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Kants Konzeption synthetischer Urteile a priori
Dargestellt anhand der Einleitung zur "Kritik der reinen Vernunft".
 Zitiert wird nach: W. Weischedel (Hg.): Immanuel Kant – Werkausgabe, Band 
III
 erschienen im Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 3. Auflage 1977
Die Kant-Zitate wurden durch eigene Zusätze in eckigen Klammern dem heutigen Leser verständlicher gemacht
 
Inhalt:
I.) Darstellung
1.)
Kants Fragestellung
2.)
Erkenntnisse a priori und Erkenntnisse a posteriori
3.)
Zwei Merkmale der Urteile a priori
   a) Notwendigkeit
   b) Strenge Allgemeinheit
4.)
Zwei Arten von Urteilen
   a) Analytische Urteile
   b) Synthetische Urteile
5.)
Kants Argumente für die Existenz synthetischer Urteile a priori
6.)
Die Sätze der Mathematik als synthetische Erkenntnisse a priori 
7.)
Die Sätze der Geometrie als synthetische Erkenntnisse a priori
8.)
Die Prinzipien der Naturwissenschaft als synthetische Erkenntnisse a priori
9.)
Das Prinzip der Kausalität als synthetische Erkenntnis a priori 
10.)
Begriffe aus reiner Vernunft
 
II. Kritik
11.) 
Vorbemerkung: Schwierigkeiten der Kantkritik
12.) 
Die Sätze der Mathematik und ihr Bezug zur Wirklichkeit
 
13.) Die Sätze der Geometrie und ihr Bezug 
zur Wirklichkeit
14.) Gibt es 
Prinzipien der Naturwissenschaft aus reiner Vernunft?
15.) 
Ist das Kausalitätsprinzip eine Erkenntnis aus reiner Vernunft?
16.) Sind modelltheoretische Aussagen 
Urteile a priori oder a posteriori? 
17.)
Die problematische Einteilung der Urteile nach ihrer Quelle (a priori und a 
posteriori)
Textbeginn
I. Darstellung
(einschließlich offener Fragen)
1.)  Kants  
Fragestellung
Immanuel Kant (1724 - 1804) stellt in der 
Einleitung zu seiner 1781 veröffentlichten "Kritik der reinen Vernunft" die 
Frage: "ob es ein[e] ... von der Erfahrung ... unabhängige[s] Erkenntnis gebe" 
(Seite 45). 
Kant stellt diese Frage, um gegenüber dem Empirismus (von griechisch 'empeiria' = 'Erfahrung'), 
wie er z. B. von 
David Hume (1711-1776) vertreten wird, nachzuweisen, dass der Mensch über eine 
von der Erfahrung unabhängige Erkenntnisfähigkeit verfügt, die Vernunft. 
2.)  Erkenntnisse 
 a priori und Erkenntnisse a posteriori
Erkenntnisse, "die nur ... durch Erfahrung 
möglich sind", nennt Kant Erkenntnisse "a posteriori" (lateinisch: 
'im 
nachhinein'). Mit "Erfahrung" meint Kant die Sinneseindrücke 
und ihre Verarbeitung im Denken. Erfahrung entsteht "durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren" (S.45). "Erfahrung 
lehrt uns ..., dass etwas so oder so beschaffen" (S.46) ist. Kant 
spricht hier auch von "empirischer Erkenntnis" (S.45)
Erkenntnisse "a posteriori" unterscheidet Kant von Erkenntnissen "a priori" 
(lateinisch: 'von vornherein'), "die schlechterdings von aller Erfahrung 
unabhängig stattfinden" (S.46).
Erkenntnisse a priori, "denen gar nichts Empirisches beigemischt ist" (S.46), 
nennt Kant auch "reine" Vernunfterkenntnisse" oder "reine Erkenntnisse a priori".
Die Einteilung der Erkenntnisse wird in diesem Fall also nach den Quellen 
vorgenommen: Die 
einen entstammen der Erfahrung, die andern entstammen der Vernunft.
Es gibt auch Mischformen der Erkenntnis, an denen sowohl die Vernunft als auch 
die Erfahrung beteiligt sind.
Wenn z. B. aus einer beobachteten Regelmäßigkeit ein Schluss gezogen wird, so ist das 
für Kant keine reine Erkenntnis a priori, denn die Erfahrung war daran 
beteiligt. Kant veranschaulicht dies an einem Beispiel. Wenn jemand das Fundament seines 
Hauses untergräbt, so kann er zwar im Voraus (also "a priori") wissen, dass das 
Haus einstürzen wird. Doch ist seine Erkenntnis nicht völlig a priori sondern 
stützt sich indirekt auf frühere Erfahrungen. "Denn dass die Körper schwer sind, 
und daher, wenn ihnen die Stütze entzogen wird, fallen, musste ihm ... durch 
Erfahrung ..." (S.46) bereits bekannt geworden sein. Andernfalls hätte er nicht 
die Schlussfolgerung ziehen können, dass das Haus einstürzen wird. 
3.)  
Zwei Merkmale der Urteile a priori
Wenn man Erkenntnisse, die einem Subjekt 
ein Prädikat zusprechen, sprachlich ausformuliert, 
so erhält man in der Terminologie Kants "Urteile". Ein Beispiel für ein 
solches Urteil wäre: "Dieser Körper ist schwer". Urteile können wahr 
oder falsch sein. In der heutigen Terminologie spricht man an Stelle von 
"Urteilen" meist von "Aussagen" oder "Behauptungen".
Kant nennt neben der Unabhängigkeit von jeglicher Erfahrung zwei weitere Merkmale, an Hand derer man Urteile a 
priori als solche erkennen und von Urteilen a posteriori unterscheiden kann.
a) Notwendigkeit
Zum einen erkennt man Urteile a priori an dem 
Anspruch auf Notwendigkeit, mit dem sie auftreten. "Ein Satz, der 
zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, ... ist ... ein Urteil a 
priori" (S.46). "Notwendig" ist ein Urteil für Kant offenbar immer dann, wenn es 
nicht falsch sein darf. Der arithmetische Satz "7 + 5 = 12" enthält 
nach Kants Ansicht eine derartige Notwendigkeit. Die Addition von "7" und "5" zu einer Summe muss notwendiger Weise "12" ergeben. 
Etwas 
anderes ist nicht möglich.
Diesen Anspruch auf notwendige Geltung besitzen aus der Erfahrung stammende 
Erkenntnisse nicht. "Aus der Erfahrung gewonnene Urteile a posteriori lehren uns 
zwar, dass etwas so oder so beschaffen ist, aber nicht, dass es nicht anders 
sein könne" (S.46). Wenn ich z. B. sehe, dass 
ein bestimmtes Fenster geschlossen ist, so bedeutet das nicht, dass das Fenster nicht auch 
hätte offen sein können. Solche Urteile werden auch als "kontingent" bezeichnet 
(von lateinisch 'contingere' = 'berühren'). 
b) Strenge Allgemeinheit
Das andere Merkmal, an dem man nach Kant ein 
Urteil a priori erkennen kann, ist die "strenge Allgemeinheit" (S.46), 
die in dem Urteil zum Ausdruck kommt. Wenn ein Urteil eine Regel beinhaltet, von 
der es keine Ausnahme geben darf, so haben wir eine Urteil von strenger 
Allgemeinheit vor uns.
Ein Urteil von strenger Allgemeinheit kann nicht auf Erfahrung beruhen.
Aus der Erfahrung können wir nur erkennen, dass es gewisse Regelmäßigkeiten 
gibt und dass eine bestimmte Regel bisher ohne Ausnahme gegolten hat. Man kann 
daraus jedoch nicht schließen, dass es nicht irgendwann doch eine Ausnahme von der 
Regel geben kann. 
[Kant unterlässt es zu fragen, ob die Einteilung der Urteile in Urteile a priori und 
Urteile a posteriori erschöpfend ist, ob es also Urteile gibt, die weder a priori noch a posteriori sind. 
Weiterhin untersucht Kant nicht, ob die drei Merkmale für 
Urteile a priori (Unabhängigkeit von der Erfahrung, Notwendigkeit und strenge 
Allgemeinheit) immer zu übereinstimmenden Resultaten führen.]
Kant nimmt anschließend noch eine andere Einteilung der Urteilen vor, indem er zwischen analytischen Urteilen und synthetischen Urteilen unterscheidet. Diese Einteilung bezieht sich auf den Erkenntnisgehalt der Urteile.
a) Analytische Urteile
Analytische Urteile (von griechisch 'analysis' 
= 'Auflösung') formulieren nach Kant das, was in einem Begriff "versteckter Weise 
enthalten ist" (S.52). Sie sind "Erläuterungen desjenigen ..., was in unsern 
Begriffen ... schon gedacht" (S.51) ist. Das heißt, dass analytische Urteile "die 
Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur auseinander setzen [in 
ihre Bestandteile zerlegen]" (S.51.)
 
So ist z. B. die Eigenschaft "räumlich ausgedehnt" im Begriff des "Körpers" 
bereits implizit enthalten bzw. wird als Teilbegriff "gedacht" (S.55), wie Kant sagt. Durch die 
Zergliederung des Begriffs "Körper" erhält man das analytische Urteil "Körper sind 
ausgedehnt". Durch dies Urteil wird die Bedeutung des Begriffs "Körper" nur 
erläutert und verdeutlicht. Man 
erweitert durch diese Analyse bzw. Zergliederung des Begriffs "Körper" jedoch nicht seine Erkenntnisse über Körper. 
[Kant erörtert nicht, wie sich analytische Urteile zu 
nominalen Definitionen und zu tautologischen Aussagen verhalten. 
Nominale Definitionen sind Sätze, die die Bedeutung von Wörtern festlegen (z. 
B.:"Ein 
unverheirateter Mann wird als 'Junggeselle' bezeichnet"). Solche Definitionen enthalten keine Erkenntnis über die 
Beschaffenheit der realen Welt. Sie können deshalb auch nicht wahr oder falsch 
sein. Es sind keine Urteile sondern Regelungen des Sprachgebrauchs. Es ist 
deshalb problematisch, wenn Kant von "analytischen Urteilen" 
spricht und diese nicht von nominalen Definitionen abgrenzt.  
Tautologien (griechisch 'dasselbe-sagen') sind Sätze, die das, was in einem 
Begriff bereits durch Definition an Bedeutung enthalten ist, noch einmal 
zusätzlich formuliert ("Peter ist Junggeselle und ist nicht verheiratet"). Der 
zweite Teil dieses Satzes ist ein tautologischer Satz, der dem ersten Teil keine 
Erkenntnis hinzufügt, sondern als nominale Definition die Bedeutung des 
Wortes "Junggeselle" erläutert. Wenn man eine Definition des Wortes 
"Junggeselle" geben will, so sollte man eindeutig 
formulieren: "Peter ist Junggeselle und das bedeutet per Definition, dass er nicht verheiratet 
ist." 
Offen bleibt außerdem die Frage, wie sich die analytischen Urteile Kants, die 
einen einzelnen Begriff in seine Bedeutungselemente zergliedern, zu Aussagen 
verhalten, die ein theoretisches Modell definieren bzw. konstruieren. 
Ein Beispiel hierfür ist der Satz aus dem Bereich 'Wirtschaft': "Die 
Anbieter sind bestrebt, für die von ihnen angebotenen Güter möglichst hohe 
Preise zu erzielen", den man so oder so ähnlich in Darstellungen von 
Modellen der Marktwirtschaft finden kann.]   
 
b) Synthetische Urteile  
Synthetische Urteile (von griechisch 'synthesis' 
= 'Zusammenstellung', 'Verbindung', 'Verknüpfung') erweitern nach Kant unser 
Wissen: "Wenn ich sage: 'Alle Körper sind schwer’, so ist das Prädikat ['schwer'] etwas ganz anderes, als das, was ich in dem bloßen Begriff eines 
Körpers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen Prädikats [er]gibt also 
ein synthetisch[es] Urteil" (S.53). 
Die Verbindung (Synthesis) zwischen dem Subjekt "Körper" und dem Prädikat "schwer" wird durch die Erfahrung begründet und fügt unserem Wissen eine 
Erkenntnis hinzu. Deswegen sind alle Urteile a posteriori immer auch synthetische 
Urteile im Sinne Kants. 
Die beiden Urteilsarten werden also danach unterschieden, ob sie eine 
zusätzliche Erkenntnis enthalten oder nicht.
[Kant erörtert nicht die 
Frage, ob 
es auch Urteile gibt, die weder analytisch noch synthetisch sind. Dies ist 
jedoch für die richtige Klassifizierung der Urteile von Bedeutung.]
5.)
 Kants Argumente für die Existenz synthetischer 
Urteile a priori
Kant war von der Frage ausgegangen, ob es 
eine von der Erfahrung unabhängige Erkenntnis, eine reine Vernunfterkenntnis 
gibt. 
Analytische Urteile sind zwar auch unabhängig von jeglicher Erfahrung und sind 
insofern a priori. Sie enthalten jedoch keine echte Erkenntnis und erweitern unser 
Wissen nicht. Analytische Urteile a priori werden 
lediglich für die Erläuterung der Begriffe 
benötigt und sind nicht das, was Kant sucht. 
Kant muss zeigen, dass es auch synthetische Urteile a priori gibt, 
also Urteile, die eine echte Erkenntnis enthalten, ohne sich in irgendeiner 
Weise auf Erfahrung zu stützen. Synthetische Urteile a priori wären die von Kant 
gesuchten Erkenntnisse, die allein der Vernunft entstammen. Beispiele hierfür 
sieht Kant in verschiedenen 
Bereichen.
6.) Die Sätze der Mathematik als 
synthetische Urteile a priori
Für Kant beruht die gesamte Mathematik auf reiner 
Vernunfterkenntnis: "Die Mathematik gibt uns ein glänzendes 
Beispiel, wie weit wir es, unabhängig von der Erfahrung, in der Erkenntnis a 
priori bringen können" (S.50). Wie Kant schreibt, sind 
"mathematische Urteile insgesamt synthetisch" (S.55) und "eigentliche 
mathematische Sätze jederzeit Urteile a priori" (S.56).
Kant erörtert seine Auffassung anhand des Satzes "7 + 5 = 12", eines 
Beispiels aus der Arithmetik (von griechisch: 'arithmetike techne' 
= 'Zahlenkunst'). 
Zum einen stellt Kant fest, dass
"7 + 5 = 12" ein Urteil a priori ist, 
denn der Satz enthält eine Notwendigkeit seiner Geltung, die nicht aus der Erfahrung stammen 
kann. Die Addition von "7" und "5" zu einer Summe muss notwendiger Weise "12" ergeben. 
Etwas 
anderes ist nicht möglich.
Zum andern ist Kant der Ansicht, dass der arithmetische Satz "7 + 5 = 12" 
kein 
analytisches Urteil ist, das nur ausdrückt, was in den Begriffen 
an Bedeutung bereits enthalten ist.
In den Bedeutungen von "7", "5" und "Summe" 
ist die "12" für Kant 
nicht bereits unausgesprochen enthalten: "Der Begriff von Zwölf ist keineswegs dadurch schon gedacht, dass ich mir bloß jene Vereinigung von Sieben 
und Fünf denke" (S.56).
Erst wenn man die Anschauung zu Hilfe nimmt und z. B. die 5 Finger einer Hand 
einzeln 
nacheinander zur 7 hinzuzählt, gelangt man zum Resultat "12". Deshalb kann es 
sich für Kant bei dem arithmetischen Satz "7 + 5 = 12" nicht um ein 
analytisches Urteil handeln sondern nur um ein 
synthetisches.
Damit ist für Kant nachgewiesen, dass der arithmetische Satz "7 + 5 = 12" 
ein synthetisches Urteil 
a priori ist.  
7.) Die Sätze der Geometrie als 
synthetische Erkenntnisse a priori
Auch die Sätze der Geometrie sind nach Kant  
synthetische Urteile a priori. Als Beispiel erörtert er den Satz: "Die kürzeste 
Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine gerade Linie" (S.57). 
Der genannte Satz ist für Kant nicht analytisch, denn "mein 
Begriff vom Geraden enthält nichts von Größe .... Der Begriff des 
Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem 
Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Man muss die Anschauung 
hinzuziehen, vermittelst deren [d. h. durch die] allein die Synthesis 
[des Geraden und 
des Kürzesten] möglich ist" (S.57). 
Folglich muss es sich um ein synthetisches Urteil handeln.
Weiterhin beinhaltet der Satz eine strenge Notwendigkeit. D. h. dass in jedem 
Fall die gerade Linie (und nur diese) die kürzeste Verbindung zwischen zwei 
Punkten darstellt. Damit weist sich der Satz für Kant als ein Urteil a priori 
aus. 
Folglich handelt es sich bei dem geometrischen Satz 
"Die 
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist e
ine gerade Linie" ebenfalls um ein 
synthetisches Urteil a priori.
8.) Die Prinzipien der Naturwissenschaft als synthetische Erkenntnisse a priori
Auch die Physik als 
Naturwissenschaft enthält nach Kant synthetische Urteile a priori als Prinzipien 
in sich. Als Beispiel nennt Kant den Satz, "dass in allen Veränderungen der 
körperlichen Welt die Quantität der Materie unverändert bleibe" (S.58). 
Wegen der damit zugleich gedachten Notwendigkeit kann dieser Satz nicht der 
Erfahrung entspringen sondern muss nach Kant ein Urteil a priori sein. 
Er ist außerdem nicht analytisch, denn zum Begriff der Materie gehört zwar, 
dass sie einen Raum ausfüllt, jedoch nicht, dass sie nicht verringert oder 
vermehrt werden kann.
Kant zieht hieraus den Schluss, dass der physikalische Satz "In allen 
Veränderungen der körperlichen Welt bleibt die Quantität der Materie 
unverändert" ebenfalls ein synthetisches Urteil a priori darstellt.
 
9.) Das Prinzip der Kausalität 
  
als synthetische Erkenntnis a priori
Ein weiteres Beispiel für ein synthetisches 
Urteil a priori ist für Kant der Satz: "Alles, was 
geschieht, hat seine Ursache" (S.54). 
Auch dieser Satz ist gemäß Kant nicht analytisch, denn im Begriff des Geschehens 
ist dessen Ursächlichkeit nicht implizit enthalten: "Der 
Begriff einer Ursache liegt ganz außer jenem Begriffe [des Geschehens], und zeigt etwas von dem, was geschieht, Verschiedenes an, ist also 
... gar nicht mit enthalten" 
(S.54). Folglich muss der Satz synthetisch sein 
- es sei denn, die Einteilung der Urteile in analytisch und synthetisch wäre 
nicht erschöpfend und es gäbe Urteile, die weder analytisch noch synthetisch 
sind. 
Der Satz "Alles, was geschieht, hat seine Ursache" entspringt nach Kant 
außerdem 
nicht der Erfahrung sondern ist eine Erkenntnis a priori, also aus reiner 
Vernunft: "Erfahrung kann es nicht sein, weil der angeführte Grundsatz nicht allein mit größerer 
Allgemeinheit, sondern auch mit dem Ausdruck der Notwendigkeit ... diese zweite 
Vorstellung [ Ursache] zu der ersteren 
[Geschehen] hinzufügt" 
(S.54f.). 
 
10.)  
Begriffe aus reiner Vernunft
Für Kant haben nicht nur Urteile sondern auch 
bestimmte Begriffe einschließlich ihrer Bedeutung ihren Ursprung im 
Erkenntnisvermögen a priori, in der reinen Vernunft: "... Nicht bloß in 
Urteilen, sondern selbst in Begriffen zeigt sich ein Ursprung einiger derselben 
a priori" (S.48).
So ist auch der Begriff der "Ursache" für Kant offenbar von der Vernunft vorgegeben und kann deshalb 
nur in einer bestimmten Weise interpretiert werden.  
Der Begriff der Ursache enthält 
"den Begriff einer Notwendigkeit der Verknüpfung 
[der 
Ursache] mit einer Wirkung 
und einer strengen Allgemeinheit der Regel" 
(S.47).
Der Begriff der Ursache lässt sich deshalb nicht ableiten "von einer öfteren 
Beigesellung 
[d. h. von einem häufigen Zusammentreffen] dessen was geschieht, 
mit dem was 
[zeitlich] vorhergeht 
[also 
der Ursache], und einer daraus 
entspringenden Gewohnheit ..., Vorstellungen zu verknüpfen" (S.47).
Damit bezieht sich Kant kritisch auf Hume, der die Ansicht 
vertritt, dass das Kausalprinzip ein psychisches Phänomen ist. Nach Hume 
interpretieren wir in die regelmäßige Abfolge zweier Phänomene das Wirken eines 
Naturgesetzes nur hinein.
Kant demonstriert sein Konzept der "Begriffe a priori" am Beispiel des Begriffs "Körper": "Lasst von eurem 
Erfahrungsbegriffe eines Körpers alles, was daran empirisch ist, nach und 
nach weg: die Farbe, die Härte oder Weiche, die Schwere, selbst die 
Undurchdringlichkeit, so bleibt doch der Raum übrig, den er  
[der Körper] 
... einnahm, und den könnt ihr nicht weglassen" 
(S.47). "Ihr müsst also, überführt durch die Notwendigkeit, 
womit sich dieser Begriff euch aufdringt, gestehen, dass er 
in eurem 
Erkenntnisvermögen a priori  
seinen Sitz habe" 
(S.48).
[Wenn es Begriffe gibt, die nicht Konventionen des 
Sprachgebrauchs sind, sondern die allein durch die Vernunft vorgegeben sind, so 
müssen diese Begriffe aus der Vernunft richtig abgeleitet werden. Misslingt 
dies, so erhält man nicht die richtigen Begriffe mit der richtigen Bedeutung. 
Die Beispiele und Argumente, die Kant hierzu in der Einleitung gibt, reichen für 
eine kritische Diskussion nicht aus. So gehört m. E. die Form eines 
Körpers, also seine Höhe, Tiefe und Breite, ebenfalls zu seinen empirisch 
wahrnehmbaren, sogar messbaren Eigenschaften. Es stimmt deshalb nicht, dass der 
Raum übrig bleibt, den der Körper einnimmt, wenn man alles wegdenkt, was daran 
empirisch ist.] 
II. Kritik
11.) Vorbemerkung: Schwierigkeiten der Kantkritik
Kant hat für sein philosophisches 
System eine eigene Begrifflichkeit geschaffen. Er gibt bestimmten Wörtern 
eine Bedeutung, die sich nicht immer mit der üblichen Verwendung dieser Wörter deckt 
(wie z. B. "Wille", "Vernunft", "Begriff", "Metaphysik", "Anschauung", "Vorstellung", 
"Notwendigkeit" oder "Erkenntnis a priori und a posteriori"). 
Er bildet auch neue Begriffe (wie z. B. "Ding an sich", "transzendentale 
Deduktion", "synthetisches und analytisches Urteil" oder "hypothetischer und 
kategorischer Imperativ"), deren Bedeutung man erst erlernen muss. 
Außerdem muss man beachten, dass Kant ungewohnte Fragen stellt. Während z. B. 
üblicherweise nach den Kriterien für die Gültigkeit bestimmter Aussagen gefragt 
wird ("Woran erkennt man, ob eine Aussage wahr ist?"), fragt Kant nach den 
"Bedingungen der Möglichkeit" bestimmter Erkenntnisse.
Voraussetzung für eine produktive Auseinandersetzung mit der Kantschen 
Philosophie ist die gründliche Klärung und Erläuterung der verwendeten 
Begriffe. Ohne diese Vorarbeit argumentiert man verständnislos an Kants philosophischen Intentionen vorbei. 
Allerdings darf man dabei nicht in den Fehler verfallen, die Kantschen Begriffe wieder 
nur mit Kantschen Begriffen zu erläutern, denn auf diesem Wege kann man 
keine kritische Distanz dazu gewinnen. 
Noch eine Anmerkung: Kant wird weithin als der bedeutendste deutsche Philosoph 
angesehen. Kritik an einer seiner Schriften wird manchmal mit dem Argument 
zurückgewiesen, man habe Kant hier nicht richtig verstanden und müsse noch 
dieses und jenes Buch von ihm mit heranziehen, bevor man sich ein Urteil 
erlauben könne. Diese Form der Abwehr von Kritik ist nicht berechtigt, 
insbesondere angesichts des Umfangs und der sprachlichen Form von Kants Werken. 
Wie jeder andere Autor, so muss es sich auch Kant gefallen lassen, dass der 
Leser von ihm verlangt, dass er seine Behauptungen auch an der Stelle 
begründet, wo er sie aufstellt. Wenn in einer Schrift Begriffe benutzt werden, 
die nicht hinreichend erläutert werden, und wenn Prämissen benutzt werden, die 
nicht hinreichend begründet werden, so geht ein dadurch entstehendes 
Missverständnis immer zu Lasten des Autors und nicht des Lesers.
 
12.) Die Sätze der Mathematik und ihr Bezug zur Wirklichkeit
Nach Kants Ansicht handelt es sich bei 
mathematischen Sätzen um synthetische Urteile a priori, d. h. um echte 
Erkenntnisse, die jedoch nicht der Erfahrung entstammen. Sind die von Kant dazu 
vorgetragenen Argumente stichhaltig?
a.) 
Dass ein arithmetischer Satz wie "7 + 5 = 12", den Kant als Beispiel 
nimmt, nicht der Erfahrung entnommen 
ist und somit 
nicht a posteriori sondern a priori ist, ist wohl unstrittig. Mathematiker treiben keine empirische Forschung sondern 
gewinnen ihre Ergebnisse in erster Linie durch konstruktives und logisches Denken. 
Die mathematischen Sätze sind mit einer Notwendigkeit wahr, die empirischen 
Urteilen fehlt. Darin ist Kant zuzustimmen. 
b.)
Weit schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob mathematische Sätze synthetisch sind, 
d.h. nach Kant, ob sie eine echte Erkenntnis enthalten und zu dem, was wir 
bereits wissen, etwas hinzufügen. Kant ist dieser Meinung und er begründet dies 
damit, dass bei einem 
analytischen Urteil wie "Körper sind ausgedehnt" das Prädikat "ausgedehnt" 
bereits im Begriff "Körper" gedacht ist. Bei einer Rechenaufgabe wie "7 + 5" ist 
jedoch das Resultat "12" nicht bereits gedacht. 
 
 Dieser Unterschied besteht in der Tat zwischen den beiden Beispielen. Er bildet 
für Kant die Begründung, warum es sich bei dem mathematischen Satz nicht um ein 
analytisches Urteil handeln kann.
Aber soll man deswegen einen Satz wie "7 + 5 =12" als ein synthetisches Urteil 
verstehen, wie Kant es tut? 
 
 Der beschriebene Unterschied könnte ja auch allein auf der unterschiedlichen 
Komplexität beider Fälle beruhen, also darauf, dass es sich das eine mal um 
einen einzelnen Begriff (Körper) handelt, während es das andere mal (Satz der 
Arithmetik) um ein komplexes mathematisches Modell 
handelt. Sowohl der definierte Begriff als auch das konstruierte Modell bestehen 
aus Definitionen und Setzungen und sowohl die Erläuterung eines Begriffs als auch der 
arithmetische Satz ergeben sich zwingend aus dem, was man zuvor selber entworfen 
hat.
c.) Da die folgende Argumentation davon ausgeht, dass es sich bei der 
reinen Mathematik um gedanklich konstruierte Modelle handelt und dass die 
Ergebnisse der Mathematik erstmal nur Erkenntnisse bezogen auf das Modell sind, 
soll diese Position in Bezug auf die Arithmetik kurz begründet werden.
Was spricht für die Annahme, dass die mathematischen Sätze keine Aussagen über 
die Beschaffenheit der realen Welt machen sondern nur über gedankliche Modelle?
In den Definitionen und Regeln der Arithmetik ist festgelegt, 
welche Anforderungen an die Mengen, Elemente, Zahlen, Rechenoperationen und Symbole gestellt werden. Diese Anforderungen werden durch die 
empirisch vorhandenen Bedingungen jedoch nicht immer erfüllt.
So sind die gedanklich bestimmten Einheiten der Arithmetik als abzählbare 
gleichartige unveränderliche Elemente definiert, die auch durch die mit ihnen durchgeführten Rechenoperationen (z. 
B. Hinzufügen bei der Addition) keinerlei Veränderungen unterliegen. 
Bei der tatsächlich stattfindenden Behandlung empirischer Elemente können 
Veränderungen jedoch nicht so ohne weiteres ausgeschlossen werden, z. B. wenn 
man Eiswürfel zu 
anderen Eiswürfeln in einem heißen Topf hinzufügt.  
Eine Rechenoperationen wie z. B. die Addition "7 + 5", vollzieht sich 
im Modell zeitlos, 
während eine reale Handlung wie z. B. das Hinzufügen von 5 Äpfeln zu bereits 
vorhandenen Äpfeln immer Zeit erfordert. Während dieses Zeitraums müssen die 
Äpfel erhalten bleiben und dürfen sich nicht zersetzen, wenn man das 
mathematische Modell der Addition auf den realen Vorgang anwenden will. 
Das Zählen im mathematischen Modell ist fehlerfrei, 
während bei empirisch durchgeführten Zählungen die verschiedensten Fehlerquellen 
existieren, z. B. wenn Äpfel gezählt werden und ein scheinbarer Apfel in Wirklichkeit eine Quitte ist. 
Dieser Fehler kann im mathematischen Modell nicht passieren, denn dort sind 
die Elemente per Definition gleichartig und gehören zu einer bestimmten Menge.
Der arithmetische Satz, der im Modell notwendigerweise richtig ist, kann also 
bei seiner Anwendung auf die reale Welt die Richtigkeit des Ergebnisses nicht garantieren. Ob 
z. B. die Zahlenwerte einer Berechnung stimmen, ist 
keine mathematische Frage sondern eine empirische Frage.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass mathematische Sätze - für sich genommen - 
nichts über die Beschaffenheit der realen Welt aussagen. Die Mathematik liefert 
zwar Erkenntnisse, aber dies sind nur Erkenntnisse über das mathematische Modell 
selber. Eine Anwendung der mathematischen Sätze auf die reale Welt ist nur 
dann möglich, wenn sich ein Bereich im Sinne des mathematischen Modells 
interpretieren lässt und die vorgegebenen Bedingungen erfüllt. Ob dies der Fall 
ist, kann die Mathematik nicht selber entscheiden, da dies eine empirische Frage 
ist. 
d.) Wenn die  Mathematik im beschriebenen Sinne einen 
Modellcharakter besitzt, so kann sie keine direkten Erkenntnisse über die 
Beschaffenheit der realen Welt liefern. Dies spricht dafür, die Sätze der 
Mathematik als "analytische Sätze" anzusehen, aber eine solche Entscheidung 
lässt sich eigentlich nur dann schlüssig treffen, wenn zuvor genauer definiert 
ist, was unter einer echten Erkenntnis, unter einer Erweiterung unseres Wissens 
verstanden werden soll.
Die Antwort auf die Frage, ob es synthetische Urteile a priori gibt, 
hängt letztlich offenbar davon ab, wie man definiert, was ein analytisches und was 
ein synthetisches Urteil ist, d. h. wie man diese Begriffe gebrauchen will - wenn 
man sie überhaupt benutzen will, denn wie man sieht, wirft deren Anwendung erhebliche 
Probleme auf. 
Betrachtet man die Erkenntnisse in Bezug auf ein mathematisches 
Modell als echte Erkenntnisse und ordnet man die mathematischen Sätze in die 
Rubrik "synthetische Urteile" ein, so verschwimmt die Grenze zwischen dem 
synthetischen und dem analytischen Urteil, denn Aussagen, die 
logisch-mathematisch aus einem Modell abgeleitet werden, beruhen ähnlich 
wie die zergliedernden analytischen Aussagen allein auf den Prämissen und Definitionen des 
Modells. 
Wenn man die mathematischen Sätze als synthetische Urteile a priori bezeichnet, 
so wäre allerdings das, was 
die Vernunft an Erkenntnis liefert, nicht mehr spektakulär, denn die 
mathematische Vernunfterkenntnis bliebe auf Objekte beschränkt, die von den 
Menschen selbst konstruiert und definiert wurden. Dem könnten auch Empiristen zustimmen. 
13.)
Die Sätze der   
Geometrie und ihr Bezug zur 
Wirklichkeit
In Bezug auf die Sätze der Geometrie ergibt sich Ähnliches wie bei den Sätzen 
der Arithmetik. Der Satz des Pythagoras z. B. ergibt sich nicht aus einer 
Bedeutungsanalyse von Begriffen wie "rechtwinkliges Dreieck", "Quadrat", "Hypotenuse" 
etc. Ob man allerdings die geometrischen Sätze 
deshalb als synthetisch bezeichnen sollte, ist sehr fraglich, denn die 
Euklidische Geometrie ist wie die Arithmetik ein theoretischer Entwurf, ein 
gedanklich konstruiertes Modell, 
das als solches nichts über die Beschaffenheit der realen Welt aussagt. 
Kant wählt als Beispiel den Satz: "Eine Gerade ist die kürzeste 
Verbindung zwischen zwei Punkten". Sagt dieser geometrische Satz etwas über die Wirklichkeit aus? Man muss 
diese Frage verneinen, denn noch niemand hat einen - ausdehnungslosen - geometrischen Punkt gesehen. Der Punkt in der Geometrie ist 
kein empirisch wahrnehmbarer, sondern ein theoretisch definierter Punkt. 
Entsprechendes gilt für andere Gebilde der Geometrie.
 
Bei den Punkten, Linien, Flächen und Körpern der Geometrie handelt es sich, wie 
aus deren Definitionen ersichtlich wird, nicht um etwas empirisch Vorhandenes, 
sondern um etwas gedanklich Konstruiertes, um ein theoretisches Modell. Nur über diese 
"idealen" Gebilde wie Punkte, Linien, Dreiecke oder Kugeln sagt die Geometrie 
als solche etwas aus. 
Allerdings lassen sich bestimmte Bereiche der Realität im Sinne der 
geometrischen Modelle interpretieren. So lässt sich das abgesägte Stück eines 
gerade gewachsenen Fichtenstamms als Zylinder interpretieren, weil es annähernd 
zylindrisch geformt ist. 
Wenn sich Bereiche der Wirklichkeit durch geometrische Gebilde interpretieren 
lassen, dann lassen sich die an den theoretischen Modellen gefundenen 
Zusammenhänge und Verhältnisse auf die Wirklichkeit übertragen. Wenn ein Stück 
vom Baumstamm als Zylinder interpretiert werden kann, dann lässt sich z. B. das Volumen 
des Holzstücks durch die für Zylinder geltende Formel berechnen.
Aber es gibt auch Bereiche, in denen das Modell der Euklidischen Geometrie nicht 
angewandt werden kann. Das Wort "Geometrie" kommt ja aus dem Griechischen und 
heißt soviel wie "Erdausmessung". Aber gerade bei den großen Erdkarten konnte 
die Euklidische Geometrie nicht problemlos angewandt werden, weil die Erde eine 
Kugel ist und die Euklidische Geometrie die Voraussetzung ebener Flächen macht. 
Es musste deshalb für die Verhältnisse der Erdoberfläche eine sphärische 
Geometrie entwickelt werden. In dieser ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei 
Punkten keine Gerade.
14.) 
Gibt es
Prinzipien der Naturwissenschaften aus reiner 
Vernunft? 
Kant ist der Meinung, dass auch die  
Naturwissenschaften Prinzipien enthalten, die nicht der Erfahrung entstammen 
sondern synthetische Urteile a priori sind. Als Beispiel nennt Kant den Satz, "dass in allen Veränderungen der 
körperlichen Welt die Quantität der Materie unverändert bleibe" (S.58). 
Dies Beispiel ist jedoch durch die Entwicklung der Physik in den 200 Jahren seit 
Kant unbrauchbar geworden. Durch die Spaltung von Atomkernen wird die Quantität 
der Materie verringert und Energie freigesetzt.  
Wenn man das von Kant gewählte Beispiel so versteht, dass Materie und Energie 
ineinander umwandelbar sind, so kommt man zu dem Satz, 
dass in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quantität 
von Materie/Energie in geschlossenen Systemen unverändert bleibt. Dies ist für 
die heutige Naturwissenschaft jedoch kein Prinzip aus reiner Vernunft, sondern 
ergibt sich aus empirischen Messungen. In der Kantschen Terminologie ausgedrückt 
handelt es sich demnach bei Kants Beispiel um ein synthetisches Urteil a posteriori. 
 
15.) Ist das Kausalitätsprinzip eine Erkenntnis aus reiner Vernunft? 
Um die Frage zu beantworten, ob es sich bei dem 
Satz: "Alles, was 
geschieht, hat seine Ursache" (dieser Satz wird im Folgenden als "Satz 
1" bezeichnet) um ein synthetisches Urteil a priori handelt, wie 
Kant meint, ist vorweg der Begriff der "Ursache" zu klären. Ein Geschehen 
'u' ist 
für Kant dann die Ursache eines anderen Geschehens 'w', wenn w auf u regelmäßig, 
also mit strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit folgt. 
Die Gründe, die Kant für seine Auffassung angibt, erscheinen plausibel: 
Um ein analytisches 
Urteil handelt es sich bei Satz 1 nicht, denn im Begriff des "Geschehens" ist der Begriff der 
"Ursache" nicht enthalten. Dies ist wohl unstrittig. 
Weiterhin handelt es sich bei Satz 1 nicht um ein Urteil a posteriori. Erfahrung kann uns sagen, dass 
ein Geschehen w 
regelmäßig nach dem Geschehen u auftritt. Erfahrung kann aber nicht sagen, ob es so bleiben wird. Erfahrung kann uns 
erst recht nicht sagen, dass für jedes beliebige Geschehen y gilt, dass es 
regelmäßig nach einem bestimmten anderen Geschehen x auftritt.  Es kann 
sich bei Satz 1 folglich nicht 
um eine Erkenntnis a posteriori handelt, die der Erfahrung entstammt. 
Wenn jede Erkenntnis entweder a priori oder a posteriori ist und wenn jedes 
Urteil entweder analytisch oder synthetisch ist, dann wäre der Satz: "Alles, was 
geschieht, hat seine Ursache" damit ein synthetisches Urteil a priori und 
Kant hätte recht.
Aber betrachten wir Satz 1 etwas näher. Worüber sagt Satz 1 etwas 
aus?
Der Satz: "Alles, was geschieht, hat seine Ursache" scheint etwas über die 
Beschaffenheit der realen Welt auszusagen. Aber er kann offenbar nicht durch 
Erfahrung widerlegt werden.
Auch die Tatsache, dass etwas geschieht, dessen Ursache unbekannt ist, steht 
nicht im Widerspruch zu Satz 1, denn es kann ja dafür eine Ursache geben, die 
wir nicht kennen. 
Nur wenn man ein Geschehen ausmachen könnte, von dem feststeht, dass es keine 
Ursache hierfür gibt, wäre Satz 1 widerlegt.
Die Quantenphysik ist offenbar zu derartigen Ergebnissen bei der Erforschung des 
subatomaren Bereichs gekommen. Wenn dies stimmt, dann wäre Satz 1 
wissenschaftlich falsifiziert und könnte kein Beispiel für einen synthetisches 
Urteil a priori abgeben. Dieser Argumentationsstrang soll hier jedoch 
nicht weiter verfolgt werden.
16.)
Sind modelltheoretische Aussagen a priori oder a posteriori?
Die Brauchbarkeit der Kantschen Unterscheidung zwischen 
Erkenntnissen a priori und Erkenntnissen a posteriori sowie die Unterscheidung 
von analytischen Urteilen und synthetischen Urteilen muss sich in der Anwendung 
dieser Begriffe erweisen. Im Folgenden soll demonstriert werden, dass die von 
Kant gegebenen Definitionen dieser Urteilsarten in der Anwendung auf Aussagen in 
theoretischen Modellen problematisch sind. 
In den 
Sozialwissenschaften spielen theoretische 
Modelle eine wichtige Rolle. Ein bekanntes Beispiel ist das Modell der 
Marktwirtschaft unter der Bedingung vollkommener Konkurrenz. 
In einem solchen Modell werden verschiedene Akteure (Produzenten, Konsumenten 
etc.) angenommen, die sich in einer bestimmten Weise verhalten. So wird in dem 
klassischen Modell der Marktwirtschaft angenommen: "Die Unternehmer streben nach 
einer Maximierung des Gewinns." 
Hier stellt sich die Frage, ob es sich bei einer derartigen Modellaussage um ein 
Urteil a priori oder um ein Urteil a posteriori handelt.
Modellaussagen werden zwar direkt oder indirekt auf die erfahrbare Wirklichkeit 
angewendet, sie entstammen jedoch nicht der Erfahrung. Modellaussagen werden 
theoretisch konstruiert. Insofern handelt es sich bei strikter Anwendung der 
Kantschen Definitionen nicht um Urteile a posteriori 
sondern um Urteile a priori. 
Neben der Unabhängigkeit von aller Erfahrung nennt Kant jedoch noch zwei weitere 
Merkmale für Urteile a priori: Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit. 
Die geforderte Notwendigkeit trifft für Modellannahmen offenbar nicht zu.
Wenn die Ausgangsbedingungen eines theoretischen Modells einmal festgelegt sind, 
ergibt sich zwar alles Weitere mit logischer Notwendigkeit. Es ist dem 
Konstrukteur eines theoretischen Modells jedoch unbenommen, die Modellannahmen 
abzuwandeln, um zu sehen, was sich unter den veränderten Bedingungen ergibt.
Auch die Begrifflichkeit eines theoretischen Modells ist veränderbar und kann 
den Aufgaben angepasst werden, die das Modell erfüllen soll. 
Den Modellaussagen fehlt somit die Notwendigkeit im Kantschen Sinne. Folglich 
kann es sich bei diesen auch nicht um Urteile a priori handeln.
Ergebnis dieser Überlegungen ist, dass es sich bei den Aussagen über theoretisch 
entworfene Modelle oder Idealtypen weder um Urteile a priori noch um Urteile a 
posteriori im Sinne Kants handelt. Zu diesem problematischen Ergebnis hat vor 
allem der Umstand beigetragen, dass Kant die Urteile a posteriori nicht von 
ihrem Aussagebereich her sondern von ihrem Ursprung her definiert.  
17.)
Die problematische Einteilung der Urteile 
nach ihrer Quelle (a priori und a posteriori)
Kant nimmt zwei unterschiedliche 
Erkenntnisvermögen an, die Erfahrung und die Vernunft. Entsprechend ihrer 
Herkunft aus einer der beiden Quellen unterteilt er die Urteile in Urteile a 
posteriori (aus der Erfahrung) und Urteile a priori (aus der Vernunft). 
Daraus ergeben sich allerdings Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, 
ob ein bestimmtes Urteil a posteriori ist oder nicht, denn ein Satz, der etwas 
über die erfahrbare Wirklichkeit aussagt, muss deshalb nicht der Erfahrung 
entstammen.
 
Dazu ein Beispiel.
Frau Krüger hat einen Bruder, der ausgewandert ist und zu dem sie jeglichen 
Kontakt verloren hat. Sie möchte nur zu gern wissen, ob ihr verschollener Bruder 
noch lebt.
Wenn ein Freund ihres Bruders, der dem Bruder in Südamerika persönlich begegnet 
ist, versichert: "Dein Bruder lebt", so handelt es sich hier zweifellos um eine 
Urteil a posteriori im Sinne Kants.
Was ist jedoch, wenn das Urteil "Dein Bruder lebt" von einem Hellseher geäußert 
wird, nachdem er die Karten gelegt hat?
Wenn man Kants Definition folgt, so handelt es sich bei der Äußerung des 
Hellsehers nicht um ein Urteil a posteriori, denn es entstammt nicht der 
sinnlichen Erfahrung sondern den übersinnlichen Fähigkeiten des Hellsehers. 
Es ist demnach möglich, dass ein und derselbe Satz in dem einen Fall ein Urteil 
a posteriori ist und im andern Fall kein Urteil a posteriori ist.
 
Man kann dies problematische Ergebnis dadurch beseitigen, dass man darauf 
verweist, dass Kant ja nur Vernunft und Erfahrung als Quellen der Erkenntnis 
anerkennt, nicht jedoch übersinnliche Wahrnehmung, Träume oder göttliche 
Offenbarung etc.
Demnach wäre der Satz des Hellsehers "Dein Bruder lebt noch" wegen seiner 
Herkunft aus übersinnlicher Wahrnehmung gar keine Erkenntnis.
Dadurch schafft man sich jedoch ein anderes Problem, denn nun kann paradoxer 
Weise der Satz des Hellsehers wahr sein, obwohl es sich dabei gar nicht um eine 
Erkenntnis handelt.
Man kann dies Problem noch etwas weiter fassen und die Frage stellen: Kann es 
gemäß Kant Urteile geben, die einem Erkenntnisvermögen entstammen und trotzdem 
keine Erkenntnis darstellen, weil sie falsch sind?
Dazu ein anderes Beispiel.
Peter sieht am Himmel Zugvögel und ruft: "Da oben fliegen Wildgänse", Dies 
Urteil entstammt unstreitig dem Erkenntnisvermögen der Erfahrung und es handelt 
sich folglich um ein Urteil a posteriori im Sinne Kants
Trotzdem muss es sich dabei nicht um eine Erkenntnis handeln. 
Denn wenn die vogelkundige Anne Peter korrigiert und entgegnet: "So schreien 
keine Wildgänse, das sind Kraniche", dann handelte es sich bei Peters Satz "Da 
oben fliegen Wildgänse" überhaupt nicht um eine Erkenntnis.  Dies gilt zumindest 
dann, wenn als "Erkenntnis" nur die 
richtige Antwort auf eine gestellte Frage bezeichnet wird. 
Auch die von Kant vorgenommene 
Sortierung der Elemente des Erkenntnisprozesses nach den zwei Quellen "reine 
Vernunft" und "Erfahrung" erscheint keineswegs als zwingend. Zum Beispiel ist kein 
Grund ersichtlich, die Formen der Dinge nicht der Erkenntnisquelle "Erfahrung" zuzuordnen.
Wenn ich in meiner linken Hand ein Hühnerei habe und in der rechten Hand einen 
Würfel, so sagt mir mein Tastsinn, dass der Gegenstand in meiner linken Hand 
eiförmig ist und der Gegenstand in meiner rechten Hand würfelförmig ist.
Dass durch eine andere Zuordnung der 
Elemente u. U. das gesamte kunstvoll errichtete Theoriegebäude ins Wanken kommen 
würde, erkennt man an der zentralen Rolle, die Ausdrücke wie "Form der 
Anschauung" darin spielen.
Die aufgezeigten Schwierigkeiten lassen sich vermeiden, wenn nicht die Herkunft 
aus einer bestimmten Quelle über die Einteilung der Urteile entscheidet, sondern 
die Klassifikation nach der Art des anzuwendenden Überprüfungskriteriums 
erfolgt. 
Anstatt von Erkenntnissen a posteriori zu sprechen, erscheint es sinnvoll, von 
"faktischen" oder "positiven" (von lateinisch: 'positivum’ = das Gegebene) 
Behauptungen zu sprechen. "Positiv" sind all diejenigen Behauptungen, die etwas 
über die Beschaffenheit der gegebenen Wirklichkeit beinhalten.
Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher Quelle diese Behauptungen stammen oder 
ob sie richtig oder falsch sind. 
Das Kriterium für die Richtigkeit einer positiven Behauptung ist die 
intertemporal 
und intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmung dessen, was diese Behauptung 
beinhaltet. 
***
Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Kants Kritik und Neubegründung der Metaphysik *** (9K)
Kant: Der Kategorische Imperativ ** (21 K)
Kant: Der gute Wille als höchstes Gut ** (16 K)
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Urteile a priori"  
Letzte Bearbeitung 11.12.2008 / 29.07.2015 / Eberhard Wesche
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