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Die 7 Welträtsel
                   
1. Was ist "Materie" und "Kraft"?
                    2. Woher kommt der Ursprung der Bewegung?
                    3. Woher kommt das erste Leben?
                    4. Woher stammt der Zweck in der sonst blind waltenden Natur?
                    5. Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?
                    
6. Woher kommt das vernünftige Denken und die 
Sprache?
                    7. Woher stammt der "freie", sich zum Guten verpflichtet fühlende Wille der 
Menschen?
Der Physiker und Physiologe Emil Du Bois-Reymond, Entdecker des elektrischen 
Aktionspotentials in den Nervenbahnen und Begründer der Elektrophysiologie, hielt 1872 vor der Versammlung der Deutschen Naturforscher 
und Ärzte einen Vortrag "Über die Grenzen des Naturerkennens". Darin formulierte 
er sieben Fragen, die er im Rahmen der Naturerkenntnis für nicht beantwortbar hielt. Allerdings 
definierte er "Naturerkennen" im Sinne des damals vorherrschenden mechanischen Weltbildes als das "Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf 
Bewegungen von Atomen ... oder Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der 
Atome." 
Die heutige Naturwissenschaft hat sich methodisch vom Ziel der Zurückführung 
aller Naturvorgänge auf die Mechanik der Atome gelöst, schon weil die Atome sich 
als spaltbar und als in noch kleinere Teilchen zerlegbar erwiesen. Würde Emil Du Bois-Reymond heute seine Thesen formulieren, so würde er 
vermutlich sagen, dass sich die von ihm genannten Probleme im 
Rahmen eines rein physikalischen Weltbildes nicht lösen lassen. Im vorliegenden 
Text geht es in einem weiteren Sinne darum, ob sich die oben formulierten sieben Fragen 
"wissenschaftlich", also intersubjektiv nachvollziehbar begründet, beantworten 
lassen.  
Du Bois-Reymond sah die Fragen 1, 2, 5 und 7 als "transzendent" 
- als die Grenzen des Naturerkennens überschreitend - an und hielt sie für  
nicht beantwortbar. Selbst ein mit vollkommenem Wissen über die Lage und 
Bewegung jedes einzelnen Atoms ausgestatteter Laplacescher Dämon könne diese Fragen 
nicht beantworten. Er beendete seinen Vortrag mit den Worten: "Ignorabimus" (lateinisch: "Wir werden es nicht wissen"), 
weshalb die anschließende breite Diskussion auch als "Ignorabimus-Streit" 
bezeichnet wurde.
[Die erste Rede von 1872 sowie die zweite
Rede 
aus dem Jahre 1880, in dem Du Bois-Reymond die Reaktionen auf seine erste Rede 
diskutiert, sind abgedruckt in:  
Emil Du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft. Hamburg: Meiner, 1974. Im Internet sind beide Reden auch zu 
finden unter    
http://www.philos-website.de/  
-> Schaltfläche "Gott" -> Schaltfläche "D" -> Schaltfläche "Du Bois-Reymond".]
 
Im Folgenden werden die sieben Fragen nacheinander in einem fiktiven Dialog zwischen einem heutigen Vertreter der Ignorabimus-Position (nennen wir ihn "Ignorabimus") und einem heutigen Kritiker dieser Position (nennen wir ihn "Kritiker") erörtert. Hören wir, was die beiden zu sagen haben.
Ignorabimus: Es ist zwar schon mehr als 100 Jahre her, dass Emil Du Bois-Reymond die 7 Welträtsel formulierte, aber offensichtlich sind die Lager der Befürworter und Kritiker weiterhin deutlich getrennt, wie wir schon bei der ersten Frage sehen werden. Die Frage lautet:
1.) Was ist Materie und was ist Kraft?
Kritiker: Beginnen wir mit dem ersten Teil der Frage: Was ist Materie? Du meinst also, dass man diese Frage nicht beantworten kann.
Ignorabimus: Ich bin sogar der Ansicht, dass man diese Frage und einige der folgenden Fragen prinzipiell nicht beantworten kann. Wir stoßen mit diesen Fragen an die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis.
Kritiker: Ich muss gestehen, dass ich bereits mit der Frage selber Probleme habe, wie so oft bei "Was ist ... ?"-Fragen. Bei diesen Fragen ist oft nicht klar, wonach genau gefragt wird. Wenn eine Frage den Zweck hat, fehlendes Wissen zu erhalten, so ist mir bei Deiner Frage: "Was ist Materie?" unklar, welche Art von Wissen Dir überhaupt fehlt.
Ignorabimus: Verstehst Du denn die Frage "Was ist Materie?" nicht? Sie ist doch nun wirklich sehr einfach formuliert.
Kritiker: So scheint es. Aber machen wir mal die Probe. Was hältst Du von der Antwort: "Materie ist etwas Gegenständliches, Stoffliches"?
(Kritiker hält ein Buch hoch und pocht mit den Fingern dagegen)
Kritiker: Das hier ist Materie.
Ignorabimus: Von dieser Antwort halte ich nichts, denn so ist die Frage doch nicht gemeint! Selbstverständlich weiß ich, dass das Wort "Materie" soviel bedeutet wie "Stoff", und ich weiß auch, auf welche Objekte man das Wort "Materie" anwendet.
Kritiker: So ist die Frage also nicht gemeint. Nun gut. Was hältst Du von der Antwort: "Materie ist das, was nicht Geist ist"?
Ignorabimus: Nun, es ist nicht falsch, wenn man sagt, dass Materie etwas anderes ist als Geist. Aber damit ist die Frage nach dem, was Materie selber eigentlich ist, immer noch nicht beantwortet.
Kritiker: So geht es also auch nicht. Hmm. Vielleicht hast du inzwischen auch gemerkt, dass die Frage nicht so klar und eindeutig ist, wie du dachtest.
Ignorabimus: Ich gebe zu, dass mir das bisher nicht so klar war.
Kritiker: Nun gut, ich mache noch einen weiteren Versuch, die Frage zu verstehen. Wird mit der Frage "Was ist Materie?" vielleicht nach der genaueren Zusammensetzung und Struktur der Materie gefragt? So wie man z. B. auf die Frage: "Was ist Wasser?" antworten kann: "Wasser ist die chemische Verbindung aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff"?
Ignorabimus: Das käme vielleicht schon eher hin.
Kritiker: Gut, dann gebe ich auf die Frage: "Was ist Materie?" die Antwort: "Materie ist eine Ansammlung von Elementarteilchen."
Ignorabimus: Da bin ich mir nicht sicher, ob damit die Frage wirklich beantwortet ist.
Kritiker: Du bist Dir nicht sicher? Ich habe auch eine Vermutung, woher Deine Unsicherheit kommt. Der Begriff "Materie" wird bei Anwendung auf den subatomaren Bereich völlig unanschaulich. Nehmen wir die radioaktive Strahlung, die beim Zerfall von Atomen auftritt. Auch sie besteht aus Teilchen. Aber radioaktive Strahlung hat nichts Materielles oder Stoffliches im landläufigen Sinne mehr an sich. Deshalb ist es übrigens auch kein Wunder, dass der Streit: "Materialismus oder Idealismus", der früher die Gemüter so sehr erregte, heute kaum noch jemanden vom Hocker reißt. Im 19. Jahrhundert, als Du Bois-Reymond die Fragen formulierte, war ja von Kernphysik noch keine Rede.
Ignorabimus: Deine Vermutung ist falsch. Um meinen Vorbehalt gegen Deine Antwort in Worte zu fassen: ,Mit dieser Antwort sagst Du nur etwas über die Form aus, in der uns Materie entgegentritt, jedoch nichts darüber, was Materie IST.
Kritiker: Dann verstehe ich die Frage einfach nicht. Ich schlage deshalb vor, dass wir es vorerst dabei belassen und uns dem andern Teil der Frage zuwenden. Vielleicht klärt sich dabei ja noch einiges.
Ignorabimus: Einverstanden. Also: "Was ist Kraft?"
Kritiker: Ich will versuchen, die Sache zu klären. Mal sehen, wie weit wir kommen. Wenn ich auf die Frage: "Was ist Kraft?" mit meinem Wörterbuch antworte: "Kraft ist Stärke bzw. die Fähigkeit, etwas zu bewirken", dann gibst Du Dich damit wahrscheinlich wieder nicht zufrieden, oder?
Ignorabimus: So ist es. Es geht bei der Frage: "Was ist Kraft?" nicht um die Bedeutung, die das Wort "Kraft" in der Umgangssprache hat.
Kritiker: Und wenn ich Dir das Wirken einer Kraft zeige?
(Kritiker nimmt einen Stuhl und hebt ihn hoch.)
Kritiker: Jetzt übe ich Kraft aus.
Ignorabimus: Das ist doch nicht das Problem. Ich weiß auch, auf welche Phänomene man das Wort "Kraft" anwendet. Aber die Frage ist doch: "Was IST Kraft?"
Kritiker: In der Physik ist Kraft etwas, was die Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit von Körpern ändert. Das kann z. B. durch einen Stoß, durch die Erdanziehung oder durch einen Magneten geschehen.
Ignorabimus: Das ist ja alles nicht verkehrt, aber damit weiß ich doch noch immer nicht, was Kraft IST.
Kritiker: Und ich weiß nicht, welchen Sinn Deine Frage hat. Was meinst Du denn bloß mit dem Wort "ist", das Du hier immer so betonst? Hier scheint mir das wirkliche Problem zu liegen. Ich habe da so eine Vermutung. Im mittelalterlichen Latein bedeutet "essentia" zum einen das "Sein" und zum andern aber auch das "Wesen". Fragen von der allgemeinen Form: "Was ist ...?" zielen offenbar in diesem Sinne auf das Wesen, das Wesentliche einer Sache. "Was ist Kraft?" ist dann offenbar die Frage nach dem Wesen der Kraft, was immer das auch bedeuten mag.
Ignorabimus: Mit dieser Interpretation der Frage könnte ich mich in der Tat anfreunden.
Kritiker: Dann verrate mir bitte, was Du unter dem "Wesen" einer Sache verstehst. Ich bin zufrieden, wenn wir Kraft messen können, wenn wir unter Verwendung des Begriffs "Kraft" die Vorgänge in der Welt beschreiben und erklären können und wenn wir unter Berücksichtigung der auftretenden Kräfte stabile Brücken, Häuser und Maschinen bauen können. Wozu muss ich darüber hinaus noch ein ominöses "Wesen" von Kraft erkennen?
Ignorabimus: Na gut. Ich verstehe Deine Position. Aber mir genügt es nicht, etwas definieren und messen zu können und damit Vorgänge erklären zu können. Damit weiß ich immer noch nicht, was dieses Etwas wirklich und seinem innersten Wesen nach ist.
Kritiker: Soll das eine Erläuterung der Bedeutung des Wortes "Wesen" sein? Offenbar reicht Dir die Erkenntnis nicht, dass Massen einander anziehen. Du suchst offenbar nach der weitergehenden Erklärung, warum Massen einander anziehen. Diese Erklärung kann die heutige Physik in der Tat nicht liefern. Man kann jedoch nicht ausschließen, dass dies zukünftig einmal möglich sein wird. Dann wird es allerdings an Stelle von "Kraft" und "Materie" andere physikalische Grundbegriffe geben, die nicht weiter analysiert werden können. Man kann immer die Frage stellen: Warum ist das so? Warum ziehen Massen einander an? Wenn darauf eine Antwort gegeben wird - etwa feldtheoretischer Art - kann man auch hier weiterfragen: Und warum ist das so? Dies ist keine 'Grenze unseres Erkennens', denn wir dringen mit jeder neuen Begrifflichkeit und den damit formulierten Theoremen tiefer in die Dinge ein und wissen mehr über die Dinge.
Ignorabimus: Diese Darstellung befriedigt mich nicht ganz, aber lassen wir es vorläufig dabei und gehen wir über zur zweiten Frage.
2.) Woher kommt der Ursprung der Bewegung?
Kritiker: Bei dieser Frage sollten wir uns nicht lange aufhalten. Die Frage unterstellt, dass es eine erste Bewegung gegeben hat. Daran schließt sich dann meist die traditionsreiche Frage an, wer denn wohl der erste Beweger war. Ich sehe aber keinen Grund zur Annahme einer ersten Bewegung. Das Universum muss nicht irgendwann angefangen haben, sich zu verändern und zu bewegen. Ich gehe davon aus, dass die Welt schon immer in Bewegung gewesen ist und sich verändert hat.
Ignorabimus: Wenn die Welt für Dich zeitlich unendlich ist, umgehst Du die Frage natürlich.
Kritiker: Ich umgehe hier keine Frage, sondern diese Frage stellt sich für mich einfach nicht. Ebenso wie die Frage nach dem Schöpfer der Welt. Der Schluss: "Wenn es die Welt gibt, dann muss es auch jemanden geben, der die Welt erschaffen hat" ist ein Trugschluss, genauso wie der Schluss "Wenn die Dinge sich bewegen, dann muss es auch einen Ursprung dieser Bewegungen geben. Diese Frage ist m. E. überholt in einer Zeit, wo die Vorstellung unbewegter Materie keinen Sinn mehr macht angesichts der ständigen Bewegung von Elektronen in der Hülle jedes Atoms.
Ignorabimus: Nun gut. Dann kommen wir zur dritten Frage, die sich allerdings nicht so leicht beiseite schieben lässt.
3.) Woher kommt das erste Leben?
Kritiker: Diese Frage ist in der Tat nicht leicht zu beantworten. Um es gleich zu sagen: Die heutige Biologie kann nicht mit Sicherheit sagen, woher das organische Leben gekommen ist, das sich seit mehr als 3 Milliarden Jahren auf der Erde nachweisen lässt. Trotzdem kann man Hypothesen über den Ursprung des Lebens aufstellen und diese Hypothesen rational diskutieren. Meiner Ansicht nach ist das organische Leben, zu dem auch wir Menschen gehören, auf der Erde aus unbelebter Materie entstanden.
Ignorabimus: Aber alle Lebewesen, die wir kennen, sind wiederum durch Lebewesen gezeugt worden. Jede Zelle ist entstanden aus anderen Zellen. Nicht zellulares Leben ist nicht bekannt und von einer "Ur-Zeugung" organischen Lebens aus lebloser Materie ist zumindest bisher nichts zu finden.
Kritiker: Das 
stimmt, aber ich gebe zu Bedenken, dass keine Spur organischen Lebens älter 
ist als ca. 3,8 Milliarden Jahre, 
die 
Erde aber bereits seit ca. 4,7 Milliarden Jahren existiert. Diese Zahlen legen 
nahe, dass es vor ca. 4 Milliarden Jahren angefangen hat mit dem organischen Leben auf der Erde. 
Wenn man von religiösen Vorstellungen über die Schöpfung 
einmal absieht, so gibt es dafür eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder 
ist das 
organische Leben mit einer Art "Lebenskeim" aus dem Weltall  
gekommen oder das organische Leben hat sich auf der Erde eigenständig aus unbelebter Materie entwickelt. 
Angesichts des lebensfeindlichen Milieus im Weltraum mit seinen extremen 
Temperaturunterschieden ziehe ich die letztere Hypothese vor. 
Dabei gehe ich davon aus, dass sich das Leben aus 
einfachsten Anfängen entwickelt hat. Oder hast Du gegen die Theorie von der 
Entwicklung der Arten Einwände?
Ignorabimus: Das nicht, die Evolutionstheorie ist für mich hinreichend bestätigt. Aber wie sollen sich denn selbst die einfachsten Arten - und das sind wohl die Einzeller - aus unbelebter Materie gebildet haben? Die Vorgänge in einer lebenden Zelle sind doch derart kompliziert, dass sie bis heute wissenschaftlich noch keineswegs völlig geklärt werden konnten. Das spricht doch gegen die These von der Entstehung organischen Lebens aus unbelebter Materie.
Kritiker: Das ist richtig. Ich will hier auch gar nicht so tun, als könnte man die Frage nach der Entstehung von Leben heute bereits wissenschaftlich mit hinreichender Sicherheit beantworten. Aber in unserem Disput geht es ja nicht um diese Frage sondern um die viel weitergehende Behauptung, dass man die Frage nach der ersten Entstehung von Leben grundsätzlich nicht beantwortet könne. Nur daran melde ich meine Zweifel an und versuche zu zeigen, dass die Entstehung von Leben aus unbelebter Materie keineswegs undenkbar ist. Auch für Du Bois-Reymond, der Darwins Theorie akzeptierte, war ja die Entstehung von Leben keine Frage, die unsere Erkenntnismöglichkeiten transzendiert.
Ignorabimus: Und wie könnte die Bildung eines Einzellers aus unbelebter Materie dann Deiner Meinung nach geschehen sein?
Kritiker: Gar nicht.
Ignorabimus: Interessant. Und was nun?
Kritiker: Ich muss leider etwas weiter ausholen, um meine Position zu 
verdeutlichen. 
Ignorabimus: Bitte sehr, aber beschränke Dich auf das, was für unsere 
Fragestellung notwendig ist.
Kritiker:
Ich werde mich bemühen. Richtig ist, dass alle uns bekannten Lebewesen aus lebenden Zellen bestehen. 
Dies legt den Schluss nahe, dass alle heutigen Lebewesen einer einzigen 
Entwicklungslinie entstammen.
 
 Gerade weil eine lebende Zelle bereits ein außerordentlich komplexes Gebilde ist, 
sind die Einzeller höchst wahrscheinlich nicht die ersten Lebewesen. So 
kompliziert, wie eine lebende Zelle ist, so kompliziert ist auch das Genom (die Erbanlage) 
eines Einzellers. Dessen Genom besteht bereits aus mehreren Tausend Genen, wobei 
jedes einzelne Gen seinerseits ein kompliziertes chemisches Gebilde ist. 
 
 Solche komplexen Strukturen entstehen nicht aus 
dem Stand.
Man nimmt stattdessen an, dass die Einzeller bereits das Ergebnis eines längeren 
Entwicklungsprozesses sind. Die Zelle ist demnach nicht die Urform des organischen 
Lebens. Darwin kannte die Ergebnisse der modernen Genetik noch nicht, sodass die 
Frage nach der Entstehung des Lebens für ihn nicht zu beantworten war. 
Leider wurden bis heute noch keine fossilen Spuren vom organischen Leben aus 
der Zeit vor der Entwicklung der Zelle gefunden. Deshalb muss man versuchen,  
die Lücke vorerst in der Theorie zu schließen.  
Ignorabimus: Solche Theorien sind doch reine Spekulationen.
Kritiker: Keineswegs. Es handelt sich hier um Forschungshypothesen, wie sie in den Erfahrungswissenschaften üblich sind. Solche Hypothesen müssen sich natürlich letztlich empirisch überprüfen lassen - im Idealfall durch die Erzeugung von künstlichen Lebewesen im Labor.
Ignorabimus: Leben aus der Retorte ist nun wirklich ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, aber kein Argument, das heute zählen kann.
Kritiker: Sicherlich ist das Zukunftsmusik, 
aber einige beachtliche Schritte sind von den Forschungen zur "chemischen 
Evolution" bereits gemacht worden. Es gibt außerdem noch weitere Anhaltspunkte 
für meine Hypothese, denn in den Genen und im Entstehungsprozess jedes einzelnen 
Lebewesens finden sich Spuren der Entwicklungsgeschichte seiner Art. Hier 
scheint mir die Fähigkeit lebender Zellen zur Teilung von zentraler Bedeutung zu 
sein.  
Die wichtigste Fähigkeit, die ein
Lebewesen neben der Fähigkeit zur Selbsterhaltung besitzen muss, ist die Fähigkeit, sich fortzupflanzen und 
zu vermehren. Lebewesen sind - vereinfacht gesagt - in der Lage, eine Kopie von sich selbst 
herzustellen. Man nennt diesen Vorgang auch "Replikation". Lebewesen können sich 
"replizieren". Die Besonderheiten bei sexueller Fortpflanzung klammere 
ich hier der Einfachheit halber einmal aus.
Wie eine Replikaton vor sich geht, lässt sich unter dem Mikroskop 
beobachten. Man kann sehen, wie sich die Zelle zuerst in zwei Hälften teilt und wie 
sich 
die beiden Hälften anschließend wieder vervollständigen. Alle Zellen enthalten ein 
bestimmtes Molekül, das die Fähigkeit zur Replikation besitzt. 
Dies Molekül, das sich replizieren kann, ist das 
DNA-Molekül (von englisch: deoxyribonucleic acid, deutsch auch DNS von 
Desoxyribonukleinsäure). Es 
ist ein organisches Makromolekül, also eine Kohlenstoffverbindung. Es hat die 
Form einer engen Wendeltreppe. 
Man spricht auch von einer "Doppelhelix".
Unter dem Einfluss eines Enzyms (das ist eine Eiweißverbindung, die eine chemische 
Reaktion hervorrufen und beschleunigen kann) bricht die "Wendeltreppe" in der 
Mitte der "Stufen" auseinander. An dieser Stelle 
besteht die chemische Bindung nur aus relativ schwachen Wasserstoffbrücken. Jede der beiden Hälften bindet anschließend 
die bei ihm fehlenden chemischen Bausteine in der 
ursprünglichen Anordnung an sich und bildet so wieder eine vollständige 
"Wendeltreppe". Wenn dies auf der vollen Länge des DNA-Moleküls 
geschehen ist, gibt es nun zwei völlig gleiche DNA-Moleküle.
Auch eine andere Nukleinsäure, die sehr vielseitige aber chemisch instabilere 
Ribonukleinsäure RNA (deutsch RNS) kann sich 
replizieren. Sie spielt ebenfalls eine Rolle bei der Zellteilung. 
Ein solches Molekül, das Kopien von sich selbst herstellen kann, ist meiner 
Ansicht nach die Initialzündung für das organische Leben gewesen. Die Entstehung 
des Lebens könnte z. B. so verlaufen sein wie in der folgenden Geschichte:
<<Vor ca. 3,8 Milliarden Jahren bildete sich in einer flachen Meeresbucht nach 
langen heftigen Gewittern ein einfaches Nukleinsäuremolekül, nennen wir es 
LIV. Schließlich verzogen sich die Wolken und es schien die Sonne. Die Strahlung der 
Sonne  
erwärmten das Wasser in der flachen Bucht und erwärmten so auch LIV. Dadurch lösten sich die Wasserstoffbrücken und LIV zerfiel in 2 
Hälften.>>   
Ignorabimus: Darf ich hier mal unterbrechen. Soll das eine wissenschaftliche Argumentation sein oder eine Märchenstunde? Das kann doch kein Mensch wissen, was vor mehr als 3 Milliarden Jahren mit irgendwelchen Molekülen geschah.
Kritiker: 
Das stimmt schon. Aber mir geht es bei meinem selbstverständlich erfundenen 
Szenarium nur um den Nachweis, dass es nicht 
ausgeschlossen ist, dass das organische Leben aus unbelebter Materie entstanden ist.  
Ich formuliere hier auf eine möglichst verständliche und anschauliche Weise - hoffentlich im Einklang mit unserem heutigen Wissensstand - eine Hypothese, wie 
das organische Leben aus unbelebter Materie entstanden sein könnte. Diese Hypothese kann man dann diskutieren 
und durch empirische Forschung bestätigen oder 
widerlegen. Ich könnte auch ein anderes Szenarium verwenden, das ebenfalls nach 
heutigem Wissenstand plausibel ist, etwa die Entstehung organischen Lebens in 
den Tiefen der Ozeane, die eine für Kohlenstoffverbindungen günstige, stabile 
Umwelt darstellen, wo durch rhythmisch arbeitende heiße Quellen vulkanischen 
Ursprungs ein ständiger Prozess des Zerfalls und Aufbaus von 
Kohlenstoffmolekülen stattfindet.   
Der Entwurf derartiger Szenarien ist ein methodisch völlig korrektes 
wissenschaftliches Vorgehen, solange man sich dabei nur auf solche Annahmen stützt, die wissenschaftlich bestätigt sind 
oder zumindest nicht falsifiziert und verworfen wurden. Darin unterscheiden sich 
solche Szenarien 
z. B. von Science Fiction, in der Annahmen zulässig sind, die nach heutigem 
Wissen nicht möglich sind. Deshalb wird Science Fiction zu Recht zu den 
Unterhaltungsmedien gezählt.
Ignorabimus: Bei dieser Art von Wissenschaft scheint wohl vor allem Fantasie 
erforderlich zu sein.
Kritiker: Ich würde mal so sagen: Ohne Fantasie 
und ohne schöpferische Einfälle kann man keine 
neuartigen Hypothesen aufstellen. Wissenschaft ist eine Form des 
Denkens jenseits der eingefahrenen Bahnen. Das schließt eine strenge 
selbstkritische Prüfung der eigenen Ideen nicht aus. Aber lassen wir die 
methodologischen Fragen ruhen und kehren wir zu 
unserem Szenarium zurück. 
<<Als sich nachts das Wasser 
wieder abkühlte, wurden die Stoffe wieder bindungsfähig 
und die beiden Hälften von LIV vervollständigten sich jede für sich, indem jede 
die entsprechenden fehlenden Bausteine in der ursprünglichen Anordnung wieder an sich 
band.
Dadurch gab es nun zwei in jeder Hinsicht gleich gebaute Moleküle der Art LIV. 
LIV war das erste Molekül, das sich replizierte, der Ursprung aller 
Lebewesen. Mit jeder Nacht gab 
es mehr LIVs und so gab es bald viele LIVs in der Bucht. 
Ab und zu misslang auch die genaue Nachbildung der fehlenden 
Hälfte und es gab LIVs mit kleinen Unterschieden. Manche dieser Varianten 
zerfielen auch sofort wieder, anderen fehlte die Fähigkeit zur Replikation. 
Die LIVs wurden immer wieder stark 
dezimiert, wenn durch Stürme in der Bucht eine Strömung zum offenen Meer entstand. Im 
offenen Meer zersetzten sich die LIVS. 
Bei einer der 
zahlreichen Vervollständigungen kam es nun zu einem bis dahin unbekannten "Fehler", 
indem sich zwei LIVs aneinander ketteten.
Das um eine "Stufe" verlängerte Molekül, nennen wir es LUV, besaß so wie die 
üblichen LIVs die 
Fähigkeit, sich zu replizieren, d. h. eine Kopie von sich selbst herzustellen. 
Darüber hinaus hatte LUV jedoch die Eigenschaft, sich bei starker Strömung eng 
zusammenzufalten. Dadurch wurde LUV von der Strömung nicht erfasst und hatte gegenüber den LIVs einen 
Selektionsvorteil, den es an seine Nachkommen weitergab. 
Der Anteil der LUVs wuchs mit jedem Sturm. So verschwanden allmählich die LIVs 
bis auf einige wenige, die in einem kleinen windgeschützten Zufluss zur Bucht 
eine Nische gefunden hatten, in der sie überleben konnten. Vorherrschend in der Bucht waren 
nun die LUVs.>>
Soweit die fiktive Geschichte von LIV, dem ersten Lebewesen. In der Wissenschaft 
werden auch andere Szenarien diskutiert. Anstelle der Erwärmung durch die 
tagsüber erfolgende Sonnenstrahlung könnten auch heiße Quellen auf dem 
Meeresgrund treten. Im Meer bestand bereits relativ früh in der Erdgeschichte eine relativ 
stabile Umwelt und eine in bestimmten Zeitabständen aktive Energiequelle in Form 
von heißen Quellen. Die Entstehung in der Tiefe der Meere könnte auch erklären, 
warum man bisher keine Spuren dieses nicht-zellularen Lebens gefunden hat. Ich denke, eines - nicht allzu fernen - Tages 
wird dies Rätsel gelöst und wir werden 
wissenschaftlich belegt sagen können, wie das erste Leben auf der Erde 
entstanden ist.
Ignorabimus: Deine Hoffnung in Ehren, aber für mich werden durch Deine Geschichte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. So besteht ein Lebewesen nicht nur aus Erbinformationen sondern auch aus einem Körper mit einem Stoffwechsel und einem Energiebedarf. Auch ist nicht gewährleistet, dass die zur Vervollständigung der Hälften benötigten chemischen Bausteine gerade vorhanden sind. Schließlich bleibt der Übergang zur Zellstruktur völlig ungeklärt. Aber belassen wir es erstmal dabei und wenden uns der nächsten Frage zu, die lautet:
4.) Woher stammt der Zweck in der sonst blind waltenden Natur?
Ignorabimus: Damit ist etwas gemeint, was die Menschen immer wieder mit Staunen und Bewunderung erfüllt: die zweckmäßige Einrichtung der Natur. Ich denke etwa an das Fell eines Hundes, das einen geradezu perfekten Schutz vor Kälte und Hitze, vor Regen und Schnee, vor Insekten und Dornen bietet. Wie lässt sich das vereinbaren mit dem Bild einer Natur, die selber keine Zwecke verfolgt?
Kritiker: Das Staunen über die "Weisheit" der Natur und über die perfekte Anpassung vieler Lebewesen an ihre Umwelt teile ich mit Dir. Es gibt ja inzwischen sogar eine Wissenschaft, die Bionik, die versucht, von den in der Natur vorkommenden Problemlösungen zu lernen und sie technisch umzusetzen.
Ignorabimus: Also steht hinter allem doch eine uns Menschen überlegene Intelligenz?
Kritiker: So erscheint es auf jeden Fall dem  
wissenschaftlich ungeschulten Beobachter. Man muss jedoch angesichts der 
wunderbaren Angepasstheit der verschiedenen Arten an ihre Umwelt im Bewusstsein 
behalten, dass wir damit ja nur eine Momentaufnahme des Prozesses von Veränderung und Entwicklung 
vor Augen bekommen, 
der sich insgesamt über einen Zeitraum von mehreren Milliarden Jahren erstreckt. Dieser 
Prozess ist, wie wir heute anhand der vielen ausgestorbenen Arten wissen, für viele Arten organischen Lebens 
katastrophal verlaufen. 
Ausgestorben sind nicht nur die Dinosaurier sondern ca. 200.000 weitere uns 
bekannte Arten. Sie hatten Eigenschaften, die nicht - oder zumindest nicht 
hinreichend - zweckmäßig für die damalige Umwelt waren. Der Schein idyllischer im Gleichgewicht 
befindlicher Ökosysteme trügt also - zumindest wenn man längere Zeiträume der 
Erdgeschichte betrachtet.
Nur der unvorstellbar lange Zeitraum und die unvorstellbar große Zahl der 
während dieses langen Zeitraums geschehenen Replikationen und Variationen des genetischen Materials 
machen es verständlich, 
dass sich derart vollkommen an ihre Lebensbedingungen angepasste und leistungsfähige Lebewesen entwickelt 
haben, wie wir 
sie kennen. 
Sie entwickelten sich ohne die Einwirkung irgendeiner überlegenen Intelligenz allein 
durch das Zusammenwirken zweier Umstände. Zum einen gab es geringe Abweichungen 
beim Kopieren der 
Erbanlagen und zum andern fand eine Auswahl der jeweils am besten an die 
bestehenden Lebensverhältnisse angepassten Lebewesen. 
Durch die Entstehung von zweigeschlechtlichen Lebewesen, bei denen die Erbanlagen mütterlicherseits und väterlicherseits gemischt 
werden, wurde die Variation der Erbanlagen bei den Nachkommen noch einmal 
erheblich verstärkt. Nicht zu vergessen ist auch die unvorstellbare Menge an 
Nachkommen bei vielen Arten. Eine Schnecke legt z. B. ca. 150.000 Eier.
Ignorabimus: Die Evolutionstheorie mag hier in der Tat manches erklären. Aber auch in der unbelebten Natur gibt es eine erstaunliche Zweckmäßigkeit, etwa wenn man sich die Beschaffenheit der Erde ansieht. Wie erklärt es sich z. B., dass die Erde genau die richtige Größe und die richtige Entfernung zur Sonne hat, um einerseits die Atmosphäre zu erhalten und andererseits das Wasser der Weltmeere so temperiert zu halten, dass es weder zu Eis noch zu Wasserdampf wird? Nur so konnte ein auf Kohlenstoffverbindungen aufgebautes organisches Leben entstehen. Das ist doch alles derart sinnvoll eingerichtet, dass es sich in mir sträubt, dies Zusammentreffen derart zahlreicher lebensfördernder Bedingungen auf dem Planeten Erde als einen puren Zufall anzusehen.
Kritiker: 
Dies ist eine unangemessene Sicht der Dinge. Wenn jemand z. B. nach Jahren der Trennung ohne jede Absicht im 
fernen Ausland einen alten 
Freund trifft, so sagt er vielleicht: "Das kann kein Zufall sein, dass wir im 
gleichen Hotel Urlaub machen, das ist eine Fügung (Gottes, des Schicksals etc.)". 
Bei einer solchen Betrachtungsweise wird übersehen, dass ständig Dinge 
passieren, die in diesem Sinne äußerst unwahrscheinlich sind. So sind die 
Lottozahlen, die jede Woche gezogen werden, in höchstem Grade unwahrscheinlich.
Wenn auf einer Kreuzung zwei 
Autos zusammenstoßen, so war es in höchstem Maße unwahrscheinlich, dass gerade 
diese beiden Autos gerade an dieser Kreuzung gerade zu diesem Zeitpunkt die 
Kreuzung überquerten. Es geschehen 
ständig höchst unwahrscheinliche Dinge und die Erde mit ihren das organische 
Leben ermöglichenden Eigenschaften ist ebenfalls  höchst unwahrscheinlich 
in diesem Sinne.
Ignorabimus: Die Vorstellung, dass dies alles ein Werk des Zufalls sein soll, will mir trotz Deiner Argumente nicht als plausibel erscheinen. Ich warte noch die letzten drei Fragen ab. Jetzt kommt eine besonders knifflige, aber grundlegende Frage:
5.) Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?
Ignorabimus: Hier wird nach einer Erklärung für das Entstehen der bewussten Sinnesempfindungen gefragt. Die Frage ist, welche denkbare Verbindung zwischen den physikalisch erforschbaren Vorgängen in meinem Gehirn und meinen Sinneseindrücken besteht, die ich durch Sätze wie: "Ich fühle Schmerz, schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre einen Orgelton, sehe etwas Rotes" beschreiben kann. Allgemeiner formuliert: Wie kann aus etwas Physischem etwas Psychisches entstehen?
Kritiker: Jetzt wird es wirklich kompliziert. Die Erforschung der Vorgänge in unserm Gehirn steht zwar noch am Anfang, doch sehe ich hier keine prinzipielle Grenze unserer Erkenntnis.
Ignorabimus: Die Frage ist aber 
noch grundsätzlicher gemeint. Selbst wenn wir unbegrenzt genaue Kenntnisse über 
die elektro-chemischen Prozesse im Gehirn und über deren  
Zusammenhang mit bestimmten Empfindungen hätten, so wäre die 
Entstehung von bewussten Empfindungen damit noch keinesfalls geklärt. Keine noch so genaue 
Analyse und Beschreibung der physikalischen Vorgänge in meinem Gehirn kann 
begreiflich machen, wie diese Vorgänge in mir eine Empfindung auslösen.
Kritiker: Du gibst Dich also wiederum nicht mit der 
Feststellung von empirischen Regelmäßigkeiten zufrieden (z. B. "Ein Nadelstich in die 
Fingerspitze löst bei der betreffenden Person unter den Bedingungen x, y, z eine Schmerzempfindung aus"), 
sondern Du suchst eine Theorie des Bewusstseins, die erklären kann, wie Empfindungen auf 
der Grundlage physikalischer Vorgänge entstehen.
 
Ignorabimus: Du hast es erfasst.
Kritiker: 
Ich muss gestehen: Dies ist eine sehr schwierige Frage, die ich hier auch nicht 
beantworten kann. Ich halte sie dennoch im 
Prinzip für beantwortbar. Ich will einmal einen Versuch machen zu skizzieren, auf welchem Wege 
bewusste Empfindungen in die Welt gekommen sein könnten. Meine allgemein formulierte Antwort auf diese Frage lautet: 
Die Fähigkeit von Lebewesen, etwas bewusst zu empfinden, hat sich in 
unzähligen kleinen Schritten im Zuge der seit mehreren Milliarden von Jahren stattfindenden Evolution 
organischen Lebens herausgebildet. Sie ging 
einher mit der Entwicklung eines äußerst leistungsfähigen Nervensystems. 
Empfindungen gibt es nicht als 
solche, sondern immer nur als Empfindungen eines Wesens, das empfindet. 
Entsprechendes gilt auch für andere Bewusstseinsphänomene. Insofern gehen die 
Entwicklungen der Fähigkeit zur Empfindungsfähigkeit einher mit der schrittweisen Entwicklung 
eines von seiner Umwelt abgrenzbaren Organismus oder Wesens. Jeder evolutionäre 
Schritt zur Verbesserung der Sensibilität hat sich im Zuge der Evolution erhalten, weil 
mit einer verbesserten Empfindungsfähigkeit in der Regel auch Selektionsvorteile verbunden waren. 
Ignorabimus: Das ist allerdings eine sehr allgemeine Behauptung - noch dazu ohne eine Begründung.
Kritiker: 
Nur Geduld! Ich will versuchen, meine Auffassung noch etwas konkreter 
auszuarbeiten. 
  
Sehen wir uns dazu noch einmal die aus den LIVs hervorgegangenen LUVs an.
Physikalisch gesehen haben wir hier eine "Ursache" (die starke Strömung) und eine 
"Folge" (das Zusammenfalten der Nukleinsäuremoleküle). Wir haben also einen 
kausalen Wirkungszusammenhang, der mit dem Zerplatzen einer 
Seifenblase bei starker Luftströmung vergleichbar ist.
Biologisch bedeutet dies jedoch darüber hinaus die Weiterentwicklung einer 
bestehenden Art durch die 
Einfügung eines zusätzlichen Schutzmechanismus in das Erbmaterial, der den LUVs 
Selektionsvorteile gegenüber den LIVs bringt: Bei starker Strömung faltet sich das Nukleinsäuremolekül LUV eng zusammen und 
wird dadurch von der Strömung nicht mitgerissen. 
Wenn
Einwirkungen auf ein Lebewesen regelmäßig zu bestimmten Verhaltensweisen 
dieses Lebewesens führen, 
spricht man in der Biologie und in der Psychologie von "Reiz" und "Reaktion" (englisch: "stimulus" and 
"response"). Der Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion gleicht eher 
dem Zusammenhang zwischen dem Input und dem Output eines programmierten Computers 
als  
dem physikalischen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. 
Zwischen Reiz und Reaktion 
entwickelt sich dann im Zuge der Evolution größer und komplexer werdenden Organismen eine 
Art 
Signalsystem. 
Hier, in der Verarbeitung und Koordinierung von Reizen und Reaktionen, ist meiner Ansicht nach der Ort, wo 
aus elementarsten Anfängen im Verlauf der Evolution schließlich so etwas wie 
Empfindung entsteht. 
Bei den LUVs erfolgt auf den Reiz "verstärkte Strömung" die Reaktion "Zusammenfalten". 
Um die Vorgänge anschaulicher zu machen, nehmen wir einmal an, dass 
es durch die verstärkte Strömung beim LUV zu einem elektrischen Effekt kommt, der die Veränderung der räumlichen Anordnung 
des LUV-Moleküls hervorruft. (Dies ist natürlich nur ein fiktive Annahme. Sollte sie nicht mit den 
wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbar sein, so müsste man einen anderen 
Wirkungszusammenhang als anschauliches Beispiel für die Auslösung einer Reaktion 
durch einen Reiz heranziehen.) 
Nehmen wir weiter an, seit dem Auftauchen der LUVs seien viele Millionen Jahre 
mit Billionen von Fortpflanzungen vergangen. Aus den LUVs  ist in 
zahlreichen 
Zwischenschritten inzwischen die Spezies der TANs hervorgegangen. Die TANs bestehen aus zahlreichen Molekülen und sind 
bereits um ein Vielfaches 
größer als die LUVs.
Deshalb besteht bei den TANs zwischen dem Punkt, an dem die 
verstärkte Strömung einwirkt, und dem Punkt, an dem das Zusammenfalten 
ausgelöst wird, ein räumlicher Abstand, in dem sich noch 
andere Moleküle befinden. 
Da der elektrische Effekt diese vergrößerte Distanz nicht überbrücken kann, muss 
eine elektrisch leitende Verbindung zwischen dem Ort des Reizes und dem Ort der 
Reaktion hergestellt werden. Bei der Verbindungen handelt es sich um Vorläufer der 
Nervenfasern, nennen wir sie "Reizleitungen". Außerdem müssen die beiden möglichen Zustände ("aktiver 
Reiz" und "kein Reiz") an einem Eingabepunkt in zwei unterschiedliche 
Muster elektrischer Impulse umgesetzt werden, die von einem "Sender" über die 
Verbindung zu einem "Empfänger" geschickt werden. Der "Empfänger" erfährt auf 
diese Weise, ob starke Strömung besteht oder nicht.  
Bei der Benutzung von Reizleitungen wird der ursprüngliche physikalische Reiz ersetzt durch ein Symbol dieses 
Reizes. Die 
unterschiedlichen elektrischen Impulsmuster sind Zeichen bzw. Signale, die bestimmte 
Reizzustände "bedeuten" bzw. symbolisieren. 
Die TANs haben nun nicht nur diesen einen 
Reiz-Reaktions-Mechanismus genetisch gespeichert sondern viele mit einem 
Selektionsvorteil verbundenen 
Mechanismen. Jeder Reiz-Reaktions-Mechanismus benötigt eine 
Reizleitung 
von dem Punkt, an dem der Reiz den Organismus erreicht, bis zu dem Punkt, an dem die 
Reaktion ausgelöst wird. 
Nun kann es sein, dass sich einige Reaktionen gegenseitig stören, wenn sie 
gleichzeitig ausgelöst werden. Es bedarf also 
einer zentralen Koordinierungsinstanz, nennen wir sie 
"Reiz-Reaktions-Zentrale", bei der die verschiedenen Reizleitungen 
zusammenlaufen und wo die verschiedenen Impulsmuster empfangen, 
nach ihrer Herkunft registriert und vorübergehend gespeichert werden können. Von 
dieser Zentrale aus werden dann über andere Reizleitungen die jeweiligen 
Impulsmuster 
zum 
Ort der betreffenden 
Reaktion weitergeleitet. 
Diese Reiz-Reaktions-Zentrale, an die die jeweiligen aktuellen Ausprägungen der verschiedenen Reize als Signale gesendet werden, ist der Vorläufer unseres Gehirns. Die 
Reiz-Reaktions-Zentrale "erfährt" und "erlebt" diese Reize in einer 
wie auch immer elementaren Form. Hier, in der sich entwickelnden Fähigkeit, 
physikalische Einwirkungen als bestimmte Reize zu identifizieren und als Signale 
zu empfangen, liegt meines Erachtens der Ursprung des 
Erlebens und Empfindens durch ein Lebewesen. Mit der Entwicklung der Reiz-Reaktions-Zentrale entsteht in Tausenden von winzigen Einzelschritten der 
Evolution ein Gehirn und damit zugleich ein empfindendes Wesen. Mit der 
Impulsgebung über die von der Zentrale zu den Reaktionsauslösern führenden 
Reizleitungen entwickelt sich gleichzeitig so etwas wie ein Wille dieses 
sensiblen Wesen.
Kritiker: (lächelnd) Sind noch irgendwelche Fragen offen?
Ignorabimus: Allerdings. Du malst hier aus, wie sich Nervensystem, Empfindung und Wille eines Wesens Deiner Ansicht nach gemeinsam entwickelt haben. Aber chemo-elektrische Impulsmuster sind doch nicht dasselbe wie z. B. die taktile Empfindung einer Strömung von Wasser - um bei Deinem Beispiel mit den LUVs zu bleiben. Wie wird aus dem einen das andere?
Kritiker (wieder ernst): Zu beachten ist hier, dass aus dem rohen physikalischen Ursache-Wirkung-Verhältnis (starke Strömung bewirkt Zusammenfalten) eine Subjekt-Objekt-Beziehung wird. Die bloße physikalische Einwirkung wird zum Reiz und umgesetzt in ein Signal, das von jemandem als solches erkannt und in seinem Informationsgehalt als bestimmter Reiz verstanden wird; und dieser Jemand verarbeitet dieses Reizsignal und leitet es dann weiter an einen eigenen Mechanismus, der das ankommende Muster elektrischer Impulse entschlüsselt und der bei einem bestimmten Muster eine bestimmte lebenswichtige Reaktion auslöst. Wir haben damit nicht nur eine Ansammlung von bestimmten Molekülen vor uns sondern ein empfindendes und reagierendes Wesen, einen selbsterhaltenden Organismus, der - zumindest ansatzweise - eine eigene subjektive Sicht seiner Umwelt und ein eigenes Zielsystem besitzt.
Ignorabimus: Also, ich weiß nicht recht, was ich von diesen Fantasien halten soll.
Kritiker: Was ich hier entworfen habe, soll in der Tat keine Beschreibung eines tatsächlichen Geschehens sein, aber es ist doch mehr als nur eine Fantasie, es ist ein hypothetisches Szenario, wie ich es bereits bei der Entstung des Lebens erläutert habe. Ich habe hier ein - um der besseren Anschaulichkeit willen - stark vereinfachtes, aber zugleich möglichst realistisches Denkmodell entworfenm, wie Empfindungen und Bewusstsein aus physikalischen Wirkungszusammenhängen evolutionär entstanden sein könnten. Die biologische und neurologische Forschung über die tatsächliche Evolution des Nervensystems und seiner Leistungen wird uns zukünftig sicher noch Genaueres dazu sagen können.
Ignorabimus: Aber sind wir damit der Erkenntnis des Wesens des Psychischem und des Bewusstseins auch nur einen Schritt näher gekommen? Da bin ich eher skeptisch. Aber warten wir ab, was uns die nächste Frage bringt.,
6.) Woher kommt das vernünftige Denken und die 
Sprache?
Kritiker: Diese Frage ist nicht mehr ganz so offen, wie sie 
es noch zur Zeit von Du Bois-Reymond gegen Ende des 19. Jahrhunderts war, denn 
inzwischen hat der Mensch äußerst leistungsfähige Maschinen mit künstlicher 
Intelligenz geschaffen.
Insofern erscheint die Frage nach der Entstehung des vernünftigen Denkens nicht 
mehr als prinzipiell unlösbar. 
Meine grundsätzliche Antwort auf diese Frage 
lautet auch hier: Die Intelligenz der Lebewesen hat sich Schritt für Schritt im Zuge der 
Evolution durch Auswahl aus den 
unvorstellbar vielen Gen-Variationen entwickelt. Die einzelnen Schritte zur 
Erweiterung der Intelligenz und zur Entwicklung des vernünftigen Denkens 
und Sprechens haben sich genetisch über die Generationen erhalten, 
weil mit den jeweiligen Erweiterungen der Intelligenz Selektionsvorteile verbunden waren. 
Vieles, was ich zum Entstehen von Bewusstsein in lebenden Organismen gesagt 
habe, gilt hier entsprechend.
Ich will deshalb nur stichwortartig einige Stationen des Entwicklungsprozesses 
bis hin zum vernünftigen Denken benennen, die jeweils mit Selektionsvorteilen 
verbunden waren:
 - Ein Lebewesen, das Sensoren besitzt für typische Gefahren besitzt, kann Gefahren besser entkommen (Datengewinnung).
 -
Ein Lebewesen, das geeignete Reaktionen auf Gefahren bereithält (z. B. Flucht, Totstell-Reflex u.a.m.), kann  
Gefahren besser entkommen (Reiz-Reaktions-Schemata).
 -
Ein Lebewesen, das gelungenes Verhalten der Gefahrenbewältigung genetisch gespeichert 
hat, 
kann Gefahren von Geburt an ohne Lernvorgänge bewältigen (Instinktverankerung von Überlebensstrategien).
 -
Ein Lebewesen, das Regelmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten im 
Weltgeschehen erkennen und sich merken kann, ist eher in der Lage, drohende Gefahren 
vorherzusehen und zu vermeiden (Prägung - Lernen - Konditionierung, löschbare 
Speicherung im Gehirn: Gedächtnis, Erinnerung).
 -
Ein Lebewesen, das mit Artgenossen kommunizieren kann, kann das 
Wahrnehmungsvermögen, das Wissen und die Körperkraft der andern Individuen für sich nutzen 
(Warnsignale, Hilfesignale, Koordinierung des Verhaltens auf ein gemeinsames 
Ziel, gemeinsame Sprache, gemeinsames Weltbild).
 -
Ein Lebewesen, das die von seinen Sinnesorganen aufgenommenen Umweltreize 
interpretieren und in Informationen über diese Umwelt umsetzt und das sich 
durch die Ordnung und Systematisierung dieser Informationen ein 
inneres Modell dieser Umwelt schafft, kann anhand dieses Modells 
verschiedene Handlungsmöglichkeiten fiktiv durchspielen (gedankliches 
Probehandeln).
 - Ein Lebewesen, das die leeren Stellen in seinem Weltmodell durch Versuch und 
Irrtum gezielt beseitigt, und sein Wissen über die Welt systematisch 
vervollständigt und erweitert, kann seine Umwelt gestalten und Gefahren aktiv 
bekämpfen (systematische Forschung).  
Ignorabimus: Und Du glaubst wirklich, all diese Schritte könnten aus einem Zufallsverfahren hervorgehen?
Kritiker: Sicherlich ist die eben skizzierte Stufenfolge noch sehr grob. Zwischen dem ersten sich selbst kopierenden Molekül und dem Menschen liegen sicherlich viele Tausende von unterschiedlichen Zwischenformen. In entsprechend vielen kleinen Schritten hat sich das Gehirn, die Denkfähigkeit und die Sprache entwickelt. Mir ging es hier nur um eine Veranschaulichung der Entwicklung von Intelligenz und Sprache aus einfachsten Anfängen und um den Hinweis auf die jeweils damit verbundenen Selektionsvorteile.
Ignorabimus: Das ist mir alles viel zu vage und zu bruchstückhaft. Es wird z. B. überhaupt nicht nachvollziehbar, wie der Übergang zur Zellstruktur und insbesondere zu den Nervenzellen stattfinden konnte. Nun gut. Dann auf zur letzten Frage.
7.) Woher stammt der "freie", sich zum Guten verpflichtet fühlende 
Wille der 
Menschen, 
der sich der natürlichen Selbstsucht alles Lebendigen entgegenstemmt?
Kritiker: Um gleich beim Letzten anzufangen: Von einer "natürlichen Selbstsucht alles Lebendigen" kann man meines Erachtens nicht sprechen. Was ist z. B. mit Vogeleltern, die unentwegt tätig sind, um ihre hungrigen Jungen zu füttern, oder mit Muttertieren, die unter Einsatz ihres Lebens ihre Jungen gegen Feinde verteidigen? Sie handeln ja offensichtlich nicht selbstsüchtig. Wir finden in der Natur häufig ein "selbstloses" Verhalten, das auf das Wohlergehen und das Überleben des eigenen Kollektivs gerichtet ist. Dies gilt z. B. für Tiere, die in Gruppen leben wie die Wölfe.
Ignorabimus: Das mag ja richtig sein, aber es trifft nicht den Punkt. Ich gebe zu, dass die Frage nicht ganz glücklich formuliert ist. Bei Deinen Beispielen handelt es sich um instinktives Verhalten, auf das diese Tiere programmiert sind. Die Frage zielt dagegen auf das Entstehen von Moral und Pflichtgefühl, denen der Mensch entgegen aller eigenen Interessen in freier Entscheidung zu folgen vermag.
Kritiker: Auch die Entwicklung eines moralischen Pflichtgefühls 
beim Menschen 
ist nur aus der Einbindung des Einzelnen in ein soziales Kollektiv zu erklären.
Eine Lenkung des Einzelnen im Sinne der Gruppe bzw. der Allgemeinheit ist  
in der Regel von Vorteil für das Überleben sowohl der Gruppe wie der 
überwiegenden Mehrheit ihrer Mitglieder.
Erfolgt diese Lenkung durch angeborene Instinkte, so kann es keine rasche Anpassung 
an veränderte Umweltbedingungen geben. Geschieht dies jedoch vorwiegend 
über die 
Erziehung, so wie beim Menschen, dann sind die Regeln des sozialen Zusammenlebens 
eher veränderbar, denn kulturelle Traditionen können sich schneller an 
veränderte Umweltbedingungen anpassen als genetisch 
verankerte Instinkte. 
Ignorabimus: Du versuchst aus einer entwicklungsgeschichtlichen und soziologischen Perspektive zu 
erklären, warum sich Gesellschaften entwickelt und erhalten haben, die ihren 
Mitgliedern eine Moral anerziehen.
Aber damit ist die eigentliche Frage noch nicht 
beantwortet.
Es geht um die Vereinbarkeit der Annahme, dass in der Welt alles nach 
unabänderlichen Gesetzen geschieht, mit der andern Annahme, dass unser Wille frei 
ist in der Entscheidung zwischen einem pflichtgemäßen und einem pflichtwidrigen 
Handeln.
Kritiker: Das ist allerdings eine andere Frage als die Ausgangsfrage, woher die Moral stammt. Deine Frage richtet sich auf die Vereinbarkeit der zwei Annahmen und nicht auf die Richtigkeit der beiden Annahmen, die Du offenbar voraussetzt. Ich muss gestehen, dass ich schon mit der ersten Annahme meine Probleme habe. Geschieht wirklich alles nach unabänderlichen Gesetzen? Welches sind denn diese Gesetze? Welche unabänderlichen Gesetze bestimmen denn z. B. die Politik der gegenwärtigen Bundeskanzlerin?
Ignorabimus: Diese Gesetze sind natürlich noch nicht alle bekannt.
Kritiker: Mit dieser Ausflucht kann man allerdings die These von den unveränderlichen Gesetzmäßigkeiten immer retten.
Ignorabimus: Das mag sein, aber umgekehrt willst Du doch wohl nicht behaupten wollen, dass man aus dem Umstand, dass uns die Regelmäßigkeiten eines Geschehens nicht bekannt sind, folgern muss, dass es diese Regelmäßigkeiten nicht gibt. Die enorme Entwicklung unseres Wissens aufgrund der Anwendung wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden rechtfertigt die Erwartung, dass die Ausweitung unseres Wissens auch in schwierigen, hochkomplexen Bereichen der Wirklichkeit gelingen wird.
Für Dubois-Reymond und die Naturwissenschaftler gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das entscheidende Argument ein Generelles: Danach ist alles Körperliche nichts anderes als eine - u. U. extrem komplexe - Ansammlung von sich bewegenden Atomen bzw. Materie. Da uns die mechanischen Bewegungsgesetze der Atome bekannt sind, können wir - zumindest im Prinzip - die Bewegung aller Körper wissen, indem wir diese auf die Bewegung der Atome zurückführen. Alle stofflichen Veränderungen in der Welt folgen gemäß dieser Position den Gesetzen der atomaren Mechanik.
Kritiker: Genau. Und diese mechanistische Weltsicht ist in dieser Form heute nicht mehr haltbar. Die Anhänger der mechanistischen Weltsicht im 19. Jahrhundert glaubten, mit den Atomen die kleinsten Bausteine der Welt gefunden zu haben. Mit den Bewegungsgesetzen der Atome hätte man dann alles materielle Geschehen von dorther erklären können: die Welt glich einem riesigen Uhrwerk. Diese Atomtheorie fand jedoch spätestens mit der ersten Kernspaltung ihr Ende.
Ignorabimus: Das ist sicherlich richtig, aber damit ist nicht das Verständnis der Naturwissenschaften als empirischer Gesetzeswissenschaften ad acta gelegt worden. Die Forschung geht im subatomaren Bereich weiter und wir wissen inzwischen auch eine Menge über die Teilchen, aus denen sich Atome zusammensetzen. Damit ist das eigentliche Problem doch weiterhin existent: Der Mensch als Objekt empirischer Untersuchungen bleibt in die physikalischen Gesetzmäßigkeiten eingebunden. Deshalb ist nicht zu sehen, wo ein Bereich "freier Entscheidung" im Menschen existieren könnte. Noch einmal: Es geht um die Vereinbarkeit der Annahme, dass in der Welt alles nach unabänderlichen Gesetzen geschieht, mit der andern Annahme, dass unser Wille frei ist in der Entscheidung zwischen einem pflichtgemäßen und einem pflichtwidrigen Handeln.
Kritiker: Da bin ich ganz Deiner Meinung. Ich sehe das zentrale philosophische Problem ebenfalls in der Vereinbarkeit der beiden Annahmen oder wie ich lieber sagen würde: der beiden Perspektiven. Die eine Perspektive ist die des wissenden Beobachters meines Handelns, die andere Perspektive ist die des Handelnden, der sich des Wissens bedient
Ich bin nicht der Ansicht, dass alles, was geschieht,  
unveränderlichen Gesetzen folgt, die wir erkennen können. Ich sehe in der Form 
der 
Gesetzmäßigkeit eher 
ein methodologisches Ideal: Wir möchten möglichst dauerhafte, verlässliche 
Aussagen haben, die wir nicht mehr korrigieren müssen, und möglichst 
allgemeine Aussagen, die große Bereiche abdecken und unser Weltbild 
vereinfachen. Dazu eignen sich Gesetze am Besten.
Außerdem: Woher nimmt man die kühne Überzeugung, die heutige Formulierung 
sogenannter Naturgesetze sei das letzte Wort der Wissenschaft? Man meint 
offenbar, bereits die Wirklichkeit selbst mit diesen Formulierungen zu erfassen. Ich 
sehe unsere Arbeit als Wissenschaftler mit Popper eher so, dass wir versuchen, 
Pfähle in den Sumpf zu treiben. Weniger bildhaft ausgedrückt: Wir versuchen mit unseren Begriffsrastern und Theorien die für uns wichtigen 
Aspekte der Wirklichkeit einzufangen, und das gelingt uns in vielen Bereichen recht gut. Aber das, was wir 
mit unseren Begriffen und theoretischen Modellen jeweils erfassen können, ist niemals die ganze Wirklichkeit und 
wird 
niemals das letzte Wort dazu sein.
Ignorabimus: Willst Du damit sagen, dass es in der Wirklichkeit keinerlei Ordnung gibt?
Kritiker: Nein, 
sicherlich gibt es im 
Weltgeschehen so etwas wie Regelmäßigkeit und Dauerhaftigkeit, sonst würde es 
uns selber ja nicht geben. Es ist auch sinnvoll, diese Regelmäßigkeiten 
herauszufinden, um gezielte Eingriffe in das Geschehen und Vorhersagen zu 
ermöglichen. Aber man sollte sich verabschieden von dem Glauben an die Existenz 
von 
"Naturgesetzen", die von der Wissenschaft endgültig und unabänderlich 
erkannt und formuliert 
werden können.
Wenn jemand meint, es handele sich bei einem 
bestimmten All-Satz um ein Naturgesetz, das für immer und ewig gilt, so kann man ihn fragen, woher er das weiß, da die Zukunft 
für ihn doch noch 
nicht erfahrbar ist. Steht vielleicht dahinter unbewusst noch die Idee eines göttlichen 
Schöpfers, der seinen Geschöpfen eherne 
Gesetze ihres Verhaltens mitgab? 
Wenn man das Verhalten von Menschen mit empirischen Regelmäßigkeiten nach der 
Art: "Immer wenn x, y, z gegeben ist, dann führt dieser (oder gar 
jeder) Mensch die Handlung h aus" erklären will, stellt sich das grundsätzliche Problem, dass Menschen ein 
Gedächtnis haben und dass es deshalb streng genommen für sie keine Wiederholung 
einer Situation geben kann. Auch wenn die heutige 
Situation der früheren Situation in jeder Hinsicht vollkommen gleicht, so unterscheidet sich 
die heutige Situation doch unausweichlich von der früheren Situation dadurch, 
dass der betreffende Mensch heute zusätzlich die Erinnerung an die frühere Situation 
besitzt.
Schließlich gibt es ein besonderes Problem, wenn man Regelmäßigkeiten für das 
eigene Verhalten formulieren 
will, z. B. wenn man aufgrund erkannter empirischer 
Regelmäßigkeiten vorhersagen will, wie man selber handeln wird. In solchen Fällen ist die eigene Kenntnis der 
Regelmäßigkeit 
selber ein wirkender Faktor. Wollte man diesen Faktor in die Prognose mit 
aufnehmen, um ihn zu berücksichtigen, so ist das keine Lösung, denn das Problem 
würde sich auf dieser Ebene erneut stellen. Das Wissen darum, dass man die 
Kenntnis der Regelmäßigkeit in die Prognose mit aufgenommen hat, ist nun ein 
zusätzlich wirkender Faktor.
Diese Besonderheit bei Theorien über Wesen mit Bewusstsein und 
Erinnerungsvermögen ist meines Erachtens ein Grund, warum der weitere Verlauf der Menschheitsgeschichte prinzipiell 
nicht vorhersagbar ist.
Ignorabimus: Das hört sich ja so an, als hätten wir die Rollen vertauscht und als seiest Du jetzt der Vertreter des "Ignorabimus - wir werden es nicht wissen".
Kritiker: Mit einem kleinen Unterschied: Für mich ist die prinzipielle Nicht-Vorhersehbarkeit der Menschheitsgeschichte kein Mangel unseres beschränkten menschlichen Verstandes, sondern sie ergibt sich aus unserer Stellung in der Welt als Handelnde, als diejenigen, die die Menschheitsgeschichte machen.
Ignorabimus: Das möchte ich hier aber nicht weiter diskutieren. Kommen wir zurück zur Frage nach dem Ursprung eines freien Willens im Menschen.
Kritiker: Es erscheint mir angebracht, vorweg zu klären, was mit dem Wort "frei" in 
dem Ausdruck "freier Wille" genau gemeint ist. Wenn mit dem "freien Willen" 
ein Wille gemeint ist, der durch die eigenen Wünsche und Ziele oder durch die 
Wünsche und Ziele anderer nicht beeinflusst 
wird, so besitzt der Mensch meiner Ansicht nach keinen freien Willen. Was wir 
wollen, ist davon sicherlich häufig abhängig. 
Ich kann dem Ausdruck "freier Wille" nur dann einen Sinn abgewinnen, wenn man 
dabei "frei" im Sinne von "selbstbestimmt" versteht. Dann wird allerdings auch 
rasch klar, dass die Frage "Hat der Mensch (also jeder Mensch zu jeder Zeit) 
einen selbstbestimmten Willen?" viel zu pauschal ist. Der Wille eines 
Menschen kann das eine Mal selbstbestimmt und das andere Mal fremdbestimmt sein 
und dazwischen gibt es zahlreiche Abstufungen.
Nicht selbstbestimmt und unfrei in diesem Sinne ist ein Wollen, das sich in Handeln umsetzt, obwohl der 
betreffende Mensch zu diesem Wollen begründet 'nein' sagt. Ein Beispiel hierfür 
ist der Heroinsüchtige, der von der Droge loskommen will, weil er in seinen 
klaren Momenten weiß, dass die Droge sein Gehirn zerstört, der aber 
trotzdem zwanghaft weiterhin die Droge  konsumiert. Ein Süchtiger besitzt keinen freien 
Willen im Sinne eines selbstbestimmten Willens, er unterliegt inneren Zwängen.
Nicht selbstbestimmt ist auch ein Wollen, das sich ohne Selbstkontrolle "im Affekt" 
durchsetzt.
Wenn mein Wollen von anderen Menschen beeinflusst ist, bleibt es doch 
solange selbstbestimmt, wie mein eigenes Urteilsvermögen die Einflussnahme durch 
andere 
Menschen kritisieren und 
damit wirkungslos machen kann. Werde ich jedoch ohne es zu merken in meinem 
Wollen von anderen beeinflusst ("manipuliert"), so ist mein Wille nicht frei im 
Sinne von "selbstbestimmt".
Wenn jemand seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hat, sehr hungrig ist und das 
vor ihm liegende Brot essen will, so ist dieses Wollen erstmal frei im Sinne von 
selbstbestimmt. Die Annahme, dass ein Wollen verursacht ist (hier durch 
Nahrungsmangel), ist m. E. keineswegs unvereinbar mit der Auffassung, dass dies 
Wollen frei ist im Sinne von "selbstbestimmt".  Auch wenn der Psychologe 
Regelmäßigkeiten menschlichen Wollens feststellt, ist das mit einem 
selbstbestimmten Willen vereinbar. Wenn ich vor der Wahl stehe, entweder Orangensaft 
ohne Zyankali oder Orangensaft mit Zyankali zu trinken, so ist meine 
Entscheidung für Orangensaft ohne Zyankali frei im Sinne von "selbstbestimmt", 
obwohl man hier sicherlich Regelmäßigkeiten im menschlichen Verhalten finden 
kann. 
Ignorabimus: Dann wäre also auch ein hungriger Hund, der den Knochen findet und frisst, ein Wesen mit einem freien, weil selbstbestimmten Willen.
Kritiker: Auf seine Art ist der Hund in dem beschriebenen Falle frei.
Ignorabimus: Sehen Sie denn da keinen Unterschied?
Kritiker: 
Aber sicher doch. Ein Mensch besitzt  
Fähigkeiten, die ein Hund nicht oder nur in geringem Maße hat, wie z. B. 
Überlegung, Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung. Um es am Beispiel des Hungrigen 
deutlich zu machen. Ein hungriger Mensch kann das Selber-essen-wollen zurückzustellen, wenn es dafür 
(seinem eigenen Urteil nach) hinreichende Gründe gibt. Dies kann z. B. 
dann der Fall sein, wenn der Betreffende erfährt, dass die Nahrungsmittel vergiftet sein könnten, oder wenn 
er erfährt, dass ein Kind zu verhungern 
droht, wenn es nicht bald etwas zu essen bekommt. 
Daraus folgt:
Ich kann in meinem Wollen auch dann frei sein, wenn ich dort spontan meinen 
Neigungen und Gefühlen folge, wo dies unbedenklich ist. Ich muss also meine 
Wünsche nicht abwerten und verdrängen, um in meinem Wollen frei zu sein -  
aber ich muss notfalls Herr über diese Wünsche sein.
Ignorabimus: Jetzt kommen wir endlich zum Kern der Sache: Hat ein Mensch die Wahl zwischen pflichtgemäßem und pflichtwidrigem Handeln?
Kritiker: 
Diese Frage ist zu global gestellt 
ist. 
Nicht jeder Mensch kann sich in jeder Situation in gleicher Weise zwischen 
Moral und Unmoral frei entscheiden. Um das obige Beispiel mit dem Hungrigen 
aufzugreifen: Das Motiv, entsprechend der moralischen Einsicht zu handeln, wird 
vergleichsweise schwächer, je stärker die eigenen Bedürfnisse werden. Wer selber 
am Verhungern ist, hat es schwerer, das letzte Stück Brot zu teilen, als jemand, 
der nur ein starkes Hungergefühl hat. 
Nicht umsonst gibt es Begriffe wie "Versuchung", 
"moralische Überforderung", "mildernde Umstände" etc. Wir bewundern und ehren 
außergewöhnliche Menschen, die trotz stärkster Versuchung oder größter Gefahr 
standhaft geblieben sind, aber wir verlangen nicht von jedermann, dass er ein 
Heiliger oder ein Held ist. 
Die freie Entscheidung eines Menschen für die Beachtung der Moral unabhängig von 
irgendwelchen Sanktionsdrohungen ist motiviert durch die Einsicht in die 
Notwendigkeit einer Moral überhaupt und durch die Einsicht in die Richtigkeit 
der für die Situation relevanten moralischen Normen.
Anstatt zu sagen: "Menschen haben einen freien Willen" würde ich formulieren: 
Menschen sind grundsätzlich fähig zur Einsicht in die allgemeine Gültigkeit 
moralischer Normen. Insofern können sie sich als vernünftige Wesen von ihrer 
subjektiven Interessen bzw. Neigungen lösen und eine allgemeine bzw. 
intersubjektiv gültige Perspektive einnehmen. Das Ziel einer moralischen Bildung muss es 
sein, den Willen zur Beachtung der Moral zu stärken und den Vernunftgrund zu einem 
starken Beweggrund zu machen. Voraussetzung hierfür sind meiner Ansicht nach einsichtige 
moralische Normen, die sich nachvollziehbar begründen lassen.  
Ignorabimus: Nehmen wir dies als Schlusswort. Es gäbe hier noch viel zu sagen, aber ich denke, wir sollten die Fragen in einer zweiten Runde erneut aufnehmen.
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Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Willensfreiheit - Hat der Mensch einen freien Willen? * (28 K)
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Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Die 7 Welträtsel"  
Letzte Bearbeitung 04.10.2008 / Eberhard Wesche
***
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