
	
Dies Bild stammt aus der Tierdressur, wo mit "Zuckerbrot und Peitsche"   ein Tier gefügig gemacht wird, und wo die 
Peitsche immer drohend im Hintergrund steht, falls das 
Zuckerbrot nicht wirkt.  
Die Argumentation mit Bildern und Metaphern 
ist zwar rhetorisch wirkungsvoll und sprachlich ein 
belebendes Element, ist jedoch der Wahrheitsfindung in einer 
Diskussion nicht unbedingt förderlich. Die von Dir benutzte 
Metapher beinhaltet einerseits eine starke negative Wertung der 
Grundrechte ohne aber andererseits konkret anzugeben, an 
welchen Sachverhalten sich diese Wertung festmacht. Wenn ich gegen 
diesen Vergleich sagen würde: "Das Recht auf freie 
Meinungsäußerung ist doch kein 'Zuckerbrot!' ", dann könntest Du immer 
sagen: "So ist es ja nicht gemeint: es ist ja ein bildhafter 
Vergleich."   Und da nicht klar ist, wieweit der Vergleich geht 
und ab wann der Vergleich "überstrapaziert"   wird, bleibt die 
genaue Begründung der in dem Bild enthaltenen Abwertung aus. 
Ich könnte nur sagen: Dein bildhafter 
Vergleich des politischen Willensbildungsprozesses in einer 
Demokratie mit einer Tierdressur "hinkt auf allen vier 
Beinen"   (aber halt: ich wollte ja auf Metaphern verzichten) also 
neu formuliert: Dein bildhafter Vergleich wird den wirklichen 
Verhältnissen nicht gerecht. Das Recht auf freie 
Meinungsäußerung ist keine Belohnung, die irgendwer den Bürgern gewähren 
oder vorenthalten kann, um sie sich gefügig zu 
machen. Dies Grundrecht ist eben nicht in dieser Weise für 
irgendjemanden verfügbar. 
	Du schreibst weiter, dass Demokratien in der 
Lage sind, "die Repressionen zu erhöhen". 
Meine Frage ist: 
 
Was meinst Du mit    
	"Repression"? 
	
	
Das zugehörige Verb heißt im Lateinischen soviel wie "zurückdrücken"   und "repressor"   
heißt "Unterdrücker". Wenn jemand von "staatlichen 
Repressionen"   spricht, so enthält dies einen stark negativen Unterton. Leider geht diese implizite negative 
Bewertung mit einer relativ unbestimmten deskriptiven Bedeutung 
des Begriffes einher. Ist jede polizeiliche Anwendung von 
Zwang eine "Repression"? Ist die unter Einsatz von 
Schusswaffen erfolgte  Festnahme eines Mörders ebenso eine "staatliche Repression"   wie die ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl 
vollzogene nächtliche Stürmung der Wohnungen 
von Oppositionspolitikern? 
Wenn die politischen Verhältnisse mit dem 
Begriff "Repression"  beschrieben werden, so ist die 
Unterscheidung zwischen der gerechtfertigten Anwendung staatlichen Zwanges  
zur Durchsetzung legitimierter Normen und der 
außergesetzlichen Anwendung staatlicher Gewalt gegen bestimmte  Bürger 
nicht möglich. Auf diese 
Unterscheidung kommt es jedoch gerade an. 
	Zu Deiner Frage, "ob die 
 
Verletzung von Grundrechten und der Abbau von Demokratie nicht ein Wesen der 
Demokratie selbst ist."   
	
Dies kann so generell wohl nicht zutreffen, weil Staaten 
wie die USA, Großbritannien, Frankreich oder Schweden bereits seit Jahrzehnten 
demokratisch verfasst sind und immer noch den Kernbestand dessen besitzen, der 
für mich eine Demokratie ausmacht: eine legale Opposition zur Regierung, die das Recht hat, sich eigenständig zu organisieren, ihre 
Positionen zu veröffentlichen und nach dem nächsten Wahltermin selber die 
Regierung zu bilden, falls eine Mehrheit der Wähler dafür stimmt.  
	Andererseits neigen Mächtige eher dazu, ihre Macht auszuweiten als sie 
	freiwillig wieder abzugeben - auch in demokratischen Systemen. Gegen diese 
	Tendenz gibt es vor allem ein Mittel: eine wachsame Öffentlichkeit, die 
	jeden Versuch der regierenden Kräfte, demokratische Rechte und Kontrollen im 
	eigenen Interesse abzubauen, bereits in den Anfängen entgegentritt. 
	Wenn das "Ermächtigungsgesetz" erst einmal verabschiedet ist, ist es zu 
	spät, um einen Hitler auf dessen Worte festzulegen: "Nun, deutsches Volk, 
	gib uns vier Jahre Zeit, und dann richte selbst!". Da war bereits das 
	Tausendjährige Reich angebrochen.
***
Voraussetzungen der Demokratie
Politische Systeme sind keine Exportgüter. Man kann sie 
auch nicht in beliebige andere Länder verpflanzen. Sie müssen in der Kultur des 
Landes verankert sein.  
Eine parlamentarische  Demokratie setzt bestimmte Elemente einer politischen 
Kultur voraus:
Wenn es Sinn haben soll, nach der Zahl der Individuen zu  entscheiden 
(Mehrheitsprinzip), dann müssen die Individuen auch als Personen so unabhängig 
sein, dass sie selber entscheiden wollen und können. Wo dagegen das Individuum 
völlig im ethnischen Verband der Familie, der Verwandtschaft oder des Stammes 
aufgeht, kann keine Demokratie bestehen.  
Wenn bei den einzelnen Bürgern kein selbständiger 
Wille existiert, dann lässt sich daraus 
auch kein kollektiver Wille ableiten. Wo die sozialen Verbände das 
Individuum völlig einbinden, ist für eine öffentliche Debatte kein Platz.  
Wo die Medien nur Sprachrohr der jeweiligen Verbände (Sippen, Religionen, 
Stämme, Ethnien) sind und keine unabhängige, gruppenübergreifende Kritik üben, 
da kann auch keine Demokratie gedeihen.  
Wo die familiären und stammesbezogenen Loyalitäten der Individuen stärker sind 
als deren Identifizierung mit der staatlichen Verfassung, kann es keine 
Verwaltung (Justiz, Armee, Polizei, Behörden) geben, die der gewählten Regierung 
gegenüber loyal und gesetzestreu handelt.
Wo der Einzelne ohne die Unterstützung durch die familiären und ethnischen 
Verbände nicht selbständig überleben kann, da kann 
er auch in seinem Denken und Wollen nur unter Schwierigkeiten selbständig sein.
Wo allein Autorität Quelle der Wahrheit ist und unabhängige Argumente nicht 
zählen, da fehlt die ergebnisoffene Diskussion und die Lernfähigkeit, die 
Demokratien auszeichnet.  
Wo der andere nicht in erster Linie Mitbürger ist, sondern entweder "einer von 
uns" oder "einer von den andern", da geht der Rechtsstaat unter.  
Wo keine Gemeinsamkeit der Interessen besteht, wo kein Minimum an Vertrauen 
unterden politischen Akteuren besteht, da kann auch die Abhaltung von Wahlen nicht 
viel bewirken. helfen. Wahlen können immer als "gefälscht" beiseite geschoben 
werden.
Wer die Regeln einer demokratischen Verfassung nicht bejaht sondern sie nur 
parteiisch benutzt, der gibt die einmal durch Wahl gewonnene Macht am Ende seiner Amtszeit 
nicht wieder an die Bürger zurück.   
Der 
entscheidende Test für das Bestehen einer demokratischen politischen Kultur ist 
der freiwillige Rücktritt einer Regierung von der Macht, wenn sie keine Mehrheit 
mehr hinter sich hat. Solange in einem Staat noch nie eine Regierung  
	abgewählt wurde, hat eine 
Demokratie ihre Feuerprobe noch nicht bestanden.
	
Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
     
Mehrheitsprinzip *** (349 K) (1976)
     
Demokratie verstehen ** (94 K)
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Eigene Diskussionsbeiträge zu 
'Mehrheitsprinizip ...' "  
Letzte Bearbeitung 25.04.2010 / Eberhard Wesche
"Bei Gefallen bitte 
	weitersagen!"