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Was ist mit "Normen" gemeint?
Definition des Begriffs "Norm"
Beispiele für Normen
Bestandteile von Normen
Sprachliche Ausdrucksform für Normen
Zwei Unterscheidungen: faktische und normative Behauptungen / singuläre und 
generelle Behauptungen
Vor- und Nachteile genereller Normen
Ausnahmen von 
der Regel: ein Alltagsbeispiel
Arten von 
Normen
Besondere Loyalitäten
Normen für Konflikte und Normen für Kooperation
Normen und Regelmäßigkeiten
Definition des Begriffs "Norm"
Als
 "normativer Satz"   oder kurz 
als "Norm"   wird  ein Satz bezeichnet, der nichts be-schreibt sondern etwas
vor-schreibt. Normen haben keine de-skriptive sondern eine 
prä-skriptive Bedeutung. (Deshalb wird von einigen Autoren an Stelle von "Norm"   auch 
der Begriff "präskriptiver Satz"   verwendet.) 
Normen beinhalten nicht, wie die Wirklichkeit ist, sondern wie die Wirklichkeit 
sein soll. (Deshalb werden Normen manchmal auch als "Soll-Sätze"   bezeichnet.)
Normen stellen nichts fest, sondern fordern zu etwas auf. (Deshalb spricht man 
auch von "Forderungssätzen").
Beispiele für Normen:
(1) "Das Blech der Dose muss mindestens 1 mm dick sein."  
Dies ist eine technische Norm, die sich auf die Beschaffenheit eines Produktes bezieht. 
Daraus ergeben sich indirekt Handlungsnormen für den Hersteller der Dose.
(2) "Man nehme: 200g Mehl, 1/4 Liter Milch und 1 Prise Salz."
Diese Norm ist eine Backanleitung, die das Vorgehen bei der Herstellung eines bestimmten 
Kuchens vorschreibt.
(3) "Bleib stehen, Bert!"
Dies ist ein Befehl, der in einer bestimmten Situation eine direkte Vorschrift 
für das Handeln der angesprochenen Person enthält. 
(4) "Jedes Mitglied unserer Fußballmannschaft hat sich voll für den Gewinn der 
Meisterschaft einzusetzen." 
Dies ist eine Gebotsnorm, die sich an einen bestimmten Adressatenkreis richtet.  
(5) "Sonja, Du  darfst heute Abend ausnahmsweise bis 23 Uhr fernsehen."  
Mit dieser Erlaubnis wird für die angesprochene Sonja ein 
Handlungsspielraum festgelegt. Eine Erlaubnis verbietet indirekt Dritten, Sonja 
an der Ausnutzung des gewährten Handlungsspielraums zu hindern.
(6) "Du sollst nicht lügen!" 
Dies ist eine allgemeine moralische Verbotsnorm, die ohne einschränkende Bedingungen formuliert 
ist.
(7) "An einer Straßenkreuzung hat dasjenige Fahrzeug Vorfahrt, das 
von rechts kommt."   
Dies ist eine rechtliche Norm für den Straßenverkehr, die die Reihenfolge beim 
Fahren regelt.
Dieser Satz muss allerdings nicht die Äußerung einer Norm sein, er kann auch die 
Information über die faktische Geltung einer Norm sein. Beides muss man 
sorgfältig unterscheiden. Man kann z. B. über die Sitte der Witwenverbrennung in 
bestimmten Kulturen informieren, indem man bei der Beschreibung dieser Kultur 
sagt: 
(8) "Wenn der Ehemann vor seiner Frau verstirbt, soll die 
Witwe verbrannt werden."
Dieser Satz ist 
keine Norm sondern die Beschreibung eines bestimmten Brauchs. Mit diesem Satz 
fordert man niemanden dazu auf, diesen Brauch seinerseits zu praktizieren.
(9) "Wenn man sich von jemandem etwas leiht, so soll 
man es ihm auch wieder zurückgeben."
Diese Norm 
leitet sich aus einer bestehenden sozialen Einrichtung ab, dem Eigentum. Sie 
definiert die Handlung des Verleihens.
(10) "Der 
Arbeitgeber hat das Recht, dem Arbeitnehmer die Arbeit zuzuteilen." 
Diese Norm schreibt kein bestimmtes Handeln der Beteiligten 
vor, sondern ermächtigt den Arbeitgeber dazu, dem Arbeitnehmer Anweisungen zu 
geben in Bezug auf dessen Tätigkeit. Man spricht deshalb auch von einer 
"Ermächtigungsnorm". Eine solche Ermächtigungsnorm formuliert die Erlaubnis für 
die Inhaber bestimmter sozialer Positionen oder Ämter, bestimmte inhaltliche 
Normen für verbindlich zu setzen. Das Grundgesetz und andere Verfassungen 
bestehen vorwiegend aus solchen Ermächtigungsnormen. 
Bestandteile von Normen
Eine Norm kann folgende Bestandteile enthalten:
 -- die normierte Handlung bzw. das normierte Verhalten 
(z. B. sprechen, schlafen,  töten, 
 
lügen,  schweigen,  abtreiben,  pünktlich sein,  helfen,  gehorchen, verehren, 
... )
 -- den Adressaten, an den sich die Norm 
richtet (z. B. jedermann, jede Person, Frauen, Kinder unter 14, Ausländer, 
Mitglieder einer bestimmten Organisation)
 -- die Anwendungsbedingungen der Norm (z. B. immer, niemals, unter allen Umständen, 
unter keinen Umständen, wenn ein Mensch in Not ist, wenn es regnet, wenn man 
einen Käsekuchen backen will, wenn niemand geschädigt wird etc. )
 -- die Art der Normierung der Handlung (z. B. 
ist verboten, ist geboten, ist erlaubt, muss getan werden, darf getan werden, 
soll getan werden, ist richtig zu tun, ist falsch zu tun, ist empfohlen zu tun, 
ist vernünftig zu tun, ist ratsam zu tun, ... ) 
 
 -- die Art der Sanktion (wird mit Gefängnis nicht unter 2 Jahren bestraft, wird 
aus der Vereinigung ausgeschlossen, muss 100 DM Strafe bezahlen, bekommt einen 
Orden, ist ein Schuft, ... )   
 --
den Grad der Dringlichkeit einer Norm (es wird 
strengstens geboten, man muss ... , man soll ... , es wird empfohlen, geraten, 
gebeten ...). 
 
Sprachliche Ausdrucksformen für Normen
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um eine Norm auszudrücken:
"Patrick, komm jetzt hierher!" / "Patrick, Du sollst hierherkommen!" / "Patrick, 
Du musst jetzt hierherkommen!" / "Patrick, Du hast jetzt hierherzukommen!" / 
"Patrick, Du kommst jetzt hierher!" / Patrick, Du wird jetzt hierherkommen!" / 
"Patrick, wenn Du jetzt nicht hierher kommst, dann darfst Du nicht mehr 
mitspielen" / "Patrick, ich befehle Dir hiermit, hierher zu kommen!" u. a. m.
Deshalb muss man manchmal einen Text erst genauer analysieren, um den normativen 
Gehalt des Textes zu erkennen.
Auch Gebärden oder Zeichen können Normen ausdrücken, etwa der erhobene Arm des 
Verkehrspolizisten.
Zwei Unterscheidungen: Faktische und normative Behauptungen / singuläre und generelle Behauptungen
 1. singuläre  Behauptungen (sind bezogen auf ein bestimmtes  raum-zeitliches Ereignis)
a.) "Mark hat gestern die 'Rechtsphilosophie' von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitgenommen, ohne sie als 
entliehen verbuchen zu lassen."   (faktisch / singulär) 
b.) "Mark hätte gestern nicht die 'Rechtsphilosophie' von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitnehmen 
dürfen, ohne sie als entliehen verbuchen zu lassen."   (normativ / 
singulär), 
2. allgemeine Behauptungen 
(sind bezogen auf wiederkehrende Arten von Ereignissen) 
a.) "Wenn jemand ein Buch aus einer 
öffentlichen Bibliothek  mitnimmt, dann lässt er es als entliehen 
verbuchen."   (faktisch / generell) 
b.) "Wenn jemand ein Buch aus einer 
öffentlichen Bibliothek  mitnimmt, dann soll er es als entliehen 
verbuchen lassen."   (normativ / generell)
Gemäß dieser Einteilung gibt es also auch 
normative  Behauptungen, die nur ein bestimmtes 
singuläres Ereignis betreffen. Singuläre Normen kann man jedoch 
nur einmal anwenden und wenn man damit das Handeln eines 
Individuums  anleiten wollte, müsste man ständig neue 
singuläre Normen an das Individuum adressieren. 
Bei generellen Normen, die auf 
bestimmte Arten oder Klassen von Ereignissen bezogen sind, 
wird eine unbegrenzte Anzahl von Ereignissen normativ 
geregelt, weshalb sie sich grundsätzlich zur Anleitung zukünftigen Handelns 
eignen. 
Dabei kann die Verallgemeinerung 
unterschiedlich weit gehen. 
Vor- und Nachteile genereller Normen
Die Kunst bei der Formulierung von Normen besteht unter anderem darin, die 
normativen Inhalt mit 
möglichst wenigen Sätzen, also möglichst kurz und einfach auszudrücken, ohne deshalb im 
Einzelfall etwas Falsches vorzuschreiben. 
Jede Verallgemeinerung enthält das Risiko, dass relevante 
Umstände, die neuartig oder selten sind, durch die allgemeinen Begriffe nicht 
erfasst und 
berücksichtigt werden. Z. B. darf man Bücher aus einer Bibliothek 
ausnahmsweise ohne Verbuchung 
mitnehmen, wenn sie ausgemustert wurden. Natürlich kann man 
versuchen, sämtliche Ausnahmen als 
Bedingungen in die  Formulierung der Norm mit 
aufzunehmen, aber ganz ausschließen kann man damit das Problem auch dann nicht. 
So würde die Norm: "Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek  
mitnimmt, dann soll er es als entliehen verbuchen lassen" in einer 
Gesellschaftsordnung falsch werden, in der es überhaupt kein Eigentum an Büchern gibt.  
Allgemein formulierte Normen sind also immer wieder revisionsbedürftig. 
Es lassen 
sich offenbar kaum Handlungen formulieren, die unter 
allen möglichen Bedingungen geboten oder verboten sein 
sollten. Redensarten wie "Ausnahmen bestimmen die Regel"   oder "Keine Regel ohne Ausnahme"   gelten sogar für Handlungen wie 
das Töten von Menschen. Wie kann man das Problem lösen oder zumindest 
entschärfen? 
Eine Möglichkeit besteht darin, dass man die 
Norm "Du sollst nicht töten!"   durch die Angabe von 
Bedingungen präzisiert. In den §§ 212 bis 222 unseres 
Strafgesetzbuches wird zwischen verschiedenen Umständen der Tötung 
unterschieden, vom Mord über Totschlag, Tötung auf Verlangen, 
Schwangerschaftsabbruch, Völkermord und Aussetzung bis hin zur 
fahrlässigen Tötung. 
Solche Normen, die spezielle Bedingungen 
ihrer Anwendung enthalten, eignen sich schon sehr viel besser für eine 
ausnahmslose Anwendung. Doch kann 
damit das Problem nicht völlig beseitigt werden. Jeder 
Fall liegt anders und wir wissen heute noch nicht, welche völlig 
neuartigen Situationen sich zukünftig einmal ergeben werden. Deshalb hat 
der Gesetzgeber die 
Möglichkeit, Gesetze neu zu fassen und für eine neu aufgetretene Art von Fällen 
besondere zusätzliche Normen zu formulieren. Mögliche Widersprüche zwischen den alten und 
neuen Gesetzen können durch Auslegungsgrundsätze wie "Die speziellere Norm hat 
Vorrang vor der allgemeineren Norm" oder "Die jüngere Norm hat Vorrang vor der 
älteren Norm" aufgelöst werden können. 
Allerdings wird ein Gesetzbuch durch die 
Einbeziehung der Anwendungsbedingungen und durch die 
Hinzufügung von Ausnahmen nicht gerade dünner und übersichtlicher, weshalb der Spezifizierung von dorther Grenzen gesetzt 
sind. Ein Normensystem, das zu kompliziert ist, um 
von den Adressaten verstanden und behalten zu werden, erfüllt seinen Zweck u. U. schlechter als ein relativ 
allgemein formuliertes Normensystem, das in 
Einzelfällen problematisch sein mag, das jedoch leichter zu verstehen und 
zu 
befolgen ist.
Das aufgezeigte Dilemma bei der Formulierung von Normen wird dadurch entschärft, 
dass die Normen durch Richter angewendet werden, die für den jeweiligen Einzelfall 
die Anwendbarkeit der Norm zu prüfen haben und eine dem Einzelfall angepasste 
Interpretation der Norm vornehmen können.
Im deutschen Strafgesetzbuch wird das Problem in der Weise angegangen, dass in einem 
vorangestellten allgemeinen Teil Voraussetzungen der Strafbarkeit dargestellt 
werden, die 
für alle Delikte gelten. So ist eine Handlung, die objektiv den 
Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, trotzdem dann nicht 
rechtswidrig, wenn diese Handlung erforderlich war, um 
einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich und anderen 
abzuwehren. 
Ausnahmen von der Regel: ein Alltagsbeispiel
Eine Familie lebt in einem 
Einfamilienhaus, und damit nicht soviel Schmutz in das Haus getragen wird, haben 
die Eltern die Norm gesetzt, dass man nicht mit Straßenschuhen in die oberen 
Etagen gehen darf. Nun mag es Situationen geben, wo es angebracht ist, gegen 
diese Norm zu verstoßen. Ein Beispiel: Man hat einen ganz dringenden 
Termin und muss dazu eine bestimmte Zugverbindung erreichen. Man hat sich fertig 
angezogen - einschließlich der Straßenschuhe - und bemerkt nun im letzten 
Moment, dass man etwas Wichtiges im Haus vergessen hat, etwa die Fahrkarte, die 
noch 
in der oberen Etage liegt. In diesem Fall, wo es auf jede 
Sekunde ankommt, mag es gerechtfertigt sein, ausnahmsweise schnell mit den Straßenschuhen nach oben zu gehen. 
Gegenüber kleinen Kindern wird man jedoch solche Ausnahmeregelungen besser nicht propagieren, da zu 
erwarten ist, dass sie diese Ausnahmeregelung ("In besonders dringenden Fällen 
darf man mit Straßenschuhen in die oberen Etagen gehen!") für ihre Zwecke missbrauchen werden und in der Anwendung auf sich selbst extensiv auslegen.
Die Begründung für das Auseinandertreten von "öffentlich zu propagierenden Norm"   
und "eigentlich"   
richtiger Norm liegt hier in der Notwendigkeit der Lernbarkeit des Normensystems 
durch die jeweiligen Adressaten (und der begrenzten Stärke moralischer Motivation 
der Individuen). Wenn ein Normensystem zu kompliziert ist, weil für alle 
denkbaren Sonderfälle Ausnahmeregelungen gelten, so kann dies Normensystem den 
Adressaten nicht mehr vermittelt werden, allein schon deswegen, weil sie es sich 
nicht merken können. Es bieten sich sonst schnell Entschuldigungen an 
wie: "Ich habe nicht gewusst, dass ich das nicht darf"   oder "Ich hab vergessen, 
dass es verboten ist."   
Wie man an den Beispielen sieht, gibt es neben den moralischen Normen sehr verschiedenartige Normen und auch 
sprachlich können Normen auf sehr unterschiedliche Weise ausgedrückt werden. 
Sehr viele Normen sind Standards, um die Kooperation zu erleichtern 
oder zu ermöglichen, z. B. DIN-Normen. Das sind  technische Normen, die Vorschriften hinsichtlich der Beschaffenheit 
bestimmter Produkte enthalten.
Häufig beziehen sich Normen auf  
vorgegebene Ziele bzw. Zwecke. 
Ein Backrezept richtet sich nur an 
jemanden, der diesen bestimmten Kuchen backen will. Auch
Bedienungsanleitungen für technische Geräte 
gelten nur 
für diejenigen, die die Geräte benutzen wollen.
Schachregeln gelten nur für diejenigen, 
die Schach spielen 
wollen.  Grammatische Regeln gelten nur für diejenigen, die eine bestimmte 
Sprache sprechen wollen, ärztliche Anweisungen gelten nur für den, der gesund 
werden will usw.
Ratschläge ("Ich rate dir dringend von einer Reise in tropische Zonen ab") sind gewöhnlich 
auf das Wohlergehen des Beratenen ausgerichtet und stellen ebenfalls keine 
moralischen Normen dar sondern sind Regeln der Klugheit. Es gibt jedoch auch den 
Rat in moralischen Fragen: "Wie soll ich die Erbschaft auf die Kinder aufteilen, 
damit ich allen gerecht werde?"
Es gibt auch Normen, die das Handeln von Menschen nicht direkt vorschreiben, die 
jedoch  handlungsorientierend und 
handlungsanleitend sind. Zu dieser Gruppe gehören die
 
Zielbestimmungen. 
Sie sind handlungsanleitend, indem sie einen 
bestimmten Zustand der Wirklichkeit als "sein sollend"   herausheben, ohne bereits 
genaue Handlungsanweisungen anzugeben, wie dieser 
Zielzustand zu erreichen ist. ("Bleib gesund!")
Noch weiter von konkreten Handlungsvorschriften entfernt sind
 
Werturteile ("Gesundheit ist ein hohes Gut"). 
Sie dienen der groben Handlungsorientierung. Unterschiedliche Werte können zu 
Wertkonflikten führen, etwa wenn die Sicherheit der Fluggäste mit langwierigen 
Kontrollen verbunden ist. Um aus Werten Normen für das Handeln abzuleiten, 
müssen die betroffenen Werte gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. 
 
Das Problem der Geltung von Normen wird dadurch kompliziert, dass die Individuen 
mehreren sozialen  
Gruppierungen angehören (Ehe, Familie, Staat, freiwillige 
Vereinigungen wirtschaftlicher, politischer, kultureller oder religiöser Art, 
Freundschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Nation, Volk). Zwischen 
den Angehörigen bzw. Mitgliedern dieser Gruppierungen bestehen besondere soziale 
Beziehungen mit besonderen gegenseitigen Erwartungen und den 
entsprechenden Gefühlen der Loyalität bei den Mitgliedern.
Die Individuen unterliegen damit den besonderen Normen der 
Gruppierungen, denen sie angehören. Diese Normen existieren teilweise nur 
als "ungeschriebene Gesetze" in Form von tradierten gegenseitigen Erwartungen an 
das Verhalten der Mitglieder dieser Gruppierungen, die allein durch die Sanktion 
der soziale Ächtung gestützt werden. Die Normen können jedoch auch durch 
institutionalisierte Verfahren gesetzt, schriftlich fixiert und durch 
gerichtliche Strafverfahren sanktioniert werden. 
Soziale Gruppierungen können auch unter den Mitgliedern weiter differenzieren 
und sich "organisieren"   mit speziellen Positionen (Ämtern, Stellen, Funktionen, 
Rollen) denen jeweils Individuen als Positionsinhaber (Amtsinhaber, Funktionäre) 
zugeordnet werden. Für Positionsinhaber gelten wiederum besondere Normen.
Insofern ein Individuum mehreren Vereinigungen gleichzeitig angehören kann, können 
sich daraus auch widersprüchliche Forderungen ergeben, die das Individuum nicht 
zugleich erfüllen kann. So können die Normen für Kleidung und Frisur, die 
für einen Jugendlichen als Familienmitglied gelten, mit den Normen, die in 
seiner nachbarschaftlichen Gruppe von Gleichaltrigen gelten, miteinander nicht 
vereinbar sein.  
Normen für Konflikte und Normen für Kooperation
Man kann zwei Arten von Anlässen unterscheiden, bei denen man von anderen etwas 
will:
1. Ich will nicht, dass der andere bestimmte Handlungen ausführt, die meine Interessen verletzen (mich töten, verletzen, 
falsch informieren, täuschen, berauben, gefangen halten 
usw.) Hier besteht zwischen mir und dem andern ein Konflikt, d. h. 
unsere Interessen stoßen zusammen, unsere Willensinhalte sind unvereinbar. Das 
ist das zentrale Feld der moralischen Normen. 
Diese Normen, die vor allem die 
Unterlassung bestimmter Handlungen fordern, werden benötigt als Mittel einer "vernünftigen", allgemein konsensfähigen Konfliktlösung. 
Eine besondere Konfliktart ist der Konflikt um "knappe Güter" jeder Art: die 
besten Plätze zum Schlafen oder zum Sonnen, die süßesten Früchte, die 
attraktivsten Partner, die tollsten Klamotten  usw. Da die Güter nicht 
einfach da sind, sondern oft erst "produziert" werden müssen, gibt es Regeln des 
Erwerbs und der Veräußerung dieser Güter, die ein Motiv zu Fleiß und Anstrengung  
bieten sollen (z. B. Unternehmergewinn, Akkordlohn etc.) Wir sind hier bei den 
zentralen Normen   einer 
Gesellschaft, ihrer Eigentumsordnung. 
2. Der andere Anlass, bei dem ich von anderen etwas will,  sind 
Vorteile der Zusammenarbeit: Man benötigt die Mitwirkung anderer, um bestimmte 
Ziele zu erreichen. Der Baumstamm ist zu schwer für einen, aber zwei 
können ihn tragen. Ich möchte, dass jemand mir hilft und mit anfasst. 
Die Regeln der Kooperation sind gewöhnlich nicht in Form inhaltlicher moralischer Normen festgelegt, wenn man einmal vom pauschalen Lob der 
Hilfsbereitschaft absieht. Denn inhaltliche Regeln, wer was wann zu tun hat, 
lassen sich nur in der aktuellen Situation bestimmen. Deshalb vollzieht sich die unmittelbare Kooperation 
einer Gruppe meist hierarchisch: der Chef, der Meister, der Polier, der 
Vorarbeiter sagt, wer wie und mit wem zusammenarbeitet, d. h. 
wir haben keine inhaltlichen Normen sondern "Normsetzungsverfahren"   vor Ort: 
die Befugnis zu befehlen. Moral kommt hier nur sekundär ins Spiel, z. B. als Lob 
des Fleißes oder der Zuverlässigkeit bei der gemeinsamen Arbeit  bzw. bei 
der Abwertung für Drückeberger und Faulpelze. 
Diese Hierarchie kann auch auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen: "Ich bilde 
mit dir eine Gesellschaft"   bzw. "Du stellst mich gegen Lohn zum Arbeiten ein". 
Die Moral taucht auch hier nur am Rande auf: Verträge soll man halten.  
An Stelle des Wortes 
"Norm" benutzt man auch das Wort "Regel" ("Die Vorfahrtsregel besagt, dass 
derjenige, der von von mir aus gesehen von rechts kommt, mir gegenüber 
vorfahrtsberechtigt ist"). Das Wort "Regel" ist jedoch mehrdeutig. Es kann 
einmal "Norm" bedeuten, wie im Beispiel der Vorfahrtsregel, es kann jedoch auch 
"Regelmäßigkeit" bedeuten ("Eine alte Bauernregel besagt: Ist der Mai kühl und 
nass, füllt's dem Bauern Scheun' und Fass"). Im folgenden Satz findet sich 
das Wort "Regel" in beiden Bedeutungen: "In der Regel halten sich die 
Verkehrsteilnehmer an die Vorfahrtsregel."
Eine "Regel" im nicht-normativen Sinne bezeichnet etwas sich Wiederholendes, 
Gleichbleibendes. Die zugehörigen Eigenschaftswörter sind  "regelmäßig" und 
"unregelmäßig" ("Auf einen Blitz folgt regelmäßig ein Donner." - "Er hat seine 
Medizin nur unregelmäßig eingenommen"). 
Eine "Regel" im normativen Sinne bezeichnet etwas zu Befolgendes, 
Einzuhaltendes. Die zugehörigen Eigenschaftswörter sind "regelgemäß" und 
"regelwidrig" ("Der Autofahrer hat regelgemäß angehalten, um das von rechts 
kommende Fahrzeug vorbei zu lassen",  "Der Mittelstürmer hat den Fußball 
regelwidrig mit der Hand berührt"). Dass das Wort "Regel" in einem bestimmten Fall 
normativ gebraucht wird, kann man recht gut daran erkennen, dass man es durch das 
Wort "Regelung" ersetzen kann.
Das Wort "normal" verbindet in seiner Bedeutung Beschreibung und Bewertung. Wenn 
man zu jemandem sagt: "Das ist doch nicht normal, wie Du Dich hier benimmst!", 
dann drückt man damit zum einen aus, dass man das Benehmen des Angesprochenen 
ungewöhnlich findet. Zum andern drückt man damit aus, dass man das Benehmen als 
nicht normgemäß missbilligt.
 
 Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
        
    
Institutionelle Normen * (7 K)
***
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gemeint?"  
Letzte Bearbeitung 08.06.2010 /08.2015 / Eberhard Wesche
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