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Immanuel Kant: Der Kategorische Imperativ
Dargestellt anhand der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"
Zitiert wird nach: W. Weischedel (Hg.): Immanuel Kant – Werkausgabe, Band VII
 erschienen im Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 3. Auflage 1977
Die Kant-Zitate wurden durch Zusätze in eckigen Klammern heutigen Lesern verständlicher gemacht
 
Inhalt:
            Darstellung:
1.
Die Gesetzesformel des Kategorischen Imperativs
2.
Kants Auffassung der menschlichen Erkenntnis 
3.
Der menschliche Wille ist nicht völlig der Vernunft gemäß
4.
Hypothetische Imperative und kategorische Imperative
5.
Die Gebote der Sittlichkeit sind kategorische Imperative
6.
Wie kann eine Handlung ohne Beziehung zu einem andern Zweck geboten sein?
7.
Die Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit als Grund für das Gebotensein der Moral
           
Kritik:
 8.
Problematische Vernunfterkenntnis
 9. Handlungsmaximen, die sich bei allgemeiner 
Befolgung selbst aufheben
10. Die Definition des Begriffs "kategorischer 
Imperativ"   und der Kantische Rigorismus
11.
Kritik an der Herleitung des Kategorischen Imperativs
12.
Unterschiedliche Ergebnisse bei 
unterschiedlichen sozialen Positionen 
13.
In bestimmten Fällen ist der direkte 
Handlungsbezug des Kategorischen Imperativs problematisch
Textanfang
Darstellung:
1.) 
Die Gesetzesformel des Kategorischen 
Imperativs  
Der "Kategorische Imperativ" Immanuel Kants (1724 - 1804), der von ihm in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (1785) entwickelt wird, ist wohl einer der bekanntesten Prüfsteine moralischen Handelns. Er wird meist in der folgenden Fassung zitiert (sogenannte 'Gesetzesformel'):
"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du 
zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."  
(Hier und im Folgenden zitiert nach Werkausgabe, Hg. W. Weischedel, Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag, Bd. VII, 
S.51.)
Etwas verwirrend ist, dass Kant den Kategorischen Imperativ 
unterschiedlich formuliert hat. Da die verschiedenen Formeln in ihrem Bedeutungsgehalt nicht völlig gleich sind, erscheint es 
angebracht, sich vorerst auf die Erörterung dieser einen Fassung des 
Kategorischen Imperativs zu beschränken.
Diese Fassung enthält eine Reihe von Ausdrücken, von denen nicht ohne weiteres 
feststeht, welche Bedeutung Kant mit ihnen verbindet. So ist die Rede von "Maximen"   
des Handelns, von "wollen 
können"   und von einem "allgemeinen Gesetz". Außerdem ist zu klären, warum diese 
Formel als "kategorischer Imperativ"   bezeichnet wird.
Um  
die Bedeutung dieser Ausdrücke und damit die Bedeutung des ganzen Satzes 
zu klären, 
soll der Gedankengang dargestellt werden, der Kant zum Kategorischen Imperativ führt. 
Dies wird allerdings dadurch erschwert, dass Kant dabei seine 
vorangegangenen Untersuchungen als bekannt voraussetzt (zu nennen ist insbesondere die vier Jahre zuvor erschienene "Kritik der reinen Vernunft", die als Kants Hauptwerk gilt). Außerdem 
hat Kant eine eigene Begrifflichkeit entwickelt, die sich 
nicht immer mit dem üblichen Sprachgebrauch deckt. Erschwerend kommt das Alter 
der Texte hinzu, mit heute unüblichem Satzbau und z. T. gewandelter 
Wortbedeutung, etwa eines Wortes wie "gemein".
2.)  Kants Auffassung von der menschlichen 
Erkenntnis
Kant übernimmt die traditionelle Dreiteilung der Philosophie in Physik, Ethik 
und Logik. Physik ist die Wissenschaft von den 
Naturgesetzen, nach denen alles geschieht. Ethik ist 
die Wissenschaft von den sittlichen Gesetzen, nach denen alles geschehen soll (S.11). (Anstelle 
von "sittlich"   und "Sittlichkeit"   sagt man heute meist "moralisch"   und "Moral".)
Der Mensch besitzt für Kant zwei Quellen der Erkenntnis: die Vernunft und die 
Erfahrung. 
Mit "Erfahrung" oder "Empirie" (griechisch empeiria) 
ist die Sinneswahrnehmung gemeint, also das, was man durch Sehen und Hören etc. 
erfährt. 
Durch den Gebrauch seiner Vernunft erkennt der 
Mensch die Ideen (z. B. Freiheit, Pflicht, Gesetz). Mit Hilfe der Vernunft 
bildet der Mensch auch bestimmte Begriffe. So entspringt für Kant der Begriff der 
"Pflicht"   
aus dem "Vernunftvermögen". 
Die von jeglicher Erfahrung unabhängige Theorie 
nennt Kant "Metapyhsik" (S.12). 
Solche Erkenntnis aus reiner Vernunft bezeichnet Kant auch als "Erkenntnis a 
priori"   (lateinisch: "von vornherein"), während eine Erkenntnis, an der die Erfahrung 
beteiligt ist, von ihm "Erkenntnis a posteriori"   (lateinisch: "im nachhinein") genannt wird. 
Die "Metaphysik der Sitten"   ist demnach die von jeder vorgängigen 
Erfahrung unabhängige Erkenntnis der sittlichen Gesetze allein mit den Mitteln 
der menschlichen Vernunft (S.11).
In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"   
wird das "oberste Prinzip der 
Moralität"   (S.16) bestimmt. Dies ist für Kant der Kategorische Imperativ. 
Dass es eine Moralphilosophie aus reiner Vernunft geben müsse, steht für Kant 
fest, denn dies "leuchtet von selbst 
aus der gemeinen [allgemein verbreiteten] Idee der Pflicht und der 
sittlichen Gesetze ein"   (S.13). 
Bemerkenswert ist Kants Argument, dass dabei die "moralischen Gesetze ... aus dem allgemeinen 
Begriffe eines vernünftigen Wesens überhaupt abzuleiten"   sind, weil sie "für jedes vernünftige Wesen überhaupt gelten sollen"   (S.40).  
3.)  Der menschliche Wille ist nicht völlig der Vernunft gemäß
Im Unterschied zu den Dingen der Natur, die dem Wirken der Naturgesetze 
unterliegen, hat ein vernünftiges Wesen "das Vermögen, nach der Vorstellung der 
Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln"   (S.41). Dies Vermögen bezeichnet Kant 
als "Willen". Die 
Vernunft erkennt die Prinzipien des Handelns "als praktisch notwendig, d. i. 
[das ist] als gut"   
(S.41). "Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, 
so ist der Wille nichts anderes, als praktische Vernunft"   (S.41). 
Für Kant ist der Mensch jedoch ein Wesen, dessen "Wille nicht völlig der Vernunft gemäß 
ist"   (S.41). 
Zwar kann der Mensch durch den Gebrauch seiner Vernunft erkennen, was moralisch gut ist, doch 
gehorcht 
der menschliche "Wille seiner Natur nach diesen 
[Gründen der Vernunft] nicht notwendig"   (S.41). Denn der menschliche Wille 
wird nicht nur durch Gesetze der Vernunft sondern auch durch "natürliche Triebfedern"   beeinflusst, die 
Kant "Neigungen"   nennt. 
Deshalb treten die Gesetze 
der Vernunft dem Menschen als Imperative oder Gebote gegenüber und werden durch 
ein Sollen ausgedrückt. Bei vollkommenen Vernunftwesen wird der 
Wille vollständig durch die Vernunft bestimmt, sodass die Moral für diese 
keinen 
Soll-Charakter besitzt.  
 
4.)  Hypothetische Imperative und kategorische Imperative
Wie Kant betont, ist nicht jedes Sollen ein moralisches Sollen und nicht jeder Imperativ 
ein 
moralischer Imperativ. Kant unterscheidet zwischen hypothetischen (von 
griechisch hypothesis "Annahme, Unterstellung"  ) und kategorischen (von 
griechisch kategorikos "behauptend") Imperativen. 
Zu 
den 
hypothetischen Imperativen gehören die 
Imperative der Geschicklichkeit ("Wenn 
man nicht will, dass die Milch beim Erhitzen anbrennt, dann muss man sie umrühren"). 
Auch bei den Imperativen der 
Klugheit ("Wer glücklich werden will, der darf nicht mit seinem Schicksal 
hadern") handelt es sich um hypothetische Imperative. 
 
Damit ein hypothetischer Imperativ für eine bestimmte 
Personen Geltung erlangt, muss angenommen werden, dass diese Person eine bestimmte Absicht hat ("Ich will, 
dass die Milch nicht anbrennt" oder "Ich will glücklich werden"). 
Sie gelten insofern nur bedingt (nur unter der Annahme bzw. der Hypothese, dass jemand diese Absicht 
hat).
Ein kategorischer Imperativ ist dagegen ein 
Imperativ, "der ohne irgendeine Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, 
dieses Verhalten unmittelbar gebietet ... "   Er stellt "eine Handlung als 
für sich selbst, ohne Beziehung zu einem andern Zweck, als objektiv-notwendig"   
hin. "Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr folgen 
soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie [die gute Handlung] selbst folgt ..."  (S.45).
5.)  Die Gebote der Sittlichkeit sind kategorische 
Imperative
Die Forderungen der Sittlichkeit 
oder Moral treten dem Menschen als Gebote gegenüber. "Gebote sind Gesetze, denen ... Folge geleistet werden muss"   
(S.46), auch wenn dies den eigenen Neigungen widerspricht. "Nur 
das Gesetz führt den Begriff einer unbedingten und 
zwar objektiven und mithin allgemein gültigen Notwendigkeit bei sich"   (S.46).  Dieser 
Gesetzescharakter unterscheidet die Moral z. B. von Ratschlägen zum eigenen Wohlergehen.
Bei den Gesetzen der Sittlichkeit kann es sich nicht um hypothetische Imperative 
handeln, denn "was bloß zur 
Erreichung einer beliebigen Absicht zu tun notwendig ist, besitzt nicht 
diejenige Notwendigkeit ..., welche wir zum [von einem] Gesetze verlangen"   (S.46). Nur 
ein kategorischer Imperativ hat diesen Gesetzescharakter. Deshalb
handelt es sich bei den Geboten der Sittlichkeit um 
kategorische Imperative.
6.)  Wie kann eine Handlung ohne Beziehung zu einem andern Zweck 
geboten sein?
Kant stellt dann in Bezug auf die kategorischen Imperative die Frage, "wie ... die Nötigung des Willens, die der Imperativ ... ausdrückt, 
gedacht werden könne"   (S.46). Er fragt: "Wie sind all diese 
Imperative möglich?"  
Diese etwas ungewöhnliche Fragestellung macht deutlich, dass es Kant bei seiner 
Untersuchung nicht um die 
Berechtigung von Moral überhaupt geht oder um deren Inhalte. Beides ist für Kant 
vorgegeben und unstrittig.
Kant will 
das Besondere an der Moral, das spezifisch Moralische aufdecken, indem er die besondere 
Art der "Nötigung des Willens"   durch die Gesetze der 
Moral aufzeigt.
Bei den Imperativen der Geschicklichkeit und der Klugheit 
ergibt sich das Tun-sollen, die "Nötigung des Willens",   problemlos aus den hypothetisch vorausgesetzten 
Absichten der jeweiligen Person selber: Wenn jemand nicht will, dass die Milch anbrennt, dann folgt daraus 
für ihn die Notwendigkeit, sie umzurühren. Wenn jemand glücklich werden will, dann folgt daraus 
für ihn die Notwendigkeit, bestimmte Handlungen - wie das Hadern mit dem eigenen Schicksal - zu 
unterlassen.  
Aber was nötigt die Menschen, die 
Gebote der Sittlichkeit zu befolgen? Wie kann eine Handlung 
unmittelbar - also ohne Beziehung zu einem andern Zweck - geboten sein? 
Wie kann eine solche Möglichkeit gedacht werden?
Durch ein faktisches Beispiel moralischen Verhaltens kann diese Möglichkeit 
nicht erwiesen werden, denn - wie Kant ausführt - ist es z. B. "immer möglich, 
dass insgeheim Furcht für Beschämung ... Einfluss auf den Willen"   (S.49) hat und die 
Befolgung des moralischen Gebotes bewirkt. Dann handelt es sich jedoch nicht 
mehr um einen 
kategorischen Imperativ, sondern um einen verdeckten hypothetischen Imperativ 
('Wenn Du nicht vor andern beschämt werden willst, dann musst Du die moralischen 
Gebote befolgen.') Deshalb kann die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs 
der Moral für Kant nur durch den Gebrauch der reinen Vernunft, also a priori erwiesen werden. 
 
7.)  Die Form der allgemeinen 
Gesetzmäßigkeit als Grund für das Gebotensein der Moral
Zum einen geht
Kant von
Menschen aus, die - mit einem Willen versehen - nicht völlig den Kausalgesetzen 
unterworfen sind, 
sondern nach bestimmten Grundsätzen bzw. Prinzipien handeln können. Kant nennt die Grundsätze, 
die sich ein Mensch für sein eigenes Handeln setzt, "Maximen". Die Maximen des Handelns können dabei von 
Mensch zu Mensch je nach Einsicht und Neigung verschieden sein. Eine Maxime meines Handelns könnte etwa lauten: 
'Meine Schulden zahle 
ich erst dann, wenn mir deswegen 
eine Klage vor Gericht droht'. 
Zum andern enthält jedes sittliche Gesetz in sich die unmittelbare 
kategorische Forderung, dass die Maximen des Handelns 
aller Menschen diesem Gesetz entsprechen. 
Die Frage ist: 'Was begründet für die Menschen die Pflicht, 
dieser Forderung Folge zu leisten?' 
Man könnte die Frage einfach beantworten und sagen: 'Die 
Furcht vor Strafe nötigt den Menschen, moralisch zu 
handeln.' Damit würde man aber dem moralischen Gesetz nicht gerecht, denn unser 
Gewissen sagt uns z. B., dass es auch dann nicht richtig ist, einen andern Menschen um 
des eigenen Vorteils willen zu belügen oder gar zu töten, wenn man keine Strafe 
deswegen befürchten müsste.
Als gläubiger Christ könnte Kant auch sagen: 'Ich bin genötigt, den moralischen 
Gesetzen Folge zu leisten, weil sie Gottes Gebot sind.' 
Aber dann wäre Kant kein Philosoph der Aufklärung, der sich allein auf die Vernunft 
stützt, sondern er wäre ein Theologe, der die göttliche Offenbarung 
auslegt.
Beide Lösungsmöglichkeiten scheiden also für Kant aus.
Kants Antwort lautet: 
Da ein kategorischer Imperativ keinen inhaltlich bestimmten Zweck 
enthält, auf den man sich berufen könnte (wie z. B. bei den Imperativen der 
Klugheit das Ziel, 
glücklich zu werden), 
bleibt nur 
noch die Form des Gesetzes, seine Allgemeinheit übrig. Der Allgemeinheit 
des Gesetzes muss 
die Maxime, die sich ein Individuum für sein eigenes Handeln setzt, entsprechen. 
Das heißt: Ein Mensch muss die Maximen seines Handelns - d. h. die 
selbstgesetzten Regeln seines Handelns - auch dann noch wollen können, wenn sie 
allgemein - also von jedermann - angewendet werden. Oder, um einen modernen 
Ausdruck zu verwenden: Die Maxime des Handelns muss "verallgemeinerbar" sein. 
Nur dann ist sie moralisch zulässig. 
Mit den Worten von Kant heißt das: Da ein kategorischer Imperativ "außer dem 
Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enthält, diesem Gesetz gemäß zu sein, 
das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war,  
so bleibt [als Grund für die Nötigung, dem Imperativ Folge 
zu leisten] 
nichts, als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll und welche Gemäßheit allein den Imperativ 
eigentlich als notwendig vorstellt"   (S.51). 
Daraus folgt für Kant der anfangs 
zitierte Kategorische Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du 
zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."   
Für Kant hat damit "eine Handlung ... ihren moralischen Wert nicht in der 
Absicht, die dadurch erreicht werden soll" (S.26), und auch "nicht in der 
Wirkung, die daraus erwartet wird" (S.27), sondern nur "in der Maxime, nach der 
sie beschlossen wird" (S.25). Wenn etwas "moralisch gut sein soll, ist es nicht 
genug, dass es dem sittlichen Gesetzte gemäß ist, es muss auch um desselben 
[Gesetzes] willen geschehen" (S.14) oder anders ausgedrückt: "Pflicht ist die Notwendigkeit 
einer Handlung aus Achtung fürs [vor dem] Gesetz" (S.26).     
Zur obigen Formulierung noch eine Anmerkung:
Man muss dabei beachten, dass Kant als "Wille" das Vermögen bezeichnet, 
gemäß Prinzipien der praktischen Vernunft zu handeln. Dies entspricht nicht dem 
üblichen Gebrauch des Wortes "Wille". In dem Ausdruck "wollen können" ist 
mit "wollen" also nicht 
irgendein Streben oder Begehren gemeint ist, sondern ausschließlich ein Wollen, das 
den Prinzipien der Vernunft entspricht und das deshalb diesen Prinzipien nicht widersprechen darf. Der kategorische Imperativ 
würde nach üblichem Wortgebrauch 
dann lauten: 'Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich
[vernünftig] wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.'
Kritik:
8.) Problematische Vernunfterkenntnis
Wie im Vorangegangenen 
dargelegt wurde, geht Kant von moralischen Prinzipien aus, die durch das 
Erkenntnisvermögen der Vernunft bestimmt werden können. Diese Prinzipien der 
praktischen Vernunft sind auch im Kategorischen Imperativ vorausgesetzt.
Da es sich beim "wollen können"   ausschließlich um den Willen handelt, insofern 
er nicht durch 
Neigungen sondern durch Prinzipien der Vernunft bestimmt wird, sind die von 
Kant vorausgesetzten Prinzipien der Vernunft für die Interpretation des 
Kategorischen Imperativs von zentraler Bedeutung. 
Die dem Vernunftvermögen zugeschriebene Bildung der Ideen und der metaphysischen 
Begriffe wie "Freiheit", "Pflicht" oder "Vernunftwesen" ist jedoch nicht  
nachvollziehbar - zumindest nicht auf Basis der "Grundlegung zur Metaphysik der 
Sitten". Die Bildung dieser Begriffe wird in dieser Schrift 
weitgehend vorausgesetzt, obwohl es sich um eine "Grundlegung" handeln soll.
Man könnte versuchen, dies Problem durch eine Hinzuziehung weiterer Schriften 
und eine Bezugnahme auf das gesamte Denksystem Kants zu beheben. Dies kann und 
soll hier nicht geleistet werden. Deshalb sollte bei den folgenden Ausführungen 
im Gedächtnis bleiben, dass die Herkunft der metaphysischen Begriffe offen 
bleibt. 
9.)   Handlungsmaximen, die 
sich bei allgemeiner Befolgung selbst aufheben
Bei einer bestimmten 
Art von 
individuellen Handlungsmaximen wird sofort deutlich, dass sie sich bei ihrer Verallgemeinerung zu einem allgemeinen Gesetz 
letztlich nicht praktizieren lassen. 
Ein Beispiel 
hierfür ist die von Kant erörterte Maxime: "Wenn ich mich in Geldnot zu sein 
glaube, so will ich Geld borgen, und versprechen es zu bezahlen, ob[wohl] ich gleich 
weiß, es werde niemals geschehen"   (S.53). Diese Maxime erweist sich klar als 
nicht verallgemeinerbar, "denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, dass jeder, 
nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem 
Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck den man damit 
haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, dass ihm etwas 
versprochen sei."   (S.53)
Mit andern Worten: Niemand wird sich vertraglich zu etwas verpflichten, wenn er 
davon ausgehen muss, dass der Vertragspartner gar nicht die Absicht hat, seine 
vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb hebt sich die Maxime, 
derart "unehrliche" Verträge abzuschließen, bei allgemeiner Anwendung selber auf.
Der Kategorische Imperativ überzeugt vor allem bei der Anwendung auf derartige, 
sich 
selbst aufhebende Maximen. 
Zu dieser Art von Maximen gehören z. B. Maximen wie : 
'Ich 
muss Gesetze nicht befolgen', 
'Ich muss mich an Mehrheitsbeschlüsse 
nicht 
halten', 
'Ich muss bei eidlichen Aussagen nicht die Wahrheit 
sagen', 
'Ich muss geliehene Sachen nicht 
zurückgeben'   usw.. 
Die hier im Hintergrund stehenden Verfahren und Institutionen (legitimierte 
Gesetzgebung, legitimierte Regeln der Gruppenentscheidung, öffentliche 
Bekräftigung eigener Aussagen, zeitweise Überlassung von Eigentum an andere bei 
Versprechen der Rückgabe usw.) dienen der Setzung verbindlicher 
Normen. Individuelle Maximen, die die Verbindlichkeit der durch derartige 
Institutionen gesetzten Normen misachten, zerstören deshalb bei ihrer Anwendung durch 
alle  
Individuen 
diese Institutionen. Wenn man aber die gesetzten Normen 
doch nicht befolgen muss, so wird letztlich niemand mehr derartige normsetzende 
Institutionen anwenden. Dies kann aber niemand vernünftigerweise wollen.
10.)  Die Definition des Begriffs "kategorischer Imperativ"   
und der Kantische Rigorismus
Kant unterscheidet zwischen Klugheitsregeln, die 
sich aus persönlichen Zielen des Handelnden ableiten ('Wenn Du Deine Zähne 
möglichst lange erhalten willst, dann musst Du sie regelmäßig putzen') und 
moralischen Normen  ('Quäle nie ein Ter zum Scherz'), die unabhängig davon gelten, was der mit der Norm 
Angesprochene selber will. 
Kant definiert (auf den Seiten 45f.) den Ausdruck "kategorischer Imperativ"   
jedoch nicht nur durch die Unabhängigkeit von den Absichten des Angesprochenen, 
sondern er sagt darüber hinaus, dass ein kategorischer Imperativ "nicht die 
Materie der Handlung und das, was aus ihr folgen soll, sondern die Form"   
betrifft.
Das legt den Schluss nahe, dass Sätze wie 'Nimm Rücksicht auf die Bedürfnisse 
anderer'   oder 'Füge niemandem ohne Begründung einen Schaden zu', die auf die 
"Materie"   Bezug nehmen, für Kant keine kategorischen Imperative und damit auch keine Gebote der Sittlichkeit sind. Da 
diese Normen auch keinen Bezug auf irgendwelche Absichten des jeweils 
Angesprochenen nehmen, handelt es sich bei ihnen auch nicht um hypothetische 
Imperative im Sinne Kants. Dies Resultat ist unbefriedigend, da Kant nicht die 
Frage erörtert, ob es neben den hypothetischen und den kategorischen Imperativen 
noch weitere moralisch bedeutsame Arten von Imperativen gibt.
Auch wenn Handlungen durch Absichten wie die "Beförderung fremder 
Glückseligkeit" bestimmt werden, bekommen sie für Kant dadurch keinen 
moralischen Wert. Seine Begründung für diese erstaunliche Ansicht lautet: "... 
Alle diese Wirkungen konnten auch durch andere Ursachen zu Stande gebracht 
werden, und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens 
..." (S.27) 
Allein im Vernunftwesen "wird das höchste und unbedingte Gute ... 
angetroffen"(S.27)   "... Nichts anderes als die Vorstellung des 
Gesetzes .. kann das so vorzüglich Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen 
" (S.27). Diese Sittlichkeit ist "in der Person selbst schon gegenwärtig, die 
darnach handelt". Sie darf deshalb "nicht aber allererst aus der Wirkung [der 
Handlung] erwartet werden ..." (S.27). 
Kant zieht aus dem Umstand, dass die Menschen - wenn auch unvollkommene -  
Vernunftwesen sind - die Schlussfolgerung, dass dies auch einem bestimmten Zweck 
haben muss. Es muss also etwas geben, wofür nur Vernunftwesen geeignet sind, und 
was nicht durch Anderes erbracht werden kann. Dies ist die Pflicht als die 
Nötigung zu einem sittlichen Handeln allein aus Achtung vor dem Gesetz.
Mit dieser Argumentation setzt Kant etwas voraus, was - zumindest heutzutage - 
höchst strittig ist. Er bezieht sich auf eine Welt bzw. eine Schöpfung, in der 
alles bestmöglich eingerichtet ist. Wenn es dort Menschen gibt, die 
Vernunftwesen sind, dann muss dies auch einen bestimmten Zweck erfüllen. Dieser 
Zweck besteht darin, dass nur Vernunftwesen die sittlichen Gebote allein aus 
Pflicht erfüllen und damit das höchste Gut verwirklichen können. 
Kant definiert einen kategorischen Imperativ darüber hinaus als einen "unbedingten", "unmittelbar 
gebotenen"   notwendigen Imperativ.
Hier stellt sich die Frage, was mit der unbedingten und unmittelbaren Notwendigkeit der 
kategorischen Imperative gemeint ist. 
Eine Möglichkeit der Interpretation ist die, dass die allgemeinsten Gebote der Sittlichkeit wie: 
'Man darf nicht lügen'   in dem Sinne "unbedingt"   gelten, als es keine gültige moralische Norm von der 
Art 
geben kann: 'Wenn die Bedingungen x, y, z ... gegeben sind, darf man lügen.'  
Wie Marcus G. Singer gezeigt hat (siehe seine Arbeit: Generalization in Ethics, 
New York 1971, Kap. VIII), hat Kant zumindest teilweise in diesem Sinne argumentiert, 
wodurch er zu fragwürdigen moralischen Positionen gelangte, etwa was die Strafe 
angeht. 
Ein 
derartiger moralischer Rigorismus ist jedoch nicht notwendigerweise mit dem Kategorischen Imperativ 
verbunden.
Singer 
verdeutlicht die Problematik an dem folgenden Beispiel: A versteckt sich wegen 
einer Morddrohung im Haus von B. Der 
Mörder erscheint und fragt B, der zufällig C zu Gast hat, ob sich A im Haus 
befindet. Er droht damit, B und C zu erschießen, wenn B nicht antwortet.
B hat drei Möglichkeiten zu handeln: 1. Er sagt die Wahrheit. Dann 
wird A erschossen. 2. Er sagt gar nichts. Dann wird er selber und der 
unschuldige C erschossen. Oder 3.: Er lügt den Mörder an, um damit sowohl das Leben 
von A als auch sein eigenes und das von C zu retten. Die 3. Möglichkeit 
ist hier offenbar die moralisch gebotene Handlungsalternative.
Sie steht auch im Einklang mit dem Kategorischen Imperativ.
Man kann die Maxime, in einer derartigen Situation zu lügen, ohne weiteres auch 
dann noch wollen, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetz erhoben würde. Die 
Gefahr, dass man dann niemandem mehr etwas glauben könnte, besteht hier 
sicherlich nicht. 
 
11.) 
Kritik an der Herleitung des Kategorischen Imperativs
Nachdem Kant alles Materielle und Empirische als mit der Notwendigkeit 
eines Gesetzes unvereinbar ausgeschlossen hat, bleibt für ihn nur noch
die Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit als dasjenige Element, von dem das Gebotensein der 
sittlichen Imperative ausgehen kann. 
Dieser Schluss ist jedoch keineswegs logisch zwingend.  
So könnte man stattdessen auch die Position vertreten, 
dass die Verpflichtung durch eine moralische Norm darauf beruht, dass diese 
richtig ist und dass die Richtigkeit eingesehen werden kann.
Wenn auf die Frage: 'Was darf man 
unter keinen Umständen tun?'   die Norm: 'Man darf andere Menschen nicht um 
des eigenen Vorteils willen töten'   eine richtige Antwort ist, dann bedarf es keiner weiteren Begründung 
dafür, dass man entsprechend dieser Norm handeln soll. Denn dass man das 
Richtige tun soll, ist eine Tautologie. 
(Die Schwierigkeiten einer 
solchen Position - etwa in Bezug auf den Begriff der "Richtigkeit"   in der 
Anwendung auf Normen - können hier 
nicht diskutiert werden. Es soll damit nur aufgezeigt werden, dass 
die von Kant 
gegebene Antwort nicht die einzig denkbare ist.) 
Wenn ich aufgrund überzeugender Argumente einsehen kann, warum es richtig ist, dass 
man einen andern Menschen nicht um des eigenen Vorteils töten darf, so ergibt 
sich ein anderes Verständnis von moralischer Pflicht als bei 
Kant. Die Verpflichtung, moralisch zu handeln, ergibt sich dann nicht aus der 
"Achtung vor dem sittlichen Gesetz" sondern aus der 
Einsicht in dessen Richtigkeit.
12.)  Unterschiedliche Ergebnisse bei 
unterschiedlichen sozialen Positionen
Bemerkenswert ist, dass 
die Anwendung der Kategorischen Imperativ keinerlei Kenntnis vom Wollen  
anderer Personen erfordert:
Wenn ich den Kategorischen Imperativ anwenden will, so muss ich mir vorstellen, dass alle andern Personen meinen Grundsatz des Handelns 
(die Maxime meines Handelns) übernehmen, und ich muss mich fragen, ob
ich die dann entstehenden 
Verhältnisse wollen kann. Wenn ich das nicht vernünftig wollen kann, dann ist dieser Grundsatz unmoralisch. 
Ich 
handle unmoralisch, wenn ich trotzdem nach diesem Grundsatz handle. 
Eine Erklärung für diese Beschränkung auf die Perspektive des einzelnen Menschen könnte der 
bereits angesprochene Umstand sein, dass mit dem Ausdruck "mein Wollen" 
von Kant nicht das von mir 
faktisch Angestrebte gemeint ist, sondern ausschließlich die Prinzipien der 
Vernunft und die daraus abgeleiten Handlungen, die für alle Individuen die 
gleichen sind. Dann treten die Individuen in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit 
gar nicht als solche in Erscheinung sondern sind völlig gleichartige 
Vernunftwesen. Wie eine derartige Ableitung inhaltlicher moralischer Normen aus 
dem Begriff des Vernunftwesens erfolgen kann, wird von Kant in der "Grundlegung 
zur Metaphysik der Sitten" nicht nachvollziehbar dargelegt.
Die Folgenden soll deshalb das 'wollen können'   in 
seiner üblichen Bedeutung als 'begehren können' verstanden werden und nicht im spezifisch Kantschen 
Verständnis des Willens als praktischer Vernunft.
Nach Kant bildet der Kategorische Imperativ das oberste Prinzip der 
Sittlichkeit.
Die entscheidende Frage ist, 
ob verschiedene Personen bei Anwendung des Kategorischen Imperativs zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen, 
denn nur 
dann kann ein Kriterium die Grundlage für die 
allgemeingültige Beantwortung moralischer Fragen bilden. Einander  widersprechende Antworten können 
gar keine Frage 
beantworten. 
Der Kategorische Imperativ führt offenbar nur dann zu 
intersubjektiv  übereinstimmenden Antworten, wenn die 
Personen, die ihn anwenden, hinsichtlich der allgemein 
angewandten Grundsätze des Handelns das Gleiche wollen. Dies kann man aber 
nicht immer voraussetzen. Wenn sich zwei Personen in unterschiedlichen 
Positionen und Lebenslagen befinden, ist es nichts Ungewöhnliches, dass sie unterschiedliche Grundsätze des 
Handelns als allgemein zu befolgende Gesetze wollen.
Zum Beispiel kann Herr Meier nach 
der Maxime handeln: 'An der Hausarbeit beteilige ich mich als Mann nicht sondern 
überlasse dies meiner Frau'. Dabei kann Herr Meier ohne Schwierigkeiten wollen, dass alle 
andern 
seine 
Maxime übernehmen und entsprechend handeln. 
Frau Meier dagegen handelt nach der Maxime: 'Als berufstätige Frau übernehme ich nur die Hälfte der Hausarbeit und 
überlasse die andere Hälfte meinem Mann.'   Auch sie kann ohne 
Schwierigkeiten  wollen, dass alle andern ebenfalls nach ihrer Maxime handeln. 
Wie man sieht, kann die Anwendung des Kategorischen Imperativs durch 
verschiedene Personen zu Ergebnissen führen, die nicht miteinander vereinbar 
sind.
Dies Problem lässt sich im Rahmen des Kantschen Denkens wohl nur lösen durch den 
Bezug auf vorgängige Prinzipien der reinen praktischen Vernunft.
13.)  In bestimmten Fällen ist der direkte 
Handlungsbezug des Kategorischen Imperativs problematisch
Der Kategorische Imperativ 
prüft die Maximen auf 
ihre moralische Zulässigkeit 
unter der Voraussetzung ihrer allgemeinen Befolgung.
Daraus kann man schließen, dass nach Kants 
Ansicht die 
Verpflichtung zum eigenen moralischen Handeln ganz unabhängig vom tatsächlichen 
Handeln der andern besteht.
In einigen Fällen kommt es jedoch zu Problemen, wenn die 
isolierten Einzelnen ein moralisches Gebot befolgen, das einer Maxime 
entspricht, die die Anforderungen des Kategorischen 
Imperativs erfüllt.
Denn eine Handlungsnorm 
kann ideal sein, solange sie ausnahmslos befolgt wird, aber sie kann in ihren 
Auswirkungen katastrophal sein, wenn sich nicht alle daran halten.
Jemand kann z. B. der Maxime folgen, auf den 
Besitz und den Einsatz von militärischen Waffen zu verzichten. Er kann wohl auch ohne Probleme wollen, dass 
seine 
Maxime ein allgemeines Gesetz wird. Trotzdem sollte er nicht 
nach dieser Maxime handeln, denn es wäre fatal, wenn auch nur ein Einziger nicht nach dieser Maxime 
handelt und nun den Unbewaffneten mit Waffengewalt 
seinen Willen aufzwingen kann.
***
Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
   
Einzelinteresse und Gesamtinteresse, § 30.1
   Kants Konzeption synthetischer Urteile a 
priori *** (42 K)
  
Kant: Der gute Wille als höchstes Gut ** (16 K)
  
Institutionelle Normen * (7 K)
 
   
zum Anfang
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Immanuel Kant: Der Kategorische 
Imperativ"  
Letzte Bearbeitung 23.12.2008 / 12.11.2014 / Eberhard Wesche
Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die "Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.