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Eigene Texte aus der Zeit der '68er Bewegung
Die Jugend und die Revolte
   Die Notwendigkeit der Rationalität
      Unter Menschen
         Programmatik 1965
           
Mein Selbstverständnis 1971
              
Sexualität, Ethik und Demokratie (1967)
                 
Politologie als Emanzipationswissenschaft (1968)
                    
Kampf dem Sexual-Tabu (1969)
                       
Zum Fall Mandel (1972)
                          
Gegen die Aushöhlung der Demokratie (1975)
                             
Marxistische Staatstheorie und politische Demokratie (1976)
                                
Die Thesen zur marxistischen Rechtstheorie von Oskar Negt (1976)
                                   
Antwort auf die Kritik am "ahistorischen Vorgehen" in der normativen Rechtstheorie (1977)
                                     
Die programmatische Diskussion der Linken vorantreiben (1977)
                                       
Sozialismus - mit falschen Voraussetzungen (2003)
                                           
An einen Anhänger des Marxismus-Leninismus (2005)
                                               
Leserbrief (zum Artikel von J. Schönbohm) (2008) 
                                                   
Zur RAF (2008)
                                                       
Ein 68er
Die folgenden 4 Texte aus dem Jahr 1965 sind mehr Beispiele des damaligen Denkens in Teilen der Studentenschaft als heute noch gültige politische Überlegungen. Sie vermitteln jedoch recht anschaulich die Motive, aus denen sich der Protest speiste.
Die Jugend und die Revolte
(1965)
Warum lehnt sich gerade die Jugend gegen die bestehende Ordnung auf? Es liegt 
nicht an ihrer mangelnden Erfahrung. Es liegt daran, dass sie noch die Hoffnung 
und den Willen hat, ihre Zukunft nach ihren Wünschen zu gestalten. Es liegt 
daran, dass sie im Prozess der "Erziehung" zur schmerzhaften Anpassung an eine 
unterdrückerische Umwelt gezwungen werden soll. Sie hat sich noch nicht 
abgefunden mit den Verzichten und den Beschränktheiten, die die Erzieher ihr 
auferlegen wollen.
Dieser Kampf der Jugend um ihre Freiheit und ihr Glück 
ist keine "Jugendtorheit". Ihr Kampf gegen die unverantwortlichen Autoritäten 
und eine unterdrückerische Moral steht in dem geschichtlichen Zusammenhang des 
Kampfes der Menschen um ihre Selbstbestimmung, ist ein Kampf für die bessere 
Zukunft aller Menschen. Wenn sie die herrschenden Werte des Prestiges ablehnt, 
wenn sie nicht so werden will, wie die Erwachsenen es sind, so deshalb, weil sie 
ihre Spontaneität und ihren Anspruch auf Mündigkeit nicht in den Tretmühlen 
dieser Ordnung zerreiben lassen will.
Der Kampf gegen eine 
unterdrückerische Welt kann letztlich nur der Kampf der Unterdrückten selber 
sein, dieser Kampf kann nicht stellvertretend von den "Politikern" geführt 
werden. Politisch handeln heißt, die Bestimmung der eigenen Lebensverhältnisse 
auch in die eigenen Hände zu nehmen. 
Für die Jugend, die in Unwissenheit 
und Unmündigkeit gehalten wird, der das Recht vernünftiger Selbstbestimmung 
vorenthalten wird, heißt das, dass sie sich in den Schulen und Lehrbetrieben 
organisieren muss, dass sie mit der Freiheit, wie sie in Musik, Tanz und 
Kleidung anklingt, ernst macht in ihrem tatsächlichen, alltäglichen Leben. 
Immer noch wird mit allen Mitteln, mit dem direkten Verbot und der 
heimlichen Angst, der Jugend ihre sexuelle Befriedigung erschwert oder 
vorenthalten. Nicht die schon Verheirateten und Altgewordenen werden den Kampf 
gegen eine lustfeindliche Ordnung führen, sondern nur die, deren Gefühle noch 
nicht erwürgt und verbogen sind, nur die, die noch nicht in die 
patriarchalischen Muster eingepasst sind.
Die Hoffnung, einmal erwachsen 
zu werden und dann frei und unabhängig zu sein, hat sich als trügerisch 
erwiesen. Ohne eine politische und moralische Ordnung, die an den heute 
unterdrückten Bedürfnissen und Wünschen ausgerichtet ist, kann es auch für den 
Einzelnen kein befriedigendes Leben geben.
Die Notwendigkeit der Rationalität
(Handschriftlich ca. 1965)
Die Tatsache, dass in der Vergangenheit 
geschichtsphilosophische Systeme durch ihre Metaphysik und Dogmatik allerlei 
geistiges und politisches Durcheinander hervorgebracht haben, darf uns nicht 
daran hindern, unsere Gegenwart in den historischen Zusammenhang zwischen 
Vergangenheit und Zukunft einzuordnen und grundlegende historische Tendenzen zu 
erkennen, um die möglichen Wege und anstehenden Aufgaben der eigenen Zeit zu 
begreifen. 
Natürlich kann uns keine noch so mächtige geschichtliche 
Tendenz zwingen, sie gut zu heißen und sie nicht beeinflussen zu wollen. 
Allerdings kann uns das Bewusstsein einer wirkenden historischen Tendenz dazu 
bringen, ihre positiven Chancen zu erfassen und sie nun bewusst und systematisch 
weiter durchzusetzen und zu entwickeln. 
Auf den komplizierten logischen Charakter von 
geschichtsphilosophischen und "futurologischen" Aussagen und deren 
wissenschaftliche Beweisbarkeit soll nur hier nur hingewiesen werden. Auf jeden 
Fall haben solche Geschichtstheorien hypothetischen und prinzipiell 
provisorischen Charakter und sind von ihren historischen Prämissen natürlich von 
der weiteren Entwicklung falsifizierbar. 
Mit der gebotenen Vorsicht soll hier skizzenhaft eine 
Ortsbestimmung der Gegenwart vorgenommen werden mit dem Ziel, die Chancen der 
Rationalität und deren Notwendigkeit deutlich zu machen, wobei es unumgänglich 
ist, recht weit gespannte und nur unvollkommen begründbare Theorien 
andeutungsweise zu entwickeln.
Alles Leben hat seine umweltmäßigen 
Lebensbedingungen, auf die das Lebewesen eingestellt ist. Auf den verschiedenen 
Stufen der organischen Entwicklung haben sich verschiedene Mittel 
herausgebildet, um ein erfolgreiches Verhalten des Lebewesens innerhalb seiner 
Umgebung zu erreichen: physiologische Reflexe, Organe zur direkten sinnlichen Wahrnehmung, instinktive 
Verhaltensmuster und ähnliches. 
Auch beim Menschen gibt es solche Regelungen des Verhaltens, 
etwa kulturelle Traditionen, die Weltanschauungen und Moralsysteme sowie 
Orientierung durch systematische empirische Erkenntnis und logisches Denken. In 
der gesamten Geschichte des organischen Lebens kann dabei die Tendenz 
festgestellt werden, von relativ feststehenden vererbten Steuerungsmechanismen 
zu immer mehr aktuell realitätsbezogener Orientierung und Reaktionen 
fortzuschreiten, ausgehend von primitiven Reizmustern, die nur für relativ 
statische und günstige Umweltbedingungen ausreichen, bis zum intelligenten 
Verhalten, das eine Gestaltung selbst ungünstiger Umweltbedingungen zu Gunsten 
der eigenen Existenzmöglichkeit erlaubt. 
Die Fortschritte in der höheren Organisation des Lebens gingen 
also gleichsam einher mit einem Wachstum an Realismus, worunter der Bezug auf 
die aktuelle Umwelt und deren Beschaffenheit verstanden werden sollen. Und es 
bedarf wohl keiner weiteren Begründung dafür, dass intelligente Orientierung und 
entsprechendes Verhalten eine bessere Garantie für erfolgreiche Existenz ist als 
Verhaltenssteuerung über physiologische und instinktive Automatismen oder auch 
dogmatische erkenntnismäßige und sittliche Traditionen. 
Ein Instinkt kann immer nur in einen bestimmten 
Umweltzusammenhang funktionieren, ist deshalb auf eine gewisse Statik und 
Kontinuität der Umwelt angewiesen. Er hat aus sich heraus auch nicht die 
Tendenz, bessere Verhaltensmuster zu entwickeln. Dies kann höchstens auf dem Weg 
biologischer Mutation und Selektion entstehen. 
(Nicht fertig gestellt)
(12/1965)
Im Allgemeinen ist die Erziehung bestrebt, einen Grundstock moralischer 
Gesinnung im Einzelnen zu schaffen, die verinnerlicht als übergeordnete Instanz 
des Gewissens sich ausdrückt. So großartig sich diese Prinzipien nun auch in 
hervorragenden Einzelnen vollendet haben, so offensichtlich ist es doch, dass 
diese Methode nicht ausreicht, um den Umgang der Menschen miteinander von vielen 
unnötigen Spannungen, Aggressionen, Beleidigungen und Rohheiten zu befreien. Oft 
tyrannisieren Menschen sich und andere gerade mit diesen Grundsätzen, starren 
Einstellungen und eingefahrenen Verhaltensweisen.
Der Grund für die 
mangelhafte Wirksamkeit solcher Gesinnungsmoral liegt in ihrer Blindheit für die 
Folgen des Handelns. Nicht dass dieser Gesichtspunkt überhaupt nicht in sie 
eingegangen wäre, aber letztes Kriterium ist für sie die Vereinbarkeit des 
Verhaltens mit unbefragbaren, autonom innerlich existierenden Normen.
Wollte man nun ein moralisches Bewusstsein bestimmen, das sein Verhalten auf die 
Folgen und die äußere Wirklichkeit abstellt, so käme als wichtigstes Organ die 
vernünftige Erkenntnis hinzu.
Sle würde jeweils sagen: "Diese Höflichkeit 
kostet mich nichts." - "Mit solchem Verhalten erschwere ich dem anderen seine 
Lage nur unnötig." - "Gehässigkeit, Neid und Rivalität nützen niemandem etwas." 
usw. Solche vernunftbestimmten Umgangsformen werden sich im Ergebnis weitgehend 
mit den traditionellen Normen decken, doch sind sie auf die Grundlage 
vernünftiger Einsicht gestellt und sind auf die äußere Realität direkt bezogen.
Es zeugt von einer pessimistischen Auffassung vom Menschen, wenn man 
diese Grundlage für zu schwankend häIt. Geleitet von der Einsicht, dass ein 
gemeinsames Interesse gegenseitiger Rücksichtnahme besteht und dass alle Normen 
und Gesetze ihre Berechtigung allein aus ihrem Nutzen für die Menschen ziehen, 
sollte es möglich sein, mit einer Haltung nüchterner Menschenfreundlichkeit 
unseren Umgang miteinander zu erleichtern und zu verbessern. Viel wäre schon 
gewonnen, wenn jeder wenigstens dort Konflikte vermeiden würde, wo seine 
eigenen Interessen gar nicht berührt werden.
Vielleicht sollte man auch 
die Unsitte absterben lassen, dass man Gesetzen wie den Verkehrsregeln an 
sich Gültigkeit zuschreibt und in unsinnigem Rigorismus selbst geringfügige 
Abweichungen maßregeln will, obwohl dadurch niemand behindert oder gefährdet 
wird. Stattdessen darf jemand, der durch unsinniges Pochen auf das eigene Recht 
anderen das Leben schwer macht, mit sich selbst gar noch zufrieden sein.
Vielleicht wird mancher mit einem Hinweis auf die psychische Genese der 
Verhaltensnormen solche Gesichtspunkte für unrealistisch halten, doch ist es 
nicht einzusehen, weshalb man sich hier der Tyrannei von Tatbeständen überlassen 
müsste und die Befreiung des vernünftigen Individuums nicht fortsetzen sollte.
Demokratie, Wissenschaft, moderne Kunst
(Handschriftliche private Skizze ca. 1965)
Demokratie
Alle Menschen sollen gleichberechtigt die 
Gesellschaft selbst gestalten.
Die Menschen sollen nach den Regeln leben, die sie sich in gewaltloser Einigung selbst geben.
Kein Bereich der Gesellschaft soll von der Gestaltung durch die Betroffenen ausgenommen bleiben.
Die Menschheit soll sich in einer Weltgesellschaft zusammenfügen, um die kriegerische Durchsetzung von Interessen unmöglich zu machen.
Die Befreiung des Menschen soll im Zusammenspiel von fortschreitender Demokratisierung und Erziehung zur Mündigkeit angestrebt werden.
Die Gesellschaft soll Minderheiten größtmögliche Freiheiten einräumen, die nur durch begründeten Schaden für die Mehrheit eingeschränkt werden dürfen.
Gegen Gewaltherrschaft und Bevormundung soll die Solidarität der Unterdrückten geweckt werden.
Für alle menschlich beeinflussbare Not ist die Verantwortlichkeit aller zu wecken.
Jede Einschränkung der freien Kommunikation durch Tabuisierung soll abgebaut werden.
Die vollständige Emanzipation der Frau und des Jugendlichen ist zu erreichen.
Jede Machtausübung soll der Kontrolle der Betroffenen unterworfen werden.
Das Prinzip demokratischer Konfliktlösung durch öffentliche Diskussion und gleichberechtigte Abstimmung ist im gesamtgesellschaftlichen wie im privaten Bereich anzuwenden.
Die privaten Umgangsformen sind zu überprüfen und in freie Konventionen umzuwandeln.
Jede autoritäre Bevormundung politischer, moralischer und weltanschaulicher Art ist zu bekämpfen.
Gegen die Erzeugung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern.
Gegen jede Form von Unmündigkeit des Einzelnen.
Für eine Erziehung, die nicht auf Dressur sondern auf 
Einsicht beruht.
Wissenschaft
Das Prinzip logisch-empirischer Überprüfung ist auf jede Aussage über die Wirklichkeit anzuwenden.
Jede Form unwissenschaftlicher Ideologiebildung ist anzugreifen. Insbesondere jede Metaphysik.
Die Erforschung der tabuisierten Gebiete wie Sexualität, Perversionen, Verbrechen und andere ist voranzutreiben.
Nichts soll schlecht genannt werden, von dem keine schlechten Folgen feststehen.
Gesetze sollen den Menschen dienen.
Die Erforschung und Bekämpfung der Neurose als dem 
entscheidenden Übel unserer Kultur …
(nicht fertig gestellt)
***
Mein Selbstverständnis 1971
Die Studentenbewegung von 1968 bestand nicht nicht nur aus marxistisch 
orientierten Studenten sondern auch aus radikal-demokratisch und antiautoritär 
Denkenden. Die folgenden Texte vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von den 
Zielen und Theorien dieses - oft vernachlässigten - Teils der 68er-Bewegung. 
Ich schrieb 1971 in mein Notizbuch:
"Von meinem eigenen Bildungsgang her 
habe ich seit den langwierigen und schmerzhaften Auseinandersetzungen mit 
Christentum und evangelischer Theologie eine scharfe Ablehnung aller 
dogmatischen und nicht überprüfbaren Theorien. Diese Haltung wurde durch die 
Rezeption der logisch-empirischen Wissenschaftstheorie und der analytischen 
Philosophie noch verstärkt und präzisiert. Jede autoritäre Inanspruchnahme der 
Wahrheit, die nicht der Kritik durch die Subjekte - und damit auch durch mich - 
ausgesetzt war, erregte meinen Widerstand. 
Parallel 
damit ging eine vertiefte Rezeption der Demokratietheorie einher. Jeder Versuch, 
die Erkenntnis und den Willen der Subjekte im Namen einer "objektiven" Wahrheit 
wissenschaftlicher oder ethisch-politischer Art zu unterdrücken, war in meinen 
Augen zu 
bekämpfen. In der Studentenbewegung stand ich deshalb an der Seite der radikalen 
Hochschulreformer, also der Radikaldemokraten und Sozialisten. Aufgrund meiner 
persönlichen Erfahrungen engagierte ich mich außerdem in den sexualpolitischen 
Aktivitäten die Schüler und Studenten.
Aber schon während der Zeit der Studentenbewegung ergaben 
sich theoretische Differenzen mit den linkshegelianisch beeinflussten Genossen. 
Deren Argumentationsformen und erkenntnistheoretischen Ansätze forderten 
meinen Widerspruch heraus, weil ich hier den Objektivismus und die 
Immunisierungsstrategien sah, die die Rechtfertigung für autoritäre Manipulation 
und Unterdrückung abgaben. Diese Auseinandersetzungen liefen für mich wohl 
damals schon vor dem Hintergrund der DDR und ihrer Rechtfertigungstheorie ab. 
(Die Auseinandersetzung mit der DDR war einer der Gründe für mich gewesen, zum 
Studium nach Berlin zu gehen). Ich war von dorther sensibilisiert gegen jegliche geschichtsphilosophische Objektivierung, ich sah die fatalen Schlüsse, die aus 
diesem Ansatz gezogen werden konnten. 
Mit dem Auslaufen der 
antiautoritären Bewegung trennten sich deshalb meine Wege von denen der Masse 
der linken Studenten. Ich baute eine sexualpolitische Schülergruppe mit auf 
(Sexuelle Unterdrückung - Neurose - neue Lebensform), während ein großer Teil 
der Studenten mit der intensiven Marx-Lektüre in Form von 
"Kapital"-Arbeitskreisen begann. Ich machte diese damals einsetzende Bewegung, 
die ich als "Gang in die Orthodoxie" verstand, nicht mit, stand dieser 
Entwicklung skeptisch und abwartend gegenüber, wobei ich das positive Moment 
darin sah, dass damit eine ganze politische und philosophische Tradition, die im 
Westdeutschland der Nachkriegsjahre unterdrückt und verschüttet war, nun durch 
diese Bewegung wieder angeeignet wurde. Ich hielt diesen Durchbruch für einen 
notwendigen Prozess. 
Meine Hoffnung ging jedoch dahin, dass sich der 
Diskussionsrahmen nach der Befriedigung dieses "Nachholbedarfs" wieder ausweiten 
würde. Autoritäre Fixierungen auf Mao, Che oder leninistische Parteidogmen 
vergrößerten jedoch immer stärker meine Distanz zu Teilen der sozialistischen 
Studentenbewegung. Ich selber wurde dann bei der Sexpol-Arbeit immer wieder mit 
historisch-materialistischen Argumenten konfrontiert und merkte, dass es ohne 
eine klar formulierte Theorie nicht ging. 
Mein Dilemma lag darin, dass 
ich als logischer Empirist die analytische Unterscheidung von faktischen und 
normativen Aussagen machte. Aber wie konnte ich dann politisch-normativ 
argumentieren, wenn die Erfahrungswissenschaft hierfür nicht ausreichte? 
Mein radikaler Demokratiebegriff reichte wohl für den praktischen Gebrauch, 
aber als Grundlage einer Kapitalismuskritik oder für eine sozialistische 
Strategie war er nicht zu gebrauchen. Mit irgendwelchen Wortzusammensetzungen 
von "Demokratie" und "Sozialismus" kam ich auf die Dauer nicht weiter. Ich nahm 
deshalb mein altes Projekt der "normativen Methodologie" wieder auf und 
studierte parallel dazu normative ökonomische Theorien. Ich hoffte noch auf die 
Weiterentwicklung des Diskussionsprozesses unter den Studenten und den 
sozialistischen Theoretikern, wobei dann auch meine Fragestellungen wieder 
thematisiert werden würden." (E.W. 1971)
***
Sexualität, Ethik und Demokratie
(1967)
Das folgende Referat habe ich am 08.07.1967 gehalten auf einem 
Wochenendseminar des Allgemeinen Studenten-Ausschusses (AStA) der Freien 
Universität Berlin  zum Thema "Sexualität und Gesellschaft".
Meine Damen und Herren,
in diesem Referat soll der Versuch gemacht werden, das 
Problem der Moral einmal etwas systematischer zu untersuchen. Vieles von dem, 
was ich Ihnen vortragen werde, wird Ihnen schon bekannt sein, aber einen 
Großteil der Überlegungen betrachte ich noch keineswegs als abgeschlossen, 
weshalb die anschließende Diskussion wichtig sein wird.
1. Die Problemstellung
Es begegnen uns laufend Sätze wie: "Du sollst nicht ehebrechen", "Man darf bei 
Rot nicht die Straße überqueren", "Die Löhne in der Textilindustrie sind zu 
niedrig", "Selbstbefriedigung ist schlecht", "Man soll Älteren im Bus seinen 
Platz anbieten"   usw.. 
All diesen Sätzen, so verschieden sie auch klingen mögen, ist eines gemeinsam: 
Sie enthalten keine einfache Feststellung von Tatsachen, sondern stellen eine 
Forderung dar, eine Norm für das Verhalten oder eine Erwartung. Alle Sätze der 
Moral und des Rechts haben diese Struktur, aber ebenso auch alle politischen 
Forderungen. Das Problem ist nun, wie solche normativen Sätze als richtig oder 
falsch beurteilt werden können. Welche Kriterien gibt es, um eine Handlung als 
gut beurteilen zu können und sagen zu können: Sie soll sein?
2. Gescheiterte Begründungsversuche
a) Der wissenschaftliche Begründungsversuch
In den Sozialwissenschaften hat es einen jahrzehntelangen Streit darüber 
gegeben, ob man solche normativen Sätze bzw. Werturteile 
erfahrungswissenschaftlich überprüfen kann. Er ist in die 
Wissenschaftsgeschichte als "Werturteilsstreit"   eingegangen. Mit der Ausbildung 
der modernen Wissenschaftslogik, die auf das Ziel intersubjektiver 
Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen ausgerichtet ist, hat sich heute die 
Ansicht durchgesetzt, dass man mit Hilfe der erfahrungswissenschaftlichen 
Methode zwar feststellen kann, was ist, dass sie aber nicht ausreicht, um 
feststellen zu können, was sein soll.
b) Der naturrechtliche Begründungsversuch
Die oben skizzierte logische Unterscheidung von Werten und Erkennen wird von 
den verschiedenen naturrechtlichen Ansätzen nicht berücksichtigt. Ihr Vorgehen 
kann man dahingehend beschreiben, dass sie die "Natur"   oder das "Wesen"   einer 
Sache bestimmen und daraus Forderungen für das menschliche Handeln ableiten. 
Es heißt zum Beispiel: "Der Sinn der Sexualität ist die Fortpflanzung. Deshalb 
sind Empfängnisverhütung und Selbstbefriedigung unmoralisch."   
Die Schwäche dieser naturrechtlichen Ansätze, wie sie von der katholischen 
Moraltheologie und manchen Rechtsphilosophen vertreten werden, besteht darin, 
dass sich diese "natürliche Bestimmung", dieser "Sinn"   gar nicht erkennen lässt. 
Wieso gehören die Lustempfindung, die gefühlsmäßige Befriedigung nicht zum "Wesen"   der Sexualität? Es handelt sich hier gar nicht um die Erkenntnis dessen, 
was ist, wenn das "Wesen"   der Sexualität bestimmt wird, sondern schon um eine 
verborgene Wertung. Insofern bleibt der Satz der modernen Erkenntnistheorie 
gültig, dass man aus der Erkenntnis dessen was ist, nicht logisch folgern kann, 
was sein soll. 
Aus demselben Grunde müssen auch alle anthropologischen und 
geschichtsphilosophischen Ableitungen normativer Sätze scheitern. Es heißt etwa: 
"Der Mensch ist auf Freiheit angelegt. Deshalb sind die Forderungen nach 
Demokratisierung berechtigt." Die gedankliche Verwirrung liegt hier in dem Wort 
"angelegt". Es täuscht vor, dass eine Tendenz oder Möglichkeit der menschlichen 
Entwicklung automatisch mit dem Guten und Wünschbaren zusammenfällt. Dies 
Prinzip erweist sich als unbrauchbar, wenn man erkennt, dass im Menschen auch 
Schädliches angelegt ist und unsere historische Entwicklung auch negative Trends 
enthält.
Gelegentlich tauchen auch moralische Regeln auf wie: "Du sollst menschlich 
handeln"   oder "Man soll das Gute tun". Diese Sätze sehen aus wie ewige 
moralische Gesetze, sind es vielleicht auch. Ihr Mangel ist nur, dass sie 
überhaupt nichts Inhaltliches aussagen. Das Problem moralischer Entscheidung 
fängt nämlich erst da an, wo man bestimmen soll, was denn "menschlich"   und "gut"   
ist. Bis dahin sind sie bloße Leerformeln, normative Tautologien nach Art des 
Satzes "Man soll nichts übertreiben."  
Ich fasse das bisher Gesagte zusammen:
Werte lassen sich nicht in der Weise überprüfbar erkennen wie Tatbestände. Es 
lässt sich wissenschaftlich nur bestimmen, was ist, aber nicht, was sein soll. 
Aus der Feststellung dessen, was ist, kann ich logisch nicht folgern, was sein 
soll. Selbst wenn sich der Lauf der Geschichte vorhersagen ließe, wäre er damit 
noch nicht automatisch wünschenswert und gut. Normative Leerformeln verschieben 
das Problem nur.
3. Die dogmatischen Auffassungen der Ethik
Neben diesen als gescheitert anzusehenden Begründungsversuchen moralischer und 
politischer Normen gibt es eine Reihe weit verbreiteter Auffassungen, die sich 
gar nicht überprüfbar begründen wollen, und die deshalb ihrem eigenen Anspruch 
nach auch nicht kritisierbar oder bezweifelbar sind. Ich will sie die "dogmatischen Auffassungen"   nennen. Sie gehen von einem absoluten Sittengesetz 
aus, das entweder in religiösen Lehren oder aber auch im sittlichen Empfinden 
enthalten ist. 
Solche dogmatischen Auffassungen von Moral und Recht bestimmen noch weitgehend 
unser Zusammenleben und die Gesellschaft, und es bleibt nur zu hoffen, dass der 
Prozess der moralisch-politischen Entdogmatisierung unter weniger 
Schwierigkeiten sich vollziehen kann als es einst der Prozess der 
wissenschaftlichen Entdogmatisierung konnte. Die dogmatischen Moralsysteme 
enthalten nämlich folgende Gefahren:
1. Sie stellen einander widersprechende Auffassungen dar, für die es keine 
Möglichkeit der Einigung gibt. Daraus folgt, dass das notwendige Zusammenleben 
der Menschen erschwert wird.
2. Mögliche Irrtümer in diesen dogmatischen Auffassungen sind nicht 
kritisierbar, was zu schwerem Schaden führen kann.
3. Das Individuum, das solchen einander widersprechenden und falschen 
Moralsystemen ausgesetzt ist, bezahlt diesen Ballast an Verboten mit 
ungerechtfertigten Schuldgefühlen und Neurotisierungen.
4. Ein neuer Ansatz als Konsequenz aus der Situation
Die philosophische Situation auf dem Gebiet der Ethik lässt sich nach dem bisher 
Gesagten dahingehend umreißen, dass das "Gute"   sich nicht unabhängig von 
menschlichen Entscheidungen bestimmen lässt. Muss man daraus nun die 
Konsequenzen eines willkürlichen Subjektivismus ziehen, muss man sich damit 
begnügen, "dass nun einmal alle Wertungen subjektiv sind"? 
Eine solche Resignation scheint mir den sozialen Notwendigkeiten zu 
widersprechen, denn wir müssen dauernd auf allgemeinverbindliche Normen 
zurückgreifen, wir brauchen zum Beispiel ein Strafgesetz, wir beurteilen das 
Verhalten der Menschen und unser eigenes an Hand von allgemeinen Maßstäben, wir 
erziehen unsere Kinder moralisch usw.. 
Wer aus einer verständlichen Verbitterung über die traditionelle Tabumoral und 
ihre repressive und ideologische Funktion nun überhaupt darauf verzichten will, 
so etwas wie einen moralischen Maßstab zu errichten, der übersieht, dass wir vom 
Verhalten anderer Menschen unausweichlich betroffen sind und folglich an einer 
allgemeinverbindlichen Regelung des Umgangs miteinander, d. h. an einer Moral, 
interessiert sind. 
Es scheint deshalb notwendig, einen anderen Begründungsversuch ethischer Normen 
zu unternehmen, wobei das Ziel sein soll, eine Moral zu finden, auf die sich 
alle Menschen ohne Gewalt oder Bevormundung in vernünftiger Weise einigen 
können.
5. Das Argument mit dem Schaden einer Handlung
Um die zu entwickelnden Prinzipien anschaulicher werden zu lassen, will ich sie 
an Hand eines konkreten Beispiels erörtern. Es gibt etwa die traditionelle 
Anschauung: "Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist etwas Schlechtes. Jugendliche 
sollen nicht miteinander schlafen."   
Die Frage ist nun: Wie ist es möglich, für oder gegen eine solche Anschauung zu 
argumentieren, so dass die Argumente für jedermann prinzipiell einsehbar sind?
Eine Argumentation, die für jedermann anerkennbar wäre, bestünde in dem 
Nachweis, dass sich aus der umstrittenen Handlung ein Schaden ergibt. Aber wie 
kann man feststellen, ob eine Handlung schädlich ist? Konkrete Antworten wären 
etwa: "Vorehelicher Verkehr birgt das Risiko einer unerwünschten Schwangerschaft 
in sich, vermindert die Fähigkeit zur späteren ehelichen Treue, führt zu 
Schuldgefühlen und Unglück usw."   
Was ist all diesen Antworten gemeinsam, was bedeutet der Begriff "Schaden"  ? Man 
kann feststellen, dass jedesmal Folgen des umstrittenen Verhaltens genannt 
werden und dass diese dann mehr oder weniger ausdrücklich als schlecht bewertet 
werden. Gegen ein solches Argument kann man immer den Zweifel vorbringen, ob die 
Handlung tatsächlich zu diesen Folgen führt. Es wäre also jeweils ein 
wissenschaftlicher Nachweis nötig, wenn das Argument auch andere überzeugen 
soll. Denn jemand könnte auch ganz andere Aussagen über die Folgen vorehelichen 
Verkehrs machen, er könnte etwa sagen: "Vorehelicher Geschlechtsverkehr fördert 
eine angemessene Partnerwahl, ist eine Einübung in die Ehe, fördert die 
Entwicklung der Persönlichkeit usw.."   
Um über die Schädlichkeit einer Handlung entscheiden zu können, muss also durch 
überprüfbare medizinische, psychologische und soziologische Forschung, durch 
Experimente oder durch die Analyse statistischer Daten die Frage nach den Folgen 
geklärt werden. Eine selbstverständliche Forderung, gegen die aber dennoch 
laufend verstoßen wird. 
Eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung könnte auch herausfinden, dass 
das Verbot viel zu allgemein war, dass in Wirklichkeit ein anderer Faktor die 
zusätzliche Bedingung für die Folge war: dass etwa vorehelicher Verkehr nur 
unter der Bedingung zu Schuldgefühlen und Unglück führt, dass er mit der tief 
gehenden Drohung der Sünde belastet wird. Man könnte u. U. herausfinden, dass 
bei als "böse"   tabuisierten Handlungen der Mechanismus einer "self-fulfilling 
prophecy"   - einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung - eine Rolle spielt, dass 
nämlich die Sexualität nur dadurch in abstoßenden und kriminellen Formen 
vorkommt, weil sie als sündhaft, verwerflich oder gemein diffamiert wurde. 
Aber es geht mir hier nicht um die Richtigkeit oder Falschheit einiger 
Behauptungen über die Folgen vorehelichen Verkehrs, sondern um die Prinzipien 
einer für jedermann anerkennbaren Argumentation. Wir halten also fest, dass man 
bei der Argumentation für oder gegen eine moralische Norm von einer 
überprüfbaren Erkenntnis über die Folgen der betreffenden Handlung ausgehen 
muss, d.h dass die wissenschaftliche Erkenntnis der Realität die Bedingung einer 
moralischen Gesinnung ist. 
Wir hatten gesagt, dass das Argument der Schädlichkeit einer Handlung aus einem 
Nachweis der Folgen und aus deren Beurteilung als schlecht bestehen muss. Aber 
wie kann ich feststellen, ob die Folge schlecht ist? 
Wir hatten den Begriff des Schadens ja gerade eingeführt, um zu bestimmen, was 
schlecht ist. Trotzdem haben wir uns nicht nur im Kreis gedreht, denn zu 
beurteilen, ob vorehelicher Verkehr schlecht ist, ist sehr viel leichter, wenn 
man über die Folgen Bescheid weiß, denn die Folgen sind leichter zu beurteilen. 
Über sie lässt sich auch leichter eine einheitliche Bewertung abgeben.
6. Das Wohl der Betroffenen als Gesichtspunkt
Im allgemeinen wird eine Einigung über die Folgen einer Handlung ausreichen, 
um auch über ihre moralische Beurteilung zu einem einheitlichen Urteil zu 
kommen, aber zum Beispiel bei Fragen der politischen Ordnung reicht ein solches 
Argument noch nicht aus. Wir müssen das Problem also theoretisch noch weiter 
klären und uns fragen: Warum ist eine Sache schlecht? Allgemein anerkennbar wäre 
das Argument, dass sie gegen das Wohl der Betroffenen ist. 
Wichtig dabei ist, dass man das Wohl aller davon Betroffenen berücksichtigt. 
Denn wenn dabei das Wohl eines Einzelnen nicht mit in Erwägung gezogen worden 
ist, kann man schwerlich von ihm verlangen, dass er der Bewertung zustimmt. Das 
Wohl aller Betroffenen wäre identisch mit dem Allgemeinwohl, denn wer von einer 
Handlung oder Maßnahme überhaupt nicht betroffen ist, ist gegenüber ihrer 
Bewertung gleichgültig. Wie ließe sich aber nun dies Allgemeinwohl bestimmen?
Wir können erst einmal feststellen, dass das Wohl jedes Menschen in gleicher 
Weise berücksichtigt werden müsste, denn ein Unterprivilegierter könnte der 
Ordnung schwerlich in der Weise zustimmen, wie wir es anfänglich gefordert 
haben, nämlich in vernünftiger Einsicht, ohne Gewalt und Bevormundung. Daraus 
ergibt sich, dass bei Berücksichtigung aller Folgen aus allen möglichen 
Entscheidungen diejenige zu wählen ist, die dem Wohl der meisten Menschen dient.
Hier taucht jedoch noch ein Problem auf, denn was machen wir, wenn eine Sache 
dem einen zwar etwas hilft, bei dem andern jedoch ein lebenswichtiges Interesse 
verletzt? 
Man könnte vorweg sagen, dass - wenn gleichviel Individuen betroffen sind - man 
sich für die mit dem stärkeren Bedürfnis entscheiden sollte. Für eine genauere 
Entscheidung brauchte man jedoch eine Rangfolge der Werte etwa nach Art der 
juristischen Güterabwägung. 
Die Problematik einer solchen Konsensbildung soll hier nicht weiter erörtert 
werden. Stattdessen will ich mich dem komplizierten Problem zuwenden, wie sich 
das Wohl eines einzelnen Menschen bestimmen lässt, denn aus der Summe aller 
einzelnen soll sich ja das Allgemeinwohl zusammensetzen. Wie kann man 
entscheiden, ob eine Sache für ein Individuum gut ist?
Wir wenden wieder ein rationales Entscheidungsmodell an. Wir fragen nach den 
Folgen einer Sache und ob diese mit den Zielen des Individuums im Einklang sind. 
Diese Ziele nun sind nicht unabhängig von den Entscheidungen des Individuums 
bestimmbar. Ich kann diese Ziele zwar in Frage stellen, ich kann ihm Bedürfnisse 
nachweisen, die ihm unbewusst waren, ich kann ihm Widersprüche in seinen Zielen 
nachweisen, ich kann ihm Bedürfnisse als scheinhaft und nicht wirklich seine 
eigenen nachweisen, aber letztlich entscheidet doch seine eigenes Urteil. Selbst 
einem Menschen, der entschlossen ist, sich das Leben zu nehmen, kann ich 
letztlich nicht beweisen, dass es für ihn besser ist, weiterzuleben. Nur bei 
Individuen, denen die nötige Vernunft fehlt, etwa bei kleinen Kindern, wäre es 
gerechtfertigt, sie nicht über ihr eigenes Wohl entscheiden zu lassen. 
Prinzipiell soll jedoch gelten, dass die freie und rational geklärte Einsicht 
der Individuen bestimmen soll, was für sie gut ist, und dass ein gewaltloser und 
rational geklärter Konsens bestimmt, was für die Allgemeinheit gut ist, das 
heißt, was moralisch gut und politisch gerecht ist.
7. Die undogmatische Moral und das Zusammenleben der Menschen 
Ich hoffe, dass dieser Begründungsversuch moralischer Normen für Sie nicht zu 
anstrengend und abstrakt war. Er erweist sich in seinen Konsequenzen jedoch als 
recht fruchtbar. Er bedeutet nämlich, dass alle Moralgesetze, Verhaltensregeln, 
Forderungen und politische Programme ihre Berechtigung allein aus dem aufgeklärten Willen der Individuen ableiten können. Keine Regelung, der man uns 
unterwerfen will, ist gerechtfertigt, wenn unser Wille dabei nicht 
berücksichtigt ist. 
Die unzähligen Konventionen, die uns umgeben und unser Verhalten bestimmen, sind 
in der Mehrzahl gar keine Konventionen, denn wir haben an diesen freien 
Übereinkünften nie mitgewirkt. Alles, was sich den Anschein des 
Allgemeingültigen gibt, kann seine Gültigkeit nur aus dem Willen der 
Betroffenen, zu denen auch ich gehöre, gewinnen. Keine Forderung oder Anordnung 
braucht hingenommen zu werden als berechtigt, wer immer sie auch vertritt, alle 
Ordnungen und Anordnungen können zur Diskussion gestellt werden. "Ich soll?"   
Wessen Wille ist es, dass ich soll? In wessen Interesse ist es, dass ich soll?
Nun ist es allerdings gerade bei den sexuellen Normen und Konventionen 
schwierig, sie zur Diskussion und zur vernünftigen Einigung zu stellen, für das 
Kind gegenüber seinen Eltern, für den Einzelnen gegenüber dem andern und 
vielleicht auch gegenüber dem Partner. Denn immer noch findet im sexuellen 
Bereich eine infantile Einschüchterung statt, werden den Jugendlichen 
Informationen darüber vorenthalten, wird es mit dem Schleier des Privaten 
umgeben. Es findet immer noch eine raffinierte Tabuisierung statt, die den 
Verboten gerade in ihrer Unartikuliertheit die Macht bewahrt. 
Aber das Prinzip, dass die Normen des Umgangs miteinander dem gemeinsamen Willen 
der souveränen Individuen entsprechen sollen, dass sie sozial und real 
ausgerichtet sollen und jederzeit verändert werden können, wenn es wünschenswert 
ist, dies Prinzip hat auch für die Sexualität Gültigkeit. Es gibt überhaupt 
keine eigenen Prinzipien der Sexualmoral, sondern hier wie anderswo sind die 
Grundsätze dessen gültig, was wir uns nach unserer eigenen Einsicht nicht antun 
wollen, uns nicht belügen, nicht weh tun, nicht Gewalt antun und nicht 
ausnutzen. Machen wir Ernst mit der Freiheit und der Vernunft.
8. Die radikale Demokratie und der Zustand unserer Gesellschaft 
Was ich hier dargelegt habe, ist die Grundidee einer demokratischen Gesellschaft 
nach dem Prinzip der gewaltlosen Einigung auf der Grundlage von 
Gleichberechtigung und Vernunft. Nur dass ich dies Prinzip radikaler gefasst 
habe und von der politisch-rechtlichen Sphäre auf die privat-moralische 
übertragen habe, mit dem Ziel, unsere Sittengesetze und besonders die 
tabuisierte Sexualmoral aus ihrer traditionsgebundenen und dogmatischen 
Fixierung zu lösen. Die parlamentarische Demokratie ist ein Ansatz, der dem hier 
dargelegten Prinzip in vielem schon entspricht:
Um die politischen Alternativen und deren Konsequenzen möglichst irrtumsfrei 
erkennen zu können, gibt es eine öffentliche Diskussion, die durch die 
Grundrechte der Informationsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit, 
der Koalitionsfreiheit und durch die Legalisierung einer Opposition 
gewährleistet werden soll. 
Um die Entscheidungen der Politik im Sinne und nach den Bedürfnissen der 
Betroffenen fällen zu können, gibt es gleiche, freie und geheime Wahlen von 
repräsentativen Vertretern, die die gesetzgebende Körperschaft des Parlaments 
bilden. 
Um sich über die Folgen eines Gesetzes und die vorhandenen Ziele möglichst klar 
zu werden, sind mehrere Lesungen und Diskussionen für die Gesetze vorgesehen, 
und bei wichtigen Gesetzen wie Verfassungsänderungen sind zusätzlich 
qualifizierte Mehrheiten erforderlich.
Aber die Prinzipien radikaler Demokratie, die als einzige Legitimation jeder 
normativen Ordnung den aufgeklärten Willen der Betroffenen gelten lassen, geben 
auch den Maßstab scharfer Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Denn das 
Prinzip der demokratischen Wahl steht und fällt mit der Informiertheit der 
Bürger über die möglichen politischen Wege, mit ihrer Kenntnis der realen 
politischen Zusammenhänge und ihrer Aufgeklärtheit über die eigenen Bedürfnisse.
Und in dieser Hinsicht ist es in unserer Gesellschaft schlecht bestellt: 
Man braucht nur unsere Bildungseinrichtungen zu betrachten. Dauer und Inhalt 
unserer Schulbildung sind im Durchschnitt völlig unzureichend, um die Fähigkeit 
zu vernünftiger Mündigkeit zu vermitteln. 
Der gewaltige Apparat der Reklame täuscht den Einzelnen über seine Bedürfnisse 
und nutzt diese aus, um ihm mit Profit Dinge zu verkaufen, die er gar nicht 
braucht. 
Hilflos ist der Einzelne angeblichen "Wirtschaftsgesetzen"   ausgeliefert, die in 
Wirklichkeit auf einer Rechts- und Eigentumsordnung beruhen. 
Die Institutionen der Erziehung sind erfolglos in der Vermittlung der Werte des 
gesellschaftlichen Fortschritts und der individuellen Bildung mit dem Ziel 
größerer menschlicher Freiheit. 
Stattdessen werden Verhaltensweisen wie Konkurrenz, Aggression, Dogmatismus und 
Konformismus ausgebildet, die mit einem reduzierten Interessenhorizont 
zusammengehen, was Politik, Weltanschauung und Kultur betrifft. 
Die Tabuisierung politischer, weltanschaulicher und sexueller Themen bedroht 
kritisches Denken mit Angst und behindert die Kommunikation darüber, so dass die 
Individuen ihre Interessenübereinstimmung überhaupt nicht feststellen können.
Die Massenpresse verkauft sich mit der Spekulation auf asoziale und verflachte 
Antriebe ihrer Leser, die sie ausnutzt und noch verstärkt. Die Massenmedien und 
die übrige Presse stellen zum Großteil eine Pseudoöffentlichkeit des unfreien 
Konformismus dar, beeinflusst durch die wirtschaftlich Mächtigen. Anstatt die 
Schwächen und Schattenseiten unserer Gesellschaft zu kritisieren, helfen sie 
noch mit, sie zu vertuschen oder zu rechtfertigen. In weiten Bereichen unserer 
Gesellschaft sind die Betroffenen entmündigt, können sie ihre Lebensbedingungen 
nicht selbst bestimmen, sei es im Betrieb, in der Universität, der Schule oder 
der Armee. Und selbst die Struktur unserer Parteien und Gewerkschaften lässt an 
Demokratie zu wünschen übrig. 
Die unfreie Gesellschaft und der unfreie Mensch bedingen und stützen sich 
gegenseitig. Eine Rechtsprechung, für die jeder Geschlechtsverkehr außerhalb der 
Ehe "Unzucht"   ist, und ein Individuum, das vor Scham und Angst seine sexuellen 
Probleme nicht mitteilen und seine Wünsche nicht verwirklichen kann, sind nur 
die zwei Seiten einer Medaille. 
Solange wir moralische und politische Ordnungen als selbstverständlich hinnehmen 
und dogmatisch vertreten, solange wir nicht immer nach ihrer Berechtigung als 
Ausdruck eines demokratischen Willens fragen, solange wird diese Gesellschaft 
nicht erträglichere Lebensbedingungen hervorbringen.
Nachwort nach 40 Jahren
Im Prinzip stehe ich auch heute noch zu den damals von mir vertretenen Thesen, 
allerdings sehe ich heute die offenen Fragen an diese "radikaldemokratische" 
Position deutlicher. So wird das Mehrheitsprinzip und dessen Verhältnis zum 
aufgeklärten Konsens gar nicht thematisiert. Das Verhältnis von 
Entscheidungsverfahren - wie z. B. Abstimmungen - zu inhaltlichen Diskussionen 
bleibt ebenfalls ungeklärt.  
Der folgende Text war Teil einer Artikelserie in der Zeitschrift "blickpunkt"   
des Landesjugendrings Berlin. Er erschien im Februar 1969
. 
Kampf dem Sexualtabu
(1969)
In den vergangenen 
Jahren hat bei uns so etwas wie eine Jugendrevolte begonnen. Was war das 
Wesentliche an dieser Revolte? Zum einen: die neue Begründung der 
Gesellschaftskritik. Die vorgegebenen Ordnungen in Schule, Universität, Betrieb 
oder Kirche wurden danach befragt, ob sie nach dem Willen und den Bedürfnissen 
der in ihnen Lebenden und Arbeitenden waren. Alle anderen Rechtfertigungen als 
diese radikal demokratischen wurden nicht anerkannt. Alles was sich nur durch 
Tradition, Autorität, Gewohnheit oder pure Gewalt erhielt, verfiel dieser 
Kritik. Die Interessen der gesellschaftlichen Organisationen, der Staaten, 
Parteien, Kirchen usw. galten nichts, wenn sie sich nicht ausweisen konnten als 
die Bedürfnisse und Interessen der Menschen. Es breitete sich der Wille aus, 
eine Welt nach den eigenen Bedürfnissen zu schaffen, sich nicht mehr von den alt 
und resigniert Gewordenen einschüchtern und bevormunden zu lassen.
Das zweite, was diese Revolte auszeichnete, war die Entschlossenheit, diese 
Kritik auch in Handeln umzusetzen, nicht zu warten auf die offiziellen 
Vertreter, nicht zu hoffen auf die Verantwortlichen. Man gab sich nicht mit der 
klugen Kritik zufrieden, man wollte diese auch praktisch verwirklichen. Man 
diskutierte nicht nur, sondern fing an, die eigenen Bedürfnisse zu organisieren 
und für sie zu kämpfen. Man ahnte, dass die bürokratischen Apparate der 
Gesellschaft, in denen die Individuen vereinzelt und hilflos waren, durch einen 
kollektiven Kampf umgewandelt werden konnten, so dass der einzelne darin nicht 
nur ein Rädchen war, über dessen Arbeitskraft andere verfügten.
Manch einer wird sich im Augenblick wohl fragen, was solch eine politische 
Einleitung soll bei einem Thema wie "Sexualität"  : das sei doch etwas Kulturelles 
und ginge als moralische Frage nur jedes Individuum privat an. Sexualmoral sei 
doch keine Frage des politischen Kampfes, sondern etwas Gewachsenes und falle in 
die Zuständigkeit der Pfarrer oder Ärzte. 
Wer so denkt, übersieht, dass die sexuelle Frage ja tatsächlich ein wichtiger 
Punkt der Studenten- und Schülerrevolte war — und noch ist. Nicht zufällig nahm 
die Mai-Revolte in Frankreich Ihren Ausgang vom Konflikt um die Hausordnung 
eines Studentenwohnheims. Außerdem übersieht er, dass sich der Begriff von "Politik"   als der bewussten Gestaltung der Gesellschaft nicht mehr wie zu Zeiten 
unserer Eltern vor allem auf nationale Größe, militärische Stärke und 
Wirtschaftskraft konzentriert, sondern dass in zunehmendem Maße solche "kulturellen"   und 
"privaten"   Bereiche wie Erziehung, Familienstruktur, 
Wissenschaft, Kunst usw. als "politisch"   begriffen werden und als geprägt durch 
vorherrschende Interessen.
Doch zurück zu den beiden oben ausgeführten Prinzipien der Revolte. Sie waren:
1. Kritik an den gesellschaftlichen Ordnungen von den Bedürfnissen der 
Individuen her und 
2. Umsetzung dieser Kritik in eine gesellschaftliche Praxis durch die 
Betroffenen selber. 
Diese beiden Grundsätze machen auch die theoretische Grundlage für den Kampf 
gegen die überkommene Sexualmoral aus. Wenn in dieser Artikelserie die Rolle der 
Sexualität in unserer Gesellschaft diskutiert wird, so stehen dabei immer zwei 
Fragen im Hintergrund: 
1. Wo wird den Individuen durch die moralischen Ordnungen, in denen sie leben, 
Gewalt angetan? und 
2. Wie können sie sich gegen ihre sexuelle Unterdrückung zur Wehr setzen? 
Dieser Aufsatz soll als zentrales Thema den Tabu-Charakter der Sexualität haben. 
Es soll darin deutlich gemacht werden, mit welchen Methoden die Gesellschaft das 
Sexualtabu erzeugt und aufrechterhält, welche Konsequenzen das für die Freiheit 
und Mündigkeit der Individuen hat und wie die ersten Schritte im Kampf gegen das 
Sexualtabu aussehen können.
Was ist mit "Tabu" gemeint?
Das besondere an den sexuellen Verbotsnormen ist ihre tiefe gefühlsmäßige Verankerung, ihr Tabu-Charakter. Anders als etwa das Verbot, bei Rot die Straße zu überqueren, sind die sexuellen Verbote vom Individuum meist tief "verinnerlicht", sie gehören gewissermaßen zu seinem Charakter. Das Wort "Tabu" deutet die gleichsam religiöse Scheu an, mit der die Sexualität belastet ist. "Tabu", das hieß in den sogenannten primitiven Kulturen: das Verbot, etwas Bestimmtes zu berühren, zu sehen, davon zu sprechen oder auch nur daran zu denken. War es trotzdem einmal unumgänglich, so konnte man dies nur unter größten Vorsichtsmaßregeln und strengsten Ritualien tun. Tabu-Verletzungen rufen heftige Ängste hervor, selbst wenn gar keine reale Bestrafung zu erwarten ist. Ein Tabu wird deshalb auch nicht auf Grund von rationalen Überlegungen befolgt, sondern wird vom Einzelnen als ein "über ihm stehendes Prinzip" empfunden.
Das sexuelle Tabu in der Erziehung
In unserer Gesellschaft 
ist der strenge Tabu-Charakter des Sexuellen an vielen Stellen durchbrochen. Ein 
Beispiel dafür ist die geschäftliche Ausnutzung sexueller Reize in der Werbung 
und in der Freizeitindustrie (wobei dies allerdings kein Hinweis auf eine 
größere sexuelle Befriedigung der Menschen sein muss). Im Zusammenhang mit dem 
allgemeinen Schwinden kirchlichen Einflusses ist auch die Erzeugung religiöser 
Ängste als Mittel zur sexuellen Unterdrückung im Rückgang begriffen. Trotzdem 
erscheint es weiterhin berechtigt, von einer Tabuisierung der Sexualität in 
unserer Gesellschaft zu sprechen, wenn sie auch weitgehend in die 
Kindererziehung verlagert ist. 
Die Sexualtabus sind bei uns nach dem Lebensalter abgestuft; je jünger man ist, 
desto schärfer ist das Tabu, desto weniger erfährt man über Sexuelles, und desto 
strenger wird man von allen sexuellen Dingen ferngehalten. Jeder kennt diesen 
Tatbestand aus seiner eigenen Erziehung: Bestimmte Gespräche der Erwachsenen 
wurden abgebrochen, wenn man als Kind dazu kam; bestimmte Bücher der Eltern 
waren den Kindern verboten oder verborgen; auf bestimmte Fragen entstand 
Peinlichkeit; bestimmte Worte erregten den Unwillen der Eltern und Lehrer; die 
sexuelle Beziehung der Eltern wurde vor den Kindern möglichst verborgen; 
sexuelle Aktivitäten der Kinder, wie das Interesse für die körperlichen 
Besonderheiten des anderen Geschlechts oder das Spielen an den eigenen 
Geschlechtsteilen, wurde meist streng bestraft usw. So existiert in unserer 
Gesellschaft ein recht kompliziertes System abgestufter sexueller Tabuisierung. 
Für jede Altersstufe gibt es ein bestimmtes Maß für die jeweils zugelassenen 
Informationen. Wenn z. B. ein Kind schon mit sieben Jahren über das 
Sexualverhalten des Menschen gut Bescheid weiß, so gilt es bei den Erziehern 
meist als "verdorben", und anderen Kindern wird von ihren Eltern vielleicht gar 
der Umgang mit diesem Kind verboten. Damit die Erzieher ihr Monopol in der 
Information beibehalten — und damit auch ihre Autorität als Erwachsene, als 
Ältere und Erfahrene —, wird auch den Kindern selbst wieder beigebracht, dass 
sie Jüngeren über sexuelle Dinge nichts erzählen dürfen. Dies wird ihnen meist 
dadurch schmackhaft gemacht, dass sie dadurch Ja zu dem Kreis der "Eingeweihten"   
gehören, dass sie sich stolz und erhaben vorkommen können über die unwissenden 
Jüngeren. 
Durch all diese Praktiken des Bestrafens, Verschweigens, Verbietens und 
Verbergens, die schon mit dem Säuglingsalter beginnen, lernt das Individuum 
seine sexuellen Impulse als etwas Bedrohliches anzusehen. Es reagiert ganz 
automatisch mit Scham und Abscheu darauf. Die Tabuisierung der Sexualität kommt 
ihm selber als etwas "Natürliches"   vor, denn es hat so empfunden, solange es 
sich zurückerinnern kann. (Erzieher sprechen gern vom "natürlichen Schamgefühl", 
obwohl ihnen bekannt sein sollte, dass diese Scham sich in verschiedenen 
Gesellschaften auf ganz verschiedene Dinge bezieht, also anerzogen ist.) Dieser 
psychologische Mechanismus stellt ein großes Hindernis in der Selbstbefreiung 
der Menschen dar: Das Individuum macht die Anschauung über Gut und Böse, die ihm 
von seiner Umwelt mit allen Mitteln aufgezwungen wurde, auf unbewusstem Wege zu 
seiner eigenen und ist dann meist nicht mehr in der Lage, sie noch einmal 
kritisch zu überprüfen. Wenn jemand durch die Mühle unserer sexualfeindlichen 
Erziehung gegangen ist, so kann er auch später, wenn er nicht mehr unter der 
direkten Gewalt der Erziehung steht, nur schwer einen anderen Weg gehen. Nur zu 
häufig überträgt er auf seine eigenen Kinder unbesehen die Muster, die ihn 
selbst geprägt haben.
Kontaktschwierigkeiten
Von der infantilen Einschüchterung her und ihrer lebenslangen Wirkung wird verständlich, dass sich die Tabuisierungen der Sexualität auch im späteren Alter fortsetzen. Die Normen dieser Gesellschaft stellen eine scharfe Reglementierung dar, die es dem einzelnen schwer machen, seine Gefühle, seine Zuneigungen, seine Wünsche nach körperlicher Nähe und Zärtlichkeit zu äußern und zu realisieren. Die Kontakte zwischen den Geschlechtern werden systematisch beschränkt. Zwar beginnt die Geschlechtertrennung in Schulen, Jugendgruppen usw. allmählich zu verschwinden, aber von einem freien Zusammenleben der Geschlechter kann immer noch nicht die Rede sein. "Es gehört sich nicht", jemanden auf der Straße anzusprechen oder sich ansprechen zu lassen. Für alle Möglichkeiten gibt es einen Kanon des Anstandes: wann man eine Reise gemeinsam machen darf, wann man jemand mit in die eigene Wohnung nehmen darf, wie weit man in einem Flirt gehen darf, wie direkt man seine Wünsche äußern darf usw. Natürlich sind diese Vorschriften nicht in allen Schichten und Gruppen gleichartig und gleichstark, aber die herrschende und offizielle Moral ist durch eine strenge Reglementierung gekennzeichnet. Ein Symptom dafür sind die vielen Zeitungsanzeigen unter der Rubrik "Bekanntschaften, Heiratswünsche". Jeder weiß wahrscheinlich am besten selber, wie viel Mut und Selbstüberwindung es oft kostet, sich dem anderen Geschlecht zu nähern — und wie oft man es nicht fertig bringt. Die Reglementierung der sexuellen Kontakte durch die Gesellschaft ist also ein wichtiges Instrument der sexuellen Unterdrückung.
Verständigungsschwierigkeiten
Die Tabuisierung der Sexualität schlägt sich auch in der Sprache nieder. "Man spricht nicht darüber", und die sprachlichen Möglichkeiten, um sich auszudrücken, sind folglich ebenfalls mangelhaft. So existieren etwa für die Geschlechtsteile vor allem negativ gefärbte und herabsetzende Worte. Oder man hat nur neutrale wissenschaftliche Begriffe zur Verfügung wie 'Vagina' oder 'Hoden', die von jedem Gefühlsausdruck entleert sind. Das gleiche gilt für die Begriffe, die den Geschlechtsverkehr beschreiben. Wenn hier die gängigsten genannt würden, so geriete (diese Zeitschrift) der "blickpunkt" höchstwahrscheinlich auf die Liste der "jugendgefährdenden Schriften", und wir hätten ein praktisches Beispiel für die gesellschaftliche Zensur. Diese verhältnismäßige Armut der uns verfügbaren Sprache, wenn es gilt, Sexuelles positiv und genau mitzuteilen, spiegelt die fortdauernde Unterdrückung wider und dient ihr zugleich.
Die Verwirrung des Denkens
Man muss sich wundern, 
dass die sexuellen Bedürfnisse der Individuen von der offiziellen Moral und 
ihren professionellen Wortführern so lange missachtet werden konnte, ohne dass 
sich ein nennenswerter Widerstand dagegen erhob. Verständlich wird dies erst, 
wenn man auch die anderen Methoden zur sexuellen Unterdrückung mit in Betracht 
zieht. Neben der gesetzlichen Verfolgung spielt vor allem die systematische 
Verwirrung des Denkens eine Rolle, die Ideologiebildung. Hierbei gibt es 
verschiedene Spielarten, um das Sexual-Tabu gegen Kritik abzusichern. (In einem 
späteren Artikel soll noch einmal ausführlich auf dieses Thema eingegangen 
werden, deshalb genügen hier einige Hinweise.) 
Es lassen sich verschiedene Hauptformen ideologischer Unterdrückung der 
Sexualität unterscheiden:
• Das Sexuelle wird als solches schlechtgemacht. Man spricht davon als der "Sünde", betrachtet das Körperliche als "tierisch" und "niedrig". Die sexuelle Lust ist nur eine unumgängliche Begleiterscheinung bei der Fortpflanzung und hat allein dieser zu dienen.
• Das Sexuelle wird mystifiziert als das "große Geheimnis der Liebe", als etwas "Heiliges", als das "Wunder der Liebe". Rationales Denken oder gar Wissenschaft sei hier unangebracht.
• Das Sexuelle wird heruntergespielt in seiner Bedeutung, es sei für den Menschen gar nicht so wichtig, es werde heute nur soviel Wind darum gemacht usw.
Sicherlich gibt es noch andere Formen der Ideologie, um die Individuen von ihrem Anspruch auf Freiheit der Gefühle und sexuelle Befriedigung abzubringen. Die Verbreitung solcher Ideologien ist für den Bestand einer Ordnung immer außerordentlich wichtig, denn wenn man das Denken der Menschen manipuliert, kommen sie gar nicht erst auf den Gedanken, gegen diese Ordnung zu rebellieren — und man spart Polizei.
Privatheit — Freiheit oder Elend?
Eine spezielle Form von 
Ideologie soll wegen ihrer Wichtigkeit hier noch einmal gesondert behandelt 
werden. Ich meine die Auffassung, dass die sexuellen Beziehungen nicht in die 
Öffentlichkeit gehören, dass sie intim bleiben müssen. Dem entspricht der 
Moralkodex unserer Gesellschaft, der das Tabu um so strenger durchsetzt, je mehr 
sich das Individuum in der Öffentlichkeit bewegt. So kann es einem passieren, 
dass man ein Lokal verlassen muss, weil man durch Küssen Anstoß erregt hat, 
während das gleiche Verhalten im privaten Kreis als völlig normal angesehen 
wird. Dahinter steht die Auffassung von der Intimität erotischer Beziehungen. 
Die Tendenz dieser Anschauung ist, das Austauschen von Zärtlichkeiten möglichst 
auf Situationen zu beschränken, wo die Liebenden allein sind. "Das geht doch 
niemanden etwas an", heißt es wie selbstverständlich. Man findet es "geschmacklos"   oder 
"schamlos", in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten 
auszutauschen. Diese Beschränkung der Sexualität auf den verborgenen 
Intimbereich — tendenziell auf das eheliche Schlafzimmer — hat auf den ersten 
Blick einiges für sich, aber nur, weil eben in unserer sexualfeindlichen Ordnung 
die Öffentlichkeit eine Bedrohung und Gefährdung für die Beziehungen darstellen 
würde. Man wird ja tatsächlich gestört, allerdings gerade durch die 
selbsternannten Tugendwächter, die ihre sexuelle Verkorkstheit im Neid auf 
andere, vor allem auf "noch zu erziehende"   Jugendliche, austoben. In 
Wirklichkeit steht hinter der Verbannung in die Intimsphäre die Absicht, die 
sexuellen Antriebe der Individuen — und hier wieder besonders der Jugendlichen — 
unter Kontrolle zu bekommen, indem man sie in der Öffentlichkeit nicht zulässt. 
(Die Jugendlichen haben eben im allgemeinen kein ungestörtes Schlafzimmer.)
Dass die private Intimsphäre nur eine Scheinfreiheit innerhalb einer immer noch 
lustfeindlichen Gesellschaft ist, merkt man spätestens dann, wenn die Zwänge der 
Umwelt sich schließlich doch auch bis in die traute Zweisamkeit hinein bemerkbar 
machen, wenn z. B. emotionale Störungen auftreten wie Impotenz oder quälende 
Eifersucht. Die "kleine Insel"   ist innerhalb der "großen Welt"   eben eine 
kleinbürgerliche Illusion. Es bleibt ein vergebliches Bemühen, sich seine eigene 
kleine Welt schaffen zu wollen, weil man von den allgemeinen Anschauungen über 
Gut und Böse, wie sie durch die"   Nachbarn, die Arbeitskollegen oder das 
Fernsehen vertreten werden, und wie man sie durch eigene Erziehung verinnerlicht 
hat, weiterhin abhängig bleibt. Es ist eine falsch verstandene individuelle 
Freiheit, wenn sie. dazu führt, dass man etwa die allgemeinen moralischen 
Ordnungen, von denen man doch als einzelner abhängig bleibt, akzeptiert und sich 
auf einen privaten Freiheitsspielraum zurückzuziehen versucht. Denn wenn es 
einmal mit dem Partner nicht mehr klappt, ist man isoliert und hilflos. Da 
helfen auch die Sprüche von der Liebe als der "Schicksalsmacht"   wenig, sie 
verklären nur die Ohnmacht und die Verletzlichkeit des Einzelnen in seinen 
sexuellen Beziehungen und lassen alles so, wie es ist. Wer nie über seine 
Probleme sprechen gelernt hat, nicht mit dem Partner und nicht mit anderen, wer immer nur 
der Umwelt das Ideal des "glücklichen Paares"   vorgespielt hat, der wird 
spätestens dann merken, dass seine "ungestörte Privatsphäre"   Isolierung und 
Abgeschnittensein von der Hilfe der anderen war, ohne doch den 
gesamtgesellschaftlichen Zwängen entkommen zu sein. Nicht umsonst ist die 
Ursache sehr vieler Selbstmorde Liebeskummer.
Falsche Freiheiten
1. Das Gegentabu des sexuellen Erfolges
Neben den oben geschilderten offen lustfeindlichen Normen der offiziellen Instanzen existieren in einer komplexen Gesellschaft wie der unsrigen immer auch inoffzielle Normen. Ein Beispiel dafür ist die bekannte "Doppelmoral" vieler Männer, für die "Seitensprünge" Kavaliersdelikte sind. Dieses Erfolgsideal herrscht meist auch in den Gruppen der Heranwachsenden: Hier wird hoch angesehen, wer sexuellen Erfolg hat -"der kann Frauen haben" -, wer möglichst viele Verabredungen hat, wer über Frauen und Liebestechniken Bescheid weiß, wer Witze reißen kann usw. Aber was nach Freiheit aussieht, stellt in vieler Hinsicht eine andere Form des Zwanges dar: Es entsteht eine Art Gegentabu, man wird ausgelacht, wenn man nicht so gut Bescheid weiß, wenn man Hemmungen hat, wenn man rot wird, wenn man Angst hat. Auch hier kann man von seinen wirklichen Problemen nicht sprechen, man ist gezwungen zu prahlen oder zu schweigen. Der Misserfolg spricht gegen einen selbst. Es gibt keine Solidarität, sondern nur Konkurrenz. Wer seine Schwächen zugibt, wird zum Gespött der anderen — die sie meist nur besser überspielen können. Damit entlarvt sich diese Moral der "wahren Männer" als eine Spielart der allgemeinen Unterdrückung. Sie ist keine Befreiung, sondern durch sie wird der einzelne jetzt von zwei Seiten terrorisiert, er steckt immer in der Zwickmühle.
Obszönität als Scheinfreiheit
Eng damit zusammen hängt die scheinbare Freiheit der "obszönen Bilder" und der "schmutzigen Witze". Zwar stellen sie eine Verletzung der offiziellen Tabus dar, trotzdem haben sie diese Moral meist nicht wirklich überwunden. Denn das Interessante an den Witzen ist häufig, dass sie eben "schmutzig" sind, dass also das Herabsetzende und Negative in ihnen noch enthalten ist. Man lacht häufig gerade über die Hilflosigkeit und Armseligkeit der Menschen bei dem Versuch, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Gegenüber diesen Momenten von Grausamkeit, Schadenfreude und Verachtung in den obszönen Darstellungen von Sexualität muss man hellhörig sein, wenn man mehr tun will, als sich nur ein Ventil zu schaffen für den allgemeinen Zwang. Die Herrenwitze spießbürgerlicher Stammtische oder Magazine waren immer nur die Kehrseite der offiziellen Prüderie, nie aber deren Bedrohung.
Das Sexualtabu — eine Form der Unterdrückung
Kommen wir zur kritischen Frage in der Einleitung zurück. Die Frage, ob die sexuellen Bedürfnisse der Individuen in dieser Ordnung entfaltet und befriedigt werden, muss verneint werden. Solange es Tabuisierung gibt, kann man nicht davon sprechen, dass sich die Individuen frei über ihre Bedürfnisse aufklären können. Durch das Tabu können sich die Individuen über ihre wahren Probleme nicht verständigen. Ihnen ist die Zunge gelähmt. Wenn die Verständigung der Menschen über ihre elementarsten Bedürfnisse in dieser Weise behindert ist, kann man von einer "freien Gesellschaft" noch nicht sprechen. Wer sich trotzdem zum Wortführer sexueller Bedürfnisse macht, dem kann es passieren, dass man ihn selber diffamiert, ihm unlautere Motive unterstellt oder als Pathologen bezeichnet. Das ist kein Wunder, solange die sexuellen Bedürfnisse als an sich schlecht und lasterhaft hingestellt werden, solange also das Glück der Individuen zynisch einem angeblich ewigen Sittengesetz zum Opfer gebracht wird. Wo das Tabu die Verständigung behindert, da kann es auch nur schwer eine gemeinsame Willensbildung und Solidarität geben. Im Gegenteil, nur zu leicht wendet sich der enttäuschte und unglückliche Einzelne neidisch und rivalisierend gegen den anderen, blickt missgünstig auf fremdes Glück. Dies ist die ideale Situation, um die Individuen innerhalb einer Ordnung bei der Stange zu halten, die ihren Bedürfnissen gar nicht entspricht. Solange ein System sich der Tabuisierung der ideologischen Manipulation und der Diffamierung von Bedürfnissen bedient, kann es nicht den Anspruch erheben, die Ordnung der in ihr Lebenden zu sein, also "demokratisch" in einem strengeren Sinne zu sein. Unsere Gesellschaft kann sich von ihrer politischen Verantwortung auch nicht dadurch freisprechen, dass sie die massenhaft auftretenden Konflikte wie familiäres Unglück, Kriminalität, Neurose, Selbstmord usw., von denen im letzten Artikel die Rede war, den Individuen selber zuschreibt und ihrer "schlechten Veranlagung". Gerade am Punkt der Sexualmoral gilt es, menschliche Freiheit radikaler und konkreter zu bestimmen.
Der praktische Kampf für befreite sexuelle Beziehungen
Neben dem Grundsatz der 
Kritik war in der Einleitung auch ein Prinzip der politischen Praxis formuliert 
worden, wie es sich in der Rebellion entwickelt hat: Die Kritik blieb so lange 
hilflos, wie sie sich nicht in das Handeln der Unterdrückten selber umsetzte. 
Diese Umsetzung der Kritik in Praxis gelang umso besser, je genauer die Kritik 
die tatsächlichen Bedürfnisse der Individuen zum Ausdruck brachte, denn wer 
seine Unterdrückung und Ausbeutung begreift, ist auch motiviert, für ihre 
Abschaffung zu kämpfen. Diese Artikelserie hätte also ihren Sinn erfüllt, wenn 
zwei Dinge erreicht würden: zum einen das Bewusstsein über die sexuelle 
Unterdrückung zu entwickeln und damit zugleich über die gesellschaftlichen Ursachen 
vieler persönlicher Schwierigkeiten; zum anderen eine praktische Anleitung zum 
kollektiven Kampf gegen diese Unterdrückung zu geben. Die Umgestaltung dieser 
Gesellschaft kann nicht das Werk irgendwelcher Spezialisten oder Berufspolitiker 
sein, sondern muss durch die Selbsttätigkeit der sich gemeinsam befreienden 
Individuen vollzogen werden. Wie der Kampf gegen das Sexualtabu im Einzelnen 
auszusehen hätte, kann hier nicht im voraus entwickelt werden. Trotzdem lassen 
sich einige Grundsätze durchdenken. 
Die besondere Schwierigkeit im Kampf gegen die sexuelle Unterdrückung besteht 
darin, dass sie von den Individuen selber so stark verinnerlicht ist, d. h. dass 
der Ruf nach Freiheit hier auf starke Schuldgefühle stößt. Durch die lebenslange 
Manipulation ist es der Gesellschaft gelungen, die Unterdrückten zu ihren 
eigenen Aufpassern zu erziehen. Deshalb ist es auch so schwer, die eigentlich 
Verantwortlichen für die Aufrechterhaltung der sexuellen Unterdrückung zu 
finden, und deshalb gilt hier noch stärker als anderswo die Forderung, im Kampf 
um die Veränderung der Gesellschaft auch uns selber zu ändern und zu befreien. 
Auf diesen zwei Ebenen — dem Kampf gegen die politisch Verantwortlichen und der 
Anstrengung um die Veränderung unserer privaten Lebensverhältnisse — muss 
gemeinsam vorangegangen werden. Was heißt das im Einzelnen?
Der Kampf gegen die politisch Verantwortlichen
Täglich aufs Neue wird 
die sexuelle Unterdrückung praktiziert in den Gerichtssälen, den bischöflichen 
Kanzleien, den Kultusministerien, den Zensurbehörden für Film oder Presse, den 
Parlamenten, den Kirchen und den Klassenzimmern. Und dies geschieht ohne 
nennenswerten Widerstand. Empfängnisverhütung wird zur Sünde gegen Gottes Gebot 
erklärt, Filme werden zusammengeschnitten oder verboten, Zeitschriften werden 
als "jugendgefährdende Schriften"   in ihrer Verbreitung behindert, die Liebe 
zwischen Unverheirateten wird als Unzucht und deren Unterstützung als Kuppelei 
verfolgt, freiwillige Sterilisation wird als Körperverletzung bestraft, 
Homosexualität nach dem § 175 behandelt, die gemeinsam verbrachte Nacht mit dem 
Verweis aus dem Wohnheim geahndet usw. 
In all diesen Fällen wird es für die Betroffenen darauf ankommen, diese 
Unterdrückung nicht länger schuldbewusst hinzunehmen. Es bleibt weitgehend 
unserem Witz und unserem Mut überlassen, wie wir die jetzige sexuelle 
Unterdrückung entlarven und wie wir für eine freiere und befriedigendere Form 
der sexuellen Beziehungen kämpfen.
Die Veränderung unserer privaten Lebensverhältnisse
Jeder einzelne von uns hat das sexuelle Tabu unter dem Druck der Umwelt irgendwie in sich aufgenommen, und in seinem Umgang mit sich selbst und seiner Umwelt spiegelt sich die herrschende Moral noch wider. Aus dem Abschnitt über die falschen Freiheiten ist schon ersichtlich, in welcher Richtung unsere gemeinsame Selbsterziehung zu gehen hätte. In einigen Stichpunkten sollen hier die ersten Schritte zu einer Aufhebung des Sexualtabus angedeutet werden.
1.  
Sprecht über 
eure Probleme. Lasst euch nicht 
einfangen vom herrschenden Prestige-Denken und vom Zwang zum sexuellen Erfolg. 
Unterwerft euch nicht den falschen Liebesidealen und spiegelt nach außen nicht 
das "Glück zu zweit"   vor, wo es nicht vorhanden ist. Es ist keine Schande, eher 
ist es normal in unseren jetzigen Lebensverhältnissen, dass wir in unserer 
Fähigkeit zu einer befriedigenden und relativ eifersuchtsfreien Beziehung 
behindert sind. Eure Schwierigkeiten sprechen nicht gegen euch, sondern gegen 
die Umstände, in denen ihr aufgewachsen seid. Begreift eure Schwierigkeiten in 
ihren gesamtgesellschaftlichen Ursachen, aber schreibt sie nicht eurer 
"unglücklichen Veranlagung"   zu.
2. Helft den anderen. Lacht 
niemand aus, weil er noch Ängste und Hemmungen hat, die ihr schon überwunden 
habt. Seid vorsichtig mit moralischen Verurteilungen. Kritisiert den anderen 
nicht, ohne ihm zugleich die Gründe für sein falsches Verhalten genannt und ihm 
damit eine Chance zur Änderung gegeben zu haben. Sucht das Gespräch mit 
denjenigen, die mit ihren Problemen alleine nicht fertig werden. Gebt vor allem 
an die Jüngeren die Einsichten wieder, die ihr selbst viel zu spät bekommen 
habt. Messt das Verhalten von Mädchen und Jungen nicht mit zweierlei Maß. Spielt 
gegenüber Mädchen nicht die Rolle der falschen patriarchalischen Männlichkeit 
und Überlegenheit. Prahlt nicht mit euren erotischen Eroberungen und sexuellen 
Großtaten.
3. Durchbrecht 
den Bannkreis der Intimsphäre. Tut 
nicht dasjenige heimlich, was ihr öffentlich rechtfertigen könnt. Seid zärtlich 
und liebevoll nicht nur zu eurem Partner, sondern auch zu den anderen. Der 
Zugang und die Befriedigung im Partner soll euch freier machen im Zugang zur 
übrigen Welt — und nicht diese ersetzen. Erweitert die Gesprächsthemen um diese 
"intimen"   Dinge gegenüber den Eltern, den Geschwistern, den Schulkameraden und 
Arbeitskollegen. Kapselt euch in der Liebe nicht ab, sondern bezieht andere mit 
ein. Versucht das Konkurrenz- und Rivalitätsdenken abzubauen.
Dies soll kein neuer Katalog von Vorschriften sein, nach denen man sich nun zu richten hätte. Die Absicht, die dahinter steht, ist allein die, in unserem täglichen Umgang solche Formen einzuführen, die den einzelnen möglichst wenig unterdrücken und die uns die Chance geben, hier gemeinsam neue Formen zu entwickeln. Wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, müssen wir die alte Ordnung auch in uns selber überwinden, müssen wir auch uns selber verändern.
***
Politologie als Emanzipationswissenschaft
(1968)
Dieser Artikel erschien zuerst in der 
"Berliner Zeitschrift für Politologie. Hrsg am Otto Suhr-Institut, Freie 
Universität Berlin, 9. Jahrgang, Nr. 2, August 1968, S. 21-23 
[S.21]
Die Auseinandersetzungen um den Wissenschaftsbegriff in den 
Sozialwissenschaften haben in der Vergangenheit unter dem hartnäckigen 
Missverständnis gelitten, dass man meinte, die Kritiker der analytischen 
Wissenschaftslogik griffen diese an, indem sie sich gegen Empirie, Logik und 
Quantifizierung überhaupt wandten. 
So konnte der Eindruck entstehen, als handle es sich bei dieser Kritik um einen 
Rückfall in eine zweifelhafte und irrationale Philosophie. 
Hinter der 
Konfrontation einer beidseitig unvereinbaren Begrifflichkeit schält sich heute 
jedoch immer deutlicher der eigentliche Gegensatz heraus. Dieser Gegensatz 
besteht darin, dass die einen wissenschaftliches Fragen und Denken auf faktische 
Zusammenhänge beschränken wollen, während die anderen die Faktenfragen nur im 
Zusammenhang mit normativen und praktischen Fragen sehen. Die folgenden 
Überlegungen verstehen sich als Angriff auf ein Verständnis von Wissenschaft, 
das gerade diese Fragen unberücksichtigt lässt und als "unwissenschaftlich"   
verbannen möchte und damit die empirische Forschung in einer Umgebung blinder 
Entscheidungen belässt.
Dass der Streit um den Wissenschaftsbegriff nicht nur im "Reich der 
Ideen"   stattfindet, dass es hier nicht nur um die "Erkenntnis der Wahrheit"   
geht, kann hier nur angedeutet werden. Nicht zufällig ist diese 
Auseinandersetzung im ideologischen Bereich verbunden mit einer politischen 
Auseinandersetzung. Der philosophische Streit ist Teil eines realen Kampfes um 
die Umgestaltung der Gesellschaft. Da es den Kritikern bei dieser Umgestaltung 
nicht um die Effizienzsteigerung der bestehenden Institutionen geht, sondern um 
eine Neubestimmung der gesellschaftlichen Zielsetzung überhaupt, ist der auf die 
Feststellung empirischer Regelmäßigkeiten beschränkte Wissenschaftsbegriff 
ungenügend. 
Eine solche Wissenschaft hatte sich als brauchbar erwiesen in der Kritik des 
Bürgertums an der metaphysisch begründeten feudalen und klerikalen Herrschaft 
sowie in der Steigerung der Produktion. In dem Augenblick jedoch, wo sich mit der 
Etablierung der bürgerlichen Ordnung "Wissenschaftlichkeit" zum ideologischen 
Hilfsmittel degradierte, um jeder Form von Gesellschaftskritik die Möglichkeit 
allgemeingültiger Vernunft abzusprechen und sie als prinzipiell gleichrangige 
subjektive Präferenz zu behandeln, in diesem Augenblick stand die Wissenschaft 
auf Seiten der bestehenden Ordnung, die sich nicht mehr hinterfragen, sondern 
nur in ihren "Sachzwängen", beschreiben und erklären lassen wollte. 
Da sich die 
moderne Wissenschaftslogik, die hier unter dem Begriff "logischer Empirismus"   
zusammengefasst wird, in wesentlichen Punkten von den älteren Richtungen eines 
naiven Empirismus und Positivismus unterscheidet, soll dieser Unterschied hier 
noch einmal [S.22]kurz dargestellt werden; dies schon allein deswegen, um die 
Diskussion nicht in überholten Gegensätzen stecken zu lassen. 
Der logische Empirismus bestimmt sich als Erkenntnistheorie von dem Ziel her, 
intersubjektiv überprüfbare Aussagen über die Realität zu gewinnen. Wesentliche 
Bedingungen dafür sind die logische Widerspruchsfreiheit der Hypothesen, die die 
Theorie bilden und die letztlich empirische Überprüfbarkeit der Aussagen. Dabei 
bleibt alle wissenschaftliche Erkenntnis hypothetisch, weil sie zukünftig 
falsifiziert werden kann (dazu K. R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 
1966). 
Einige Klarstellungen über den logischen Empirismus erscheinen in 
Hinsicht auf die späteren Überlegungen angebracht:
1. Nach dieser Theorie liegen die faktischen Seins-Aussagen zwar auf einer 
anderen logischen Ebene als die normativen Sollensaussagen, aber mit der 
Notwendigkeit ihrer logischen Unterscheidung wird keineswegs die faktische 
Trennung dieser Dimensionen in der Realität behauptet.
2. Der logische Empirismus gibt allein die Methode an, um zu intersubjektiv 
überprüfbaren Aussagen über die faktische Realität zu kommen, zu möglichst 
irrtumsfreien Prognosen. Über die Möglichkeit anderer Fragestellungen und 
Aussagen sagt er nicht mehr, als dass sie mit seiner Methode nicht lösbar sind.
3. Er verbietet nicht die Aufstellung von Hypothesen, die nicht unmittelbar 
empirisch einlösbar sind. Er stellt mit seinen Kriterien nur einen Maßstab für 
den Grad der Überprüfbarkeit solcher Hypothesen dar. Es ergibt sich also aus ihm 
kein Denkverbot für Bereiche, die bisher empirisch nur schwer zugänglich sind, 
etwa gesamtgesellschaftliche und innerpsychische Theoriebildung.
4. Zwar lassen sich Theorien von normativen Aussagen freihalten, aber die 
wissenschaftliche Tätigkeit selber beinhaltet Entscheidungen und normative 
Elemente. Die Fragestellung selber bedeutet ein Werturteil, indem man die 
Aufdeckung eines bestimmten Zusammenhangs der Aufdeckung eines anderen vorzieht. 
Von dorther ist dann auch die Begriffsbildung bestimmt, weil z. B. für die 
Klärung des gewählten Zusammenhangs die begriffliche Unterscheidung auf einem 
bestimmten Abstraktionsniveau ausreichend ist. Es ist also jederzeit möglich, 
dass dabei begriffliche Unterscheidungen verloren gehen, die unter einem anderen 
Gesichtspunkt außerordentlich wichtig sein können.
Soweit die Darstellung eines reflektierten logischen Empirismus, die hier 
gegeben wurde, um die älteren positivistischen Richtungen von vornherein aus der 
Diskussion ausscheiden zu können. In den folgenden Überlegungen geht es nun 
nicht darum, diese Wissenschaftslogik als solche anzugreifen, sondern sie zu 
kritisieren, sofern sie in der isolierten Dimension der Fakten verbleibt und den 
Zusammenhang zur normativen und zur praktischen Sphäre nicht in den Zusammenhang 
ihrer Reflexion systematisch mit einbezieht.
Auch eine Wissenschaft, die sich auf intersubjektiv überprüfbare Faktenaussagen 
zu beschränken gedenkt, kann nämlich nicht verhindern, dass sie selber doch in 
einem gesellschaftlichen Wertzusammenhang existiert. Die Gesellschaft stellt 
selber ein normatives System dar, sie ist eine Ordnung, die 
Allgemeinverbindlichkeit beansprucht; sie verlangt von den Individuen Gehorsam 
gegenüber Gesetzen und anderen Normen und erzwingt ihn notfalls. 
Nun wird sich keine Gesellschaft offen als gegründet auf bloße Gewalt zu 
erkennen geben, weil dann auch niemandem ein Vorwurf gemacht werden könnte, der 
diese Ordnung bekämpft. In einer Zeit, in der diese Legitimation nicht mehr auf 
Metaphysik beruhen kann, bedeutet dies, dass sich eine Ordnung allgemein 
anerkennbar begründet. Konkret für unsere Gesellschaft lautet die Begründung, 
dass die bestehenden Verhältnisse gerechtfertigt sind, weil sie aus dem Willen 
der Mehrheit der Bürger hervorgegangen sind. Es soll nun nicht die 
Demokratietheorie entfaltet werden, die hinter dem Satz vom Willen der Mehrheit 
steht, es soll nur darauf hingewiesen werden, dass das Prinzip der 
demokratischen Legitimation selber einmal begründet wurde, dass es bestimmte 
Ziele zu erreichen versprach und dass es bestimmte faktische Voraussetzungen 
seiner Gültigkeit gab. (z. B. J. St. Mill: On Liberty). 
Hier wird nun der reale Zusammenhang zwischen der faktischen und der normativen 
Dimension in der Gesellschaft deutlich, dem sich auch die Wissenschaft nicht 
entziehen kann. In dem Augenblick, wo sie nachweist, dass die Voraussetzungen 
nicht gegeben sind, die eine Ordnung für ihre Legitimation angibt, in diesem 
Augenblick wird Wissenschaft von einem System zur Kritik faktischer Aussagen zu 
einem Instrument der Gesellschaftskritik. Oder aber sie verfehlt diese Aufgabe 
der Kritik, indem sie den Zusammenhang verdrängt bzw. sich dazu hergibt, die 
Brüchigkeit einer Legitimation zu verschleiern. So oder so muss sich jedoch auch 
eine "wertfreie"   Wissenschaft gefallen lassen, politisch und moralisch bewertet 
zu werden.[S.23]
Erster Ansatzpunkt einer kritischen Wissenschaft muss heute also der 
Selbstanspruch einer Gesellschaft sein, mit dem sie ihre Ordnung begründet. Für 
die parlamentarische Demokratie führt das zu der Frage, ob im Rahmen der 
politischen Öffentlichkeit tatsächlich eine Aufklärung der Individuen über die 
Zusammenhänge und Möglichkeiten der Gesellschaft und über ihre eigenen 
Interessen stattfindet oder ob sich im politischen Willen der Individuen 
fremdbestimmte Motive unkontrolliert durchsetzen. 
Es wäre also an jedem Punkt des politischen Willensbildungsprozesse die Frage 
nach seiner demokratischen Qualität zu stellen.
Neben der immanenten Kritik der Gesellschaft, deren Notwendigkeit auch die 
Herrschenden nicht guten Gewissens verweigern können, kann Wissenschaft jedoch 
auch kritisch werden von einem normativen Kriterium her, das die herrschende 
Legitimationstheorie noch übersteigt. Ein solcher Fall liegt heute vor, wo die 
traditionelle Bestimmung der Aufgaben des Staates sowie die unbefragte Hinnahme des 
Wählerwillens als letzter Instanz, wie sie die bürgerliche Demokratie 
kennzeichnet, durch das Faktum der verinnerlichten Herrschaft hinfällig geworden 
ist (dazu: Th. Adorno u. a.: "The Authoritarian Personality", 1950). 
Das Prinzip der demokratischen Legitimation wird heute zunehmend radikaler und 
inhaltlicher gefasst, indem als anerkennbar nur eine Gesellschaftsordnung gilt, 
in der die Betroffenen die Verhältnisse nach ihren eigenen Bedürfnissen 
gestalten können. Erste Aufgabe einer in diesem Sinne kritischen und 
emanzipatorischen Wissenschaft wäre es, die Widersprüche zwischen den 
Bedürfnissen der Individuen und der bestehenden Ordnung aufzudecken und die 
Mechanismen zu ihrer Verschleierung zu identifizieren, also die Faktoren zu 
bestimmen, die eine Aufklärung der Individuen über die Bedürfnisse verhindern.
Die Ideologie des freien Individuums ist vom Prozess seiner brutalen 
Vergesellschaftung her zu kritisieren. Indem die Wissenschaft Unwissenheit, 
Unmündigkeit und verinnerlichte Herrschaft nachweist, zerstört sie die Ideologie 
einer schon "freien Welt"   und schafft die Grundlage für eine weitere 
Emanzipation der Gesellschaft.
Soweit die Darstellung des Zusammenhangs zwischen faktischer und normativer 
Dimension, der unentrinnbaren Verbindung von Erkenntnis und Rechtfertigung in 
der Gesellschaft und jedem einzelnen Individuum. Damit ist das Problem einer 
emanzipatorischen Wissenschaft jedoch noch nicht gelöst. Ein weiteres wichtiges 
Problem besteht in der Frage, wie die Kritik zu einer realen politischen Macht 
werden kann, wie sie sich in Entscheidungen und im Handeln wirkungsvoll umsetzt. 
Es muss also der Zusammenhang der faktischen und der normativen Dimension mit 
der praktischen Dimension in die Wissenschaft einbezogen werden, um nicht in 
einer hilflosen Kritik, in einem abstrakten moralischen Vorwurf stecken zu 
bleiben bzw. im bloßen empirischen Zweifel, der seine unausweichliche Konsequenz 
in der Veränderung der Welt nicht erkennt. 
Der Vorwurf an die rein 
logisch-empirische Sozialwissenschaft ist dabei nicht, dass sie für die 
Gestaltung der Gesellschaft nicht praktisch brauchbar wäre, sondern dass sie 
diese Veränderung rein technisch betrachten muss und ohne den Zusammenhang mit 
einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik.
Die Frage nach der vernünftigen Praxis ist die Frage nach der Möglichkeit einer 
emanzipatorischen Veränderung der Welt. Sind die Widersprüche zwischen den 
Bedürfnissen der Individuen und den bestehenden Verhältnissen aufgedeckt und die 
Mechanismen zur Verschleierung dieser Widersprüche erkannt, so sind diejenigen 
Faktoren und sozialen Gruppen zu identifizieren, die für die Aufrechterhaltung 
dieser Verhältnisse verantwortlich sind. 
Eine kritische Politologie hätte sich dabei weniger mit den gleichsam 
naturnotwendigen Entbehrungen und Unfreiheiten zu befassen, denn die 
Verbesserung der wissenschaftlichen Naturbeherrschung ist politisch nicht mehr 
kontrovers. Sie hätte ihr Interesse vielmehr dorthin zu lenken, wo soziale 
Gruppen die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen im eigenen 
Interesse betreiben. Es wären die Gruppen zu identifizieren, die eine vom Stand 
der Naturbeherrschung, d. h. von der Entwicklung der Produktivkräfte her 
mögliche Emanzipation aller Menschen verhindern. 
Die Politologie hätte also die Interessenlage der sozialen Gruppen im 
Zusammenhang mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen offen zu legen, um den 
Individuen eine Aufklärung über ihre Lage und eine Orientierung ihres 
politischen Kampfes zu geben. Im eigentlichen Sinne praktisch wird eine 
Politologie, wenn sie auch die Wege für eine emanzipatorische Veränderung der 
Gesellschaft zeigt. Das erfordert einmal die Bestimmung des möglichen Trägers 
dieser Veränderung. Dies müssen nicht die bestehenden politischen Institutionen 
sein, die ja vor allem ein Instrument der Herrschenden sind, sondern dies 
sollten diejenigen Gruppen sein, die als Unterprivilegierte und 
Unterrepräsentierte des Systems an ihrer eigenen Emanzipation interessiert sind.
Es stellt sich dann die Frage, wie diese Gruppen aus dem bloßen Erdulden ihrer 
miserablen Lage zu einem bewussten Kampf gegen diese Verhältnisse kommen können. 
Dazu bedarf es einer Analyse der Funktion, welche diese Gruppen für die 
Reproduktion des bestehenden Systems haben, welche Macht sie also entfalten 
können.
Soweit die Überlegungen zu einer kritischen und praktischen Sozialwissenschaft. 
Dies Ziel konnte hier nur skizzenhaft umrissen werden und verlangt weitere 
theoretische Arbeit. Der Versuch war, eine Politologie zu bestimmen, für die die 
Dimensionen des Erkennens, Bewertens und Entscheidens nicht isoliert sind. Erst 
eine solche zusammenhängende Vernünftigkeit reißt die individuelle 
Persönlichkeit nicht mehr arbeitsteilig auseinander. Diese unbegriffene 
Arbeitsteiligkeit ist jedoch die Bedingung für die Fortdauer der Herrschaft von 
Menschen über Menschen, einer Herrschaft, die erkauft wird mit der psychischen 
Desintegration und Repression der Individuen.
Dieser Aufsatz wurde auf dem Höhepunkt der 
Studentenbewegung 1968 geschrieben. Er gibt eine radikal-demokratische, 
nicht-marxistische Position innerhalb der Studentenbewegung wieder. Zu dem 
allermeisten in diesem Aufsatz stehe ich auch heute noch. Allerdings würde ich 
manches heute anders formulieren. 
Das betrifft z. B. die Forderung, dass "die Betroffenen die Verhältnisse nach 
ihren eigenen Bedürfnissen gestalten sollen". Diese Forderung wurde häufig so 
verstanden, dass nur die in der jeweiligen Institutionen (wie Universitäten, 
Schulen, Betrieben, Heimen etc.) Beschäftigten und Lebenden als "Betroffene"   
angesehen wurden, nicht jedoch diejenigen Individuen und Organisationen 
außerhalb der Institution, für die die betreffende Institution Leistungen zu 
erbringen hatte. Das führte dazu, dass die Studentenbewegung in allen Bereichen 
und Institutionen  eine (räte)demokratische Selbstverwaltung durch die 
Mitglieder dieser Institutionen forderte - manchmal garniert mit problematischen 
halbernsten Parolen wie "Brecht dem Schütz die Gräten - Alle Macht den Räten!"   
(Klaus Schütz, SPD, war 1968 Regierender Bürgermeister in West-Berlin.) 
Ein solch vereinfachtes Verständnis von demokratischer Entscheidung durch die 
Betroffenen geht an den arbeitsteiligen Verflechtungen und Verantwortlichkeiten 
einer modernen hoch differenzierten Gesellschaft völlig vorbei. So wird ein 
Produktionsbetrieb, der in der Form einer demokratischen Selbstverwaltung der in 
diesem Betrieb Arbeitenden organisiert ist, sicherlich die Interessen der dort 
Arbeitenden vertreten. Er wird seine Produktion jedoch wahrscheinlich nicht an 
der Nachfrage in der Gesellschaft orientieren, weil die Konsumenten in dem 
Selbstverwaltungsgremium nicht vertreten sind und folglich darauf auch keinen 
Einfluss nehmen können. 
Auffällig ist, dass ich in dem Aufsatz - dem eine Rede zugrunde lag - nichts 
über das Verhältnis der geforderten rätedemokratischen Strukturen zum 
Grundgesetz und zum Parlamentarismus gesagt habe. Das war offenbar eine 
(problematische) Konzession an die entschieden außerparlamentarische 
Orientierung ("APO") der meisten Wortführer der Studentenbewegung und an die 
Einheit der Studentenbewegung.
Problematisch ist auch die Formel von der "Verschleierung der Widersprüche". 
Abgesehen von der Vagheit des Begriffs "(gesellschaftlicher) Widerspruch"   ist 
auch der Begriff der "Verschleierung"   problematisch, insofern als er eine 
manipulative Zauberkraft suggeriert, die die Köpfe vernebelt. 
Im Aufsatz ist von der "brutalen Vergesellschaftung"   der Individuen die Rede und 
von der "psychischen Desintegration und Repression der Individuen". In dieser 
undifferenzierten Allgemeinheit ist die darin enthaltene Gesellschaftskritik 
nicht zu belegen. Allerdings ist richtig, dass sich in Nachkriegs-Deutschland 
faschistoide Erziehungsmethoden und Denkstrukturen in weiten Bereichen 
ungebrochen fortsetzten. Ich habe selber meine schlimmen Erfahrungen damit 
gemacht, als ich 1949/50 als 6-jähriger wegen einer Tuberkulose für 14 Monate in 
das Niedersächsische Landeskinderkrankenhaus in Bad Sachsa im Südharz kam. 
Wie ich erst sehr viel später zufällig entdeckte, war es derselbe idyllische 
Gebäudekomplex, in denen vor 1945 die Kinder von eingekerkerten und ermordeten 
Gegnern des Nazi-Regimes in "Sippenhaft"   zusammengefasst und "erzogen"   wurden. 
Offenbar hatte man das Personal 1945 nicht gründlich ausgewechselt und eine 
Oberschwester Hilde als Heimleiterin konnte noch 5 Jahre später ungehindert ihre 
autoritär-brutalen Erziehungsmethoden praktizieren. 
Nicht zufällig entstammte ein großer Anteil der späteren RAF-Aktivisten dem 
Heidelberger "Sozialistischen Patienten-Kollektiv" und war psychisch schwer geschädigt.
***
Gegen die weitere Aushöhlung der Demokratie
unter dem 
Vorwand des 
Verfassungsschutzes
 (1975)
In der Bundesrepublik und West-Berlin findet gegenwärtig eine breit angelegte 
Aktion zur Eliminierung von bestimmten Personen aus dem öffentlichen Dienst bzw. 
zur Verhinderung ihrer Einstellung statt. Zehntausende von Personen werden von 
den Verfassungsschutz-Behörden überprüft, eine zunehmende Zahl findet keine 
Anstellung mehr oder wird aus der bisherigen Stellung entlassen. 
Was wird diesen Personen vorgeworfen? Haben sie sich strafbar gemacht und gegen 
geltende Gesetze verstoßen? Sind sie fachlich ungeeignet für die betreffenden 
Berufe? Nichts dergleichen. Ihnen werden allein ihre politischen Ansichten 
vorgeworfen. Es heißt, dass sie "nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die 
freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten". Das bedeutet, dass 
Menschen 
allein aufgrund ihrer Gesinnung und ohne jeden Verstoß gegen rechtliche 
Vorschriften von denjenigen Berufen ausgeschlossen werden, für die sie allein 
ausgebildet sind. Welche Existenz bedrohende Härte eine solche Maßnahme für die 
Betroffenen darstellt, kann sich jeder leicht vorstellen. 
Diese politischen Säuberungsaktionen finden in einem Land statt, das selber 
den Anspruch erhebt, eine demokratische Gesellschaft zu sein und in der die 
Prinzipien der Meinungs- und Gesinnungsfreiheit einen zentralen Platz einnehmen 
sollen. Aber dieser demokratische Anspruch ist in dem Maße unglaubwürdig, wie er 
nur noch dazu dient, Vorgängen in den an der Sowjetunion orientierten Ländern 
anzuprangern, wie z.B. die politischen Säuberungsaktionen in der CSSR nach dem 
Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts. 
Beispielhaft für eine solche scheindemokratische Position sind Zeitungen oder 
Sender, die in großer Aufmachung und aller Ausführlichkeit über die 
Disziplinierung sowjetischer Intellektueller wie Solschenyzin durch die 
politische Polizei berichten, die jedoch entsprechenden Vorgängen der 
Unterdrückung von politischen Ansichten im eigenen Land keinen Raum in der 
Berichterstattung geben. 
Demokratie wird dabei zur wohlklingenden Phrase in Sonntagsreden, die eine 
Gesellschaft ohne reale Meinungsfreiheit verhüllen sollen. 
Die Verfolgung von Menschen wegen ihrer politischen oder weltanschaulichen 
Überzeugungen hat - gerade in Deutschland - eine lange und traurige Tradition. 
Die Liste derjenigen, die wegen ihrer politischen Meinungsäußerungen ihre 
berufliche Existenz verloren haben, vor Gericht gestellt wurden, in die 
Emigration getrieben oder gar umgebracht wurden, ist endlos und umfasst einen 
Großteil derer, die heute zu den bedeutendsten Vertretern unserer kulturellen 
Tradition gerechnet werden. 
Zu denken ist an Wissenschaftler wie Freud und Einstein, an Literaten wie Thomas 
Mann und Bertolt Brecht, an Sozialdemokraten wie Brandt und Wehner, an 
Sozialisten ohne Zahl sowie an Intellektuelle, deren Werke heute zum 
bürgerlichen Bildungsgut zählen wie Büchner und Heine.
Bei dieser Tradition ist es unbegreiflich, wenn heute Funktionäre der SPD und 
der Gewerkschaften an der Gesinnungsschnüffelei und an der "Säuberung"   des 
öffentlichen Dienstes aktiv mitwirken. Anstatt vor allem der weiteren Aushöhlung 
der demokratischen Substanz des Grundgesetzes durch diejenigen entgegenzutreten, 
die Ostverträge, Hochschulreformgesetze, Fristenlösung oder 
Mitbestimmungsentwürfe für "verfassungswidrig"   erklären wollen, beteiligt man 
sich an der Eliminierung derer, die sich für die "Abschaffung von 
Klassenherrschaft und Ausbeutung"   und für "Revolutionierung der 
Eigentumsverhältnisse"   aussprechen. 
Heute schwingen sich Leute zu Gralshütern der Demokratie auf, deren geistige 
Ahnherrn und Vorbilder zu den eingefleischtesten Gegnern des allgemeinen 
gleichen Wahlrechts, der freien politischen Meinungsäußerung oder des 
Koalitionsrechts der Gewerkschaften gehörten. Diese demokratischen Rechte 
mussten erst unter schweren Opfern gegen konservative Kräfte erkämpft werden, 
die ohne weiteres damit einverstanden waren, dass nach dem preußischen 
Dreiklassenwahlrecht die Stimmen der Familie Krupp in Essen genauso viel Gewicht 
hatten wie die Stimmen von Zehntausenden von Krupp-Arbeitern. 
Auch gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und die blutige 
Verfolgung von Sozialisten und Kommunisten leisteten die konservativen Kräfte - 
gelinde gesagt - keinen ernsthaften Widerstand. 
Das erste Kabinett unter Hitler war eine Koalitionsregierung der 
Nationalsozialisten mit den Deutschnationalen unter Hugenberg, dem langjährigen 
Krupp-Direktor und Eigentümer eines großen Presse- und Film-Konzerns. Den 
Vizekanzler stellte von Papen, ein Politiker, der aus der katholischen 
Zentrumspartei kam. Das berüchtigte Ermächtigungsgesetz vom März 1933 wurde 
von Nationalsozialisten und Deutschnationalen gemeinsam eingebracht. Nur die SPD 
stimmte gegen dies Gesetz, das u. a. der Reichsregierung unter Hitler das Recht 
gab, von der Verfassung abweichende Gesetze zu erlassen. Alle Parteien rechts 
von der SPD stimmten diesem Gesetz zu. (Die KPD war bereits Februar 1933 durch 
eine Notverordnung des Präsidenten zur Abwehr "staatsgefährdender Gewaltakte"   
ausgeschaltet worden und konnte ihre Sitze im Reichstag nicht mehr einnehmen.)
Diese tatkräftige Mitarbeit der deutschnationalen, konservativen und 
katholischen Parteien an der "legalen"   Aushöhlung der Weimarer Verfassung, die 
ja formell nicht abgeschafft wurde, sollte jeden demokratisch Denkenden 
zumindest wachsam machen: Zu oft wurde in der deutschen Geschichte unter dem 
Deckmantel staatlicher Legalität die Verfolgung Andersdenkender praktiziert. 
Der gegenwärtige Versuch, mit dem Hinweis auf den Schutz der Demokratie 
Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung die berufliche Existenzgrundlage zu 
entziehen, muss besonders makaber wirken angesichts der Tatsache, dass in diesem 
Staat einflussreiche Ministerialbeamte, Offiziere, Richter, Professoren oder "Wirtschaftsführer"   des nationalsozialistischen Regimes, die aktive Mitglieder 
der NSDAP waren, ohne Probleme wieder hohe und höchste Staatsämter einnehmen 
konnten. Nicht der Kommentator zu den Nürnberger Rassegesetzen Globke stellte 
als Staatssekretär im Bundeskanzleramt eine Gefahr für die Demokratie dar, 
sondern der Lehrer, der Mitglied der DKP ist. Nicht der Richter, der 
Todesurteile gegen Gegner des Nazi-Regimes gefällt hat, sondern der 
Gerichtsreferendar, der sich als Student für die sozialistische Revolution 
eingesetzt hat. 
Ein grelles Licht auf diese Art von "Verfassungsschutz"   wirft die Tatsache, dass 
der Organisator und langjährige Leiter des Bundesnachrichtendienstes, General 
Gehlen, bereits im nationalsozialistischen Geheimdienst eine hohe Funktion 
bekleidet hatte. In welchem politischen Lager solche Leute die "Staatsfeinde"   
gesehen haben, kann sich jeder an fünf Fingern abzählen. Nicht zufällig konnten 
sogar Offiziere der Bundeswehr hohe Funktionäre der NPD sein, ohne deswegen als 
eine Gefährdung der Demokratie angesehen zu werden und aus dem öffentlichen 
Dienst entlassen zu werden. 
Wer meinte, dass die Konservativen von heute doch durch die Erfahrungen des 
Nationalsozialismus gelernt hätten und dass von ihnen heute keine Gefahr für die 
Demokratie mehr drohe, der wird durch einige Ereignisse der neueren Zeit 
hellhörig geworden sein. Schon immer musste es eigentlich paradox erscheinen, 
dass die NATO als militärischer Pakt zur Verteidigung von Demokratie und 
politischer Freiheit jahrelang Bündnispartner wie Portugal oder Griechenland 
umfasste, die sich gerade durch eine grausame Unterdrückung von Demokratie und 
Freiheit auszeichneten, die durch blutige Kolonialkriege oder Gefängnisinseln 
für politische Gegner traurige Berühmtheit erlangten. 
Kann man sich an Proteste der CDU erinnern, als der erwartete Wahlsieg des 
linksgerichteten Politikers Papandreou durch den Militärputsch in Griechenland 
gerade noch vereitelt wurde? Hatte man nicht über Jahrzehnte ein recht gutes 
Verhältnis zur portugiesischen Diktatur? Wie war es in Chile, als eine mehr als 
hundertjährige demokratische Tradition mit der Bombardierung des 
Präsidentenpalastes ein blutiges Ende fand? Hieß es da nicht, die "Ordnung"   
hätte wieder hergestellt werden müssen? Hatte man nicht zum demokratisch 
gewählten Allende ein schlechteres Verhältnis als zum General Pinochet, dem 
Hauptverantwortlichen für tausendfachen Mord und Folter an politischen Gegnern? 
Verweigerte man nicht einer Auslandshilfe zur Zeit der Regierung Allende die 
Zustimmung, weil die chilenische Regierung eine Bodenreform zugunsten landloser 
Arbeiter durchführte, die u.a. auch zur Enteignung ausländischer 
Großgrundbesitzer wie dem Multimillionär Schickedanz ("Quelle") führte? Forderte 
nicht der CDU-Vertreter Todenhöfer nach Besuchen bei Pinochet nachdrücklich die 
Auszahlung der Kredite an das neue bajonettgestützte Regime? 
Wer diese Politik genauer beobachtet und aus den geschichtlichen Erfahrungen 
seine Lehren zieht, der wird den Verdacht nicht los, dass diejenigen, die heute 
am lautesten nach dem Kampf gegen die Feinde der Demokratie rufen, auch 
diejenigen sind, die die Demokratie sofort dann fallen lassen, wenn einmal auf 
demokratischem Wege ihre Interessen, die Kapitalinteressen einer Minderheit von 
Konzernchefs, Multimillionären und Großgrundbesitzern gefährdet werden. Immer 
wenn das Kapitaleigentum in Gefahr war, war seinen politischen Vertretern jedes 
Mittel recht, vom Militärputsch (Chile, Griechenland) bis zum Bürgerkrieg 
(Spanien), von der Wirtschaftsblockade (Kuba) bis zur militärischen Invasion 
(Sowjetunion). 
Wer wäre so naiv anzunehmen, dass diese Kreise kampflos ihre Verfügungsgewalt 
über die gewaltigen Reichtümer und Machtmittel aufgeben würden, nur weil sie 
gute Demokraten sind und sich dem Mehrheitswillen zur Vergesellschaftung der 
Produktionsmittel beugen? 
Die Vermutung, dass den konservativen Kräften privater 
Kapitalbesitz heiliger ist als die politische Demokratie, wird noch erhärtet 
durch den ständigen Versuch, kapitalistische Wirtschaftsordnung und politische 
Demokratie gleichzusetzen, z.B. durch den Begriff "freiheitliche 
Gesellschaftsordnung". So hat der CDU-Vorsitzende Kohl erst kürzlich wieder 
versucht, den Kapitalismus zum Bestandteil der Verfassung zu erklären und damit 
den Prozess der Aushöhlung der politischen Demokratie voranzutreiben. Die 
Wirtschaftsordnung, die für alle Menschen elementare Bedeutung besitzt, weil von 
ihr die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor allem abhängen, soll dem Bereich der 
demokratischen Willensbildung entzogen werden und in der Verfassung 
festgeschrieben werden. Und leider ist es nicht sicher, ob sich nicht eine 
Mehrheit der CDU-nahen Verfassungsrichter finden würde, die gesetzliche 
Maßnahmen zur Vergesellschaftung der Industrievermögen und zur Planung des 
Wirtschaftsprozesses für verfassungswidrig erklären würden, falls eine Mehrheit 
der Wähler nicht mehr bereit ist, die krassen Vermögens- und 
Einkommensunterschiede, die ungleiche Verteilung der Arbeitslasten und die 
Krisenbewältigung durch Massenentlassungen und Kaufkraftverluste als 
unabwendbares Schicksal hinzunehmen. 
Da die Sozialisten eine Gesellschaft anstreben, in der es der Mehrheit der 
Menschen besser geht als im Kapitalismus, brauchen sie den aufgeklärten Willen 
der Mehrheit und das allgemeine Wahlrecht nicht zu fürchten. Im Gegenteil, was 
sie fürchten müssen sind die Panzer und Bajonette, die im Ernstfall gegen die 
demokratische Enteignung der kleinen Minderheit von Kapitaleigentümern 
mobilisierbar wären, wie z.B. in Chile.
Da es den Sozialisten darum geht, dass alle Menschen sich aufgrund von 
Information und eigener Überlegung über ihre wirkliche Interessenlage aufklären, 
brauchen sie die freie Diskussion und Information in Versammlungen, Presse, 
Rundfunk und Fernsehen nicht zu fürchten, im Gegenteil. Was sie fürchten müssen 
ist die ständige Verfälschung und Unterdrückung von Nachrichten und 
Zusammenhängen und die Verteufelung von Gegnern der kapitalistischen 
Wirtschaftsordnung durch Massenmedien, die sich direkt im Privatbesitz von 
Kapitalisten wie Springer befinden oder aber wirtschaftlich und politisch von 
deren Wohlwollen abhängig sind. 
Da die Sozialisten eine Gesellschaft anstreben, in der die Regierungspolitik 
dem aufgeklärten Willen der Mehrheit unterworfen bleibt, brauchen sie das 
Prinzip unabhängiger Gerichte nicht zu fürchten, die als selbständige Gewalt 
jedermann - auch die Regierung - an die demokratisch beschlossenen Verfassungs- 
und Gesetzesnormen bindet. Was sie dagegen fürchten müssen sind Richter und 
Justizorgane, die wie in der Weimarer Republik im Namen von Verfassung und Recht 
Sozialisten diskriminieren und verfolgen und mit dem Argument des Staatsschutzes 
selber tatkräftig an der Aushöhlung der demokratischen Substanz der Verfassung 
mitwirken. 
Da die Sozialisten nicht an die Unfehlbarkeit irgendwelcher politischen Eliten 
glauben und da sie wissen, dass der Sozialismus nicht durch die Dekrete einer 
diktatorisch regierenden Partei oder Clique entstehen kann sondern nur Ergebnis 
des freien demokratischen Willensbildungsprozesses aller sein kann, brauchen sie 
die Institutionalisierung des Rechtes auf Kritik und Opposition und eine 
Pluralität von Meinungen nicht zu fürchten. Im Gegenteil, was sie fürchten 
müssen ist eine wirtschaftliche Erpressung wie in Chile, wo Fuhrunternehmer 
ihren Privatbesitz an den lebensnotwendigen Versorgungseinrichtungen der 
Gesellschaft in einem wochenlangen Boykott als Waffe gegen eine demokratisch 
gewählte sozialistische Regierung einsetzten. Sie müssen die Agenten 
ausländischer Konzerne wie ITT fürchten, die riesige Geldsummen einsetzten zur 
Unterstützung solcher Boykotte, zur Finanzierung der Wahlkämpfe 
kapitalfreundlicher Parteien und für die Bezahlung von bewaffneten 
Terrororganisationen. 
Wenn die Sozialisten für sich die Freiheit der politischen Meinungsäußerung und 
die Aufhebung von Maßnahmen fordern, die die berufliche Existenz von Menschen 
aufgrund ihrer politischen Anschauungen vernichtet, so fordern sie damit nur die 
Einhaltung der einfachsten und grundlegendsten Prinzipien einer Demokratie. Denn 
ohne eine Freiheit der politischen Meinungsäußerung wird jede Wahl zur Farce und 
verliert ihre demokratische Legitimation. 
Wo im Namen der Demokratie eine politische Richtung mundtot gemacht werden 
soll, hebt sich die Demokratie selber auf. Wir fordern deshalb alle wirklichen 
Demokraten gleich welcher politischen Richtung auf, als Demokraten gegen 
Gesinnungsterror und politische Diskriminierung aufzutreten und die Demokratie 
vor ihren falschen Freunden zu schützen, die in Deutschland schon einmal ihren 
Ruin herbeigeführt haben.
***
Das Folgende ist ein Redebeitrag auf dem "Kongress gegen politische Unterdrückung" 1972 in West-Berlin.
Zur Diskussion des "Mandel-Falls"
(1972)
   Die sozialistische Bewegung in der BRD und West-Berlin kommt im Augenblick an einen 
kritischen Punkt. Es wurden in den letzten Jahren Teilerfolge in bestimmten 
gesellschaftlichen Bereichen errungen. Dazu gehören die Universitäten, Schulen 
aber auch Ansätze im betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich. Diese 
Teilerfolge haben jedoch dazu geführt, dass die pro-kapitalistischen Kräfte in 
zunehmendem Maße nervöser wurden und immer lautstärker eine Bekämpfung der 
sozialistischen "Unterwanderung"   forderten. Diese Kräfte haben sich gegenwärtig 
in der Politik wieder so weit durchgesetzt, dass zu offenen Maßnahmen gegen die 
sozialistischen Kräfte gegriffen wurde, und zwar durch Berufsverbote bzw. 
Nichteinstellung von Sozialisten in den betreffenden Bereichen Schule und 
Hochschule. 
Diese Maßnahmen wurden begründet mit dem Hinweis auf die mangelnde 
Verfassungstreue der Eliminierten. So hieß es bei Ernest Mandel, seine 
politischen Ziele - insbesondere die Rätedemokratie - seien mit der Verfassung 
nicht vereinbar. In dem Augenblick jedoch, wo die Verfassungsfeindlichkeit 
bestimmter politischer Richtungen eine ausgemachte Sache ist, ist das Verbot der 
entsprechen Gruppierung und die polizeiliche und gerichtliche Verfolgung der 
beteiligten Personen nur noch eine logische Konsequenz. 
Diese Erfahrungen wurden im Zuge des KPD-Verbots und der in den Jahren darauf 
folgenden Kommunistenprozesse bereits einmal in der BRD gemacht. Auf einen 
solchen kritischen Punkt steuern die Sozialisten in der BRD und WB heute 
wiederum zu, indem sie zu Verfassungsfeinden gestempelt werden. Kritisch ist 
diese Situation vor allem auch deswegen, weil man die Linke in einem Moment zu 
treffen beabsichtigt, wo sie gerade erst anfängt, ihre gesellschaftliche 
Isolierung und ihre Beschränkung auf den Hochschulbereich zu überwinden, d.h. wo 
sie zu einer Abwehr dieser Gefahr fast keine relevanten gesellschaftlichen 
Kräfte mobilisieren kann. Eine Illegalisierung der Sozialisten und eine 
anschließende Beseitigung ihres Einflusses ist also eine reale Gefahr, dies hat 
das KPD-Verbot, das Verbot des Heidelberger SDS oder auch das Beispiel der "Gauche Proletarienne"   in Frankreich gezeigt.
Eine erste Schlussfolgerung muss daher lauten, dass sich die Sozialisten unter 
keinen Umständen in die verfassungsfeindliche Ecke drängen lassen
dürfen, wenn sie nicht wollen, dass ihr politischer Aktionsraum auf das Minimum 
des illegalen politischen Untergrunds mit seinen notwendig zu erwartenden 
Opfern beschränkt werden soll. (Die negativen Folgen können gegenwärtig am 
Beispiel von Organisationen wie der RAF beobachtet 
werden.)
Nun mag mancher entgegnen, der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit sei sowieso zu 
erwarten und eine Diskussion um diesen Punkt sei überflüssiger juristischer 
Formelkram. Schließlich gehöre es zu 
den politischen Grunderkenntnissen jedes Sozialisten, dass der Staat - und damit auch die 
staatliche Verfassung - von der herrschenden Klasse in ihrem Sinne genutzt wird, 
d.h. dass in einer kapitalistischen Gesellschaft die Verfassung gegen 
Sozialisten gekehrt wird. Auslegung und Anwendung der Verfassung sei keine Frage 
des Rechtes sondern der Herrschaftsverhältnisse. Der gegenwärtige Konflikt sei 
Teil der Klassenauseinandersetzung und damit eine Frage der Macht und nicht des 
Rechts. 
Diese Argumentation und Einstellung, die ich eben skizziert habe und die sich 
realistisch und illusionslos gibt, ist in meinen Augen jedoch trotz ihrer 
gewissen Berechtigung der realen Situation nicht angemessen und könnte die eigenen 
Aktivitäten eher lähmen als verstärken, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens ist eine derartige Reduzierung der politischen Auseinandersetzung auf 
eine reine Machtfrage in der gegenwärtigen Situation geradezu selbstmörderisch. 
Wenn man einmal die existierenden Machtverhältnisse in diesem Staat betrachtet, 
so würde bei einem wirklichen Machtkampf unter Einsatz aller verfügbaren Mittel 
von den Sozialisten wohl kaum etwas übrig bleiben. Dieser leicht einzusehende 
Tatbestand macht deutlich, dass es von der oben skizzierten militanten Haltung 
bis zu einer resignativen Haltung der politischen Hoffnungslosigkeit kein allzu 
großer Schritt ist und die Gefahr eines "Umkippens"   immer gegeben ist. 
Zum andern ist die Gleichung "Kapitalistische Gesellschaft also 
kapitalistisches Recht"   gerade insofern kurzschlüssig, als ja Verfassungen 
tatsächlich nicht von irgendeiner höheren Gerechtigkeit verordnet sind, sondern 
Produkte gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kämpfe darstellen. Das 
heißt aber auch, dass die jeweilige Verfassung auch die Fixierung eines 
bestimmten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses darstellt und dass sich in den rechtlichen 
Formen einer kapitalistischen Gesellschaft deshalb auch die relative Stärke der sozialistischen 
Kräfte niederschlagen muss. Dies gilt nun insbesondere für die Verfassung der 
BRD, die in einer Phase entstand, als sich Kapitalbesitz und politische 
Rechtskräfte erst allmählich von der totalen Niederlage des "3. Reiches"   
erholten. Dies drückt sich z.B. darin aus, dass aus dem Grundgesetz kein Verbot 
einer Aufhebung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln abgeleitet 
werden kann. 
Ich will auf die Einzelheiten hier nicht näher eingehen, sondern 
will nur festhalten, dass in dem Augenblick, wo von den Sozialisten nicht mehr 
um die Ebene der Verfassungsmäßigkeit gekämpft und argumentiert wird, damit auch 
die historisch einmal errungenen Positionen freiwillig geräumt werden und den 
Vertretern der Kapitalinteressen ein noch größerer Spielraum beim Einsatz der 
Verfassung in ihrem Sinne gegeben wird. Dort, wo in der Verfassung für die 
politische Willkür der Kapitalinteressen Grenzen formuliert sind, müssen die 
Sozialisten auf einer Einhaltung dieser Grenzen bestehen. Mit den Hamburger 
Beschlüssen und den Einstellungsverboten in Berlin ist diese Grenze jedoch 
überschritten. 
Zum zweiten: Wenn die Sozialisten die gegenwärtige Auseinandersetzung nur in den Begriffen 
einer Machtauseinandersetzung beschreiben, so kann damit vielleicht die Funktion 
der Selbstverständigung unter Sozialisten erfüllt werden. Damit liefert man aber 
noch keine Argumentation für jemanden, der noch kein Sozialist ist. Dessen 
Kritik kann nur geweckt werden, wenn ihm deutlich gemacht wird, dass die 
kapitalistischen Kräfte unter Missbrauch der Verfassung versuchen, den Kampf um 
die Wirtschaftsordnung in ihrem Sinne zu entscheiden, obwohl gerade die 
Wirtschaftsordnung durch die Verfassung nicht festgelegt wurde. 
Um diejenigen aufzuklären und zu gewinnen, die sich in der jetzigen 
Auseinandersetzung passiv verhalten oder die gar in Verkennung ihrer eigenen 
Interessen der Diskriminierung von Sozialisten zustimmen, ist die Ebene der 
verfassungsmäßig garantierten Rechte für die Vertretung der eigenen politischen 
Vorstellungen wichtig. 
Allerdings muss sie mit einer anderen Argumentationsebene 
verbunden werden. So wichtig der Kampf gegen eine antisozialistische Verengung 
der Grundgesetzinterpretation auch ist, so darf sich die Argumentation 
keinesfalls im juristischen Streit um die Auslegung von Verfassungsnormen 
erschöpfen. Zugleich muss in die Diskussion der gesamte theoretische Hintergrund 
mit 
einbezogen werden, das gesamte System der theoretischen Rechtfertigungen und 
Begründungen, wodurch sich überhaupt erst die Anerkennbarkeit des im Grundgesetz 
formulierten "demokratischen und sozialen Rechtsstaats"   ausdrückt. Das bedeutet, 
dass die Verfassungsauslegung mit dem Ziel, die Illegalisierung sozialistischer 
Organisationen zu verhindern, durch eine Auseinandersetzung um das 
zugrundeliegende Demokratieverständnis ergänzt werden muss. 
Ein unterentwickeltes demokratisches Bewusstsein auch bei der Mehrheit der 
Lohnabhängigen war eine Bedingung dafür, dass in den 50er Jahren das 
Bundesverfassungsgericht mit teilweise reaktionärsten Begründungen die KPD 
verbieten konnte, ohne dass es zu nennenswerten Erschütterungen der 
bundesrepublikanischen Ordnung kam. Die Stoßrichtung der Argumentation muss hier 
von Anfang an offensiv sein: Nicht die Sozialisten sind die Gegner einer 
demokratischen Bestimmung der Individuen über ihre Lebens- und 
Arbeitsbedingungen, sondern die Kapitalbesitzer und ihre politischen Vertreter, 
die den Reproduktionszwang der Individuen zum Aufkauf und zur Ausbeutung ihrer 
Arbeitskraft benutzen können, und die damit ihre ökonomische und politische Macht 
immer weiter ausbauen.
Nicht die Sozialisten verfälschen den Grundsatz, dass alle Gewalt vom Volke 
ausgehen soll. sondern die Kapitalbesitzer und ihre Vertreter, die fortlaufend 
die größte Propagandamaschine der Geschichte nach den modernsten Erkenntnissen 
der Massenbeeinflussung einsetzen, um gerade zu verhindern, dass sich der Wille 
des Volkes aufklären, artikulieren und durchsetzen kann.
Wenn etwa die BILD-Zeitung die Sozialisten als "Feinde der Freiheit"   abstempeln 
will, für die es keine Freiheit geben dürfe, so kann es für Sozialisten nur 
lauten, dass wir allerdings jene kapitalistische Karikatur von Freiheit 
bekämpfen, die darin besteht, dass eine kleine Schicht die "Freiheit"   hat, ohne 
die geringste eigene Arbeitsleistung sich den Löwenanteil der Arbeitsprodukte 
anzueignen. Die Kapitalbesitzer und ihre Interessenvertreter sind heute dabei, 
das Etikett von der "freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung"   
wieder aufzupolieren, das seit der Kritik durch die antiautoritäre und 
sozialistische Studentenbewegung ziemlich lädiert worden war.
Aber genau das muss verhindert 
werden, dass nach dem Muster solcher Augenwischerei die eigentliche 
Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus in völlig verdrehter 
Form als Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Diktatur erscheint, wobei 
sinniger Weise das Kapital als Gralshüter demokratischer Prinzipien auftritt und 
den Sozialisten der Part der bürgerkriegs- und diktaturlüsternen Fanatiker 
zugewiesen wird. Wenn es nicht gelingt, die erneute Mobilisierung dieses 
Denkschemas bei der Masse der Lohnabhängigen zu verhindern, so werden die Linken 
in Deutschland auch in den kommenden Auseinandersetzungen hoffnungslos 
unterlegen sein. 
Dies sollten auch diejenigen Genossen bedenken, die - 
vorsichtig gesprochen - die "Stalinfrage"   noch nicht aufgearbeitet haben und die 
ungerührt von allen historischen Erfahrungen sich den politischen 
Willensbildungsprozess in der nach-revolutionären Gesellschaft nach dem Muster 
vorstellen, dass ihre Partei, die sie "Partei der Arbeiterklasse"   nennen, 
entscheidet und dass diese Partei deshalb das alleinige Recht zur Entscheidung 
besitzt, weil sie eben die Partei der Arbeiterklasse ist. Dass bei diesem Verfahren der demokratische Willensbildungsprozess in der 
Arbeiterklasse völlig überflüssig ist, ist unmittelbar einleuchtend. Aber dies 
nur am Rande. Die Auseinandersetzung über diese Fragen sollten an anderer Stelle 
weitergeführt werden, da es hier um den Kampf gegen die politische Unterdrückung 
von Sozialisten im kapitalistischen System geht. 
Festzuhalten bleibt, dass es 
außerordentlich wichtig ist, in der ideologischen Auseinandersetzung, wie sie an 
den verschiedensten Fronten in der Gesellschaft geführt wird, die reaktionäre 
und autoritär verfügte Interpretation von Demokratie in die Defensive zu drängen 
und einen Begriff von demokratischer Entscheidung herauszuarbeiten, dessen 
Grundlage der aufgeklärte Wille der jeweils Betroffenen ist und der auch vor dem 
ökonomischen Entscheidungsbereich nicht Halt macht. 
Auf die jetzige Situation angewandt folgt aus dem Gesagten, dass wir den 
Versuch, die Verbreitung sozialistischer Positionen mit administrativen und 
tendenziell polizeilich-juristischen Maßnahmen zu verhindern, jeweils gegen ihre 
Urheber wenden, indem wir an diesen Fällen nachweisen, wie heuchlerisch die 
demokratische Legitimation ist. 
Wenn es uns gelingt, in der politischen 
Auseinandersetzung für jedermann sichtbar herauszuarbeiten, wie hier eine 
Minderheitsmeinung politisch unterdrückt wird - aus der berechtigten Furcht 
heraus, sie könnte eines Tages zur Mehrheitsmeinung werden - dann haben wir der 
kapitalistischer Herrschaft langfristig einen schwereren Schlag zugefügt, als es 
jede kurzfristige inneruniversitäre Empörung könnte. Denn ohne den schützenden 
Schleier des demokratischen Selbstverständnisses wäre das 
kapitalistische Wirtschaftssystem der westdeutschen Gesellschaft wohl kaum vor den Augen der Masse der 
Lohnabhängigen zu rechtfertigen.
Im Vorangegangenen habe ich versucht, die 
Notwendigkeit von zwei Argumentationsebenen herauszuarbeiten, der 
verfassungsrechtlichen und der demokratietheoretischen. Diese Argumentationsebenen sind wichtig, weil 
dies die Ebenen sind, in denen der gegenwärtige Angriff auf uns vor allem 
vorgetragen wird und die unmittelbar die Gefahr der Illegalisierung der 
Sozialisten nach sich ziehen können. Das Problem bei dieser Argumentation ist 
jedoch, dass damit zwar die in der Öffentlichkeit herrschende 
Legitimationsstruktur für diese Gesellschaft in ihrem offiziellen Selbstverständnis, 
nämlich als einer rechtsstaatlichen und demokratischen Gesellschaft, getroffen 
wird, aber andererseits kann durch diese Argumentation gerade die 
Arbeiterschaft nur schwer erreicht werden, weil in ihr verständlicherweise eine 
große Distanz zu dem Bereich besteht, den sie als offiziell Politischen erlebt.
Sowohl Auseinandersetzungen um Verfassungsgrundsätze als auch um die Lehr- 
und Lernfreiheit für Sozialisten liegen in der jetzigen Situation noch weitgehend außerhalb der 
sie vital bewegenden 
Ereignisse und Interessen. Bei der großen Masse der gegenüber einem 
Konfliktfall wie der Mandel-Ablehnung weitgehend indifferenten Lohnabhängigen 
wird es deshalb nicht genügen, auf den verfassungsmäßigen politischen Rechten auch für Sozialisten zu 
bestehen und an 
sie als Demokraten zu appellieren, sondern hier
stehen wir vor der heute kaum lösbaren Aufgabe, eine Verbindung herzustellen zwischen der 
Ablehnung eines sozialistischen Lehrers oder Dozenten mit ihren Interessen als 
Lohnabhängige. 
Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die sozialistischen Intellektuellen 
Arbeitern und Angestellten tatsächlich als Sachwalter ihrer Interessen 
wahrgenommen werden, d.h. als jemand, der von ihren Problemen ausgeht 
und sie im Kampf um die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen 
unterstützt. Von einer solchen Verbindung zwischen sozialistischen 
Intellektuellen und der Masse der Lohnabhängigen sind wir heute noch weit 
entfernt. 
Eine entscheidende Bedingung dafür, dass diese Isolierung durchbrochen 
wird, ist jedoch das begründete Vertrauen der Arbeiter und Angestellten, dass die 
sozialistischen Intellektuellen von heute nicht die Bürokraten und Autokraten 
von morgen sind. 
Um mit einem Satz von Rosa Luxemburg zu schließen: "Wir 
unterscheiden stets den sozialen Kern von der politischen Form der bürgerlichen 
Demokratie, wir enthüllen stets den herben Kern der sozialen Ungleichheit und 
Unfreiheit unter der süßen Schale der formalen Gleichheit und Freiheit - nicht 
um diese zu verwerfen, sondern um die Arbeiterklasse dazu anzustacheln, sich 
nicht mit der Schale zu begnügen, vielmehr die politische Macht zu erobern, um 
sie mit neuem sozialen Inhalt zu füllen."      
***
Marxistische Staatstheorie und politische Demokratie
(1976)
Inhalt:
Das Ausgangsproblem  
Die klassentheoretische Erklärung des Entstehens politischer Demokratie
 
Die "kapitallogische"   Erklärung der 
Entstehung politischer Demokratie
Die Bewertung politischer Demokratie in der marxistischen 
Staatstheorie
Textanfang
Das Ausgangsproblem  
Wenn man die Stellungnahmen verschiedener in der marxistischen Tradition 
stehender Autoren zur politischen Demokratie betrachtet (worunter im Folgenden 
ein politisches System verstanden werden soll, in dem gesetzgebende Körperschaft 
und Regierung aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehen bei gleichzeitiger 
Koalitions- und Meinungsfreiheit), so fällt sofort eine eigenartige Ambivalenz 
ins Auge: einerseits gibt es Positionen, die ein solches System politischer 
Willensbildung als bloß "formal", oder auch "bürgerlich", abqualifizieren, aber 
andererseits gibt es auch Positionen, die in der politischen Demokratie eine 
historische Errungenschaft sehen, ohne die kein wirklicher Sozialismus denkbar 
ist.
Exemplarisch werden diese zum Teil diametral entgegen gesetzten Auffassungen 
etwa bei Einschätzungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik. (Siehe dazu und 
zum Folgenden: Thomas Blanke: Das Dilemma der verfassungspolitischen Diskussion 
der Linken in der Bundesrepublik, in: Rottleuthner, Hubert, Hrsg., Probleme der 
marxistischen Rechtstheorie, Frankfurt a. M. Suhrkamp 1975, S. 419-483. Hier findet 
sich eine zusammenfassende Erörterung des Diskussionsstandes.) 
Diese Ambivalenz wirkt sich auch in konkreten politischen Auseinandersetzungen 
aus. So stellt sich in Bezug auf den Kampf gegen Berufsverbote die Frage: Ist man gegen die Berufsverbote, weil man Demokrat 
ist und sich gegen jede Verfolgung politischer Meinungen durch die staatliche 
Exekutive wendet, oder ist man deswegen dagegen, weil die eigene politische 
Bewegung davon betroffen ist, und beruft man sich auf die verfassungsmäßig 
garantierten demokratischen Prinzipien nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit?
Es ist zu vermuten, dass diese Ambivalenz gegenüber der politischen Demokratie 
nicht bloß zufällig ist, sondern mit bestimmten Grundzügen der marxistischen 
Theorie überhaupt zusammenhängt. lm Folgenden sollen einige zentrale 
Theorieelemente auf ihre rechts- und demokratietheoretischen Implikationen hin 
analysiert werden, um zu einer größeren Klarheit über die grundsätzlichen 
Probleme zu gelangen.
Maßgebend für die Stellung der marxistischen Theorie zu den Phänomenen "Staat", 
"Recht" und "politische Demokratie" ist ihr Selbstverständnis als 
materialistische Theorie. Kernsätze wie der, dass das "gesellschaftliche Sein 
das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt"   oder dass die "ökonomische Basis 
den Überbau wie Religion, Staat, Recht, Moral usw. bestimmt", sind der 
gemeinsame Ausgangspunkt für alle marxistischen Theorieansätze. 
Diese materialistischen Theoreme sind jedoch keineswegs so eindeutig, wie sie 
auf den ersten Blick scheinen, denn sie lassen sich auf die verschiedenste Weise 
interpretieren, je nachdem wie man "gesellschaftliches Sein" und "Bewusstsein" 
definiert und wie man die Art der Abhängigkeit zwischen beiden bestimmt. 
Im Folgenden soll nun für zwei häufig zu findende Interpretationen des 
Basis-Überbau-Verhältnisses, die klassentheoretische und die kapitallogische, 
gefragt werden, wie sich mit ihrer Hilfe die Existenz politischer Demokratie 
einerseits erklären und andererseits rechtfertigen lässt.
Die klassentheoretische Erklärung des Entstehens politischer Demokratie
  
Die klassentheoretische Interpretation des Basis-Überbau-Verhältnisses findet 
sich praktisch bei allen marxistischen Ansätzen. Danach bestimmen sich die 
Gesellschaftsklassen durch ihr unterschiedliches Verhältnis zu den 
Produktionsmitteln und durch die unterschiedliche Aneignung des 
gesellschaftlichen Mehrprodukts. Diejenige Klasse, in deren Besitz sich die 
Produktionsmittel befinden und die sich das Mehrprodukt aneignet, ist 
definitionsgemäß die ökonomisch herrschende Klasse. 
Die Theorie besagt nun, dass die ökonomisch herrschende Klasse zugleich auch die 
politisch herrschende Klasse ist: Staat und Recht sind dabei Instrumente ihrer 
Klassenherrschaft. 
Für eine derartige klassentheoretische Interpretation, die den Staat als 
Unterdrückungsinstrument der jeweils ökonomisch herrschenden Klassen ansieht, 
ergeben sich aus der Existenz demokratisch verfasster kapitalistischer 
Gesellschaften gewisse Schwierigkeiten, denn es ist uneinsichtig, warum die 
ökonomisch herrschende Klasse den ausgebeuteten Klassen gleiches Wahlrecht bei 
der Bestellung der Regierung zugestehen sollte, zumal die letzteren zahlenmäßig 
bei weitem überlegen sind.
Um dieses Paradox aufzulösen, wird die klassentheoretische Interpretation durch 
zusätzliche Annahmen modifiziert und verfeinert. Eine Möglichkeit hierzu ist 
die These, dass politische Demokratie unter kapitalistischen Verhältnissen nur scheinhaft ist. Selbst wo politische Demokratie formal garantiert sei - z. B. 
durch die Kandidatur sozialistischer oder kommunistischer Parteien und durch die 
geheime Abstimmung -, werde durch die verschiedensten Mechanismen verhindert, dass 
die Mitglieder der ausgebeuteten Klassen ihrem wirklichen Interesse entsprechend 
wählen und eine Regierung sowie eine gesetzgebende Körperschaft einsetzen, die 
die herrschende Klasse enteignet. 
Solche theoretischen Versuche müssen damit immer auf eine Manipulationsthese 
hinauslaufen, die erklärt, warum die Ausgebeuteten nicht für die Abschaffung 
ihrer Ausbeutung stimmen, obwohl sie dies formal könnten. 
So wichtig eine derartige Manipulationsthese auch für sich genommen sein mag, so 
problematisch ist sie jedoch für das Basis-Überbau-Theorem, denn die 
Manipulationsthese besagt ja nichts geringeres, als dass das Bewusstsein der 
Lohnarbeiterklasse gerade nicht durch ihr gesellschaftliches Sein in Gestalt 
ihrer Klassenlage bestimmt wird, das sie also kein "Klassenbewusstsein"   
besitzen. Wenn die Manipulationsthese erklären will, warum die Klasse nicht als 
Klasse agiert, so ist damit die Aussagekraft der Klassentheorie selber in Frage 
gestellt.
Eine andere Modifikation der These vom Staat als Herrschaftsinstrument der 
jeweils besitzenden Klasse besteht darin, dass man die einfache 
Gegenüberstellung von "herrschender"   und "unterdrückter"   Klasse insofern 
erweitert, als man die Möglichkeit quantitativ abstufbarer Kräfteverhältnisse 
zwischen den Klassen einführt. 
Die politische Herrschaft der besitzenden Klasse muss dann nicht unbeschränkt 
seien, denn je nach der politischen Stärke der ausgebeuteten Klasse müssen deren 
Interessen mehr oder weniger mitberücksichtigt werden. Die tatsächliche Politik 
ist dann nicht mehr einfach Ausdruck der kollektiven Interessen der besitzenden 
Klassen, sondern eine Resultante des jeweiligen politischen Kräfteverhältnisses. 
Dadurch kann die Einführung von Elementen politischer Demokratie – wie z. B. das 
gleiche Stimmrecht für Arbeiter und die Koalitionsfreiheit auch für 
sozialistische Parteien – klassentheoretisch als Errungenschaft der 
Arbeiterbewegung interpretiert werden, die gegen den Willen der 
Kapitalistenklasse erkämpft wurde.
Allerdings ist auch eine solche Modifikation der klassentheoretischen 
Interpretation des Basis–Überbau-Verhältnisses nicht unproblematisch für das 
theoretische Gebäude selber. Wenn nämlich nicht zugleich eine quantitative 
Obergrenze für den möglichen Einfluss der ausgebeuteten Klasse auf die 
staatliche Politik gegeben werden kann, so löst sich die These vom Staat als 
Instrument der herrschenden Klasse in nichts auf, da der Staat dann unter 
Umständen auch zum Instrument der ökonomisch unterdrückten Klasse werden kann. 
In beiden Modifikationsversuchen einer klassentheoretischen Erklärung für die 
Entwicklung politischer Demokratie in kapitalistischen Gesellschaften treten 
also neue theoretische Schwierigkeiten auf.
Die "kapitallogische"   Erklärung der 
Entstehung politischer Demokratie
In jüngster Zeit wurde eine andere Interpretation des 
Basis-Überbau-Verhältnisses schwerpunktmäßig diskutiert, die man als "kapitallogische"   Interpretation bezeichnen kann. (Zur Literatur siehe den oben 
genannten Aufsatz von Thomas Blanke.) Mit der gleichen Methode, wie Marx aus dem 
 
Begriff der Ware das Geld und das Kapital entwickelt, sollen auch andere 
Überbauphänomene wie z. B. das Klassenbewusstsein oder der bürgerlicher Staat 
aus dem Kapitalbegriff bzw. den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung 
entwickelt oder 
abgeleitet werden, wie es heißt.
Gegenstand der Ableitung sollen dabei Form und Funktion des bürgerlichen Staates 
sein, d. h. dass damit auch der Anspruch erhoben wird, die Form der politischen Demokratie aus 
dem Kapitalverhältnis zu erklären.
Dies wird vor allem über eine vermeintliche Strukturanalogie zwischen 
Warentausch und politischer Demokratie versucht. Demnach wurzeln die demokratischen Prinzipien 
"Freiheit" und "Gleichheit" in der Struktur 
des Warentausches. 
Dies wird folgendermaßen begründet:
Die Warenzirkulation setzt "Freiheit"   insofern voraus, als der Warenbesitzer 
unabhängig vom Willen anderer über sein Eigentum frei verfügen können muss und 
als Rechtssubjekt "freiwillige"   Tauschverträge abschließen können muss. "Gleichheit"   ist in der Warenzirkulation insofern vorausgesetzt, als für den 
Tauschakt gleichgültig ist, wer eine Ware anbietet; es kommt allein auf die Ware 
und auf ihren Tauschwert an, und insofern sind alle Warenbesitzer 
gleichgestellt.
Der ungehinderte Warenaustausch setzt also Erwerbs- bzw. Vertragsfreiheit voraus 
und die Gleichsetzung der Individuen in ihrer Rolle als Eigentümer und 
geschäftsfähige Rechtssubjekte. Damit ist zugleich auch eine gewisse 
Rechtssicherheit und der Schutz vor Eingriffen Dritter in die Tauschgeschäfte 
der Eigentümer impliziert. 
Aus diesen Rechtsverhältnissen ergibt sich als Staatsform jedoch höchstens ein 
konstitutioneller Rechtsstaat als Garant der Tauschverträge, nicht jedoch eine 
politische Demokratie, in der gesetzgebende Körperschaft und Regierung aus 
freien und gleichen Wahlen hervorgehen.
Dies entspricht auch der tatsächlichen 
historischen Entwicklung, denn das allgemeine und gleiche Wahlrecht wurde in den 
meisten kapitalistischen Ländern erst sehr spät nach dem 1.Weltkrieg eingeführt.
Die demokratische "Freiheit" und "Gleichheit" der Staatsbürger ist in der Tat 
von anderer Art als die '"Freiheit" und "Gleichheit" der Eigentümer. Gleiches 
Eigentumsrecht findet gerade auf der Basis ungleichen Eigentums statt, während 
gleiches Stimmrecht für jeden eine Stimme bedeutet. Freiheit des Eigentümers ist 
Freiheit des Handelns, allerdings nur innerhalb der individuellen 
Eigentumssphäre, während die Freiheit des Staatsbürgers und Wählers eine 
Freiheit der Interessenvertretung ist, die nicht auf Eigentumssphären beschränkt 
bleibt, deren Verwirklichung jedoch an eine Mehrheitsbildung gebunden ist. 
Freiheit und Gleichheit bedeuten also bei Tauschvorgängen und bei Abstimmungen 
völlig verschiedenes, und insofern sind Tauschprinzip und Mehrheitsprinzip nicht 
analog strukturiert, sondern sie schließen einander im Gegenteil aus, wenn sie 
auf den gleichen Entscheidungsbereich angewandt werden.
Was aus dem allgemeinen "Begriff des Kapitals"   an Funktionen und Formen des 
Staates abgeleitet werden können, bezieht sich gerade nicht auf die Form der 
politischen Demokratie. Deshalb ist es problematisch, im Falle eines demokratisch 
verfassten Staates undifferenziert von einem "bürgerlichen Staat"   im Sinne eines "Staates der Bourgeoisie"   bzw. von einer "bürgerlichen Demokratie"   
im Sinne einer "Demokratie der bürgerlichen Klasse"   zu sprechen.
Dies wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Eigentumsordnung der 
demokratischen Entscheidung z. B. durch Verfassungsgrundsatz entzogen wäre. In 
allen anderen Fällen ist die Koexistenz kapitalistischer Eigentumsverhältnisse 
und politischer Demokratie ein eher prekäres Verhältnis, das sich weder aus den 
Interessen der ökonomisch herrschenden Klasse noch aus der Logik des 
Kapitalbegriffs mit irgendeiner Notwendigkeit ergibt.  
Die Bewertung politischer Demokratie in der marxistischen Staatstheorie
Im Vorangegangenen wurden zwei marxistische Ansätze zur Erklärung des 
Entstehens demokratisch verfasster kapitalistischer Staaten kurz analysiert. Im 
Folgenden soll nun nicht nach Erklärungen gefragt werden, die zeigen, warum es 
so ist, wie es ist, sondern es soll nach der Bewertung der politischen 
Demokratie gefragt werden, die sich aus marxistischen Theorieansätzen ergibt. 
Bewertungen bejahen bzw. verneinen bestimmte Sachverhalte und sind insofern handlungsleitend, als in ihnen Zielsetzungen formuliert werden.
Die Frage, wie in der marxistischen Theorie die politische Demokratie im oben 
präzisierten Sinn bewertet wird, d. h. ob und wenn ja in welcher Weise 
politische Demokratie eine sich aus der marxistischen Theorie ergebende 
politische Zielsetzung darstellt, ist aus verschiedenen Gründen nicht einfach zu 
beantworten. Einer der entscheidenden Gründe hierfür ist die bewusste 
Enthaltsamkeit, die Marx selber in Bezug auf die Formulierung politischer und 
ökonomischer Wertungen und Zielsetzungen für erforderlich hielt, die Engels dann 
auf die Formel gebracht hat, dass durch Marx der Sozialismus von einer Utopie 
zu einer Wissenschaft geworden sei. 
Marx wollte eine Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft schaffen, 
ähnlich etwa wie Darwin eine wissenschaftliche Theorie über die Entstehung und 
Entwicklung der biologischen Arten geschaffen hatte. 
Marx wollte nicht die bestehenden Verhältnisse anklagen 
oder positive Zielsetzungen proklamieren, sondern er wollte die Ursache und 
Tendenzen der tatsächlichen sozialen Entwicklung aufdecken. Dabei ergab sich 
jedoch als Resultat seiner Analyse des Kapitalismus die Tendenz zu sich 
verschärfenden ökonomischen Krisen, zur Polarisierung der sozialen Klassen und 
damit letztlich zum Untergang der kapitalistischen Produktionsweise.
Die reale historische Entwicklung hin zu einer klassenlosen Gesellschaft fällt bei Marx  
mit der positiven Programmatik einer klassenlosen Gesellschaft zusammen, so dass 
es sich erübrigt, die angestrebten gesellschaftlichen Verhältnisse zu präzisieren. Zielvorstellungen ökonomischer 
oder politische Art finden sich dem zu Folge in den von Marx zu seinen 
Lebzeiten veröffentlichten Schriften höchstens in Nebenbemerkungen.
Allerdings ist der Verzicht auf die Formulierung 
politischer Werturteile und Zielsetzungen schon bei Marx keineswegs strikt 
durchgehalten, und auf Basis der marxschen Theorie sind zum Teil vehemente 
Anklagen erhoben worden. Dies wird vor allem dadurch begünstigt, dass 
zentrale Begriffe der Marxschen Analyse wie z. B. "Ausbeutung", "Klassenherrschaft"   
oder "Entfremdung"   nicht nur eine deskriptive Bedeutung haben, also einen 
bestimmten Tatbestand bezeichnen, sondern zugleich ein hochgradig wertendes 
Moment enthalten. Bei den Begriffen "Ausbeutung", "Klassenherrschaft"   und "Entfremdung"   
ist immer zugleich die Forderung nach ihrer Abschaffung und ihre negative 
Bewertung mitgedacht.
Allerdings bleiben diese wertenden bzw. normativen Elemente 
implizit und es wird auch von den meisten marxistischen Theoretikern abgelehnt, 
überhaupt zwischen positiven und normativen Theorieelementen analytisch zu differenzieren. 
Die methodologische Unterscheidung von Behauptungen, die auf der Ebene des Seins 
liegen (Beschreibungen, Erklärungen usw.) und Behauptungen, die auf der  
Ebene des Sollens liegen (Werturteile, Normensätze u. ä.) wird gewöhnlich nicht 
akzeptiert.
Trotz dieser Schwierigkeiten soll der Versuch gemacht 
werden, nach der Bewertung der politischen Demokratie durch die marxistische 
Theorie zu fragen, und die spezifisch marxistische Verbindung von Erklärung und 
Bewertung in diesem Zusammenhang näher zu analysieren.
Eine der wichtigsten Argumentationsfiguren, mit deren 
Hilfe der Übergang von der Analyse des Gegenstand zu seiner (negativen) 
Bewertung vollzogen wird, ist der Nachweis, dass ein Phänomen seinen Ursprung in 
den kapitalistischen Produktionsverhältnisse hat bzw. der Aufrechterhaltung 
dieser Verhältnisse dient. Phänomene, die auf Grund ihres Ursprungs oder ihrer 
Funktion das Attribut "bürgerlich"   zugesprochen bekommen – sei es als "bürgerliche Wissenschaft", "bürgerliche Kunst", "bürgerlicher Staat", "bürgerliches Recht"   oder "bürgerliche Demokratie"   – verfallen 
damit der gleichen Kritik wie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse 
selber. 
Die Frage, ob die politische Demokratie in einem kausallogisch oder begrifflich-dialektisch notwendigen Zusammenhang zum 
kapitalistischen Systems steht, ist in vorangegangenen Überlegungen bereits  
beantwortet worden, so dass die Kennzeichnung der oben skizzierten politischen 
Demokratie als "bürgerliche Demokratie"   theoretisch nicht gerechtfertigt ist. 
Die bloße Tatsache, dass sich Formen politischer Demokratie in kapitalistischen 
Gesellschaften – übrigens nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung und auch 
keineswegs durchgängig – herausgebildet haben, ist als solche eben kein Beweis 
für deren"   bürgerlichen"   Charakter, ebenso wenig wie die Arbeiterbewegung "bürgerlich"   ist, weil sie sich in kapitalistischen Gesellschaften 
herausgebildet hat.
Auch der Vorwurf gegen die politische Demokratie, dass sie 
die ökonomische Klassenstruktur durch den Anschein von Freiheit und Gleichheit 
verschleiere und insofern "bürgerliche Demokratie"   sei, zäumt das Pferd vom 
Schwanz auf. Nicht die Existenz politischer Demokratie bewirkt die 
Verschleierung, sondern die Verschleierung muss bereits in den Köpfen der 
Individuen sein, damit diese in freien Wahlen pro-kapitalistisch wählen.
Dabei 
wäre noch zu prüfen, inwiefern sich ein solches Wahlverhalten nicht nur aufgrund 
einer "Verschleierung"   ergibt, sondern auch aus dem Verlust einer positiven 
sozialistischen Zukunftsperspektiven und aus dem Fehlen einer fassbaren 
sozialistischen Alternative.
Wenn sich in einer politischen Demokratie pro-kapitalistische 
Mehrheiten ergeben, so muss das noch nicht gegen die politische Demokratie 
sprechen. Es kann vielmehr auch gegen die Sozialisten bzw. gegen die 
Attraktivität ihres politischen Programms sprechen.
Wenn sich politische Demokratie nicht als "kapitalistisch"   oder "bürgerlich"   identifizieren lässt, so stellt sich die Frage, wie sie im 
Rahmen der marxistischen Theorie dann bewertet werden kann. Verschiedene 
Argumentationsmuster sollen hier einmal kurz skizziert und analysiert werden.
Eine gebräuchliche Denkfigur ist die Konzeption der "historischer Errungenschaften". 
Dabei wird die Geschichte der Menschheit als ein 
Fortschrittsprozess gedeutet, der sich durch die einander ablösenden 
Gesellschaftsformationen und Revolutionen stetig hindurch aufbaut.
An diesem historischen Fortschritt haben auch solche 
Klassen ihren Anteil, die zu einem späteren Zeitpunkt reaktionär und 
fortschrittshemmend werden. So ist nach diesem Verständnis zum Beispiel die 
Entwicklung der Produktivkräfte und der Wissenschaft ein "historisches 
Verdienst"   der aufstrebenden Bourgeoisie, d. h. dass Wissenschaft und Technik 
historische Errungenschaften sind, die auch nach dem Untergang des Kapitalismus 
erhalten bleiben.
In ähnlicher Weise könnte man auch die politische 
Demokratie als historische Errungenschaft deuten, die zwar in der Epoche des 
Kapitalismus entstanden ist, mit diesen jedoch nicht untergehen soll.
Das Problem bei dieser Betrachtungsweise ist jedoch, dass 
man ein Kriterium benötigt, um zu unterscheiden, was eine "historische Errungenschaft"   bzw. was "fortschrittlich"   ist und was 
nicht. Dies Kriterium lässt sich jedoch nicht aus Analyse der tatsächlichen 
historischen Entwicklung gewinnen, denn es gibt natürlich auch historische 
Tendenzen, die gerade zu bekämpfen sind – zum Beispiel bestimmte Formen der 
Bürokratisierung, der Arbeitsteilung oder der Umweltzerstörung.
Daraus folgt, dass man sich nicht auf einen historischen Optimismus verlassen kann, der die tatsächliche historische Entwicklung mit 
Fortschritt gleichsetzt, sondern dass man sich explizit die Frage vorlegen muss 
nach den Kriterien für die Bewertung politischer Demokratie. Das bedeutet, dass 
sich ohne eine normative Rechts- bzw. Sozialphilosophie derartige 
Bewertungsfragen nicht lösen lassen.
Ein anderer Versuch, auf marxistischer Grundlage eine 
Bewertung politischer Demokratie vorzunehmen, beruht auf der Feststellung, dass 
diese für den politischen Kampf der Arbeiterklasse förderlich ist. So gibt es 
zum Beispiel die Auffassung, dass politische Demokratie zumindest in 
kapitalistischen Gesellschaften zu bejahen ist, weil sie der eigenen 
sozialistischen Politik den größten Spielraum lässt.
Eine solche Rechtfertigung kann jedoch höchstens für 
diejenigen ein Argument sein, an deren Vorteil hier appelliert wird, also für 
Angehörige der sozialistischen Bewegung selber. (Außerdem ist eine solche 
Zweckmäßigkeitsüberlegung immer an eine bestimmte Situation gebunden, so dass 
eine solche Rechtfertigung politischer Demokratie zum Beispiel ohne weiteres mit 
der Auffassung vereinbar ist, dass eine derartige politische Demokratie in einer 
sozialistischen Gesellschaft nicht notwendig ist, da dort die kommunistische 
Partei aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse über die richtige Politik 
entscheidet.)
Wenn politische Demokratie in dieser Weise als geeignetes 
Mittel zum Zweck gerechtfertigt wird, so muss die Richtigkeit des Zweckes, in 
diesem Fall die sozialistische Umwälzung der Produktionsverhältnisse, immer 
schon vorausgesetzt werden. Die Rechtfertigung des Sozialismus als einer - gegenüber den 
bestehenden kapitalistischen Verhältnissen - besseren Gesellschaftsordnung kann 
aber wiederum nur von einer normativen Sozialphilosophie geleistet werden. Kein 
Determinismus historischer Gesetzmäßigkeiten nimmt uns die Entscheidung darüber 
ab, wofür und wogegen wir in einer gegebenen historischen Situation uns 
einsetzen sollen.
***
Kritik der Thesen zur marxistischen Rechtstheorie von O. Negt
(1976)
Anhang: Zur Kritik am "ahistorischen Vorgehen" der normativen Rechtstheorie
***
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die These, dass sich im Zusammenhang 
politischen Handelns notwendig Fragen stellen wie die Folgenden:
- ob ein bestimmtes Handeln positiv oder negativ zu bewerten ist;
- ob ein bestimmter sozialer Zustand ein erstrebenswertes Ziel ist oder 
nicht;
- ob eine bestimmte ethische oder rechtliche Norm zu bejahen oder 
abzulehnen ist;
- ob sich eine bestimmte soziale Ordnung vernünftig rechtfertigen lässt 
oder nicht.
Solche Fragen, die  die Bewertung, Kritik oder Normierung sozialer 
Sachverhalte zum Gegenstand haben, kann man als "normative"   Fragen bezeichnen, insofern sie 
direkt oder indirekt menschliches Handeln und Entscheiden anleiten bzw. 
normieren. (Zum logischen und erkenntnistheoretischen Status von Werturteilen 
und Normen s. z. B. den Beitrag von Rottleuthner in ders.: 1975. Die 
angegebenen Seitenzahlen beziehen sich im Folgenden auf diesen Sammelband, in 
dem auch die Thesen von Negt enthalten sind.)
Wenn man zugesteht, dass sich solche normativen Fragen tatsächlich stellen und 
dass sie außerdem weder irrelevant noch sinnlos sind, so erhebt sich für die 
verschiedenen Rechtstheorien die Frage, auf welche Weise sie diese normativen 
Fragen beantworten. Im Folgenden soll die Konzeption Oskar Negts daraufhin 
untersucht werden.
Vorweg ist festzustellen, dass eine Analyse des Negtschen Textes nicht einfach 
ist, da er in seinen Thesen nicht systematisch im Sinne eines logisch geordneten 
Aufbaus seiner Behauptungen argumentiert. Er bezieht sich außerdem auf einen 
nicht näher geklärten Traditionsbestand marxistischer Theorie, ohne dabei die 
jeweiligen philosophisch-methodologischen Grundlagen noch einmal ausdrücklich zu 
reflektieren. 
Hinzukommt, dass Negt nicht klärt, wie sich für ihn die verschiedenen 
Erkenntnisebenen einer Theorie des Rechts zueinander erkenntnistheoretisch 
verhalten. Generell scheint Negt den Bemühungen um eine normative Rechtstheorie 
eher ablehnend gegenüberzustehen, was deutlich wird, wenn er von den "heutzutage 
wieder wie Pilze aus dem Boden schießenden Ansätzen zur philosophischen 
Überwindung des Gesetzespositivismus"   (S.1) spricht. An anderer Stelle bezieht 
er sich zustimmend auf Engels, wenn dieser sich "mit Entschiedenheit dagegen 
(wendet), eine von der Gesellschaftstheorie des historischen Materialismus 
abgetrennte Rechtsphilosophie aus dem Parteiprogramm der Arbeiterklasse zu 
entwickeln."   (S.36). 
Es erhebt sich also die Frage, in welcher Weise Negt die oben skizzierten 
normativen Fragestellungen rechtstheoretisch zu beantworten gedenkt. Dazu müssen 
zuerst die eher verstreut sich findenden Bemerkungen hierzu 
systematisch rekonstruiert werden.
Zur Methode der Rechtstheorie finden sich verschiedene Äußerungen. Zum einen 
muss nach Negt "historisch"   vorgegangen werden, denn Negt wendet sich mehrfach 
gegen den "geschichtslosen Rahmen"   und die "scheinbar geschichtslosen 
Vernunftpostulate"   nicht-marxistischer Rechtsphilosophien. Zum andern muss die 
Methode "materialistisch"   sein. Es gilt "den materiellen Grund (festzulegen), 
auf den die Dialektik von Genesis und Geltung der Rechtsnormen ... zwangsläufig 
zurückgeht."   Die Gefahr liegt für Negt "in jeder Abtrennung des normativen Gehalts des 
Rechts von seiner gesellschaftlichen Genesis. Produktion und Produktionsweise 
sind die Kategorien der Realität, die diesen Ausgangs- und Bezugspunkt 
bezeichnen."   (S.42)
Negt demonstriert die Verfahrensweise einer derartigen historischen und 
materialistischen Rechtstheorie am Begriff der  Gerechtigkeit. Ausgangspunkt 
ist ein Zitat von Marx, der schreibt: "Die Gerechtigkeit der Transaktionen, die 
zwischen den Produktionsagenten vorgehen, beruht darauf, dass diese 
Transaktionen aus den Produktionsverhältnissen als natürliche Konsequenz 
entspringen. ... Sklaverei, auf der Basis der kapitalistischen Produktionsweise, 
ist ungerecht; ebenso der Betrug auf die Qualität der Ware."   (S.42f.) Negt zieht 
aus diesem Zitat den Schluss, dass die Produktionsweise der Maßstab für die 
Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse als "gerecht"   und "ungerecht"   ist.
Das bedeutet, dass der Begriff "Gerechtigkeit"   auf die jeweilige 
Produktionsweise und ihre Systemlogik relativiert wird. Offensichtlich handelt 
es sich für Negt hier um eine Aussage über die faktische Gebundenheit von 
Gerechtigkeitsvorstellungen an die Bedingungen der jeweiligen Produktionsweise. 
Entsprechend argumentiert er auch mit dem faktischen Hinweis, dass es "in Rom 
... niemand als ungerecht (empfand), den Sklaven als rechtloses instrumentum 
vocale zu bezeichnen."   (S.44).
Wie man sieht, gibt sich Negt realistisch-nüchtern in Bezug auf irgendwelche 
Gerechtigkeitsforderungen und verengt den Begriff "gerecht"   auf "systemgerecht". 
Die Kritik einer ganzen Produktionsweise als ungerecht will er damit 
ausschließen, wobei noch unklar ist, ob er damit meint, dass solche 
systemtranszendenten Vorstellungen von  Gerechtigkeit faktisch nicht existieren, oder 
ob er solche Gerechtigkeitsvorstellungen nur für unzulässig hält.
Die großen politischen Gefahren einer derartigen Verengung des 
Gerechtigkeitsbegriffs scheinen jedoch Negt letztlich selber bewusst geworden zu 
sein, denn im letzten Absatz des entsprechenden Abschnitts hält er sich 
plötzlich selber nicht mehr an seine historische Relativierung. Unvermittelt 
kommen Maßstäbe von Gerechtigkeit zum Vorschein, die es ihm erlauben, bei der 
Ablösung der einen Produktionsweise durch eine andere diese danach zu befragen, 
ob sie "ein Mehr an materieller Gerechtigkeit"   verbürgt (S.44). Plötzlich 
bedient sich Negt eines Gerechtigkeitsbegriffs, von dem her bestimmte 
historische Entwicklungen als "Rückfall in objektiv überflüssig gewordene 
Gewalt"   (S.44) verurteilt werden können. 
Die zuvor beschworene "Dialektik von Genesis und Geltung der Rechtsnormen"   
stellt sich damit bei genauerem Hinsehen als eine rechtstheoretische Position 
dar, die weder in Bezug auf die Entstehung 
noch auf die Geltung wissenschaftlichen Standards gerecht wird. 
Was die Genese von Gerechtigkeitsvorstellungen betrifft und ihre behauptete Gebundenheit an 
die jeweils bestehende Produktionsweise, so ist dies in dieser Allgemeinheit schlicht 
falsch, denn z. B. war und ist die Verurteilung der kapitalistischen Produktionsweise als 
ungerecht in der politisch aktiven Arbeiterschaft 
verbreitet. 
Was die Geltung von Gerechtigkeitsvorstellungen betrifft, so kulminiert die Negtsche 
Position im unvermittelten Einbringen materialer 
Gerechtigkeitsvorstellungen, die eigentlich eine ganze normative 
Rechtsphilosophie voraussetzen, ohne dass sich Negt aber dieser Mühe je unterzogen 
hätte.
Negts apodiktischer Stil in Bezug auf normative Fragen wird auch daran 
deutlich, dass er in seiner letzten (!) These ohne viel 
historisch-materialistische Umstände fordert, "alle Verhältnisse umzustürzen, in 
denen der Mensch ein erniedrigtes und ausgebeutetes Leben zu führen gezwungen 
ist"   (S.58).
Diese Forderung mag richtig sein, aber ohne jede inhaltliche Präzisierung und 
argumentative Begründung ist es eine Parole aber keine Rechtstheorie. 
In 
ähnlich unvermittelter Weise führt Negt auch seine sonstigen normativen 
Vorstellungen ein, die vor allem um den Begriff der "Selbstverwaltung"   kreisen.  Negt 
liefert hierfür weniger eine erkenntnistheoretisch reflektierte Begründung, wie es die von ihm abgelehnten Rechtsphilosophien zumindest versuchen, 
sondern er präsentiert stattdessen nur eine Vielzahl austauschbarer Formulierungen wie "Selbstregulierung", "Autonomie", "Selbstverwirklichung der Subjekte", "freie 
Assoziation"   etc., die offenbar für sich selber sprechen.
Das Fehlen einer erkenntnistheoretischen Reflexion der normativen Fragestellung 
durch Negt wirkt sich auch negativ auf die Beurteilung konkreter historischer 
Entwicklungen aus, wie im Folgenden am Beispiel seiner Einschätzung der sowjetischen 
Entwicklung verdeutlicht werden soll. 
Da Negt keine Kriterien dafür entwickelt, wo "notwendige Gewalt"   aufhört 
und wo "überflüssige Gewalt"   anfängt, beschränkt sich seine Kritik darauf, 
dass die Perspektive vom Absterben der Rechtsform aufgegeben wurde. Und in einer 
für einen Verfechter der Selbstverwaltung seltsam 
unkritischen Berufung auf Lenin und den frühen Lukacs werden für Negt Partei 
und Staat unversehens zu Repräsentanten des Allgemeininteresses: "Rechtsverhältnisse sind unter den Anfangsbedingungen der nachrevolutionären 
Gesellschaft vor allem notwendig, um den Widerspruch zwischen den privaten 
Interessen und Bedürfnissen der Menschen und dem von der Partei und dem 
proletarischen Staat repräsentierten Allgemeininteresse zu lösen."   (S.19) 
Unversehens taucht hier der zentrale Begriff jeder normativen Staats- und 
Rechtstheorie auf, der Begriff des "Allgemeininteresses", 
ohne den offensichtlich auch Negt nicht auszukommen scheint, wo es um die 
Rechtfertigung staatlicher Machtausübung geht. Problematisch ist dabei, dass er 
derart zentrale normative Positionen eher beiläufig einfließen lässt und sie 
damit einer offenen, gründlichen Diskussion entzieht. Negt unterlässt das, was 
man von jeder einigermaßen reflektierten normativen Staatstheorie verlangen 
muss, nämlich seinen Begriff des Allgemeininteresses näher auszuführen und zu 
begründen. Anstatt diesen Begriff als Blankoscheck für jede staatliche 
Unterdrückung ungeklärt stehen zu lassen, hätte er fragen müssen: Wie lassen 
sich die Interessen der Individuen bestimmen? Wie verhält sich das 
Allgemeininteresse zu den individuellen Interessen und wie lässt es sich 
bestimmen? Unter welchen Bedingungen kann ein Staat oder eine Partei 
Repräsentant des Allgemeininteresses sein? Hier liegen die brisanten Fragen 
jeder normativen Staats- und Rechtstheorie, die Negt zwar fortlaufend irgendwie 
für sich entscheidet, ohne dass er sie jedoch jemals systematisch angegangen 
ist.
Entsprechend ist der Vorwurf, den Negt gegenüber der Stalinschen Politik erhebt, 
dann auch nicht der, dass tatsächlich "überflüssige", nicht zu rechtfertigende 
Gewalt ausgeübt wurde; zu kritisieren ist allein, dass das Maß notwendiger 
Gewalt gegenüber den eigenen Klassenindividuen nicht mehr offen ausgesprochen 
wurde, sondern "unter dem Schleier der Anwendung revolutionärer Legalität durch 
die Arbeiterklasse gegenüber konterrevolutionären Kräften verdeckt ist."   (S.22). 
Falsch war also nicht die Politik Stalins sondern nur deren mangelhafte Begründung.
Demgegenüber ist jedoch zu fragen, ob nicht schon in der Parteitheorie Lenins 
und des frühen Lukacs, auf die Negt sich beruft, die Möglichkeit der Stalinschen 
Repression angelegt ist, ob diese Parteitheorie nicht ein geradezu ideales 
apologetisches Instrument für die Stalinsche Politik darstellte. Denn wenn die 
Partei bzw. der von ihre gesteuerte Staat Repräsentant des Klasseninteresses bzw. des 
Allgemeininteresses ist, so stellen alle mit der Politik der Partei 
unvereinbaren Interessen private Abweichungen der Individuen vom 
Klasseninteresse dar, wogegen nach Lukacs "das Proletariat die Diktatur auch auf 
sich selbst"   anwenden muss. (S.22). 
Die Frage, unter welchen Bedingungen denn die Partei Repräsentant des 
Klasseninteresses ist, diese politisch zentrale Frage, mit der alles weitere 
steht und fällt, wird von Negt nicht mehr diskutiert.
Es bleibt übrigens rätselhaft, wie Negt als Vertreter einer 
Selbstverwaltungskonzeption zugleich implizit die Parteitheorie Lenins und des 
frühen Lukacs vertreten kann. Für beide sind – zugespitzt gesprochen - die 
vorhandenen Interessen der einzelnen Arbeiter vielleicht eine zu 
berücksichtigende reale Größe, aber für die Bestimmung des Klasseninteresses und 
damit für die Zielbestimmung der Politik sind sie letztlich irrelevant. (S. etwa 
Georg Lukacs: "Klassenbewusstsein"   in: Geschichte und Klassenbewusstsein, Berlin 
1923, S.57ff.) Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Wo die Partei als solche 
zum Repräsentanten des Klassen- bzw. Allgemeininteresses erklärt wird, müssen 
alle anderen Formen des politischen Willensbildungsprozesses bloße Fassade 
bleiben - und seien es auf dem Papier auch autonome Räterepubliken.
***
Zur Kritik am "ahistorischen Vorgehen" der normativen Rechtstheorie
 (1977)
Es gehört heute zu den philosophischen Allgemeinplätzen, dass Fragen der 
Gerechtigkeit bzw. der Gültigkeit von Normen nicht "ahistorisch"   betrachtet 
werden dürfen. Diese Auffassung, die keineswegs nur von Marxisten geteilt wird, 
ist in dieser Allgemeinheit zweifellos richtig. Kaum jemand würde wohl 
behaupten wollen, es gäbe nur eine einzige, für alle Zeiten und Völker "beste"   
und gerechte Gesellschaftsordnung.
Allerdings ist mit dieser allgemeinen Feststellung von der historischen 
Relativität sozialer Normen das Verhältnis von normativer Gültigkeit und 
Geschichtlichkeit keineswegs gelöst, sondern eigentlich erst gestellt: Was sind 
- z. B. bezogen auf die Frage nach der Gerechtigkeit - die relevanten historischen 
Unterschiede, die zu den unterschiedlichen normativen Ergebnissen führen?
Die Antworten, die hierauf gegeben werden, sind vielfältig. So meint z. B. Oskar 
Negt in seinen Thesen zur marxistischen Rechtstheorie, dass der 
Entwicklungsstand der Produktivkräfte, die Produktionsverhältnisse, sowie Art 
und Richtung der intendierten sozialen Umwälzung zu berücksichtigen seien.
Ohne inhaltlich weiter auf diese Position einzugehen, wird am vorhergehenden Satz doch deutlich, dass auch jemand wie Negt, der sich 
ausdrücklich zum 
historischen Vorgehen bekennt, damit eine methodische Aussage macht, die selber 
nicht mehr historisch relativ ist. 
Negts Aussage enthält die normativen 
Gesichtspunkte, unter denen die verschiedenen historischen Epochen zu beurteilen 
sind. Sie kennzeichnet die Methode, mit der Fragen der Gerechtigkeit unabhängig vom historischen 
Zeitpunkt zu behandeln sind. Solche methodischen Aussagen sind keineswegs in derselben 
Weise historisch relativ, wie es die normativen Ergebnisse sind, 
die für die verschiedenen Epochen gewonnen werden. 
Ein Beispiel soll den Unterschied zwischen der methodischen Ebene und der Ebene 
der inhaltlichen Normen verdeutlichen: Man kann z. B. die methodische Position 
vertreten, dass es bei der Beantwortung von Fragen nach dem, was sein soll, vor allem auf 
die gegebenen Möglichkeiten - also auf das, was sein kann - ankommt und dass 
dabei besonders die produktiven Möglichkeiten, d. h. der 
Entwicklungsstand der Produktivkräfte, entscheidend sind. 
Unter Einbeziehung 
weiterer Gesichtspunkte könnte sich aus dieser Position als inhaltliche Norm 
z. B. ergeben, dass in einer Epoche mit geringeren produktiven Möglichkeiten eine 
längere Arbeitszeit und eine größere Einkommensdifferenzierung gerechtfertigt 
ist als in einer Epoche mit hervorragend entwickelter Produktionstechnik. Das gleiche methodische Prinzip führt hier also zu 
unterschiedlichen normativen Ergebnissen, wenn es auf verschiedene historische 
Epochen mit unterschiedlichen Bedingungen angewandt wird.
Dass solche methodischen Prinzipien auftauchen, die selber nicht historisch 
relativiert  sind, ist eigentlich gar nicht verwunderlich, denn man richtet 
ja an unterschiedliche historische Epochen dieselbe Frage nach der 
Gerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse und man wendet den gleichen 
Begriff "Gerechtigkeit"   an. 
Die unabhängig von den historischen Epochen geltenden Prinzipien, 
die die Methode angeben, wie Fragen der Gerechtigkeit zu beantworten sind, sind im Grunde 
ja nichts anderes als die Ausformulierung dessen, was man meint, wenn man die 
Frage nach der Gerechtigkeit sozialer Verhältnisse stellt. 
Diejenige Teildisziplin der Philosophie, die sich mit den Implikationen des 
Gerechtigkeitsbegriffes befasst (man kann sie auch als "normative Methodologie"   
bezeichnen insofern sie die "Lehre von der Methode zur Beantwortung normativer 
Fragen"   darstellt) ist dann insofern "ahistorisch", als sie sich nicht mit 
historisch-konkreten normativen Fragen befasst, sondern damit, wie Fragen einer 
bestimmten Art (normative Fragen bzw. Fragen nach der Gerechtigkeit) 
beantwortet werden können. Eine solche "reine praktische Vernunft"   (um 
einen Begriffe Kants zu verwenden) ist als 
philosophische Disziplin nicht nur möglich sondern unabdingbar.
Aus den hier skizzierten Überlegungen ergeben sich einige Konsequenzen 
hinsichtlich dessen, was mit der "historischen Relativität normativer 
Behauptungen"   gemeint sein kann und was nicht. 
Zum einen: Wenn bestimmte soziale Verhältnisse gemäß den in der normativen 
Methodologie entwickelten Prinzipien gerechtfertigt sind, so spielt der 
Zeitpunkt ihrer Existenz keine Rolle. Der gegenteilige Eindruck einer völligen 
Zeitgebundenheit des normativen Urteils - weil z. B. eine bestimmte Norm früher 
gerechtfertigt war und heute nicht - entsteht aus dem Umstand, dass man dabei 
nur isoliert die betreffende Norm selber im Blick hat, aber die geänderten 
Verhältnisse - z. B. die geänderten Bedürfnisse und Möglichkeiten - nicht mehr 
ausdrücklich erwähnt. Das was früher richtig war, bleibt auch heute richtig, 
aber es ist wegen der veränderten Bedingungen nicht mehr anwendbar. Das 
Untergehen von Normen im Zeitverlauf ist also in diesen Fällen kein Falschwerden 
sondern ein Veralten.
Ebenso wenig spielt bei der Frage, ob bestimmte Verhältnisse gerechtfertigt sind, der Zeitpunkt eine Rolle, zu dem die Beurteilung 
vorgenommen wird. Zwar kann sich eine normative Beurteilung im Laufe der Zeit 
ändern: Verhältnisse, die ich gestern für gerecht gehalten habe, kann ich heute 
kritisieren, aber dann habe ich gleichzeitig meine frühere Gerechtigkeitsauffassung revidiert. 
Was ich heute für falsch halte war auch damals schon falsch, ich hatte es damals 
nur noch nicht bemerkt.
Zum Abschluss sei noch erwähnt, dass es natürlich nicht beliebig 
ist, wann bestimmte normative Vorstellungen entstehen und von wem sie akzeptiert 
und propagiert werden. So setzt z. B. das Entstehen von Vorstellungen normativer 
Gültigkeit, die an einen intersubjektiven, argumentativen Konsens gebunden 
sind, die Emanzipation der Individuen aus der unreflektierten Übernahme 
tradierter sozialer Normen voraus, ähnlich wie die modernen 
Naturwissenschaften die Emanzipation der Individuen aus den tradierten 
Weltbildern und Glaubensinhalten voraussetzen. 
Eine derartige Reflektion der 
sozialen Entstehungsbedingungen normativer Positionen und Theorien ist sinnvoll 
und notwendig, sie kann jedoch die Entwicklung eigener normativer Theorien nicht ersetzen. 
 
 
***
Die programmatische Diskussion der Linken vorantreiben
 (1977)
Inhalt:
I.  Das Fehlen einer politischen Programmatik
II. Innertheoretische Gründe für das programmatische 
Defizit 
III. Zunehmend negative Folgen der fehlenden programmatischen Klärung
IV. Verschüttete programmatische Ansätze der APO 
["Außer-Parlamentarische Opposition"]: die Rätediskussion 
V. Ungeklärte Fragen sozialistischer Programmatik 
VI. Das Verhältnis zu demokratischen Prinzipien und politischen Grundrechten
VII. Gesellschaftliche Komplexität und Basisdemokratie
 
VIII.  Die Zuflucht zum utopischen Menschenbild
 
IX.  Schlussbemerkung
Textanfang:
I. Das Fehlen einer politischen Programmatik
Zu den Ursachen des Terrorismus sind an anderer Stelle 
dieser SAZ-Zeitung ["SAZ"   - "Sozialistische Assistenten Zelle"] bereits nähere 
Ausführungen gemacht worden. Neben den dort analysierten sozialstrukturellen und 
sozialpsychologischen Bedingungen einer modernen kapitalistischen Gesellschaft 
hat sicherlich auch  ein theoretisches Defizit der westdeutschen "Neuen Linken"   
eine Rolle gespielt bei der Entwicklung der terroristischen Gruppen aus den 
Reihen der ehemaligen "Außerparlamentarischen Opposition". Welches Defizit damit 
gemeint ist, soll im Folgenden näher ausgeführt werden.
In der politisch-moralischen Kritik an den jüngsten terroristischen Aktionen 
spielt das Argument eine zentrale Rolle, dass Mittel wie Mord, Geiselnahme und 
Geiselerschießung ungeeignet sind, um dem Ziel einer sozialistischen 
Gesellschaft näherzukommen, da die Inhumanität der Mittel den sozialistischen 
Zielsetzungen einer humanen Gesellschaft völlig zuwider läuft. In diesem Sinne 
argumentierte z. B. das Sozialistische Büro in seiner Stellungnahme zu den 
terroristischen Aktionen. Das Problem bei einer solchen Kritik der Mittel des 
politischen Kampfes von den politischen Zielsetzungen her besteht jedoch darin, 
dass diese Zielsetzungen von der Neuen Linken selber bisher weitgehend 
unbestimmt gelassen wurden. So fehlen z. B. in den programmatischen "Thesen"   des 
Sozialistischen Büros aus dem Jahr 1975 die politisch-ökonomischen 
Zielvorstellungen völlig, anhand derer sich Mittel des politischen Kampfes 
konkreter bestimmen ließen.
Auch in anderen programmatischen Äußerungen der Linken finden sich bis auf 
wenige Ausnahmen - wie z.B. bei Mandel - nur negative Zielbestimmungen in Form 
einer Kritik dessen, was man nicht will; während die Gesellschaft, die 
man will, meist durch sehr allgemeine und vieldeutige Begriffe wie "sozialistisch", "demokratisch", "human", "herrschaftsfrei"   oder ähnliches eher 
angedeutet als beschrieben wird. Überspitzt könnte man sagen, dass die Neue 
Linke - trotz erheblicher Fortschritte in der theoretischen Analyse - bis heute 
das geblieben ist, als was sie einmal angetreten ist, nämlich eine 
Protestbewegung, d.h. eine Bewegung, die zwar mit Vehemenz die bestehenden 
Verhältnisse - in West wie in Ost - kritisieren kann, der es aber bis heute 
nicht gelungen ist, eine eigene politisch-ökonomische Programmatik zu 
entwickeln.
II. Innertheoretische Gründe für das programmatische 
Defizit  
 Die Gründe für dies programmatische Defizit der Neuen 
Linken sind dabei vielfältiger Art und sie liegen sicherlich zum erheblichen 
Teil in der Schwierigkeit der Materie selbst. Neben dieser unvermeidlichen 
Schwierigkeit hat sich die Neue Linke den Weg zur Entwicklung einer Programmatik 
jedoch auch selber durch Positionen verbaut, die das Fehlen einer Programmatik 
als unproblematisch, unvermeidlich oder gar als wünschenswert erscheinen ließen. 
In dieser anti-programmatischen Haltung sind dabei die verschiedensten 
theoretischen Elemente zusammengeflossen, Elemente mit einer teilweise 
ehrwürdigen Tradition in der sozialistischen Bewegung:
Da gab es Positionen, für die jede Entwicklung einer konkreten Programmatik "utopischer Sozialismus"   oder ein Ausmalen des Schlaraffenlandes bedeutete; da 
stützte man sich - meist unausgesprochen - auf eine optimistische 
Geschichtsphilosophie, die sich über die Gestaltung der Zukunft nicht den Kopf 
zerbrechen brauchte, weil sie das den historischen Gesetzmäßigkeiten und einem 
darin wohnenden Fortschrittsprinzip der Höherentwicklung überlassen konnte; da 
gab es methodische Vorstellungen von "bestimmter Negation"   und "negativer 
Dialektik", für die die Formulierung einer positiven Zielsetzungen die Sünde 
wider den Geist darstellte; und da gab es die bescheidenen Intellektuellen, die 
der Arbeiterklasse nicht vorschreiben wollten, wie die sozialistische 
Gesellschaft auszusehen hat.
All diese verschiedenen Positionen hatten die gleiche Wirkung, dass das Fehlen 
einer politisch-ökonomischen Programmatik nicht als Mangel erlebt wurde und 
folglich auch keine Anstrengungen in dieser Richtung unternommen wurden. Dies 
kam zumindest anfänglich auch praktisch-politischen Überlegungen entgegen, denn 
als Folge programmatischer Diskussionen und den dabei wahrscheinlich zutage 
tretenden Differenzen befürchtete man eine Zersplitterung und Schwächung der 
Linken.
III. Zunehmend negative Folgen der fehlenden programmatischen Klärung
Im Laufe der Zeit hat sich jedoch immer deutlicher 
herausgestellt, dass eine Einheit der Linken unter der Rubrik "antikapitalistische Kräfte"   mehr und mehr zur Illusion geworden ist und dass 
die Nicht-Thematisierung der programmatischen Zielvorstellungen zukünftig die 
Politik derer eher schwächen als stärken wird, die man einmal grob als "emanzipatorische Linke"   bezeichnen kann. Denn hinter der gemeinsamen Ablehnung des Kapitalismus und allgemeinen sozialistischen 
Formeln verbergen sich inzwischen weit auseinandergehende politische 
Zielvorstellungen und diesen entsprechende divergierende Strategien. 
Ausdruck 
dieser grundsätzlichen Divergenzen sind nicht zuletzt die Diskussionen darüber, 
ob z.B. Gruppen wie der KSV ["  Kommunistischer Studenten-Verband] oder auch die 
RAF ["  Rote Armee-Fraktion"  ] überhaupt noch als "Teile der Linken"   anzusehen sind. 
Insofern man dabei allerdings die politischen Zielvorstellungen dieser Gruppen 
nicht ausdrücklich in die Diskussion mit einbezieht und damit letztlich doch der 
Gleichung 'links gleich antikapitalistisch' verhaftet bleibt, müssen solche 
Ausgrenzungsversuche von geringer Aussagekraft bleiben. 
Bei divergierenden 
politischen Zielen stellt das fortgesetzte Postulat von der Einheit der Linken 
insofern eine Schwächung für die emanzipatorische Linke dar, als ihr deshalb 
auch die teilweise wahnwitzigen Aktionen derjenigen Sekten und Grüppchen 
angelastet werden, für die diese emanzipatorischen Zielvorstellungen bestenfalls 
noch philanthropisches Gefasel sind.
Die Aufsplitterung der Linken in Kräfte mit teilweise entgegen gesetzten 
Tendenzen ist ein Faktum, das durch eine programmatische Diskussion nicht erst 
erzeugt, sondern nur verdeutlicht wird. Nur wenn die politischen 
Zielvorstellungen jedoch verdeutlicht werden, können sie auch rational 
diskutiert und argumentativ verändert werden. 
Dazu ist es allerdings notwendig, 
dass diese Diskussion ohne die weit verbreitete Arroganz jener Theoretiker 
geführt wird, die auch bei den ungeklärtesten Fragen sozialistischer Politik 
ihre eigene Position immer mit dem Habitus einer Verkündung ex cathedra 
vortragen. Außerdem muss im Auge behalten werden, dass eine programmatische 
Konkretisierung keinesfalls bedeutet, dass man ein detailliertes und 
ein-für-alle-mal fixiertes Zukunftsmodell entwirft. 
Stattdessen kommt es darauf 
an, auf der Grundlage der gegenwärtig bekannten Bedingungen und 
Entwicklungstendenzen in der Bundesrepublik die Grundzüge einer realisierbaren 
sozialistischen Gesellschaft zu entwerfen. Dabei kann man in dem Maße konkreter 
werden, wie bereits historische Erfahrungen anderer Revolutionsversuche 
vorliegen. Zugleich bedeutet dies, dass die programmatische Diskussion in dem 
Maße weiterentwickelt werden muss, wie veränderte Bedingungen und neue 
Erkenntnisse dies notwendig machen.
IV. Verschüttete programmatische Ansätze der APO 
["Außer-Parlamentarische Opposition"]: 
      die Rätediskussion 
Wenn im vorangegangen die These vertreten wurde, dass die Neue Linke 
praktisch keine Programmatik entwickelt hat, so muss andererseits festgehalten 
werden, dass es trotzdem verschiedene Ansätze dazu im Laufe der Jahre gegeben 
hat. Allerdings sind diese Ansätze letztlich nicht weitergeführt worden, sondern 
als unerledigte Fragen einfach liegengeblieben. 
So gab es auf dem Höhepunkt der 
APO Ende der 60er Jahre die Diskussion um Rätedemokratie, die als Alternative 
zum parlamentarisch-kapitalistischen System propagiert wurde. In kritischem 
Bezug sowohl auf den Parlamentarismus als auch auf den organisierten 
Kapitalismus wurde eine alternative Ordnung skizziert, die sich als Realisierung 
einer Basisdemokratie auf betrieblicher und lokaler Ebene verstand. Zentrale 
Stichworte waren z.B.: direkte Demokratie durch imperatives Mandat und 
jederzeitige Abberufbarkeit; Aufhebung der Trennung von Politik und Ökonomie 
durch eine einheitliche Produzentendemokratie; Abbau von Bürokratie durch 
Ämterrotation. 
Die Frage ist, warum diese programmatischen Ansätze nicht in 
einer kontinuierlichen Diskussion überprüft und konkretisiert wurden, sondern 
schon bald in den Hintergrund gedrängt wurden.
Einer der Gründe hierfür war sicherlich das praktische Scheitern der 
Basisgruppen-Bewegung. Die propagierten Betriebs- und Stadtteilgruppen hatten 
schon bald nach der hoffnungsvollen Gründungsphase stagniert, und es stellte 
sich heraus, dass eine Ausweitung der Bewegung über das Studenten- und das 
Schüler-Lehrlings-Milieu hinaus nicht in nennenswertem Umfang gelang. In dieser 
Situation, als die Versuche zu einer breiteren Massenbewegung scheiterten, 
traten naturgemäß Konzeptionen in den Vordergrund, die - ausgerichtet an 
historischen Vorbildern - gegenüber der bisherigen "Handwerkelei"   - den 
Schwerpunkt auf die schlagkräftige Organisierung der Aktiven selber legten. Das 
Gründungsfieber der Kadergruppen grassierte oder aber man orientierte sich 
wieder stärker an den bestehenden Organisationen der "alten"   Linken. Auch die 
Propagierung des bewaffneten Kampfes ("Sieg im Volkskrieg"  ) und die Gründung der 
RAF fällt in diese Phase erfolgloser Versuche, nennenswerte Teile der 
Lohnabhängigen zu mobilisieren.
In gewisser Weise war damit auch auf der Ebene der theoretischen Diskussion die 
autonome Entwicklung der westdeutschen Studentenbewegung abgebrochen. Anstelle 
einer selbstbewussten, kontinuierlichen Diskussion der eigenen Erfahrungen und 
Denkansätze suchte man sein Heil in der Anlehnung an erfolgreichere Positionen vergangener 
Epochen und ferner Länder: autoritätsgläubige Identifikationen mit Personen und 
Parteien, schematische Nachahmungen ganz andersartiger Bewegungen und eine zu 
dogmatischen Phrasen erstarrte Sprache beherrschten für längere Zeit die linke 
Szene. Kein Wunder, dass die Weiterführung der programmatischen Diskussion 
misslang, wo der Schlagabtausch festgefügter Sekten vorherrschte.
V. Ungeklärte Fragen sozialistischer Programmatik 
 
Dass die gerade in Deutschland sicherlich notwendige Rezeption der 
internationalen sozialistischen Traditionen nicht zu ihrer produktiven 
Verarbeitung führte sondern zu entfremdeten Identifikationen mit ihren 
verschiedenen Traditionsbeständen, dass der Neuen Linken deshalb letztlich 
keiner der historischen Irrwege erspart geblieben ist, ist jedoch auch ein Indiz 
für die geringe theoretische Substanz und Einheitlichkeit der Studentenbewegung, 
die sich bereits mit der Selbstauflösung des SDS ["Sozialistischer Deutscher 
Studentenbund"] andeutete.
Dies soll anhand der offen gebliebenen Fragen der Rätediskussion verdeutlicht 
werden, wobei die folgenden Ausführungen nicht so zu verstehen sind, als gäbe es 
bereits die fertigen programmatischen Antworten, sondern eher als Anstoß dazu, 
um die programmatische Diskussion wieder in Gang zu bringen. An einigen Punkten 
soll aufgezeigt werden, inwiefern die basisdemokratischen Vorstellungen - die 
auch heute noch bzw. wieder eine wichtige Rolle in der praktischen Politik der 
Linken spielen - vage oder unausgeführt geblieben sind.
VI. Das Verhältnis zu demokratischen Prinzipien und politischen Grundrechten
Ein ungeklärtes Problem ergibt sich aus der Existenz unterschiedlicher 
politischer Meinungen und Interessen als Frage nach der Art ihrer Artikulation 
und Organisation. Wollte man diese Möglichkeit nicht entgegen allen 
gegenwärtigen und historischen Erfahrungen leugnen, so musste man sich genauer 
mit dem Faktum einer Vielzahl konkurrierender Organisationen auseinandersetzen 
und man musste klare Aussagen machen zum Recht auf Kritik und Opposition, zur 
Bildung von Koalitionen und Fraktionen, zu Meinungsfreiheit, Zensur und Zugang 
zu den Massenmedien, zu freien Wahlen und zum Mehrheitsprinzip. 
Dies war umso mehr notwendig, als jede sozialistische Bewegung spätestens seit 
Stalin von der historischen Erfahrung mitbelastet war, dass sich die "Union der 
sozialistischen Räterepubliken"   als Staat einer autoritär-hierarchischen 
Einheitspartei entpuppte, in der das Problem unterschiedlicher Meinungen und 
Interessen nach der Devise gelöst wird, dass nicht sein darf, was nicht sein 
kann. Dem verbreiteten und auch berechtigten Misstrauen gegenüber 
der Möglichkeit einer sozialistischen Bevormundung oder Erziehungsdiktatur wurde 
die Rätediskussion der APO-Zeit nicht gerecht: die Fragen der politischen 
Grundrechte und demokratischen Prinzipien wurden nicht als eigenes 
Problem begriffen, sondern sie wurden als von liberalen Kritikern aufgebrachte 
Probleme - mit der für die damalige Aufbruchsstimmung typischen Mischung aus 
Defensivhaltung und Arroganz - abgetan. Auch in der gegenwärtigen Situation 
besteht die Gefahr, dass man in der Abwehr einer zum anti-demokratischen Knüppel 
umformulierten "freiheitlich-demokratischen Grundordnung"   die Klärung des 
eigenen Verhältnisses zu den demokratischen Prinzipien und Grundrechten 
vernachlässigt.
VII. Gesellschaftliche Komplexität und Basisdemokratie
Ein weiterer Problemaspekt, der in der rätedemokratischen Konzeption 
vernachlässigt worden ist, betrifft die Berücksichtigung der Komplexität 
moderner industrialisierter Gesellschaften. Die Formel von der "direkten 
Entscheidung durch die Betroffenen"   anstelle von Entscheidungen durch 
repräsentative oder administrative Organe ist umso schwieriger zu realisieren, 
je komplexer und differenzierter eine Gesellschaft gegliedert ist und je 
vielfältiger deshalb auch die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bereichen 
sind. 
Von dem, was in einem einzelnen Betrieb oder einer einzelnen Universität 
geschieht, sind eben nicht nur die dort Arbeitenden und Lernenden betroffen, 
sondern immer auch andere gesellschaftliche Bereiche und eine kaum zu 
überblickende Zahl derjenigen, die auf die Produkte des Betriebs bzw. die 
Qualifikationen der Absolventen und die Forschungsergebnisse der Universität 
angewiesen sind. Einfache Formen der Basisdemokratie sind zwar geeignet zur 
Ermittlung und Artikulation von Belegschaftsinteressen (und auch das nur zu 
wesentlichen Entscheidungen, wie man an der chronisch knappen Zeit auf 
studentischen Vollversammlungen sieht), sie genügen jedoch nicht zur 
Koordination und Abstimmung der Entscheidungen, zur Abwägung und Zusammenfassung 
unterschiedlicher Interessen sowie zur Durchführung und Kontrolle getroffener 
Entscheidungen. Wenn jedoch die Existenz von repräsentativen und administrativen 
Organen unter diesen Gesichtspunkten unabdingbar ist, so müssen die 
programmatischen Diskussionen zu Parlament, Verwaltung etc. von der Linken auf 
einer konkreteren Ebene wieder aufgenommen werden. 
Dies gilt insbesondere für den ökonomischen Bereich, in dem 
die programmatische Diskussion besonders abstrakt geblieben ist. Die Vorstellung 
einer unmittelbar auf die Bedürfnisbefriedigung gerichteten Produktion von 
Gebrauchswerten bleibt leer, wenn man einer Beantwortung der unmittelbar daraus 
sich ergebenden Fragen ausweicht: Wie sollen die Bedürfnisse ermittelt werden? 
Wie soll die Dringlichkeit verschiedener Bedürfnisse gegeneinander abgewogen 
werden, wenn die Kapazitäten nicht zur Befriedigung aller Bedürfnisse 
ausreichen? Wie werden die unterschiedlichen Interessen von Produzenten und 
Konsumenten eines Produkts aufeinander abgestimmt? Wie wird die 
gesamtgesellschaftliche Planung mit den autonomen Entscheidungen von Kollektiven 
und Individuen abgestimmt? 
Auch die Diskussion zur "Übergangsgesellschaft"   hat hinsichtlich der 
ökonomischen Programmatik kaum Fortschritte gebracht. Die Kritik an den 
Wirtschaftsreformen der osteuropäischen Länder blieb ohne konstruktives 
Resultat, da man sich - ähnlich wie beim Konzept der Basisdemokratie - auf eine 
genauere Diskussion der Funktionsprobleme postkapitalistischer 
Wirtschaftssysteme in der Regel gar nicht einließ.
VIII.  Die Zuflucht zum utopischen Menschenbild
In diesen Zusammenhang gehört auch ein weiteres ungeklärtes Problem, das die 
innerlinken Programmdiskussionen ständig belastet hat, ohne dass hier ernsthafte 
Anstrengungen gemacht wurden. Gemeint ist die Frage nach dem "Menschenbild", das 
den programmatischen Vorstellungen - meist stillschweigend – zugrunde liegt. Aus 
der berechtigten Kritik an Positionen, die den durch Konkurrenz und Hierarchie 
geprägten kapitalistischen Sozialcharakter zur ewigen Menschennatur 
hochstilisieren wollen, wurde häufig der Umkehrschluss gezogen, der Mensch sei 
in seiner "eigentlichen"   Bedürfnis- und Motivationsstruktur ein völlig soziales 
und moralisches Wesen und Probleme wie die Durchsetzung des individuellen 
Interesses auf Kosten anderer oder Gruppenegoismen familiärer, nationaler und 
ethnozentrischer Art seien höchstens als "Muttermale"   der alten Gesellschaft 
relevant. 
Hieraus mögen sich die programmatischen Leerstellen der Linken immer dort 
erklären, wo es um die Bekämpfung von Verhaltensweisen geht, die mit dem 
gesamtgesellschaftlichen Interesse unvereinbar sind, seien es Probleme 
mangelnder Arbeitsmotivation, bürokratischer Bequemlichkeit, persönlichen 
Machtstrebens, mangelnden Interesses und Einsatzes für öffentliches 
Angelegenheiten, Beschädigung oder Vergeudung öffentlichen Eigentums oder auch 
allgemein-krimineller Verhaltensweisen geht. 
Anstatt diese Phänomene zu ignorieren bzw. mit dem bequemen 
Hinweis abzutun, dass sie sich dadurch erledigen werden, dass mit der neuen 
Gesellschaft auch ein ganz anderer Menschentypus entstehen wird, wären in der 
programmatischen Diskussion Fragen nach demokratisch legitimierbaren Kontroll- 
und Sanktionsformen explizit aufzunehmen, die sich auf wissenschaftlich 
begründbare Annahmen hinsichtlich der Veränderbarkeit menschlicher 
Motivationsstrukturen stützen. Nur dann kann auch das Schicksal vergangener 
sozialistischer Revolutionen vermieden werden, in denen angesichts enormer 
Probleme "egoistischen"   Verhaltens die linken Utopisten - nicht ganz ohne Grund 
- diktatorisch regierenden Bürokraten Platz machen mussten.
IX.  Schlussbemerkung
Mit diesen drei Fragebündeln an eine zu entwickelnde linke 
Programmatik:
   1. Verhältnis zu demokratischen Prinzipien und Grundrechten, 
  
2. Berücksichtigung der Komplexität industrialisierter Gesellschaften und 
  
3. Bezugnahme auf ein realistisches Menschenbild 
sind natürlich die offenen Fragen einer sozialistischen Programmatik keineswegs 
erschöpfend benannt. Sie sollen hier nur als beispielhafte Anstöße für eine 
Wiederaufnahme der Diskussion gelten. Allerdings müssen zu diesen drei 
Fragekomplexen Antworten gefunden werden, wenn man über die vagen und 
vieldeutigen Formeln hinauskommen will. Die Konkretisierung ihrer eigenen 
Vorstellungen darüber, wie Politik und Ökonomie in einer sozialistischen 
Gesellschaft beschaffen sein sollen, ist für die emanzipatorische Linke ein 
unerlässlicher Schritt, um zumindest langfristig zu einem relevanten Faktor in 
den politischen Auseinandersetzungen zu werden. Die Konkretisierung der 
programmatischen Vorstellungen ist zugleich auch ein Mittel gegen jene 
terroristische Un-Politik, für die der politische Kampf um eine sozialistische 
Zukunft zu einer perspektivlosen Rache an den "Repräsentanten des Systems"   
degeneriert. Die zweifelhafte Genugtuung darüber, auch einmal einige Mächtige 
vernichtet zu haben, muss eine zukunftsbezogene Arbeit ersetzen.
***
Sozialismus - mit falschen Voraussetzungen
(2003 - Nach 35 Jahren)
Man soll keine Leichenfledderei betreiben. Und warum jetzt noch, wo der groß 
angelegte Versuch, den Sozialismus zu verwirklichen, am Ende ist, warum jetzt 
noch über den gescheiterten Versuch herziehen? Bin ich noch einer, der sein 
Mäntelchen nach dem Wind hängt? Auch wenn die Situation zweideutig ist, um eines 
bewussten Lernprozesses willen muss ausgesprochen werden, wo sich die 
Sozialisten geirrt haben.
Der Sozialismus ist erst einmal eine sympathische Idee: die Menschen sollen als 
Gleiche unter Gleichen brüderlich zusammenleben, sie sollen die Güter der Erde 
und die technischen Produktionsmöglichkeiten als ihr gemeinsames Eigentum 
ansehen, sie sollen ihre Fähigkeiten zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen und 
sollen die Früchte ihrer gemeinsamen Arbeit solidarisch gemäß der Bedürftigkeit 
aufteilen. 
Ein solcher hier in groben Umrissen gekennzeichneter Sozialismus hat als Idee 
seine Anziehungskraft, vor allem auf dem Hintergrund einer an der Hilfe für die 
Schwachen und Armen orientierten christlichen Tradition und vor allem auch für 
die Jüngeren, die noch nicht so sehr wie die Älteren errungene Positionen in der 
sozialen Hierarchie und angehäuftes Vermögen zu verteidigen haben.
Und die Idee des Sozialismus gewinnt umso mehr an Glanz, je problematischer sich 
die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gerade darstellt.
Trotzdem: Der sympathische Glanz der sozialistischen Idee steht auf brüchigen 
Füßen, weil er von falschen Voraussetzungen ausgeht und sich nicht in der 
erhofften Weise realisieren lässt.
Die Realisierung der sozialistischen Gesellschaft aus gemeinschaftlich 
arbeitenden und wirtschaftenden Genossen scheitert an falschen Annahmen über 
die Menschen, über ihre Motive und Verhaltensweisen.
Schon im zentralen programmatischen Satz des Kommunismus: "Jeder (arbeitet) nach seinen 
Fähigkeiten! Jedem (wird) nach seinen Bedürfnissen (zugeteilt)!"   wird die Schwachstelle der sozialistischen Konstruktion deutlich. 
Es 
ist die Rede von den Fähigkeiten der Menschen, zu arbeiten, es ist jedoch nicht 
die Rede davon, wodurch die Menschen motiviert werden können, die Mühsal auf 
sich zu nehmen, diese Fähigkeiten in jahrelangem Lernen auszubilden und sie hart arbeitend einzusetzen. 
Zum andern ist die Rede von den Bedürfnissen der Menschen, die zu ihrer 
Befriedigung die erarbeiteten Produkte und Dienste anderer Menschen benötigen. 
Wiederum ist nicht die Rede davon, wie die Menschen motiviert werden können, von 
den geschaffenen Gütern einen sparsamen und schonenden Gebrauch zu machen.
Die Natur des Menschen war der weiße Fleck auf der Landkarte der meisten Sozialisten. Wer 
nur davon sprach, machte sich schon des "Biologismus"   schuldig. Nach Marx war 
der Mensch nichts anderes als "das Ensemble der gesellschaftlichen 
Verhältnisse", ein Produkt der jeweiligen Gesellschaftsformation.
Aber - wie sich herausstellte: auch nach der Revolution blieb das Eigeninteresse wirksam. Dies wurde als Überbleibsel der alten, bürgerlichen Gesellschaft 
abgetan. Mit 
der Entwicklung des neuen sozialistischen Menschen würde das verschwinden. Aber 
diese Verhaltensweisen verschwanden nicht. Im Gegenteil. Sie bremsten den 
revolutionären Schwung. Die Helden der Arbeit waren in den Sonntagsreden der 
Parteigrößen zu finden, aber nicht in den 
Fabriken und Büros.
Jeder sah eine Schicht von Funktionären, die sich mit allen begehrten Konsumgütern 
aus kapitalistischer Produktion versorgten, und jeder sah, dass die eigenen 
Arbeitsanstrengungen letztlich nicht viel einbrachten - jedenfalls nicht so viel 
wie Linientreue und Parteiposten. Kreativität, Kritik und Erfindergeist waren nicht 
gefragt, denn sie brachten eher ein Element der Unruhe in die Verhältnisse, die 
ihren geordneten sozialistischen Gang gingen und gehen sollten. 
Und so wurden die Entwicklungen in den Informationswissenschaften und in der 
Mikroelektronik verschlafen und die Länder des realen Sozialismus gerieten 
wirtschaftlich und waffentechnisch ins Hintertreffen. Eine Wirtschaft nach Art 
der deutschen Reichspost, wie sie Lenin vorschwebte, war nicht wettbewerbsfähig, 
sie löste sich auf.
***
"Whenever it ceases to be true that mankind, as a rule, prefer 
themselves to others, and those nearest to them to those more remote, from that 
moment Communism is not only practicable, but the only defensible form of 
society." (John Stuart Mill)
***
An einen Anhänger des Marxismus-Leninismus
(Ein teils ironischer, teils ernsthafter Beitrag in einer Internet-Diskussion)
 
Zur "historischen Mission der Arbeiterklasse und 
ihrer (kommunistischen) Partei"  
Als erstes finde ich es 
beruhigend, dass Du mir versicherst, dass niemand mir meine Demokratie 
wegnehmen will. Denn ich war mir nicht ganz sicher, ob ich in der von Dir 
angestrebten Gesellschaft noch meine Gedanken veröffentlichen dürfte, da sie sich auch kritisch gegen marxistische Thesen 
richten. Aber wahrscheinlich stellt sich dies Problem gar nicht, weil mein 
Denken zwar gegenwärtig noch "den Gesetzen des sich selbst verwertenden Werts"   
gehorcht, aber mein Bewusstsein nach dem Übergang zur kommunistischen 
Produktionsweise von dieser bestimmt sein wird: die "eigennützigen Interessen 
des privaten Individuums"   habe ich dann abgestreift zugunsten der 
gesellschaftlichen Interessen eines gesellschaftlichen Individuums. 
Du hast 
meine aufkommenden Bedenken zerstreut durch deine Aussage, dass in der 
kommunistischen Gesellschaft "mündige Menschen ihr gemeinsames Leben 
vernünftig organisieren". 
Beunruhigen könnte mich vielleicht, dass diese vernünftige Organisation nur in der kommunistischen Gesellschaft möglich sein soll. Was habe ich denn 
für die Zeit bis dahin politisch zu erwarten? Etwas mulmig wird mir, wenn Du 
sagst, dass Du "nur insoweit Anhänger einer Demokratie bist, soweit sie eine 
kommunistische ist". Ich könnte mich also nicht mehr auf irgendwelche 
demokratischen Rechte wie freie Diskussion und freie Wahlen und das Recht auf 
die Organisierung einer Opposition berufen, wenn Du und Deine gleich gesinnten 
Weggefährten einmal an die Macht kommen sollten? 
Es wäre allerdings wohl auch naiv von mir, an der bloß "formalen Demokratie" 
festhalten zu wollen, wo es doch auf eine inhaltliche Demokratie ankommt, und 
die ist nun mal so lange nicht möglich, wie die die privatwirtschaftliche 
Produktionsweise nicht abgestreift ist. 
Wahrscheinlich ist mein Gejammer über die Verletzung demokratischer 
Grundrechte auch wirklich nur ein Restbestand meines 
bürgerlichen Denkens. 
Eigentlich habe ich ja keinen Grund mich zu beklagen, wenn nun Leute das Sagen 
haben, die wissen "was Demokratie seinem Begriff nach sein will" und die das 
Gesetz des sich selbst verwertenden Wertes durchschaut und ihm den Kampf 
angesagt habe. Was soll da das Greinen über den Verlust formaler demokratischer 
Rechte, wo doch ohnehin in der privatwirtschaftlichen 
Produktionsweise die "Regierenden nichts weiter als Anhängsel einer 
kapitalistischen Nationalökonomie"   waren und die demokratische   
Willensbildung dadurch charakterisiert wurde, dass die Beherrschten "sich 
nicht entblöden, jeder totalitären Dummheit der Regierenden das Wort zu 
reden". In Wirklichkeit hatte ich doch nichts zu verlieren – höchstens die 
Scheinfreiheit, meine irrigen Gedanken zu veröffentlichen. Oder?
Aber nun ernsthaft:
Es gibt die leidvollen Erfahrungen mit 
kommunistischen Parteien, die sich selbst zur "Avantgarde der 
Arbeiterklasse"   erklärten und die vorgaben, mit den Lehren von Marx und Engels 
über eine "wissenschaftliche Weltanschauung"   als Grundlage ihrer Politik zu 
verfügen. 
Mit ihrer Interpretation von Geschichte als einer Geschichte der Klassenkämpfe 
rechtfertigten die Kommunisten die von ihnen praktizierte Diktatur des 
Proletariats als Antwort auf die Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Das 
Ergebnis dieses wissenschaftlichen Sozialismus war die Unterdrückung 
jeglicher innerkommunistischer Abweichungen von der offiziellen Linie der 
Partei (Trotzki, Bucharin, Havemann etc.) als auch die Verfolgung "bürgerlicher 
Ideologien"  jeglicher Spielart. 
Wir können heute nicht so blauäugig sein und so tun, als hätte es das alles 
nicht gegeben, und ich werde hellhörig bei Formulierungen, die den altbekannten 
Mustern entsprechen: 
- z. B. die Kennzeichnung der bestehenden Demokratie als
bloß formal - Wenn die Inhalte der Politik an anderer Stelle 
festgelegt werden, dann braucht man allerdings solche demokratischen "Formalien"   
wie geheime Wahlen nicht mehr,  
- z. B. die Kennzeichnung des bestehenden demokratischen Staates als Anhängsel der kapitalistischen Wirtschaft  
– woraus folgt, dass Bundestagswahlen, Kanzlerwahlen oder ähnliches bloßer 
Mummenschanz sind,     
- z. B. die Kennzeichnung der Wähler als unwissende 
Masse, die nachplappert, was ihnen von der Regierung und den Medien 
vorgesagt wird – woraus folgt, dass man bei politischen Entscheidungen auf die 
Meinungen in der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen darf, denn Unmündige muss 
man bevormunden, 
- z. B. die Kennzeichnung der bestehenden Interessen und Wünsche der Individuen 
als privat   und deshalb falsch – woraus 
folgt, dass es offenbar jemanden gibt, der die wahren Interessen der Individuen 
besser kennt als sie selbst,   
- z. B. die prinzipielle Ablehnung der 
Verbindlichkeit mehrheitlich beschlossener Gesetze – die ihre 
theoretische Grundlage offenbar in der Auffassung hat, dass in einer 
Gesellschaft mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung alle staatlichen Gesetze 
und Entscheidungen nur das Interesse der herrschenden Kapitalistenklasse 
ausdrücken. Ob Bundesrepublik Deutschland oder Großdeutsches 
Reich, das macht dann keinen wesentlichen Unterschied, denn
beides sind nur verschiedene Erscheinungsformen 
desselben: der 
kapitalistischen Klassenherrschaft.
***
zum Artikel von Jörg Schönbohm im TAGESSPIEGEL vom 09.03.2008
(ungekürzt)
Um es vorweg zu sagen: Ich bin Partei, wenn es 
	um die Studentenbewegung der 60er Jahre geht, denn ich gehörte zu dieser 
	Bewegung. Aber heute, vier Jahrzehnte danach, sollte es möglich sein, deren 
	Verdienste und auch deren Irrwege einigermaßen unvoreingenommen zu erörtern.
	
	Davon ist der Artikel "1968 – Selbstbetrug einer Generation" im TAGESSPIEGEL 
	vom 09.03.08 allerdings weit entfernt, denn sein Verfasser, Jörg Schönbohm, 
	lässt – wie man so sagt – "kein gutes Haar" an der damaligen 
	Studentenbewegung.
	
	Der Artikel zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Unfähigkeit zum 
	differenzierten Denken und Urteilen aus. 
	
	Die Studentenbewegung, in der sich sehr unterschiedliche Positionen 
	zusammenfanden, ist für Schönbohm ein einheitliches Gebilde, innerhalb 
	dessen es keine Richtungskämpfe und Personen mit unterschiedlichen 
	Konzeptionen gab. In dem langen Artikel wird bezeichnender Weise nicht ein 
	einziges Mal eine konkrete Person oder Organisation genannt, die an dieser 
	Bewegung beteiligt war. Stattdessen belegt Schönbohm die damalige 
	Studentenbewegung pauschal mit inhaltlich unpräzisen aber hochgradig 
	wertgeladenen Ausdrücken wie:  "Protestler", "Jungrevolutionäre", "selbsternannte Gesellschaftsveränderer", 
"Achtundsechziger-Ideologen", "Weltverbesserer", "weinselige Toskana-Fraktionäre" oder 
"Nachwuchs-Revoluzzer". 
	
	Der Artikel zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass er seine durchgängigen 
	Verallgemeinerungen nicht anhand von realen Beispielen konkretisiert, 
	sondern stattdessen höchstens durch mehr oder oft auch weniger passende Grafitti-Sprüche belegt. 
	
	Was soll man zu einer pauschalen Abqualifizierung sagen wie: "Ihnen ging es 
	nicht um die Veränderung aus Vernunft, sondern um die Veränderung aus 
	Prinzip", wenn dieser Rundumschlag nicht näher begründet wird? 
	
	Kein Wort findet sich in dem Artikel zu den unterschiedlichen inhaltlichen 
	Punkten, an denen sich der Protest entzündete: In Berlin z. B. die Weigerung 
	des Präsidenten der Freien Universität, einen Raum der Universität für einen 
	Vortrag des gesellschaftskritischen Publizisten Erich Kuby zur Verfügung zu 
	stellen, in den USA der Widerstand gegen den Vietnam-Krieg, in Frankreich 
	die sexualfeindliche Hausordnung eines Studentenwohnheims.
	
	Was soll man zu Thesen sagen wie: "Im Kampf gegen das Establishment waren 
	eher Pflastersteine denn das Florett die Waffe der Wahl"? Bedauert 
	Schönbohm, dass die Schlagenden Verbindungen und deren "Schmisse" im Gesicht 
	für die neue Generation von Studenten nicht mehr attraktiv waren? Hat er 
	nichts mitbekommen von den intensiven Diskussionen innerhalb der 
	Studentenbewegung über Gewalt, die u. a. dazu führte, dass sich die Grünen 
	später ausdrücklich als "gewaltfrei" bekannten? 
	
	Die markigen Urteile, die Schönbohm in dem Artikel aneinander reiht, 
	scheinen nicht immer auf Kenntnis der betreffenden Sache zu beruhen. Als 
	Beleg für die obige Pflastersteinthese führt Schönbohm einen Grafitti-Spruch 
	an und schreibt dazu: "Passend reimte der Sponti-Dichter: 'Der Stein 
	bestimmt das Bewusstsein’ ". Aber hier wird nichts gereimt, sondern dies ist 
	eine witzige, wenn auch problematische Umformulierung des materialistischen 
	Credos "Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein". 
	
	Ähnlich verbohrt deutet Schönbohm andere Sprüche dieser Zeit. "Wer zweimal 
	mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" war ein humorvoller, 
	augenzwinkernder Spruch, der nicht so bierernst genommen werden wollte. (Das 
	durchschnittliche Alter der Studenten beim ersten Geschlechtsverkehr lag 
	damals bei 22 Jahren.) Wenn man bedenkt, dass noch in den 60er Jahren der 
	Bundespräsident Heinrich Lübke im Zuge der Restauration 
	christlich-abendländischer Werte das Verbot von öffentlichen 
	Kondom-Automaten forderte, musste ein solcher Spruch allerdings zutiefst 
	schockieren. 
	
	Fast schon komisch wirkt es, wie Schönbohm ein anderes Problem der 
	Studentenbewegung in die Schuhe schiebt, wenn er schreibt: "Alte und 
	Gebrechliche werden aus unserem Lebensalltag verbannt und abgeschoben. … 
	Auch hier hatten die Achtundsechziger die passende Losung zur Hand: 'Trau 
	keinem über Dreißig' ". 
	
	Diese nicht ganz ernstgemeinte Parole von Studenten, die ja in wenigen 
	Jahren selber über 30 sein würden, hatte rein gar nichts mit dem Elend in 
	manchen Pflegeheimen zu tun. Der ernste Hintergrund dieser Parole war die 
	meist nicht übernommene Verantwortung der Elterngeneration für die 
	entsetzlichen Verbrechen, die zwischen 1933 und 1945 im deutschen Namen 
	begangen worden waren.
	
	Wenn Schönbohm der Studentenbewegung schließlich auch die "Verordnung einer 
	politisch korrekten Sprache" anhängen will, dann sollte er sich an die 
	sprachlichen Eiertänze im Zuge der Hallstein-Doktrin (Ablehnung der Existenz 
	von zwei deutschen Staaten) erinnern. Man durfte nicht von der DDR sprechen 
	sondern nur von der "sogenannten DDR" oder der "DDR" (in 
	Anführungsstrichen). Man hatte zu schreiben: "Berlin (West)" aber nicht "Westberlin".
	
	Mit dieser Abwehr von Schönbohms unqualifizierter Kritik an der 
	Studentenbewegung sollen nicht die Verbrechen der Überzeugungstäter in der 
	RAF und nicht die Träume der Maoisten und Leninisten von der Parteidiktatur 
	entschuldigt werden. Auch wenn Jörg Schönbohm davon noch nichts mitbekommen 
	hat: Die Aufarbeitung der Irrwege und Fehlentwicklungen der 68er-Bewegung 
	findet statt.
***
***
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Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Texte aus der Zeit der 68er 
Bewegung"  
Letzte Bearbeitung 02.06.2010 / Eberhard Wesche
Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die "Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.